Niccolò Machiavelli - falsch verstanden
Der florentinische Staatsmann und Politiktheoretiker Niccolò Machiavelli wurde 1469 geboren. An seinem 25. Geburtstag drang Karl VIII. von Frankreich in Florenz ein und trieb dessen eigentlichen Regenten Piero de“ Medici zur Flucht ins Exil. Karl setzte an seiner Stelle eine republikanische Regierungsform ein, und vier Jahre später wurde der junge Machiavelli in das Amt des Zweiten Kanzlers berufen - eine wichtige Sekretärsfunktion.
14 Jahre lang reiste er in dieser Funktion und auf verschiedenen Missionen durch Europa; so war es praktisch selbstverständlich, dass er wegen Verschwörung angeklagt wurde, als die Familie Medici im Jahr 1512 wieder an die Macht kam. Zwar wurde er freigesprochen, doch das Gericht nötigte ihm das Versprechen ab, den öffentlichen Dienst für immer zu quittieren.
Den Rest seines Lebens verbrachte er damit, Lyrik, Kurzgeschichten, historische Essays und Komödien zu schreiben, die heute wohl für die meisten Zuschauer als ungeeignet gelten dürften. Ein kurzes Werk, das erhalten blieb, ist eine laszive Schilderung eines angeblich typischen Tages, den er dazu genutzt hatte, die einheimischen Prostituierten zu beschäftigen.
„Il Principe“ (Der Fürst) wurde um 1513 geschrieben und ist als sein Meisterwerk anerkannt. Eigentlich ist es ein langes Traktat - eine Broschüre - geschrieben, als wäre es nur für eine Person: den heimgekehrten Medici, der Florenz wieder übernommen hatte. Machiavelli, dessen Karriere im öffentlichen Dienst an Medicis Opposition gescheitert war, wünschte sich nun glühend, die Gunst des Despoten wiederzuerlangen.
In „Il Principe“ schildert er deutlich, was in der heutigen Zeit als „Realpolitik“ bekannt ist: ungeschönte Fakten darüber, wie man Macht gewinnt und behält. Innerhalb von 50 Jahren bürgerte sich das Wort „machiavellistisch“ für „politisch bedenken- und rücksichtlos“ ein. Der Begriff wird seither in der politischen Kritik verwendet und ist in die Alltagssprache übergegangen.
„Il Principe“ enthält zum Teil unverhüllte, emotionslose Bewertungen und empfiehlt Handlungsweisen, die bei einem Führenden wenig Gefühl für seine Untergebenen voraussetzen. Es scheint, als hätte Machiavelli „Il Principe“ als eine Art Resümee oder Lebenslauf geschrieben, der ihm die Gunst der Medici einbringen sollte. Was er sich damit einhandelte, war der bis heute bestehende Ruf der Rücksichtslosigkeit, Drahtzieherei und zynischen Beratung, wie ein Mensch mit Gemeinsinn sich selbst korrumpieren kann.
Um gerecht zu sein: Der Zweck seiner Abhandlung ist nicht Korruption und Doppelzüngigkeit; sie nennt praktische Schritte zum Erhalt von Macht und Respekt in einer Welt, die in Machiavellis Augen voller Korruption und anderer Manifestationen einer in sich bösen menschlichen Natur war. Er suchte eine Art Erlöser, jemanden, der die Zügel in die Hand nehmen und Italien vor fremden Invasoren, aber auch - wie Machiavelli es sah - vor der Bosheit seiner eigenen Gesellschaft retten konnte.
Wer seine Werke heute liest, stellt mit Erstaunen fest, wie deutlich ein Schriftsteller schon damals sein konnte.
Machiavelli war absichtlich kontrovers in seiner Wortwahl; später kommentierte er, er hätte seine Sprache wohl gemildert, wäre die Menschheit nicht so böse. Und so wies er jeden Anschein eines Zusammenhangs zwischen praktischer Führung und Edelmut von sich. Politik war ein kaltes, hartes Geschäft, und Machiavelli legte ihre inneren Mechanismen mit Freude bloß. Wer seine Werke heute liest, stellt mit Erstaunen fest, wie deutlich ein Schriftsteller schon damals sein konnte. Selbst zu Machiavellis Lebzeiten erntete „Il Principe“ in manchen Kreisen heftige Kritik; der Papst setzte es auf den Index - eine Liste von Büchern, die die römisch-katholische Kirche ausdrücklich verbot.
Im 19. Jahrhundert zog Otto von Bismarck praktischen Nutzen aus vielen Ratschlägen Machiavellis. Mit Andeutungen, Intrigen und Manipulation provozierte er Kriege ebenso wie Bündnisse - alles mit dem Ziel, aus den Scherben Preußens und verschiedener deutschsprachiger Enklaven ein starkes deutsches Reich zu schaffen, dessen erster Kanzler er dann wurde.
Auch heute sehen wir überall Beispiele von Menschen, die nach dem Prinzip „der Zweck heiligt die Mittel“ vorgehen - und vielleicht ist es besonders dieses Prinzip, das von Machiavelli im Gedächtnis geblieben ist. „Il Principe“ wurde geschrieben, um einen Herrscher zu lehren, mit welchen Mitteln er Macht gewinnen, behalten und erweitern könne, denn dies hielt Machiavelli für den wichtigsten Maßstab erfolgreicher Führung. Eigenschaften wie Erbarmen, Gerechtigkeit oder Mitgefühl schenkte er hierbei wenig Aufmerksamkeit. Die Ironie ist, daß der Machiavelli zugeschriebene Kodex, der in der Theorie so anstößig ist, weitgehend dem entspricht, was manche Regierungen auch heute allzu oft praktizieren: die rücksichtslose, amoralische und prinzipienlose Anwendung von Macht.
Das biblische Buch der Sprüche wurde ebenfalls als eine Abhandlung geschrieben, die künftigen Führungspersönlichkeiten Weisheit vermitteln sollte, aber es gibt potentiellen Führern, die erfolgreich sein wollen, erstaunlich anderen Rat. Hinter dem Rat an König Lemuel stehen Ideale, die weit höher sind als die meisten Überlegungen der Realpolitik: „Tu deinen Mund auf und richte in Gerechtigkeit und schaffe Recht dem Elenden und Armen“ (Sprüche 31, 9).