Die Weltwirtschaft von morgen
Wir leben in einer Welt von Systemen – natürlichen und auch von Menschen geschaffenen. Wir interagieren mit ihnen, beeinflussen sie und werden von ihnen beeinflusst. Doch solange alles reibungslos läuft, denken wir in der Regel nur wenig an diese Systeme. Wenn sich aber etwas verändert – wenn zum Beispiel ein Virus unser Immunsystem oder unser Computersystem befällt –, dann merken wir es.
Ein System, das sich ständig ändert und das uns alle betrifft, ist die Wirtschaft. Ob reich oder arm, wir alle interagieren fast immer mit ihr. Und ob es uns gefällt oder nicht, sie fordert unsere Aufmerksamkeit; wer sie ignoriert, lebt gefährlich. Allerdings verstehen nur wenige von uns tatsächlich, wie die Wirtschaft funktioniert, und deshalb stehen wir ratlos vor der Frage, wohin sie uns als Nächstes bringen wird. Solche Fragen haben moralische und ethische Aspekte, doch diese bleiben oft unbeantwortet.
Vielleicht vor dem Hintergrund solcher Gedanken befassen sich die Autoren von drei kürzlich auf Deutsch erschienenen Büchern mit dem System der Wirtschaft und präsentieren unterschiedliche Sichtweisen darauf, wo wir waren und wohin es gehen könnte.
DIE LEHREN DER GESCHICHTE
„Lange Zeit speisten sich die intellektuellen Diskussionen über die Verteilung der Vermögen aus vielen Vorurteilen und sehr wenigen Fakten“, schreibt Thomas Piketty. In Das Kapital im 21. Jahrhundert versucht er, dies zu ändern.
Piketty, Professor für Volkswirtschaftslehre an der École d’Économie und der École des Hautes Éudes en Sciences Sociales in Paris, geht mit einer anderen Perspektive an sein Thema heran als die meisten modernen Wirtschaftswissenschaftler. Anstatt die Volkswirtschaft einfach aus mathematischer, theoretischer oder ideologischer Sicht zu betrachten, befasst er sich damit, wie man aus der Geschichte Lehren ziehen kann, die „ein wenig deutlicher machen, welche Entscheidungen in diesem Jahrhundert anstehen“.
Das Kapital im 21. Jahrhundert ist im Wesentlichen ein Lehrbuch über Vermögensverteilung und Einkommensungleichheit, dabei aber „sowohl ein historisches als auch ein ökonomisches Buch“. Es ist ein sehr sorgfältig recherchiertes Werk. Piketty untermauert seine Argumente mit einer Fülle von Tabellen und Grafiken sowie einer Vielfalt von Quellen, darunter Karl Marx, der Wirtschaftswissenschaftler Simon Kuznets und die Schriftsteller Jane Austen und Honoré de Balzac.
Pikettys urbaner Stil macht das Werk zugänglich, obwohl es mit Sicherheit keine leichte Kost ist. Der Leser kann sich problemlos in den Details, Illustrationen und Historien verlieren und dadurch übersehen, worum es dem Autor eigentlich geht.
Trotz der Dichte des Buches ist sein zentrales Thema recht einfach: Wenn Kapitalismus so funktioniert, wie er soll, dann ist das Wachstum von Vermögen, die Kapitalrendite (r), höher als das gesamtwirtschaftliche Wachstum (g), das heißt das Wachstum der Arbeitseinkommen. Mathematisch beschreibt er dies mit r > g. Auf gut Deutsch bedeutet dies eine Zunahme der Ungleichheit: Die Reichen werden reicher, wir anderen nicht.
Zu Beginn seiner Ausführungen rekapituliert Piketty die Geschichte und Dynamik von Kapital und Einkommen von der industriellen Revolution bis heute – auf nationaler und auf individueller Ebene in den reicheren entwickelten Ländern. Mit detaillierten Erklärungen der Veränderungen von Einkommensniveaus, Kaufkraft und Produktivität illustriert er, was Wachstum ist; er zeigt auf, dass es immer eine Ungleichheit gegeben hat, obgleich sich „die materiellen Lebensbedingungen seit der Industriellen [sic] Revolution gewaltig verbessert“ haben, nicht nur für die Wohlhabenden, sondern für viele Menschen in aller Welt.
„Die Verteilungsfrage ist zu wichtig, um sie allein den Ökonomen, Soziologen, Historikern und Philosophen zu überlassen. Sie interessiert jedermann, und das ist gut so.“
Diese Verbesserungen der Lebensbedingungen waren jedoch ganz klar ungleich verteilt. Tatsächlich war Ungleichheit bis zum 20. Jahrhundert einfach der normale Stand der Dinge. Die Wenigen, die Kapital hatten (geerbtes Geld, Land oder sonstige Vermögenswerte), wurden wohlhabender, und die Vielen, die ihr Einkommen mit Arbeit verdienten, wurden es generell nicht.
Dann kam das 20. Jahrhundert, das in der Geschichte der Vermögensverteilung atypisch war. In den USA wurden zwischen den Weltkriegen soziale Absicherungen wie Mindestlohn und Sozialversicherung sowie Steuern auf Einkommen und Immobilienbesitz ab einer bestimmten Höhe eingeführt. In dieser Zeit entstand eine „vermögende Mittelschicht“, die vor allem Immobilien besaß und es wagte, den American Dream der Chancengleichheit für alle zu träumen. Piketty weist auf die besonderen Umstände hin, die erforderlich waren, damit dies geschehen konnte: „In diesem Sinne sind es tatsächlich die Kriege gewesen, die im 20. Jahrhundert Tabula rasa gemacht – und die Illusion einer strukturellen Überwindung des Kapitalismus erzeugt haben.“
Diese Illusion scheint zu schwinden. Piketty behauptet: „Zu Beginn des 21. Jahrhunderts scheinen längst vergangen geglaubte Vermögensungleichheiten sich anzuschicken, ihre historischen Höchststände wieder zu erreichen, ja zu übertreffen.“ Die Kapitalrendite ist natürlich ein Bestandteil dieser Ungleichheit, aber ein wichtiger Unterschied seit den 1970er-Jahren sind die astronomischen Vergütungen, die an die bestverdienenden zehn Prozent der Angestellten gehen – „Individuen, die so reich wie ganze Länder sind“.
Was schlägt Piketty vor, um diese von Neuem auflebende Ungleichheit unter Kontrolle zu bringen? Er erhebt nicht den Anspruch, alle Antworten zu kennen; er versucht einfach, „aus den Erfahrungen der vergangenen Jahrhunderte Schlussfolgerungen für die Zukunft zu ziehen“. Dazu gehören wirklich gleiche Bildungschancen für alle, die Entwicklung eines einheitlichen Altersversorgungssystems und vor allem „eine auf globaler Ebene … erhobene progressive Kapitalsteuer“ – aber „in ihrer wahrhaft globalen Form ist die Kapitalsteuer zweifellos eine Utopie“.
Mit über 800 Seiten ist Das Kapital im 21. Jahrhundert ein beachtliches und in vielfacher Hinsicht wichtiges Werk. Interessanterweise liefert Piketty aber erst auf der letzten Seite die Information, die für den durchschnittlichen Leser vielleicht die nützlichste im ganzen Buch ist: dass „sämtliche Bürger ernsthaft über Geld nachdenken sollten, über seine Verteilung, über die Tatsachen und Entwicklungen, die mit ihm verknüpft sind. Diejenigen, die viel davon haben, werden gewiss nicht vergessen, ihre Interessen zu verteidigen. Von Zahlen nichts wissen zu wollen, dient selten der Sache der Ärmsten.“
TECHNOLOGISCHER FORTSCHRITT
Während Piketty sein Buch eher verhalten schließt, sehen Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee die künftigen wirtschaftlichen Chancen enthusiastischer. Ihr Buch The Second Machine Age: Wie die nächste digitale Revolution unser aller Leben verändern wird bietet einen spannenden Blick auf die Potenziale neuer Technologien und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft und unser Leben.
Die Autoren sind gut dafür qualifiziert, über die Zukunft der Technologie und ihre Folgen für die Gesellschaft zu schreiben. Brynjolfsson ist Professor für Betriebswissenschaft an der MIT Sloan School of Management, wo er auch das Zentrum für E-Business leitet; McAfee ist ein leitender Forscher an diesem Zentrum und Mitbegründer der MIT Initiative on the Digital Economy.
Piketty beginnt mit einem Abriss der Geschichte der Volkswirtschaft ab dem 18. Jahrhundert, Brynjolfsson und McAfee zeigen den Weg technischer Fortschritte, die etwa zur gleichen Zeit begannen. Im „ersten Maschinenzeitalter“, wie sie es nennen, war mit der industriellen Revolution „zum ersten Mal der Fortschritt durch eine technische Innovation bedingt“. Der Wandel habe mit der Erfindung der Dampfmaschine begonnen: „Das ermöglichte Fabriken und Massenproduktion, Eisenbahnen und Massentransport – in anderen Worten, das moderne Leben.“
„Unsere Generation hat mehr Möglichkeiten geerbt, die Welt zu verändern, als jede andere. Das ist Grund für Zuversicht – doch nur, wenn wir wohlüberlegte Entscheidungen treffen.“
Das „zweite Maschinenzeitalter“ ist das Zeitalter der digitalen Technik. Die industrielle Revolution machte es möglich, die körperliche Begrenztheit des Menschen zu überwinden und das Wachstum zu erhöhen; jetzt verheißt die digitale Revolution, dass sie das Gleiche für unseren Geist tun kann. Welche Veränderungen dieser „kräftige und ungekannte Impuls für unsere Geisteskraft“ noch bringen wird, bleibt abzuwarten, aber die Autoren malen ein optimistisches Bild von einer Zukunft, die durch Technik leichter und produktiver wird.
Seit etwa 1970 gilt das Mooresche Gesetz (es besagt, dass es ca. zwei Jahre dauert, die Rechenleistung zu wenig oder gar keinen zusätzlichen Kosten zu verdoppeln) als die Regel in der technologischen Entwicklung. Weil es zutrifft, ist es keine Science-Fiction mehr, dass Google-Autos sich selbst lenken können, dass Supercomputer in der Lage sind, Krankheiten zu diagnostizieren, und iPads, die man in der Hand hält und die nicht mehr als ein paar Hundert Euro kosten, mehr leisten als der Supercomputer Cray-2 von 1985, der damals Zigmillionen kostete und so groß war wie eine Waschmaschine. Manche bezweifeln, dass dieser exponentielle Anstieg der Rechenleistung so fortgesetzt werden kann, doch „verspricht das zweite Maschinenzeitalter im Grunde, zur Entfaltung der Macht menschlicher Genialität beizutragen“; dann wird es Innovationen geben.
Innovationen bescheren uns Dinge, die uns das Leben erleichtern. Unabhängig davon, ob sie darin bestehen, „etwas Großes und Neues hervorzubringen“ oder „bereits Bestehendes neu zu kombinieren“ – sie haben große Teile des Wachstums unseres Lebensstandards und unserer Volkswirtschaften, ja der Weltwirtschaft bewirkt: „Produktivitätssteigerungen werden durch Innovation ermöglicht.“
Doch wie die Autoren aufzeigen, geht es bei Innovationen heute wohl immer weniger darum, die menschliche Produktivität zu unterstützen, sondern immer mehr darum, Geschäftsgewinne zu vergrößern. In Fertigungsanlagen, wo viele der technischen Neuheiten, die wir täglich nutzen, produziert werden, arbeiten hauptsächlich Roboter statt Menschen. Natürlich werden Menschen gebraucht, um die Roboter zu programmieren und instand zu halten, doch diese Menschen sind hoch qualifizierte Techniker; es werden weniger geringer qualifizierte Arbeitskräfte gebraucht, um den Produktivitätsgrad stabil zu halten oder zu erhöhen.
Technologischer Fortschritt schafft also „technologische Arbeitslosigkeit“– der Begriff wurde erstmals 1930 von John Maynard Keynes verwendet. Diese Arbeitslosigkeit kann vorübergehend sein, wenn beschäftigungslose Arbeitnehmer einfach nachgeschult werden müssen, aber sie kann auch von Dauer sein. Dieser Form der Arbeitslosigkeit widmen die Autoren drei Kapitel, jeweils mit Empfehlungen für Personen, Unternehmen und Regierungen.
Personen empfehlen sie vor allem, das Arbeiten mit Computern zu lernen. Zwar können Computer von Menschen geschriebene Programme anwenden, um Güter zu produzieren, komplexe Fragen zu beantworten oder Anleitungen zu geben, doch bei sehr spezifischen Fähigkeiten ist der Mensch noch immer im Vorteil: „Ideenbildung, Kreativität und Innovation“ sind Bereiche, in denen sich Computer nach wie vor nicht mit Menschen messen können. Weiterbildung, um mit Computern arbeiten zu können, ist für Arbeitssuchende deshalb eine hohe Priorität.
Unternehmen und Regierungen werden gemahnt, überholte Bildungssysteme zu modifizieren, Unternehmensgründungen und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu fördern, die Forschung zu unterstützen, Infrastrukturen zu modernisieren sowie mit selektiver Besteuerung Aktivitäten zu fördern, die dem Wirtschaftswachstum und dem Gemeinwohl dienlich sind, und gleichzeitig schädliche Aktivitäten zu erschweren.
Obgleich es Probleme geben kann – wirtschaftliche Turbulenzen, den Einsatz von Technologie durch Kriminelle, um Chaos zu stiften, oder sogar die real gewordene Science-Fiction-Möglichkeit, dass Computer die Macht ergreifen –, blicken Brynjolfsson und McAfee weiterhin optimistisch in eine Zukunft, die nicht nur mehr Wohlstand schafft, sondern „mehr Freiheit, mehr soziale Gerechtigkeit, weniger Gewalt und weniger widrige Bedingungen für besonders Benachteiligte sowie größere Chancen für immer mehr Menschen“. Das zweite Maschinenzeitalter werde eine Zeit großen Erfindungsreichtums sein, verkünden sie, und den Menschen die Freiheit geben, „erfüllendere Tätigkeiten wie Erfindung und Erforschung, Kreativität und Konstruktivität, Liebe, Freundschaft und Gemeinschaft“ zu genießen. Und „wenn wir in unseren Möglichkeiten immer weniger eingeschränkt sind, werden unsere Werte unvermeidlich so wichtig wie nie zuvor“.
DER KAPITALISMUS WIRD ENTTHRONT
Während Das Kapital im 21. Jahrhundert und The Second Machine Age: Wie die nächste digitale Revolution unser aller Leben verändern wird Möglichkeiten erörtern, wie heutige Volkswirtschaften durch Interventionen von Regierungen oder technologischen Fortschritt beeinflusst werden können, sieht Jeremy Rifkin die jüngsten Wirtschaftsturbulenzen als Zeichen für einen Wandel vom Kapitalismus hin zu einer neuen Iteration von Angebot und Nachfrage.
Die Technologien der ersten und der zweiten industriellen Revolution (erst Kohle und Dampf, dann Öl) haben eine Welt des Überflusses geschaffen, in der ein guter Teil der Weltbevölkerung heute lebt. In Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft: Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus stellt Rifkin folgende Behauptung auf: „Ein neues Wirtschaftssystem – die Kollaborativen Commons – betritt die ökonomische Weltbühne.“ Für Rifkin ist klar, „dass das kapitalistische System … im langsamen Niedergang begriffen ist“. Dieses System, ein Opfer seines eigenen Erfolgs, „weicht in einer Zeit, die sich eher durch Überfluss auszeichnet als durch Knappheit, einer ganz und gar neuartigen Organisationsform des Wirtschaftslebens“.
Rifkin ist Wirtschaftswissenschaftler, Präsident der Foundation on Economic Trends und Autor von 20 Büchern über Innovationen in Wissenschaft und Technik und ihre Auswirkungen in der Welt. Darüber hinaus ist er seit zehn Jahren Berater der Europäischen Union; in dieser Funktion berät er Regierungschefs, die Europäische Kommission und das Europäische Parlament.
Rifkin zeigt auf, dass sowohl die erste als auch die zweite industrielle Revolution entstanden und gediehen, als bestimmte Techniken zusammenkamen, und schließt daraus, dass wir an der Schwelle der dritten industriellen Revolution stehen – einer Konvergenz von Kommunikation, Logistik und Energie, die unsere Art, zu leben, verwandeln wird.
Das Ziel dieser Revolution ist es, ein „Internet der Dinge“ zu schaffen; dies „wird eines Tages alles und jeden verbinden und das in einem integrierten, weltumspannenden Netz“. Diese Vernetzung wird der Gesellschaft „zur Verbesserung ihrer thermodynamischen Effizienz verhelfen, was wiederum zu einem dramatischen Produktivitätszuwachs und einer Reduzierung der Grenzkosten über die gesamte Wertschöpfungskette gegen null führen wird“.
Noch vor zehn Jahren dürfte die Möglichkeit, diese verschiedenen Systeme miteinander zu vernetzen, unwahrscheinlich gewirkt haben, doch wie in The Second Machine Age: Wie die nächste digitale Revolution unser aller Leben verändern wird erörtert wird, hat uns der technologische Fortschritt so weit gebracht, dass dies nicht nur eine Möglichkeit ist, sondern jetzt Realität wird. Wenn diese Technologien weiterentwickelt werden und die Kosten von Produktion und Dienstleistungen – auch von Bildung und medizinischer Versorgung – auf nahe null sinken, wird der Kapitalismus nicht mehr das vorherrschende Wirtschaftssystem sein.
Rifkin schreibt, „dass das kapitalistische System, das uns – seit mehr als zehn Generationen – sowohl ein schlüssiges Narrativ der menschlichen Natur an sich als auch einen übergreifenden organisatorischen Rahmen für den geschäftlichen, sozialen und politischen Alltag unserer Gesellschaft liefert, seinen Höhepunkt überschritten hat und im langsamen Niedergang begriffen ist“. Bis 2050, schätzt Rifkin, wird „ein zunehmend entschlackter, perfektionierter Kapitalismus … als einflussreicher Nischenplayer florieren; herrschen wird er jedoch nicht mehr“.
Eine Welt ohne Kapitalismus ist kaum vorstellbar. Menschen leben und interagieren auf einem Markt, auch wenn ihnen das nicht bewusst ist. „Raison d’être des Kapitalismus ist es, jeden Aspekt des menschlichen Daseins in die ökonomische Arena einzubringen, wo er als zur Ware gemachtes Eigentum zum Tauschobjekt wird. … Heute ist fast jeder Aspekt unseres Alltags auf irgendeine Art und Weise durch eine Wirtschaftsbeziehung miteinander verbunden. Wir sind durch den Markt definiert.“
„Viele, wenn auch nicht alle aus der alten Wirtschaftsgarde können sich schlicht nicht vorstellen, wie wirtschaftliches Leben sich in einer Welt gestalten sollte, in der fast alle Güter und Dienstleistungen nahezu kostenlos sind, in der es keinen Profit mehr gibt, in der Eigentum bedeutungslos und der Markt überflüssig geworden ist. Was dann?“
Aber nicht jeder will sich durch den Markt definieren lassen. Rifkin zufolge ist es insbesondere die jetzige junge Generation, die den Wandel vorantreiben wird: „Wenigstens ein Teil der jüngeren Generation, die in einer neuen, auf dezentralen kollaborativen Peer-to-Peer-Netzwerken gebauten Welt heranwächst, beginnt auszubrechen aus dem materialistischen Syndrom, das einen Gutteil des wirtschaftlichen Lebens der kapitalistischen Ära charakterisiert. Sie schaffen eine Teil- und Tauschwirtschaft, die weniger materialistisch ist als nachhaltig, weniger auf Eigennutz gebaut als auf Empathie.“
Millionen von Menschen beteiligen sich bereits an der Wirtschaft des kollaborativen Gemeinguts; sie erzeugen ihre eigene, grüne Energie; sie stellen Güter mit 3-D-Druckern her; sie vermieten und teilen ihre Wohnungen, Autos und Kleidung über Websites wie Airbnb, Lyft und ThredUP; und sie kommen in den Genuss von kostenlosen bzw. kostengünstigen Bildungsangeboten in Form von Massive Open Online Courses (MOOC), die jetzt von vielen Hochschulen angeboten werden. Allerdings erkennt Rifkin auch Hindernisse für die Erfüllung dieser hoffnungsvollen Zukunft: „Ohne eine fundamentale Änderung in unserem Bewusstsein“ können solche Hindernisse, zum Beispiel unkontrollierbarer Klimawandel oder Cyberterrorismus, den gesamten Prozess des Wandels bremsen oder sogar stoppen.
Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft: Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus ist ein optimistisches Buch über eine Welt voller Chancen, nicht nur ein Wirtschaftssystem zu ändern, sondern unsere „Besessenheit vom Materialismus …, und wir hätten Raum genug, um unser Sehnen nach etwas ganz anderem als materiellem Besitz wiederzuentdecken. … In Wirklichkeit ist das, wonach uns am meisten ist, nicht knapp, sondern grenzenlos vorhanden – Liebe, Akzeptanz und Anerkennung unseres Menschseins.“
TIEFER GRÜNDENDE PRINZIPIEN
Wie diese Autoren zeigen, lassen moderne Wirtschaftssysteme vieles zu wünschen übrig. Für Verbesserungen gibt es mehr als reichlich Raum. Doch können die eher optimistischen Zukunftserwartungen, die sie alle vortragen, jemals Wirklichkeit werden?
Die technologischen Revolutionen und daraus resultierenden Veränderungen der Wirtschaft, die Rifkin sowie Brynjolfsson und McAfee voraussagen, sind interessant und bedenkenswert. Ihr Wunsch nach einem Wandel nicht nur der Wirtschaft, sondern auch der Gesellschaft ist in der Tat nachvollziehbar. In einer Welt, wo Hunderte von Millionen Menschen unter Gewalt und Armut leiden, ist die Aussicht auf Frieden und Wohlstand verlockend. Die Schwierigkeiten, die bei der Verwirklichung dieser Pläne auftreten, gründen allerdings tiefer, als diese Autoren zu begreifen scheinen. Bedenkt man die ungeheure Trägheit und die Strukturen, die derzeit für die Aufrechterhaltung des Status quo sorgen, so scheint es kaum Hoffnung zu geben, dass den deutlichen Rufen dieser Bücher nach Gleichheit, Freiheit und Zugänglichkeit für alle in der Wirtschaft auch wirklich Taten folgen werden. Versuche von Menschen, solch große Veränderungen zu bewerkstelligen, waren noch nie von dauerhaftem Erfolg gekrönt.
Unsere Wirtschaftssysteme gehören zu unseren raffiniertesten Erfindungen. Manchmal fällt es uns schwer, nicht zu vergessen, dass sie keine natürlichen Systeme sind – dass weder von der Natur noch von irgendeiner anderen Instanz vorgegeben ist, dass sie so sein müssen, wie sie sind. Ob Kapitalismus oder Kommunismus: Wie eine Wirtschaft strukturiert ist, bestimmen wir. Es gibt keine Naturgesetze, die festlegen, dass ein System besser ist als ein anderes; in einem gewissen Sinn kann man also alles haben.
Die Frage, die sich damit stellt, lautet, ob dem System tiefere Prinzipien zugrunde liegen sollten. Piketty spricht von Entscheidungen, die anstehen; Brynjolfsson und McAfee betonen die Bedeutung von Werten, und Rifkin erkennt an, dass eine fundamentale Änderung in unserem Bewusstsein nötig ist.
In diesem Zusammenhang könnte man an einige zeitlose Wahrheiten der Bibel denken. Wie anders wäre unsere Welt, wenn zum Beispiel alle nicht nur verstehen würden, dass die Liebe zum Geld die Wurzel aller Arten von Übel ist, sondern auch ihre Prioritäten dementsprechend änderten? Was wäre, wenn alle Arbeitgeber ihr Geschäft nach dem Prinzip führten, dass Arbeitskräfte ihre Bezahlung wert sind? Und während sich die Menschen vom Wirtschaftskuchen das herausschneiden, was ihrer Ansicht nach ihr Stück ist – was wäre, wenn sie stets daran dächten, andere so zu behandeln, wie sie selbst behandelt werden möchten, und „Witwen und Waisen“ zu helfen – also den Benachteiligten?
Dass wir nicht nach Prinzipien wie diesen leben, liegt im Kern unserer unvollkommenen menschlichen Natur. Bis es unsere kollektive Natur wird, dass uns andere Menschen und ihre Bedürfnisse wichtiger sind als persönlicher Gewinn, ist der optimistischste Ausblick auf die Zukunft unserer Weltwirtschaft nicht viel mehr als das: ein optimistischer Ausblick.