Evolution – Altes neu aufgekocht

Wenn der Mensch die ihm selbst nützlichen Abänderungen durch Geduld züchten kann: warum sollten nicht unter den abändernden und complicierten Lebensbedingungen Abänderungen, welche für die lebendigen Naturerzeugnisse nützlich sind, häufig auftreten und bewahrt oder gezüchtet werden? Welche Schranken kann man dieser Kraft setzen, welche durch lange Zeiten hindurch thätig ist und die ganze Constitution, Structur und Lebensweise eines jeden Geschöpfes rigorös prüft, das Gute begünstigt und das Schlechte verwirft? Ich vermag keine Grenze für diese Kraft zu sehen, welche jede Form den verwickeltsten Lebensverhältnissen langsam und wunderschön anpasst. Die Theorie der natürlichen Zuchtwahl scheint mir, auch wenn wir uns nur hierauf allein beschränken, im höchsten Grade wahrscheinlich zu sein.“

Charles Darwin, Über die Entstehung der Arten, Kap. XV (Übersetzung der sechsten Auflage, London 1872, durch Julius Victor Carus von 1884.)

The Plausibility of Life: Resolving Darwin’s Dilemma

Marc W. Kirschner and John C. Gerhart. 2005. Yale University Press, New Haven, Connecticut. 336 pages.

​The Edge of Evolution: The Search for the Limits of Darwinism

Michael J. Behe. 2007. Simon & Schuster, Free Press, New York. 336 pages.

Wir sind umgeben von Produkten der bewussten „Zuchtwahl“ durch den Menschen. Von den allgegenwärtigen Arten, die wir für unsere Ernährung modifiziert haben, bis zu unseren Heimtieren und Zierpflanzen haben wir einen großen Teil unserer organischen Umwelt erfindungsreich  entwickelt. Durch Hybridisierung und Kreuzen der Varianten, die wir in natürlichen Populationen entdeckten, haben wir Organismen gezüchtet, die sowohl unsere Bedürfnisse als auch unsere Launen befriedigen.

Es nimmt nicht Wunder, dass Charles Darwin das, was er „eine lange Beweisführung“ für die natürliche Zuchtwahl (Auslese/Selektion) nennt, mit so klaren Belegen der Formbarkeit von Arten begann. Sein Prinzip „Abstammung mit Modifikationen“ (Abänderungen) besagt einfach, dass der Prozess der Auslese bzw. „natürlichen Zuchtwahl“ im Lauf der Zeit zur Entstehung neuer Arten führt, die von der ursprünglichen Art verschieden und getrennt sind. Anders als bei der Selektion durch den Menschen, der bestimmte Zuchtziele verfolgt, wird der Erfolg der natürlichen Selektion durch Lebensfähigkeit bestimmt: Die Individuen, die der Umwelt am besten angepasst sind, hinterlassen nach dieser These wahrscheinlich mehr Nachkommen.

Darwin glaubte, dass das „Überleben des Passendsten“ [andere Lesart: Bestangepassten; im Engl. „survival of the fittest“] die Arten langsam und allmählich verändere. [Anm. d. Red.: Die im Deutschen geläufige Übersetzung „Überleben des Stärksten“ ist eine Fehlübersetzung und wurde im 20. Jahrhundert u.a. gezielt als Grundlage für eine entartete Rassenpolitik missbraucht.] Darwin glaubte, dass diese allmählichen Veränderungen einst durch Fossilien belegt werden würden. Einige „missing links“ (fehlende Verbindungsglieder, die eine Evolution zeigen könnten) oder Übergangsformen (oder was man dafür hält) wurden mittlerweile in der Tat ausgegraben, doch das Problem der allmählichen Veränderung bleibt trotzdem eine der größten Schwierigkeiten der Theorie.

Diese Schwierigkeit ist nichts Neues. Während die Vorstellung eines „punktuierten Gleichgewichts“ (d.h.: Neue Arten sind während der Evolution sprunghaft und nicht kontinuierlich entstanden) diejenige einer allmählichen Evolution weitgehend abgelöst hat, wird noch immer als unglaubhaft kritisiert, dass kleine Abwandlungen, (die noch keine Funktion erfüllen), das Überlebens- und Fortpflanzungspotenzial von Individuen verbessern sollen. Selbst wenn man annimmt, dass die Änderungen sich rasch vollzogen – muss es nicht eine Zeit gegeben haben, in der Individuen davon „profitierten“, einen halben Flügel zu haben, ein zum Teil entwickeltes Auge oder die rudimentären Vorformen eines männlichen/weiblichen Fortpflanzungssystems?

Im späten 19. Jahrhundert, als Naturwissenschaft eher ein Zeitvertreib für Gentlemen war als ein akademischer Beruf, zeigte der Romancier Samuel Butler in seinem Buch Life and Habit (1877) damit zusammenhängende Schwierigkeiten auf: „Wenn die Unterschiede zwischen einem Elefanten und einem kaulquappenähnlichen Fisch aus der Häufung kleiner Abwandlungen entstanden sind, die keine von Intelligenz und Wissen um Notwendigkeit gegebene Richtung hatten, dann würde keine menschlich vorstellbare Zeit für ihre Entwicklung ausreichen.“

DIE DISKUSSION GEHT WEITER

Diesem Problem – wie blinde evolutionäre Prozesse durch kleine Schritte neue Arten und biologische Systeme hervorbringen – widmen sich auch zwei neue Bücher.

In The Plausibility of Life: Resolving Darwin’s Dilemma fragen Marc Kirschner und John Gerhart: „Könnte es sein, dass komplexe Strukturen [mit spezifischen, komplexen Funktionen: Augen, Herz, Flügel usw.] plausibel zusammengefügt wurden, Stückchen für Stückchen, und jedes davon einen Selektionsvorteil voraussetzte?“ Kirschner (Harvard Medical School) und Gerhart (University of California/Berkeley) glauben entdeckt zu haben, wie die Natur Varianten hervorbringt, die fertige Produkte sind statt Schritte auf dem Weg zur Fertigstellung. Ihrer Ansicht nach haben sie das „Stück-für-Stück-Dilemma“ gelöst, weil sie einem Mechanismus auf die Spur gekommen sind, der zeigen kann, „wie zufällige genetische Änderungen zu nützlichen Innovationen werden“.

In The Edge of Evolution: The Search for the Limits of Darwinism befasst sich Michael Behe mit demselben „Stück-für-Stück-Problem“. Er nennt diese Schwierigkeit unvollendeter Schritte „irreduzible Komplexität“. Nach seinem vorigen Buch Darwin’s Black Box von 1996 wurde Behe (Lehigh University) zur Galionsfigur des „Intelligent Design“ – der Auffassung, die Schöpfung sei von einer Intelligenz gestaltet, geschaffen. Dort schrieb er: „Für jemanden, der sich nicht verpflichtet fühlt, seine Suche auf unintelligente Ursachen zu beschränken, liegt der Schluss nahe, dass viele biochemische Systeme geplant wurden.“ Wie sein neuer Titel impliziert, glaubt er, dass die natürliche Selektion zwar vieles über das Leben auf der Erde erklären kann, doch als Erklärung für die biologische Vielfalt der Erde seien zufällige Mutation und Selektion „der modernen Öffentlichkeit weit über Wert verkauft worden“. „Die meisten Mutationen, aus denen die großen Strukturen des Lebens entstanden, müssen etwas anderes gewesen sein als zufällig.“

ZUFÄLLIGKEIT

Darwin hat das evolutionäre Weltbild nicht erfunden; er bot nur (neben seinem Zeitgenossen Alfred Wallace) einen Mechanismus an, durch den sich biologische Anpassung vollziehen konnte. Bei dem System, das er vorschlug, beharrte er allerdings darauf, dass Änderungen und natürliche Auslese blind und ohne Plan oder Absicht geschähen. Vor der Entstehung der Arten war „Änderung durch Notwendigkeit“ bzw. das Streben alles Lebendigen zu höheren, idealen Formen die vorherrschende Evolutionstheorie gewesen, auf die auch Butler anspielte.

Obgleich in jener Zeit niemand so gut verstand wie wir heute, was die Abwandlungen auslöst (der genetische Code) oder wie ein Organismus auf der Ebene der Zellen funktioniert (die Kontrolle des Ausdrucks der Gene), glaubte man, der evolutionäre Impuls sei jedem Organismus eigen. Sich einen derartigen inneren Drang vorzustellen war beruhigend und einleuchtend. Es implizierte, dass alle Lebewesen einen selbstverantwortlichen Anteil an ihrem Erfolg und ihrer Anpassung, aber auch an ihrer Verbindung und Interaktionen mit anderen Individuen hatten.

Selbst Darwin erlag der Versuchung, ein physiologisches System zu erfinden, das die Lebenserfahrungen eines Organismus verpacken und an die nächste Generation weitergeben konnte, doch blieb er dabei, die Evolution sei zufällig und ziellos. Die Vorstellung der natürlichen Auslese war und ist etwas Zerstörerisches; sie überlässt alle Entscheidungen dem Zufall. Der Zufall bringt wahllos Abwandlungen hervor, und die Umwelt wählt diejenigen aus, die am besten geeignet sind, zu überleben und ihre Merkmale der nächsten Generation zu vererben.

Diese Vorstellung, die Natur sei ein „blinder Uhrmacher“ – ungelenkte natürliche Prozesse könnten allein Komplexität schaffen –, ist der Kern der modernen Evolutionstheorie und gleichzeitig der zentrale Grund, aus dem die Theorie vielen nicht geheuer ist. Um den Beitrag der beiden neuen Bücher zu diesem Thema würdigen zu können, ist es hilfreich, zu verstehen, dass ihre Autoren es nicht mit neuen Fragen oder Kontroversen zu tun hatten.

ENTSTEHUNG ODER GENESIS?

In Entstehung der Arten räumte Darwin die Schwierigkeit ein, sich vorzustellen, dass „äußerst geringe und allmähliche“ Abwandlungen zusammenkommen, um eine so komplexe Struktur wie das Auge von Wirbeltieren zu bilden, und bekannte: „Ich habe aber selbst die Schwierigkeit viel zu lebhaft empfunden, um mich darüber zu wundern, wenn Andere zaudern, das Princip der natürlichen Zuchtwahl in einer so überraschend weiten Ausdehnung anzunehmen.“ Weiter unten folgt der Satz, der im Laufe des letzten Jahrhunderts so viele Kritiker herausgefordert hat: „Liesse sich irgend ein zusammengesetztes Organ nachweisen, dessen Vollendung nicht möglicherweise durch zahlreiche kleine aufeinanderfolgende Modificationen hätte erfolgen können, so müsste meine Theorie unbedingt zusammenbrechen. Ich vermag jedoch keinen solchen Fall aufzufinden“ (Kap. VI, Übersetzung durch Julius Victor Carus von 1884).

Diese Kommentare nahm Darwin als Erwiderung auf St. George Mivarts kritischen Text On the Genesis of Species in die sechste Auflage seines Buches auf. Mivart, der ebenso Naturalist war wie Darwin, hatte eingewendet: „Natürliche Zuchtwahl ist absolut ungeeignet, die Beibehaltung und Weiterentwicklung der winzigen und rudimentären Anfänge, der geringfügigen, unendlich kleinen Ansätze von Strukturen zu erklären – so nützlich die fertigen Strukturen dann auch werden können.“ Insekten mit Pflanzen-Mimikry wie Laub- und Stabheuschrecken als Beispiel nehmend, fuhr Mivart fort, es erscheine unmöglich, dass solche biologischen Strukturen „aus völlig beliebigen und richtungslosen, unendlich kleinen Veränderungen in alle vorstellbaren Richtungen“ entstünden.

Darwins Kritiker suchten damals wie heute etwas, das zeigte, dass die Evolution einen Zweck, ein Ziel habe. Im späten 19. Jahrhundert bezweifelten nur wenige die Vorstellung der Variation, doch Variation ohne Sinn und Zweck, ohne die lenkende Macht eines Schöpfers, war schlicht inakzeptabel. Doch natürlich blieb Darwin unerschütterlich, wie wir wissen: „Die Variabilität wird durch viele unbekannte Gesetze geregelt, von denen wahrscheinlich das der Correlation des Wachsthums das bedeutungsvollste ist [Kap. I]. . . . So sind, um eine Species neuen Lebensweisen anzupassen, viele einander coordinierte Modificationen beinahe unentbehrlich“ [Kap. VII].

PLAUSIBLE ANTWORTEN?

Kirschner und Gerhart setzen dort an, wo Darwin aufhörte. Wie können neue, richtungslose Abwandlungen sich zu Komplexität summieren? Sie meinen: „Der Kern der Evolutionsskepsis ist Unwissen um Neuheit, und ihre Ursprünge aufzudecken ist notwendig, um unser Verständnis der Darwinschen Theorie zu vervollständigen.“

Die Autoren skizzieren ihren Begriff „Evolutionsfähigkeit“ und kommen zu dem Schluss, dass Leben durch natürliche Selektion in der Tat plausibel ist, wenn bei den Ergebnissen zufälliger Mutationen nützliche Varianten überwiegen. Ihre Hypothese nennen sie „begünstigte Variation“. Sie beruht auf der Beobachtung, dass alle Lebewesen die gleiche grundlegende Biochemie und Zellstruktur haben. Diese durchgehende Gemeinsamkeit vom genetischen Code über die Eiweißstruktur bis zur embryonalen Entwicklung ist in ihren Augen ein Beweis für den Bauprozess der natürlichen Selektion.

Kirschner und Gerhart zufolge hat diese Gleichförmigkeit nur den Anschein von Absicht und Planung. Als Modell dafür, wie „Intelligentes Design“ aussehen muss, nehmen sie die Konstruktion von Uhren durch Menschen (eine Hauptrolle in ihrer Erörterung spielt William Paleys berühmter Uhrenfund, der die Einleitung und den Schluss des Texts einrahmt). Die Autoren beschreiben die vielen Methoden, mit denen intelligente Menschen eine einzige Aufgabe lösen. Die „Evolution“ der Zeitmessung schuf z.B. die Sanduhr, die Armbanduhr, die Standuhr und die Atomuhr; sie alle erfüllen die gleiche Funktion, doch es sind völlig verschiedene Mechanismen. Es gibt keine Gemeinsamkeit in ihrem Aufbau.

Hieraus schließen sie, dass Lebewesen keine Planung erkennen lassen, da Organismen, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, wieder und wieder den gleichen Mechanismus nutzen. Wären Lebewesen das Werk eines Schöpfers, so fragen sie, wäre dann nicht jeder Organismus einzigartig, nach seinem eigenen, spezifischen Plan gebaut? Andererseits, wie selbst Darwin klug anmerkte: „Haben wir ein Recht, anzunehmen, der Schöpfer wirke vermöge intellectueller Kräfte ähnlich denen des Menschen?“ [Kap. VI].

Kirschner und Gerhart betonen, das, was aussieht wie Intelligenz – das gleiche System beizubehalten und vielfach zu verwenden –, sei tatsächlich dadurch bedingt, dass das Leben die Fähigkeit entwickelt habe, zufällige Mutationen in die Richtung nicht zufälliger Zwecke zu kanalisieren: „Das Überwiegen [nützlicher Mutationen] infolge der begünstigten Variation beschleunigt den Prozess der natürlichen Selektion; er erhält dadurch mehr lebensfähige Varianten eines Typs, der wahrscheinlich für die selektiven Bedingungen geeignet ist, als wenn die Variation in alle Richtungen gegangen wäre.“

Kirschner und Gerhart fassen Darwins Theorie als „genetische Variation, phänotypische Variation und Selektion“ zusammen und stellen die These auf, Gene könnten zwar zufällig variieren, aber die phänotypischen oder körperlichen Veränderungen, die tatsächlich durch diese Mutationen entstehen können, hätten eine Richtung; durch eine Neuordnung von Modulen entstehe eine größere Vielfalt potenziell nützlicher Variationen, nicht ein desorganisiertes Durcheinander fast fertiger oder halbfertiger Variationen. Sie schreiben: „Neuheit in der Physiologie, der Anatomie oder dem Verhalten eines Organismus entsteht zumeist durch die Nutzung beibehaltener Prozesse in neuen Kombinationen, zu anderen Zeiten, an anderen Orten und in anderem Ausmaß – nicht durch die Erfindung neuer Prozesse.“

Die Neuheit und Komplexität der [prokaryotischen] Zelle ist so weit jenseits von allem Unbelebten in der heutigen Welt, dass wir nur darüber staunen können, wie sie entstehen konnte.“

Marc W. Kirschner und John C. Gerhart, The Plausibility of Life

Die Herkunft dieser „beibehaltenen Prozesse“ bleibt unerklärt. Wo und wie war der Anfang dieser Gemeinsamkeiten? „Es gibt wirklich keine andere Alternative, als zu denken, dass neue Kernprozesse wie diejenigen, die in eukaryotischen Zellen erstmals entstanden, aus den in prokaryotischen Zellen bereits vorhandenen Prozessen zusammengeschustert wurden.“ An dieser Stelle bleibt die Lösung von Darwins Dilemma leider stecken: „Die Neuheit und Komplexität der [prokaryotischen] Zelle ist so weit jenseits von allem Unbelebten in der heutigen Welt, dass wir nur darüber staunen können, wie sie entstehen konnte. . . . Wir können wenig mehr tun als spekulieren.“

PLANUNG ANDERS GESEHEN

Laut Michael Behe haben Kirschner und Gerhart genau die Grauzone der Evolutionsbiologie erreicht, die Grenze des Darwinismus. Das Problem, stimmt Behe zu, ist die zufällige Mutation, doch er glaubt nicht, dass der Quellcode, nach dem Mutationen sich vollziehen können, jenseits aller Spekulation sei. Er sucht „die Linie zwischen dem Zufälligen und dem nicht Zufälligen, die die Grenze der Evolution definiert“. Diese Linie verläuft genau dort, wo die begünstigte Variation beginnt: in den allem Lebendigen gemeinsamen biochemischen Kernprozessen.

In diesem Sinn versuchen alle drei Autoren die gleiche Frage zu beantworten, die Darwin bei der Entstehung der Arten herausforderte: Wie funktioniert die Entstehung von Varianten? Behe geht es auf der grundsätzlichsten Ebene darum, der Evolution Sinn und Zweck zurückzugeben: „Das Leben ging, wie Darwin dachte, über die Abstammung mit Abänderung von Stufe zu Stufe. Es gab eine lange Abfolge von Mutationen – doch viele waren nicht zufällig.“ Gemeinsame Abstammung ist richtig, aber trivial, meint Behe. „Sie besagt nur, dass von Anfang an Gemeinsamkeiten vorhanden waren, präsent in einem gemeinsamen Vorfahren. Das erklärt nicht einmal ansatzweise, woher diese Gemeinsamkeiten kamen oder wie der Mensch sich später so bemerkenswert differenzierte. Für die gemeinsame Abstammung des Lebens muss etwas verantwortlich sein, das nicht zufällig ist“ (kursiv von Behe).

Während Kirschner und Gerhart dieses Nicht-Zufällige bestenfalls „begünstigte Variation“ nennen oder sogar erst einmal beiseite lassen würden, führt Behe es auf das Eingreifen einer übernatürlichen Hand zurück. „Es läuft darauf hinaus, dass trotz des großen Fortschritts in den Erkenntnissen über die Beschaffenheit von Tieren, der eine unerwartete, überwältigende Komplexität offengelegt hat, überhaupt kein Fortschritt in der Erkenntnis zu verzeichnen ist, wie diese Komplexität durch unintelligente Prozesse entstehen konnte.“

Aus einer Vielzahl von Gründen, die mit Naturwissenschaft wenig zu tun haben, ist dieser zentrale Aspekt der Theorie Darwins – die Macht der natürlichen Selektion, gepaart mit zufälliger Mutation – der modernen Öffentlichkeit weit über Wert verkauft worden.“

Michael J. Behe, The Edge of Evolution

Gegen das Argument der Plausibilität führt Behe die irreduzible Komplexität ins Feld. Überzeugt, dass zur Schaffung komplexer Systeme mehrfache, zusammenhängende Schritte erforderlich sind, wiederholt er: „Ohne die ins Innerste gehende Beteiligung einer lenkenden Intelligenz würden [Mutationen] in der Natur nicht geschehen.“ Dies bedeutet nicht, dass es die natürliche Selektion nicht gibt. Behe widmet einen großen Teil seines Buches Beispielen, bei denen Selektion die Grenzlinie nicht überschreitet, insbesondere bei Krankheiten. Hierbei, schreibt er, könne die natürliche Selektion durchaus mit bereits Vorhandenem funktionieren. Auch Kirschner und Gerhart meinen: „Mutation ändert nur bereits Vorhandenes. Sie erschafft keine neue Anatomie, Physiologie und Verhaltensweise aus dem Nichts.“

AUF DER SUCHE NACH EINEM ZEICHEN

Wie Anhänger gegnerischer Parteikandidaten sehen die jeweiligen Loyalisten keinen Wert im Gegenspieler ihres Favoriten. So sind bedauerlicherweise nur wenige Parteigänger des Darwinismus an The Edge of Evolution interessiert und nur wenige Anhänger des „Intelligent Design“ an The Plausibility of Life. Beide Bücher haben ihren Wert; jedes gibt dem Leser neue Einblicke in den Stand der Evolutionsforschung sowie verständliche Erklärungen über das Funktionieren lebender Organismen. Einfach eines gegen das andere auszuspielen, sich auf eine Seite zu schlagen und die andere zu ignorieren, ist kurzsichtig.

Naturwissenschaft ist per definitionem materialistisch. Der Vorstellung einer intelligenten Selektion wird sie sich daher nie beugen, und sie wird nie bejahen, dass irgendeine Komplexität der Natur evolutionär irreduzibel sei. Aus naturwissenschaftlicher Sicht wird die Antwort auf Komplexität immer natürliche Selektion in Verbindung mit anderen zufälligen Faktoren sein; das bloße Vorhandensein einer Tatsache oder Sache – sei es ein Auge, ein chemischer Pfad, eine schöne Färbung – wird die Unreduzierbarkeit immer übertrumpfen. Die naturwissenschaftliche Methode kann für keine Theorie eine nichtmaterielle Basis akzeptieren; das entspricht nicht ihrer Vorgehensweise.

Daraus folgt allerdings nicht, dass andere als naturwissenschaftliche Sichtweisen nicht gültig wären. Behe bezeichnet es als töricht, zu glauben, die naturwissenschaftliche Methode sei die letztgültige Instanz in allen Fragen natürlicher Formen und Verhaltensweisen. „Der Anfang des Lebens brauchte eine lenkende Intelligenz“, ist sein Standpunkt. Diese Unerschütterlichkeit macht seine Sicht selbstverständlich auch nicht zu der richtigen. Andererseits sollte sie nicht nur deshalb, weil sie anders ist, ignoriert werden. Unkonventionelle Denker wie Behe bringen die Diskussion oft auf unerwartete Weise voran.

Doch selbst Behe achtet darauf, nicht zu weit vorzupreschen, wenn er die Notwendigkeit einer Wirkursache für das postuliert, was für ihn auf andere Weise biologisch unmöglich ist: „Die Vorstellung der intelligenten Planung ist trotz ihrer Kongenialität mit einigen religiösen Weltbildern von diesen unabhängig. . . . Man kann nicht direkt von Intelligent Design auf einen transzendenten Gott schließen.“

Gewiss hat der Darwinismus Fehler; während der letzten eineinhalb Jahrhunderte wurde er immer wieder revidiert, wenn neue Informationen darüber zutage gefördert wurden, was das Leben ist. Das ist weder überraschend, noch bedeutet es, dass die Evolutionstheorie ein Kartenhaus ist, das kurz vor dem Zusammenbruch steht. Die begünstigte Variation ist eine neue Revision. Wird sie künftigen Prüfungen standhalten? Behe glaubt dies nicht, doch kann man Kirschners und Gerharts Bemühungen, die überwältigen Beweise für eine Gemeinsamkeit des Lebens auf der Erde an einer Stelle zusammenzutragen, nicht diskreditieren.

Für den Biologen ist die Erkenntnis dieser tiefen Einheit allen Lebens vielleicht die überraschendste Entdeckung der Naturwissenschaft seit Jahrzehnten. Für Behe und andere ist sie nicht im Geringsten unerwartet; die Erhaltung komplexer Systeme in allen Lebensformen ist ein überdeutliches Zeichen für das Wirken einer Intelligenz.