Der Preis für Ihren Kaffee
In den Industrieländern genießen viele den Luxus und das Privileg, dass vieles für sie selbstverständlich ist. Doch für unsere Annehmlichkeiten zahlen andere häufig einen hohen Preis.
Jeden Tag werden mindestens zwei Milliarden Tassen Kaffee getrunken; er ist eines der weltweit beliebtesten Getränke. Aber seine Popularität ist keine moderne Erscheinung. In den 1730er-Jahren feierte ihn Johann Sebastian Bach mit seiner „Kaffeekantate“, in der Liesgen (Lieschen) singt: „Wenn ich des Tages nicht dreimal / mein Schälchen Coffee trinken darf / so werd ich ja zu meiner Qual / wie ein verdorrtes Ziegenbrätchen. […] Ei! wie schmeckt der Coffee süße / lieblicher als tausend Küsse!“
Bachs Liesgen fragt sich nie, woher ihr geliebtes Getränk kommt. In dem gemäßigten Klima Leipzigs, wo Bach damals lebte, gedeihen Kaffeepflanzen nicht; er musste deshalb importiert werden.
Bei den meisten von uns ist es heute nicht anders. Nur wenige überlegen einmal – etwa während sie auf einen Kaffee zum Mitnehmen warten –, woher unser morgendliches Gebräu kommt. Es könnte überraschen, wie viel davon wahrscheinlich aus ein und demselben Erdteil stammt.
Betrachten wir einmal eine hypothetische Tasse Kaffee:
Die Bohnen, aus denen er besteht, wurden vielleicht in Uganda geerntet und die Kakaobohnen für die Schokolade auf dem Cappuccino in einem Kakaowald in der Elfenbeinküste. Der Plastikdeckel und die wasserabweisende Beschichtung auf dem Pappbecher könnten aus Erdöl sein, das aus einem der vielen Erdölförderländer Afrikas stammt, beispielsweise Algerien oder Kamerun. Der Schokoladenkuchen, den Sie als spontane Leckerei dazu essen, kann den gleichen Kakao aus der Elfenbeinküste enthalten, aber auch Palmöl aus Nigeria, ein alternatives Süßungsmittel wie Hirsesirup aus Äthiopien und Getreide, das mit Phosphaten aus Marokko gedüngt wurde. Die Cashewnüsse, zu denen Sie schuldbewusst greifen, um den Schokoladenkuchen auszugleichen, könnten aus der Elfenbeinküste oder aus Tansania sein. Die Bedienung schreibt Ihren Namen auf den Becher mit Tinte, die vielleicht mit Erdöl aus Angola oder Libyen hergestellt wurde.
Und das Handy, mit dem Sie diesen kleinen Genuss bezahlen? Es funktioniert mit Coltan, das vielleicht in der Demokratischen Republik Kongo gefördert wurde.
Natürlich müssen die Bestandteile Ihres speziellen Morgenkaffees nicht unbedingt aus Afrika stammen, aber irgendwoher sind sie gekommen, und das wahrscheinlich nicht von nebenan. So ist unsere globalisierte kapitalistische Welt: Produkte aller Art werden über Tausende Kilometer transportiert, um in Ihrem Einkaufskorb zu landen, wenn das profitabler ist, als sie lokal zu produzieren oder aus näher gelegenen Quellen zu beziehen. Und auch dies ist keine neue Erscheinung. Internationaler Handel ist seit Jahrhunderten ein wichtiger Teil menschlicher Aktivitäten. Mit Sicherheit lebte auch Picander, dessen Text Bach in der Kaffeekantate vertonte, in einer Zeit, als man Güter aus anderen Weltregionen bereits gewohnt war.
Der internationale Handel ist ein nur selten wahrgenommener Bestandteil unseres Alltags; deshalb ist uns vielleicht nicht bewusst, dass das System oft wenigen auf Kosten vieler nützt.
Reich und dennoch arm
Afrika ist ein Paradox. Einerseits ist es riesig – größer als Europa, China und die USA zusammen. Es ist reich an wertvollen Rohstoffen wie Öl, Gas, Gold, Silber, Uran, Diamanten, Platin, Coltan, Phosphaten und mehr. Auch an Humanressourcen ist es reich; seine Bevölkerung entspricht etwa der Chinas oder Indiens. Dennoch zählen viele afrikanische Länder zu den ärmsten der Welt. Laut der Global-Finance-Rangliste für 2021 befinden sich von den 30 ärmsten Ländern der Erde 25 in Afrika. Das Land mit dem höchsten Rang dieses Erdteils ist Äquatorialguinea mit Platz 76 von 194 Ländern.
„Auf Afrika entfallen 13 % der Weltbevölkerung und nur 2 % des kumulierten weltweiten Bruttoinlandsprodukts, doch ist es die Lagerstätte von 15 % der Rohölreserven der Erde, 40 % ihres Goldes und 80 % ihres Platins.“
Mit den Worten des Journalisten Tom Burgis ist Afrika „der ärmste und gleichzeitig, so könnte man sagen, der reichste Kontinent der Welt“.
Die Gründe hierfür sind vielfältig und äußerst komplex. Häufig werden Mängel der Infrastruktur, Umweltprobleme und politische Korruption genannt. All dies hat zweifellos dazu beigetragen, doch die Erkenntnis, dass die Ursachen viel weiter zurückliegen, wächst. Es begann vor Jahrhunderten, als der internationale Handel nach Afrika kam und es unumkehrbar veränderte – mit katastrophalen Folgen für eine Vielzahl von Völkern und Kulturen. Doch dieser Praxis liegen Prinzipien zugrunde, die wir noch heute hochhalten.
Der Welthandel großen Ausmaßes begann in Afrika gegen Ende des 15. Jahrhunderts. Portugiesische Kaufleute segelten nach Süden und fanden an der Westküste Zentralafrikas eine mächtige, stabile und reiche Gesellschaft vor: das Königreich Kongo. Wie andere afrikanische Gesellschaften damals hatte der Kongo eine starke Regierung und Justiz sowie ein hoch entwickeltes Beamtentum und Steuersystem. Er handelte bereits auf lokaler Ebene, auch mit versklavten Menschen, doch die Ankunft der Europäer führte zu einem enormen Wachstum des Handels, und schnell änderten sich die Spielregeln.
Den Portugiesen folgten bald Kaufleute aus England, Spanien, Frankreich und den Niederlanden, um mit Völkern in ganz Afrika Handel zu treiben. Sie wollten Gold, Kupfer, Stoffe und andere wertvolle Waren besitzen. Doch die Entdeckungen auf dem amerikanischen Doppelkontinent – insbesondere Millionen Morgen unberührtes Land, das nur auf Ausbeutung wartete – schufen Bedarf nach Arbeitskräften. Diesen Bedarf deckten die Europäer weitgehend durch die Versklavung oder den Kauf von Menschen über kongolesische und andere afrikanische Händler. Dafür boten sie Stoffe, Werkzeuge, Schmuck und Geld in der lokalen Währung (oft Muscheln). Als die Europäer sahen, wie profitabel versklavte Afrikaner waren, wuchs die Nachfrage weiter.
Wie barbarisch der frühe Sklavenhandel war, zeigt der Historiker Adam Hochschild anhand eines Briefes, den der kongolesische König Afonso I. im Jahr 1526 an den König von Portugal schrieb: „Jeden Tag entführen die Händler Unsere Leute – Kinder dieses Landes, Söhne Unserer Adligen und Vasallen, selbst Mitglieder Unserer eigenen Familie. […] Diese Verderbtheit und Schlechtigkeit ist so weit verbreitet, dass Unser Land vollständig entvölkert ist.“
Die Auswirkungen auf das Königreich Kongo waren zweifach und erwiesen sich als prophetisch für Gesellschaften in ganz Afrika. Erstens war das Volk über die Gewalt der Versklavung aufgebracht und reagierte mit einer Serie von Aufständen, die die Monarchie destabilisierten und damit noch anfälliger für Einflüsse von außen machten. Zweitens war die Nachfrage der Europäer so groß, dass sie den Markt mit der lokalen Muschelwährung Nzimbu überfluteten, was zu einer galoppierenden Inflation führte, bis das Königreich Anfang des 18. Jahrhunderts zusammenbrach – wenig mehr als 200 Jahre nach der Ankunft der ersten Portugiesen.
Die Machtdynamik
Die Übel des transatlantischen Sklavenhandels sind gut dokumentiert und gehen weit über seine fundamentale Amoralität hinaus. Afrikanische Gesellschaften litten auch durch die Dimension des Handels, insbesondere infolge seiner Ungleichheit. Diese Ungleichheit kam auch in anderen Formen des Handels zum Ausdruck. Man würde meinen, höhere Nachfrage nach afrikanischen Gütern wäre von Vorteil, aber sie hatte katastrophale Folgen für die heimischen Völker und ist einer der Hauptgründe dafür, dass Afrikas wirtschaftliche Entwicklung so weit hinter einem Großteil der übrigen Welt zurückgeblieben ist.
Einfach ausgedrückt, waren Europäer im Handel mit afrikanischen Gesellschaften über mehrere Jahrhunderte ständig die Gewinner. Mit ihren moderneren Schiffen hatten sie zum Beispiel Zugang zu überlegenem Wissen über die Nachfrage von Verbrauchern an den Märkten der Welt – in ganz Europa, auf dem amerikanischen Doppelkontinent und in Asien. Aufgrund dieser Vorteile konnten sie die Bedingungen der Handelsbeziehung diktieren.
Ihr Zugang zu Märkten bedeutete auch, dass sie härter verhandeln konnten. Europäische Händler konnten sich aussuchen, was die afrikanische Bevölkerung anbot, und sie konnten bestimmen, was sie dafür bezahlen wollten. Wie der Historiker Walter Rodney in How Europe Underdeveloped Africa beschreibt, wählten sie aus, welche Güter sie exportierten: „holländisches Leinen, spanisches Eisen, englischen Zinn, portugiesische Weine, französischen Branntwein, venezianische Glasperlen, deutsche Musketen“. Außerdem boten sie Dinge an, die niemand wollte und die man an europäischen Märkten nicht absetzen konnte.
„Alte Betttücher, abgelegte Uniformen, technisch überholte Schusswaffen und massenweise Krimskrams fanden garantierte Absatzmärkte in Afrika.“
Doch oft bezahlten sie auch einfach in der lokalen Muschelwährung. Für Europäer war sie weitgehend wertlos, aber man konnte sie leicht in anderen Teilen der Erde ernten. Die Portugiesen fanden ganze Bootsladungen davon in Brasilien. Theoretisch gab es keine Obergrenze für die Umlaufmenge dieser Währung, und dies bedeutete, dass sie enormen Inflationsraten ausgesetzt war, als die Nachfrage nach afrikanischen Gütern stieg.
Auch auf andere Weise war die lokale Währung schädlich für Afrika. Wenn afrikanische Gesellschaften europäische Güter kauften, zahlten sie in der Regel mit natürlichen Ressourcen, auch Gold. Während ihre Muschelwährung rasant an Wert verlor, stieg der Wert von Edelmetallen und konnte tatsächlich einen Mehrwert an vielen Märkten in aller Welt schaffen. Langfristig bedeutete das, dass Europäer Güter von dauerhaftem Wert anhäuften, während das, was afrikanische Gesellschaften dafür erhielten, mit der Zeit wertlos wurde.
Europäische Händler boten auch Güter an, die sich mit der einheimischen Produktion überschnitten, wobei die afrikanischen Produkte oft höherwertig waren als die Importware, mindestens jedoch gleichwertig. Der Vorteil der Europäer war die Masse. Rodney erklärt: „Die [afrikanischen] Baumwollwebstühle waren klein, die Eisenhütten waren klein, Keramik wurde langsam mit der Hand gedreht und nicht auf einer Töpferscheibe.“ Die technischen Fortschritte der Europäer bedeuteten, dass sie mehr und billiger produzieren konnten. Die Afrikaner sahen die Vorteile preisgünstiger Stoffe: Warum stundenlang am Webstuhl sitzen, wenn man billig kaufen konnte? Und das ging zu Lasten der heimischen Industrie. Heute ist eine ähnliche Dynamik zu erkennen. Die bei uns als Spende gesammelte Altkleidung wird in Afrika so billig verkauft, dass einheimische Hersteller damit nicht konkurrieren können und verschwinden. Gleichermaßen können Sie oder ich leicht billige Elektronik oder Kleidung kaufen, die in Niedriglohnländern hergestellt wurde. Die Verlierer sind immer die eigenen, lokalen Hersteller.
Am dramatischsten wirkte sich der Menschenhandel aus – katastrophal für die Afrikaner und einträglich für die Europäer. Rein wirtschaftlich gesehen, gewannen die Europäer etwas Wertvolles: einen Menschen, der zu geringen Kosten arbeiten und weiteren Wert generieren konnte, indem er nachfolgende Generationen von Sklaven zu ähnlich geringen Kosten gebar. Die afrikanischen Gesellschaften verloren viele ihrer vitalsten und fähigsten Mitglieder, was sie unmittelbar schädigte, aber auch um jene künftigen Generationen brachte. Infolgedessen stagnierten die afrikanischen Bevölkerungszahlen. Die Sklaverei schädigte auch die Beziehungen innerhalb der Bevölkerung, fragmentierte Gesellschaften, schwächte Regierungen und machte es den Sklavenhändlern leichter, Ware zu Schleuderpreisen zu kaufen. Der Verlust an Humankapital schädigte die afrikanische Entwicklung enorm.
Der polnische Journalist Ryszard Kapuściński schreibt: „Afrika – verfolgt und wehrlos – war entvölkert, zerstört und ruiniert. Ganze Landstriche des Erdteils waren verlassen; sonniges, blühendes Land war dürrem Busch gewichen.“ Die Folgen halten bis heute an. In einer bahnbrechenden Studie aus dem Jahr 2008 zeigt Nathan Nunn auf: „Die afrikanischen Länder, die heute am ärmsten sind, sind diejenigen, von denen die meisten Sklaven genommen wurden.“
Kein Mangel an Eigennutz
Im Kern waren die Motive der europäischen Händler simpel: Sie wollten Profit und nationalen Aufstieg, und versklavte Afrikaner waren ein Mittel zu diesem Zweck. Auch andere Faktoren, insbesondere die wachsende Empfindung rassischer Überlegenheit, trugen zu dem wirtschaftlichen Ungleichgewicht bei. Allerdings wandelte sich das Wesen des europäischen Eigennutzes mit der Zeit. Der Sklavenhandel ging allmählich zurück, während die Begierde nach Afrikas anderen Ressourcen (Gold, Diamanten, Öl) zunahm und härtere, unbarmherzigere imperiale Formen annahm. Als weitere Länder einstiegen – namentlich Belgien, die USA und China –, wurde das Wohlstandsgefälle zwischen Afrika und der übrigen Welt noch größer. Heute, fünf Jahrhunderte nach dem Beginn der Ausbeutung, dauert der internationale Eigennutz an, während der ausgeplünderte Erdteil Mühe hat, wieder zu Kräften zu kommen.
Allerdings war die Tendenz zum Eigennutz auf beiden Seiten erkennbar. Der kongolesische König Afonso I. bemerkte, wie eifrig sein eigenes Volk den grauenhaften Handel mitmachte: „Viele Unserer Untertanen gieren heftig nach portugiesischer Ware, die Eure Untertanen in Unsere Lande gebracht haben. Um dieses unmäßige Verlangen zu befriedigen, ergreifen sie viele Unserer schwarzen freien Untertanen.“
„Eine monströse Gier treibt Unsere Untertanen, selbst Christen, Mitglieder ihrer eigenen und Unserer Familie zu ergreifen, um ein Geschäft zu machen, indem sie sie als Gefangene verkaufen.“
Über eine viel spätere Begegnung mit Europäern schrieb der nigerianische Romancier Chinua Achebe: „Der weiße Mann hatte […] einen Handelsposten gebaut, und zum ersten Mal wurden Palmöl und Nüsse kostspielige Dinge, und viel Geld strömte in das Dorf.“ Der unmittelbare Reiz des Profits war für alle groß.
Wer die wirtschaftlichen Gewinner waren und tatsächlich weiterhin sind, steht allerdings außer Zweifel. Europa und Nordamerika haben sich an Afrika enorm bereichert. Der französische Politikphilosoph und Psychiater Frantz Fanon schrieb 1961: „Diese europäische Opulenz ist buchstäblich skandalös, denn sie wurde auf dem Rücken von Sklaven erbaut, mit Blut von Sklaven genährt und stammt in gerader Linie vom Boden und vom Unterboden dieser unterentwickelten Welt ab.“
Auch die USA profitierten im großen Stil. 1926 sicherte sich der US-Reifenhersteller Harvey Firestone für die winzige Pacht von sechs Cent pro Acre (40,47 Ar) für 99 Jahre ein großes Stück Land in Liberia – einem kleinen Staat in Westafrika, der im 19. Jahrhundert als Kolonie für die häufig erzwungene „Rücksiedlung“ freier und freigelassener schwarzer Amerikaner gegründet worden war. Er machte aus dem Land die größte Kautschukplantage der Welt. Sie brachte zwar Arbeitsplätze und Einkünfte für Liberia, kam aber vor allem Firestone, seinem 8000 Kilometer entfernten Heimatstaat Ohio und der US-Automobilindustrie zugute. Heute rangiert Liberia auf der Liste von Global Finance als neuntärmstes Land der Erde.
Über Belgiens Kolonisierung des Kongo schreibt der Journalist Howard W. French, sie sei getrieben gewesen von „schierer Habgier und einem erschreckenden Fehlen von etwas, das wir heute als Menschlichkeit identifizieren könnten“.
Und es hat nicht aufgehört. French beschreibt „ein immer wieder neues Drama in Afrika, wo die Gier der Außenwelt nach einem Rohstoff – sei es Kautschuk, Holz, Kakao, Baumwolle, Uran oder Öl – eine Gesellschaft aus dem Gleichgewicht bringt und sie kopfüber in den Zusammenbruch stürzt“. Wie bereits erwähnt, steckt in den meisten Mobiltelefonen heute Coltan, das zu einem großen Teil in der Demokratischen Republik (DR) Kongo abgebaut wird. Man sollte meinen, ein so wertvoller Rohstoff würde Wohlstand bringen; doch der Handel ist so organisiert, dass es dem kongolesischen Volk dadurch nicht besser geht. Laut der Liste von Global Finance für 2021 ist die DR Kongo das sechstärmste Land der Erde.
Wie bereits erwähnt, spielen auch andere Faktoren eine Rolle, nicht zuletzt politische Korruption. Tatsache bleibt jedoch, dass der Handel kontinuierlich einer Seite starke Vorteile auf Kosten der anderen bringt. Wer mehr Macht hat, hat unausweichlich auch das Sagen.
Man könnte sagen, so ist es nun einmal. Es gibt Gewinner, und es gibt Verlierer. Wenn afrikanische Gesellschaften schlechte Geschäftsabschlüsse gemacht haben, müssen sie eben die Konsequenzen ihrer Entscheidungen tragen. Es stellt sich allerdings die Frage, wie nachhaltig das eigentlich ist. Sollten wir uns nicht etwas Besseres wünschen? Der Welt wäre mit einer blühenden Wirtschaft in Afrika doch eher gedient. Dass afrikanische Länder zum Vorteil internationaler Profite zusammenbrechen, wie schon oft geschehen, ist sicher nicht erstrebenswert. Die beste Nutzung des zweitgrößten Kontinents der Erde ist doch wohl nicht nur der Abbau von Bodenschätzen für den Rest der Welt.
Der profitgetriebene Kapitalismus sieht das offenbar anders.
„Die Kapitalanhäufung konzentrierte sich immer stärker in anderen Weltregionen, und im frühen 19. Jahrhundert hatten West- und Westzentralafrika dann sehr viel schlechter Zugang zu dem Kapital, das sie brauchten, um Investitionen und Wirtschaftswachstum zu finanzieren.“
Wie der Historiker Toby Green anmerkt, steht Afrikas Erfahrung „dem Gewicht vorherrschender Wirtschaftstheorien entgegen. Trotz all der Belege, die zeigen, dass zunehmender Welthandel nicht für die gleichmäßige Verteilung von Wohlstand sorgt, vertreten konventionelle Wirtschaftswissenschaftler im 21. Jahrhundert seltsamerweise oft die Meinung, mehr Handel führe zu mehr Wohlstand, weil der Markt‘ wachse, und dieser Wohlstand werde allmählich nach unten durchsickern.“ In Afrika war und ist das nicht der Fall.
Martin Meredith, ebenfalls Historiker, zeigt darüber hinaus auf, dass westliche Regierungen wenig geneigt sind, zu helfen, obgleich es Mechanismen gibt, die die Exzesse des Kapitalismus zu zügeln scheinen: „Um ihre eigenen Hersteller zu schützen, betreiben Industrieländer ein System von Subventionen und Zollschranken, die afrikanische Hersteller handlungsunfähig machen.“ Zollschranken stehen den Prinzipien der Marktfreiheit eines reinen Kapitalismus entgegen, doch das zeigt nur, dass der Kapitalismus nicht die Instrumente dafür hat, seine eigenen Probleme zu beheben. Und Afrika ist nicht allein mit seinem Leid. Überall auf der Erde scheint der Kapitalismus ausschließlich zunehmende Ungleichheit zu garantieren.
Diese Probleme betreffen Kernprinzipien der westlichen Gesellschaft. Freiheit, das Streben nach persönlichem Glück, freier Handel – all dies liegt dem System des internationalen Handels zugrunde. Wenn uns diese Dinge wertvoller sind als alles andere, dann sind Ungleichheit und Ungerechtigkeit Konsequenzen, mit denen wir leben müssen. Aber es lohnt sich, einmal zu überlegen, was eine alternative Entwicklung hätte sein können. Europäische Händler hätten mehr Wissen mit den Afrikanern teilen, einen Teil ihrer Profite opfern, auf Sklaverei verzichten und ihren Geschäftspartnern faire Bedingungen bieten können. Kurz gesagt, sie hätten die Bedürfnisse der anderen Seite berücksichtigen können. Dadurch wären sie weniger reich geworden, aber gegenseitige Fürsorge hätte auf lange Sicht stärkere und gesündere Gesellschaften in ganz Afrika fördern können, und die internationale Situation wäre gerechter.
Im Nachhinein weiß man es immer besser, könnte man sagen. Aber es ist nicht so, als hätte man es damals nicht wissen können. Über Jahrhunderte beanspruchten europäische und amerikanische Gesellschaften generell, auf biblischen Werten aufgebaut zu sein, und dennoch ließen sie sie weitgehend unbeachtet. Die Bibel empfiehlt Gerechtigkeit, Gleichheit und Ehrlichkeit im Handel und Fürsorge für weniger vom Glück Begünstigte (Sprüche 20, 23; 3. Mose 19, 13). Sie kritisiert eine ungezügelte Expansion des Handels. Sie ruft Menschen zur Ordnung, die die Armen unterdrücken, um ihren eigenen Wohlstand zu mehren (Sprüche 22, 16). Und sie enthält spezifische Anweisungen zum Schutz von Menschen, die finanzielle Verluste erlitten haben. Trotz all der erklärten Wünsche der Abendländer, Afrika zu christianisieren, war in ihrem Umgang mit jenen Gesellschaften keines dieser Prinzipien zu erkennen.
Wie mögen Sie Ihren Kaffee?
Der Kaffee, den Bach mit seiner Kantate pries – der Kaffee, den viele von uns heute ebenso genießen und wahrscheinlich für selbstverständlich halten –, ist nur ein kleines Beispiel dafür, wie blind unsere eigennützige Welt oft für die Bedürfnisse anderer ist. Afrika hat über Jahrhunderte die Last dieses Eigennutzes getragen und trägt sie noch heute. French schreibt: „[Afrika] wird uns vorwiegend in Anfällen von grobem Eigennutz und regelrechter Habgier bewusst.“
„Einst waren diese kurzen Bewusstwerdungen mit einem Bedarf nach Kautschuk oder Baumwolle, Gold oder Diamanten verbunden, ganz zu schweigen von den Millionen Sklaven, […] deren Beiträge zu dem Wohlstand Europas und seiner heiß begehrten Neuen Welt kaum anerkannt werden.“
„Heute ist die Ausbeute so ,exotisch‘ wie eh und je“, schreibt er, „ist aber den Bedürfnissen unseres modernen Zeitalters angepasst worden. Afrika interessiert uns wegen seiner Offshore-Ölreserven […] oder wegen seltener Mineralien wie Coltan, das wir für unsere Handys und PlayStations brauchen.“ Das sieht nicht wie Nachhaltigkeit aus. Wiederholte wirtschaftliche Zusammenbrüche, ob lokal oder global, sind eine Warnung, dass das Ungleichgewicht des Handels nicht endlos bestehen kann, selbst wenn es wenigen Menschen großen Wohlstand verschafft (was die Bibel ebenfalls thematisiert).
Dessen sollten wir uns bewusst sein, wenn wir etwas kaufen oder verkaufen – selbst einen gewöhnlichen Cappuccino –, und uns fragen, ob es nicht einen besseren Weg gäbe. Es erinnert an die Worte der englischen Schriftstellerin Rebecca West, die in Black Lamb and Grey Falcon schrieb: „[Der Kapitalismus] ist doch nicht annähernd so gut wie das, was wir für uns selbst wollen; man kann ihn doch nur mit Enttäuschung betrachten, nicht mit Bewunderung.“
Was können wir uns stattdessen wünschen?
Damit etwas anders würde, müssten wir gewaltig umdenken. Green meint, für eine Ausgeglichenheit brauche es „mehr als ,pragmatische‘ Entscheidungen auf der Grundlage der Nationalökonomie. Es kann etwas Grundlegenderes erfordern: nämlich den moralischen Wert des Kreditsystems, das unserer modernen Ökonomie zugrunde liegt, zu hinterfragen.“
Der moralische Wert des internationalen Handels und allgemein des Kapitalismus hat sich in der Tat als ungenügend erwiesen. Es müsste sich etwas ändern – auf nationaler, aber auch auf persönlicher Ebene. Wenn jeder Mensch, der mit Handel zu tun hat (und das bedeutet: fast jeder Mensch), beim Kaufen und Verkaufen Großmut zeigte und für andere sorgte, dann würde das System ganz anders funktionieren. Wir würden andere Menschen als unseresgleichen sehen, mit Bedürfnissen und Wünschen wie den unseren, statt als Ressource, der es den größten Profit abzupressen gilt. Wir würden die Belastung der Umwelt berücksichtigen und auf ihren Zustand achten. Wir würden den verschiedensten Bedürfnissen anderer die gleiche Priorität geben wie unseren eigenen.
Das ist viel verlangt, aber es ist die einzige nachhaltige Option. In einem System, das auf diesen Prinzipien beruht – Großmut, Sorge für andere und langfristiges Denken –, wäre ein zufriedenstellender und dauerhafter Wandel gewiss möglich.