Alternativen zu Pillen

Neuen Forschungen in der Neurowissenschaft zufolge kann das menschliche Gehirn dazu umtrainiert werden, in Bahnen zu denken, die zu besserer körperlicher und seelischer Gesundheit führen. Der Umgewöhnungsprozess steht in direktem Zusammenhang mit Achtsamkeit, nicht nur im Hinblick auf unser Denken, sondern auch auf unser Handeln. Unsere Gewohnheiten im Denken und Handeln zu ändern, kann die neuralen Bahnen im Gehirn verändern – und damit das Gehirn selbst.

Für die Behandlung von Depressionen ist dies von höchster Bedeutung. Medikamente können in einem erfolgreichen Behandlungsprogramm eine Rolle spielen, aber wenn der Patient nicht seine gewohnten Denk- und Handlungsweisen verändert, sind seine Chancen auf eine vollständige und dauerhafte Genesung erheblich verringert.

Ein entscheidender Schritt im Genesungsprozess besteht darin, vier Aspekte im Alltagsleben in Angriff zu nehmen.

BEWEGUNG

Serotonin unterstützt die Funktion der Neuronen, die elektrische Ladungen weitergeben und dadurch Bahnen zu Gehirnarealen schaffen, die u. a. die Stimmungen steuern. Serotonin kann auf natürlichem Wege produziert werden – somit kann das Gehirn trainiert werden, Serotonin auszuschütten. Eine Möglichkeit hierzu ist körperliche Bewegung; sie verstärkt nicht nur die Blutzufuhr ins Gehirn, sondern auch die Ausschüttung von Serotonin. Gleichzeitig können Angst und Stress, die oft mit Depressionen einhergehen, verringert werden. Schon zehn Minuten am Tag verbessern die Stimmung; längere körperliche Aktivität bringt allerdings größeren Nutzen.

Doch die US-Organisation Centers for Disease Control and Prevention (CDC) berichtet: „60 % der erwachsenen Amerikaner sind nicht ausreichend körperlich aktiv, um daraus gesundheitlichen Nutzen zu ziehen.“ Das Problem betrifft nicht allein Erwachsene, obgleich der Prozentsatz junger Menschen, die nicht das empfohlene Maß an Bewegung haben, etwas niedriger ist. 

Man hört viel vom Nutzen körperlicher Aktivität für das Herz-Kreislauf-System, doch anscheinend befassen sich nur wenige mit ihrem Nutzen für das Gehirn bei der Behandlung von Affektstörungen.

ERNÄHRUNG

Die Bedeutung der Ernährung kann nicht überbewertet werden. Fettleibigkeit ist eine Volkskrankheit, nicht nur in den USA, sondern auch in vielen anderen Ländern. Zwei Drittel aller US-Bürger sind übergewichtig. Zwar haben Fortschritte bei Medikamenten wie Antibiotika die Lebenserwartung erhöht, doch nun hat sich dieser Trend umgekehrt: Durch die Folgeschäden falscher Ernährung und mangelnder Bewegung werden die Kinder von heute voraussichtlich nicht so lange leben wie ihre Eltern. CDC-Schätzungen zufolge sind 14 bis 19 % der amerikanischen Kinder übergewichtig, und in den letzten 25 Jahren hat sich die Zahl übergewichtiger Kinder mehr als verdoppelt, die übergewichtiger Jugendlicher nahezu verdreifacht.

Die Situation in Deutschland ist zwar besser, trotzdem sind rund 70 % der Männer und 50 % der Frauen in Deutschland übergewichtig, jeder fünfte Deutsche ist fettsüchtig (BMI 30 und darüber). Tendenz steigend. Besorgniserregend ist das Übergewicht von Kindern. Derzeit bringt in Deutschland schon jedes sechste Kind zu viel auf die Waage. 7 bis 8 % der Kinder sind fettsüchtig. Eine wahrhaft schwere Bürde, denn dicke Kinder haben gute Chancen, dicke Erwachsene zu werden.

Höhere Fettleibigkeitsquoten haben eine Korrelation zur klassischen, schweren Depression, da die Wirkung von Fettleibigkeit auf Stimmung und Ängste regelrecht verheerend ist, besonders für Kinder. Die National Comorbidity Survey, eine Erhebung bei über 9 000 Personen in den USA, kam zu dem Schluss, dass das Risiko von Stimmungs- und Angststörungen bei fettleibigen Menschen um 25 % höher ist als bei Normalgewichtigen.

Das metabolische Syndrom ist eine Gruppe von Symptomen, die mit einem höheren Risiko bestimmter Gesundheitsprobleme verbunden sind, darunter auch der Depression. In der Regel ist eine kalorienreiche Ernährung mit ungesunden Fetten, zusammen mit Bewegungsmangel, ein starker Prognosefaktor für ein metabolisches Syndrom. Ein weiterer entscheidender Faktor hierfür ist das am Taillenumfang gemessene Bauchfett.

Omega-3-Fettsäuren spielen nicht nur eine Rolle in einer gesunden Ernährung; klinische Erprobungen und Erhebungen bestätigen auch eine starke Korrelation zwischen vermehrter Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren und verringerter Depression. Offenbar haben Omega-3-Fettsäuren einen positiven Einfluss bei Kommunikationsstörungen zwischen Nervenzellen bei Affektstörungen, während schwere körperliche und psychische Störungen in direktem Zusammenhang mit einem Mangel an diesen Fettsäuren stehen. Deshalb raten manche Mediziner Depressiven, sich ihrer psychischen Gesundheit zuliebe an den mediterranen Ernährungsstil zu halten. Websites wie die der Mayo Clinic bieten hierzu Informationen.

STRUKTUR

In der geschäftigen Welt von heute würden die meisten von uns einer strukturierten täglichen Routine wohl nicht große Bedeutung beimessen. Doch wir können uns sowohl psychisch als auch körperlich helfen, indem wir unserem Leben einen festen Rahmen geben. Es kann die Chemie unseres Körpers und Gehirns beeinflussen, z. B. jeden Morgen zur gleichen Zeit aufzustehen, zur gleichen Zeit zu essen und eine Routine für das Schlafengehen zu etablieren. Serotonin und die meisten Hormone lieben Routinen, doch besonders wichtig sind sie für Kinder.

SCHLAF

In Verbindung mit Routinen brauchen wir regelmäßige Schlafenszeiten, damit die biologische „innere Uhr“ unsere Körperfunktionen richtig regulieren kann. Schlaflosigkeit, Schlafapnoe und das „Syndrom der unruhigen Beine“ zählen zu den führenden Ursachen von Schlafstörungen, an denen Schätzungen zufolge zwei Drittel der US-Bürger leiden. In einer gut durchschlafenen Nacht werden wichtige Hormone ausgeschüttet, der Blutdruck sinkt, und die Funktion der Nieren ändert sich. Schlafstörungen bewirken auch Stress, und ständiger Stress begünstigt Depressionen. Ein Nachtschlaf von sieben bis acht Stunden hilft dem Körper und dem Gehirn, sich zu erholen, Energie und Vitalität zurückzubekommen. (S. „Life & Health Basics: How Much Sleep Do We Need – and How Do We Get It?“).

Wenn wir unser Verhalten in diesen vier Kernbereichen näher betrachten, hinterfragen und die nötigen Änderungen vornehmen, können wir dem Gehirn helfen, sich auf neue Denkweisen umzuprogrammieren. Natürlich erfordern manche Fälle von Depression eine professionelle Behandlung; doch es ist wichtig, hier anzusetzen, denn das Gehirn ist beeinflussbarer, als man sich früher vorstellen konnte. Der Sitz der menschlichen Emotionen – der Hypothalamus und die Amygdala im Gehirn – steuert die Hormonausschüttung und ist in hohem Maße an der Reaktion auf Stress beteiligt. Durch die Änderung unserer Denkgewohnheiten können wir diese Gehirnareale positiv beeinflussen. Der Teufelskreis der Depression ist umkehrbar.