Auguste Comte - Hoherpriester der Menschlichkeit?
Kurzbiographie über den Begründer der Soziologie und des Positivismus.
Er pflügte die ersten Furchen auf dem Acker einer neuen Philosophie. Auguste Comte hatte einen tief greifenden Einfluss auf die meisten anerkannten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Er schuf ein auf Tatsachen konzentriertes System, das den menschlichen Stolz, die Gier und das Böse nicht außer Acht ließ; das jedoch auch äußerst optimistisch und scheinbar praktikabel war. Comte revidierte die Sichtweise der Menschheit über die eigenen Fähigkeiten und wollte einer Hoffnung Nahrung geben, aus der heraus die Menschen von der Sklaverei des Aberglaubens befreit werden sollten.
Comte wurde 1798 im französischen Montpellier in eine royalistische, römisch-katholische Familie hineingeboren und erwies sich als ein begabtes Kind. Schon in frühen Jahren machte er sich auf der örtlichen technischen Schule einen Namen, galt aber auch als rebellisch. Nachdem er einigen Erfolg auf der École Polytechnique in Paris erlangt hatte, war seine erste Ambition, auf dieser geliebten Schule zu lehren. Sein rebellischer Geist verschloss ihm dieses Ziel; deshalb und auch wegen Geldmangel verdingte er sich als Nachhilfelehrer. Später hoffte er auf einen neuen Start in den Vereinigten Staaten, aber auch dieser Plan verlor sich im Leeren.
Im Alter von 19 Jahren fand er eine Stelle als persönlicher Sekretär bei Graf Henri de Saint-Simon, dem höchst einflussreichen französischen Philosophen, der vorschlug, das Studium der Gesellschaft als eine Wissenschaft zu betrachten. Tief berührt von der Rhetorik Saint-Simons begann Comte, der später den Begriff Soziologie schuf, seine eigenen Ideen zu formen. Sieben Jahre lang schufen die Beiden mehrere anerkannte Essays, in welchen man schon Ansätze dessen finden kann, was später Positivismus genannt wurde: die unverwechselbare Philosophie der Wissenschaftstheorie, die von Comte eingeführt und zeit seines Lebens gepflegt wurde.
Um 1824 fanden sich Saint-Simon und Comte in gegnerischen philosophischen Lagern und die Wege trennten sich. Comte heiratete 1825 Caroline Massin, aber die Ehe war unglücklich und von Anfang an begleitet von Gewalt und Trennungen. Sieben Jahre lebte er in Armut, mindestens einmal versuchte er, seinem Leben ein Ende zu machen.
Zwischen 1830 und 1842, während er sich so gut wie im akademischen Exil befand, schrieb er sein wichtigstes Werk, das sechsbändige Course de Philosophie Positive (Lehrbuch über die positive Philosophie), worin er seine radikale Theorie weiterentwickelte. Comtes anfängliche Feststellung war, dass wissenschaftliches Denken der einfachen Akzeptanz von auferlegten oder übernommenen Regeln vorzuziehen sei. Er wollte, dass die Soziologie als eine wissenschaftliche Disziplin anerkannt würde, die verbindliche, überprüfbare Fakten und empirische Daten lieferte.
Trotz dieser arbeitsmäßig fruchtbaren Zeit stand er finanziell immer noch auf wackligen Beinen, sein emotionaler und mentaler Zustand stabilisierte sich allerdings - bis ihn 1842 seine Frau für immer verließ.
Ende 1844 fand Comte dann in Clothilde de Vaux, die auch von ihrem Ehepartner verlassen worden war, eine Muse und Gönnerin. Clothilde bestand darauf, da sie offiziell noch verheiratet war, dass ihre Verbindung nie körperlicher Art sein konnte, aber sie arbeitete mit ihm zusammen und ermutigte ihn, seine Ideen weiterzuentwickeln. Obwohl sie ein Jahr später an Schwindsucht starb, bewies sich Clothilde als primärer Einfluss auf die sich entwickelnde Philosophie Comtes.
In den Essays, die er zusammen mit Saint-Simon Jahre zuvor geschrieben hatte, war die zündende Idee gewesen, dass die wissenschaftlichen Disziplinen alle eine ähnliche Entwicklung erlebt hatten - vom Wissen, das nur auf Mythologie gegründet war, zum Wissen, das aus realen Daten berechnet und abgeleitet wurde. Die ersten zwei Stadien seiner drei Stadien umfassenden Progression nannte er theologisch und metaphysisch (oder abstrakt). Das dritte und abschließende Stadium, das Comte damals als erst im Aufkeimen befindlich sah, nannte er positiv.
Im theologischen Stadium, so behauptete er, versucht der menschliche Sinn die Phänomene, die er beobachtet, zu verstehen und ist mit übernatürlichen Erklärungen zufrieden. Im metaphysischen Stadium akzeptiert der Verstand, dass natürliche Kräfte wirksam sind, stellt sich diese aber nur abstrakt vor.
Mit der Zeit hatte Comte für das erste Stadium nur Spott übrig, in seinen Jugendjahren hatte er sich ja schon zum Atheismus bekannt. Ein wenig mehr Respekt hatte er für das zweite Stadium, beide Stadien betrachtete er allerdings als unentbehrlich für die Entwicklung des menschlichen Geistes. Er folgerte, dass Wissen nutzlos sei, wenn es nicht über abergläubische Vorstellung hinausginge, hin zu einem Verständnis der Gesetze, die das regeln, was wir beobachten und erfahren. Einem Kind, zum Beispiel, wird gesagt, dass es nicht versuchen solle, einen schweren Gegenstand zu bewegen - das ist theologisches Wissen. Wenn das Kind älter ist, lernt es, dass es Naturgesetze gibt, die verursachen, dass ein Gegenstand schwer ist - das ist metaphysisches Wissen. Aus den Fakten des zweiten Stadiums heraus ist ein Kind schlussendlich in der Lage, das Konzept der Schwerkraft zu begreifen, das Gesetz hinter dem in Frage stehenden Phänomen - das ist positives Wissen.
Comte machte geltend, dass sogar die so genannten weichen Wissenschaften wie Soziologie dieses Entwicklungsmuster bestätigen. Durch die Augen von Clothilde sah er die Soziologie, im Speziellen seine eigene Art davon, nicht nur als harte Wissenschaft, sondern als ein Werkzeug, um die Welt zu verbessern. Er mutmaßte, dass die sozialen Probleme durch groß angelegte positive Politik beseitigt werden könnten.
Nach dem Tod seiner geliebten Clothilde begann sich Comte jedoch entschieden nichtwissenschaftlich zu verhalten. Er verstrickte sich unentwirrbar in Mystizismus und verschrieb sich selbst eine Kur von „Gehirnhygiene“, die ihm untersagte, sich mit den minderwertigen Ideen anderer Autoren und Dozenten zu verunreinigen.
Comte gelangte zur Überzeugung, dass das letztendliche Ziel der Menschheit sei, zu lernen, sich selbst zu verehren.
1849 versuchte sich Comte in einer Kalenderreform; er schlug ein Jahr mit 13 Monaten vor, in dem jeder Tag jemandem gewidmet war, den er als Verfechter der Menschlichkeit betrachtete. Ungefähr zur selben Zeit gründete er die Positivistische Gesellschaft, die noch heute existiert. Er gelangte zur Überzeugung, dass das letztendliche Ziel der Menschheit sei, zu lernen, sich selbst zu verehren. Er war nun bereit, die universelle Religion der Menschlichkeit zu etablieren und erklärte sich selbst zum Hohenpriester.
Seine positivistische Theorie entwickelte sich zu einem Programm für die Zukunft der Menschheit - er folgerte, dass untaugliche Führer und die von ihnen verhängten Vorschriften Ursache dafür waren, dass die Vergangenheit mit Krieg überzogen war. Rechtes Denken jedoch, so wie er es definierte, würde schlussendlich solche Konflikte hinwegschwemmen. Trotz Comtes unermüdlichen Anstrengungen scheint die Menschheit jedoch dem erhabenen Ziel von Perfektion nicht näher gekommen zu sein.
Obwohl heute die meisten Soziologen angesichts der totalitären Version von Comtes Positivismus erschaudern, ist sein Einfluss immer noch gewaltig. Zahllose soziale Verbesserungsmaßnahmen zeugen von seinem Lehrsatz, und viele Menschen tappen unversehens in die Falle, zu denken, dass die Menschheit sich selbst moralisch allein durch Willenskraft verbessern kann.