Das jugendliche Gehirn fördern
Zeit mit jungen Menschen kann auch Erwachsene bereichern
Ob wir Eltern sind oder nicht: Zeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen in unserem Umfeld zu verbringen, kann uns viel geben – solange wir uns nicht von populären Mythen über „die Jugend“ zurückhalten lassen.
Es ist ein Klischee, dass das frühkindliche Trotzalter und die Pubertät die beiden Entwicklungsphasen sind, die Eltern fürchten. Wutanfälle von Kleinkindern oder aufsässige, leichtsinnige Jugendliche sind häufige Themen in Sitcoms, Tischgesprächen und Büchern über Kindererziehung.
Zwar kann jedes Alter Herausforderungen für Eltern mit sich bringen – oder für manche vielleicht auch gar nicht –, doch kommt der Ruf dieser beiden Entwicklungsstadien nicht von ungefähr. Schließlich macht das Gehirn in beiden Stadien Änderungen durch, die zu den dramatischsten im Leben zählen. Das lässt sie aber zu einmaligen Gelegenheiten werden, um Kindern beim Aufbau eines Fundaments für ihr künftiges Wohlergehen zu helfen. Und diese Jahre können mit die bereicherndsten sein, die Eltern (und andere Erwachsene) mit Kindern erleben. Im Fall von Jugendlichen können sie jedoch noch lohnender sein, als viele von uns vielleicht vermuten.
Sowohl Kleinkinder als auch Jugendliche erreichen, wenn auch in unterschiedlichem Maß, eine größere Unabhängigkeit. Sie lernen, mehr allein zu tun, und entwickeln die Basis für Beziehungen mit Gleichaltrigen wie auch Erwachsenen (abgesehen von ihren Eltern), die sie befähigen wird, sich mit zunehmender Reife in Gemeinschaften zu integrieren. Bei Kleinkindern können Eltern das durchaus berechtigte Gefühl haben, diesen Lernprozess etwas besser steuern zu können als bei Jugendlichen; und je mehr wir kleinere Kinder dabei unterstützen, ihre Selbstkontrolle und soziale Kompetenz zu stärken, desto leichter werden sie es unbestritten als Jugendliche haben, diese weiter auszubauen. Die Notwendigkeit der Führung durch Erwachsene löst sich bei Jugendlichen jedoch nicht in Luft auf, auch wenn sie natürlich eine andere Form annimmt.
Der Wachstumsschub, den das menschliche Gehirn im Alter von zwölf bis ca. 24 Jahren erfährt, ist so dramatisch, dass seine Auswirkungen selbst mit der besten Basis die Gemüter von Erwachsenen und Jugendlichen gleichermaßen strapazieren können. Aber wie viel von dieser Angst ist eigentlich zu erwarten? Ist es vorherbestimmt, dass die Adoleszenz eine Zeit von „Sturm und Drang“ sein wird, geprägt durch Konflikte zwischen Teenagern und Eltern, Launenhaftigkeit und Leichtsinn, wie die Psychologen G. Stanley Hall, Anna Freud und andere meinten? Alternativ dazu, wie viel von dieser Angst ist einfach das Produkt dieser Erwartungen, genährt durch gängige kulturelle Mythen über die Adoleszenz, wie Margaret Mead und einige andere Anthropologen meinten? Historisch waren dies die beiden wichtigsten Lager im Disput über das Verhalten von Teenagern. Man könnte darin eine weitere Manifestation der uralten Debatte über „Natur oder Kultur“ erkennen.
„Lang vorbei sind die überholten Debatten über ,Natur oder Kultur‘, da wir nun alle zustimmen können, dass das Gehirn ein Produkt sowohl einer genetischen oder biologischen Anlage als auch des Umfeldes ist.“
Dieser Disput stellte, wie wir heute wissen, die Frage in einen völlig falschen Rahmen. Beide – Natur und Kultur – üben einen machtvollen Einfluss aus. In diesem Licht ist leicht zu erkennen, warum Forschern in den vergangenen Jahren klar geworden ist, dass im Gehirn von Jugendlichen durchaus etwas Gewaltiges vor sich geht, dass dies aber für Jugendliche und die Erwachsenen in ihrem Leben nicht unbedingt eine Zeit von Schwierigkeiten, Stress und Angst bedeuten muss. Hall und Mead hatten beide recht.
Der Psychiater und Buchautor Daniel J. Siegel bringt die Herausforderung, die daraus folgt, auf den Punkt: „Entscheidend ist, dass Jugendliche und erwachsene Ex-Jugendliche diese wichtigen Veränderungen im Gehirn erkennen und lernen, konstruktiv und kooperativ durch diese Jahre zu steuern, um die Kommunikation untereinander offen zu halten, das Leben für alle zu optimieren und zu verhindern, dass riskantes Verhalten tragische Folgen hat.“
Dies zu bewerkstelligen, erfordert eine ehrliche Auseinandersetzung mit einigen der Mythen, an die wir manchmal glauben, wenn es um das jugendliche Gehirn geht – Mythen, die nicht nur Eltern und Jugendliche voneinander entfremden, sondern vielleicht auch andere Erwachsene im Umfeld eines Teenagers vergrätzen, die sonst wichtig für sein Netz von Unterstützern sein könnten. Wenn wir diese gängigen Mythen loslassen, sind wir besser in der Lage, uns konstruktiv mit Jugendlichen auseinanderzusetzen und daraus auch persönlichen Nutzen zu ziehen.
Mythisches „Wissen“
Je nach Quelle werden diese Mythen unterschiedlich formuliert. In seinem Buch Brainstorm: The Power and Purpose of the Teenage Brain von 2013 (Deutsch: Aufruhr im Kopf) zeigt Siegel drei allgemeine Aussagen über Jugendliche auf, an die Erwachsene oft glauben:
- An schwierigem Verhalten sind verrückt spielende Hormone schuld.
- Jugendliche sind unreif und müssen nur „erwachsen werden“; diesen Prozess muss jeder möglichst unbeschadet durchstehen.
- Die Aufgabe der Adoleszenz ist es, Unabhängigkeit von Erwachsenen zu entwickeln. (Es könnte schwierig sein, unsere Zweifel daran hintanzustellen, aber wir werden in Kürze sehen, was er damit meint.)
Die Kinder- und Jugendtherapeutin Darby Fox geht in ihrem Buch Rethinking Your Teenager von 2020 noch weiter; sie identifiziert acht Mythen:
- Jugendliche sind junge Erwachsene, die bewusst unreif handeln.
- Wegen der verrückt spielenden Hormone benehmen sie sich schlecht, und dagegen kann man nichts tun.
- Sie blocken Erwachsene komplett ab und hören nur auf Gleichaltrige.
- Sie brauchen nicht sehr viel Schlaf; sie sind nur faul.
- Sie sind großartig im Multitasking; dadurch schaffen sie alles, was sie tun müssen.
- Drogen und Alkohol haben nur vorübergehende Auswirkungen auf sie
- Sie tun riskante und dumme Dinge nur, um Erwachsene zu ärgern und herauszufordern. (Eine andere Version dieses Mythos ist laut Jess P. Shatkin von der New York University School of Medicine, dass sie solche Dinge tun, weil sie sich für unbesiegbar halten.)
- Sie haben mit psychischen Problemen zu kämpfen, weil sie verwöhnt sind und sich den Realitäten des Lebens nicht stellen wollen.
Um zu verstehen, warum sich diese Mythen halten, und ihnen gegenüber nicht allzu leichtgläubig zu sein, ist es hilfreich, einen Blick darauf zu werfen, wie sich das jugendliche Gehirn in der Regel entwickelt. Für eine allgemeine Vorstellung hiervon muss man kein Neurowissenschaftler sein.
„Unter allen Organen des menschlichen Körpers ist das Gehirn bei der Geburt die unfertigste Struktur […] Die gesamte interne Verschaltung wird während der Entwicklung verändert. Das Gehirn, so zeigt sich, braucht sehr viel Zeit zum Wachsen.“
Baustelle Gehirn
Das Gehirn wird vom Zeitpunkt der Geburt an weiter aufgebaut – verbunden und integriert –, von unten nach oben und von hinten nach vorn. Zuerst sind wir in den Strukturen verschaltet, die uns helfen, durch unsere Sinne auf einer elementaren Ebene in unserer Umgebung zu agieren, sodass wir unseren Eltern die ersten Signale über unsere Bedürfnisse als Babys geben können. Wenn die Eltern daraufhin diese Bedürfnisse erfüllen, entwickeln sich im limbischen System des Gehirns Verbindungen, die einer gesunden Regulierung von Emotionen und sozialer Funktionsfähigkeit dienen.
Eine Art Eingang zum limbischen System sind zwei mandelförmige Gebilde, die als Amygdala bzw. Mandelkern bezeichnet werden. Für den Zweck dieses Artikels kann man sie als Sitz der Kampf-oder-Flucht-Reaktion (bzw. auch der Angststarre) betrachten. Schon vor unserer Geburt beginnt unsere Umgebung, das limbische System zu prägen. Im Lauf der Kindheit wird das sich entwickelnde Mittelhirn immer integrierter und agiler, aber das Stirnhirn – der Teil des Gehirns, der die Reaktion „stopp, denken, sich beherrschen“ steuert – ist erst mit etwa 25 Jahren vollständig durchgeschaltet.
Die Neurowissenschaftlerin Frances Jensen schreibt dazu: „Das Gehirn eines Jugendlichen ist absolut paradox. Es ist überversorgt mit grauen Zellen (den Neuronen, die die Grundbausteine des Gehirns bilden) und unterversorgt mit weißen Zellen (der leitenden Verdrahtung, die dafür sorgt, dass Informationen effizient von einem Teil des Gehirns zum anderen fließen). Aus diesem Grund ist das jugendliche Gehirn fast wie ein fabrikneuer Ferrari: Es ist betriebsfertig und voller Power, aber es wurde noch nicht in der Praxis getestet. Mit anderen Worten, es ist komplett aufgedreht, weiß aber noch nicht richtig, wohin es gehen soll.“
Aber es ist nicht statisch. Während Jugendliche lernen, entwickeln sich durch einen sehr aktiven und entscheidenden Prozess neue, schnellere Verbindungen zwischen Neuronen (weiße Zellen). Überschüssige graue Zellen werden abgestoßen, um Platz für wichtigere, effizientere Verbindungen zu schaffen. Bei diesem Bereinigungs- und Verbindungsprozess spielen Eltern und andere Erwachsene ebenso eine Rolle wie die übrigen Beziehungen und Lernumgebungen eines Jugendlichen. Wir alle haben schon von dem Prinzip „nutzen oder verlieren“ gehört. Einfach ausgedrückt werden die Verbindungen, die wir nutzen, gestärkt, und die anderen, die wir nicht nutzen, werden entfernt. Als Erwachsene sollten wir Jugendlichen helfen, die nützlichen Verbindungen zu ebnen, indem wir positives Verhalten verstärken, sodass es oft wiederholt wird.
Da die Neurotransmitter im Gehirn eines Jugendlichen etwa doppelt so schnell feuern wie bei Erwachsenen, ist im Kopf ihres Sprösslings eine Menge los. Jugendliche können neue Informationen weit schneller aufnehmen als Erwachsene; deshalb ist dieses Alter perfekt dafür, ihr Wachstum zu fördern.
Bis dieser Prozess im Alter von Anfang bis Mitte zwanzig abgeschlossen ist, ist das Stirnhirn allerdings nicht vollständig durchgeschaltet. Was bedeutet das für die Praxis? Jugendliche machen verschiedene Phasen in der Entwicklung abstrakten Denkens für langfristige Problemlösungen durch, und auch andere wichtige Fähigkeiten müssen sie noch entwickeln, z. B. die Fähigkeit, Beabsichtigtes konsequent zu Ende zu bringen, Emotionen vollständig zu regulieren oder die Folgen ihres Handelns zu bedenken. Aus diesem Grund wirken sie emotional und impulsiv. Es liegt nicht daran, dass sie nicht verantwortungsbewusst und zuverlässig sein wollen. Und es liegt nicht daran, dass ihre Hormone verrückt spielen. Tatsächlich haben Jugendliche keinen höheren Hormonspiegel als junge Erwachsene. Wie gesagt, das Stirnhirn ist nicht so gut verschaltet wie das limbische System, wo die Sexualhormone am aktivsten sind. Das Problem ist deshalb nicht so sehr, dass Hormone verrückt spielen, sondern dass die Prozesse, die sie auslösen, neu sind. Mit Orientierungshilfe sind Jugendliche fähig, den Umgang mit diesen Prozessen zu lernen.
Dies ist eine weitere Situation, in der Erwachsene Jugendlichen mit viel Förderung und viel Struktur helfen können, ihr Verhalten zu regulieren – zuerst mit Verständnis Verbindung aufnehmen („Ich merke, dass du dich … fühlst. Wie kann ich dir helfen?“), aber gleichzeitig ihre Verantwortung und die Erwartungen an sie aufrechtzuerhalten. Fox erklärt: „Als Eltern sollten wir unseren Jugendlichen nicht die Vorstellung vermitteln, sie könnten ihr Verhalten nicht steuern; das entspricht einem Freibrief, unverantwortlich und respektlos zu handeln. Wir sollten vielmehr unseren Kindern helfen, die Fähigkeiten zu entwickeln, ihre Stimmungen, Wünsche und Emotionen vorauszusehen und zu regulieren.“
Kurz, Jugendliche brauchen Führung, während sie diese Fähigkeiten aufbauen und Leitungen verstärken, die noch nicht zuverlässig feuern. Sie brauchen enge Verbindungen mit Erwachsenen, die als etwas ganz Ähnliches fungieren können wie ein Gerüst an einem Neubau, während die notwendigen Strukturen errichtet werden.
Manchmal lassen wir Erwachsene uns in der Interaktion mit unseren Kindern allerdings von unserem eigenen limbischen System beherrschen – und dann sind wir kein gutes Gerüst. Wahrscheinlich haben alle Eltern irgendwann einmal ihren Kindern gegenüber die Beherrschung verloren. Doch wenn wir das limbische System unserer Jugendlichen (das niedere, sehr empfindliche System für Kampf/Flucht/Starre) aktivieren, indem wir auf unser eigenes limbisches System zurückfallen – wütend werden, schreien, sie in die Defensive drängen –, wird tatsächlich ihre Fähigkeit abgeschaltet, von uns zu lernen. Dies setzt einen Kreislauf von Stress in Gang, der endlos zwischen Erwachsenem und Jugendlichem hin- und hergeht.
Der bessere Weg ist, unseren Kindern von frühester Jugend an effektiv zu zeigen, wie es richtig ist. Das geschieht, indem wir uns angewöhnen, unsere präfrontale Hirnrinde zu aktivieren. Kinder müssen sehen, dass wir, die Erwachsenen in ihrem Leben, uns unter Kontrolle haben, einen Schritt zurücktreten, um unsere Reaktion zu überdenken, und dann die Kommunikationskanäle öffnen, indem wir uns zuerst über ihre Emotionen mit ihnen in Verbindung bringen. Eine positive emotionale Verbindung ist der entscheidende Schlüssel, der ihr Gehirn offen dafür macht, von uns zu lernen.
Gaben erkennen
Zu wissen, dass das jugendliche Gehirn noch „Baustelle“ ist, dürfte die Befürchtungen von Eltern nicht mildern. Doch für alles, das man als negativ ansehen kann, zeigt die Forschung weit größere positive Seiten auf – sogar Gaben –, nicht nur für die Jugendlichen, sondern auch für die Erwachsenen in ihrem Leben. Die Jugendlichen, mit denen wir interagieren, können uns tatsächlich helfen, Eigenschaften zurückzugewinnen, die wir allmählich hinter uns gelassen haben, als unsere eigenen Jahre als Teenager weiter in die Vergangenheit sanken.
Was sind das für Gaben? Siegel fasst sie in vier allgemeine Kategorien zusammen und unterbreitet Vorschläge, wie Jugendliche und Eltern das Beste daraus machen können.
1. emotionale intensität
Einige moderne Kulturen sehen emotionale Intensität als negative Eigenschaft, andere hingegen schätzen sie als anregende Würze, die das Leben lebenswert macht. Wir wollen zwar nicht, dass uns intensive Emotionen beherrschen, doch sie sind ein unverzichtbarer Bestandteil des Lebens, der Liebe, der Resilienz und eines in Fülle gelebten Menschseins. Angst vor negativen Emotionen kann uns gehemmt machen; das führt dazu, dass wir auch keine vollkommen befriedigenden positiven Emotionen erleben. Mit Jugendlichen zu leben und tief emotionale Erlebnisse mit ihnen zu teilen, kann Erwachsenen helfen, wieder begeisterungsfähig zu werden und Freude an der Verbindung miteinander zu haben.
2. Der Drang zu sozialem Anschluss
Wenn es schlecht läuft, kann ein Bedürfnis nach sozialem Anschluss Jugendliche in von Gleichaltrigen dominierte Silos treiben und sie anfällig für eine erhöhte Risikobereitschaft machen. Doch wenn es gut läuft, macht es sie offen dafür, ihr Netz von Unterstützern zu erweitern. Soziale Verbundenheit ist eine der wichtigsten Messgrößen für Prognosen zu Gesundheit und Langlebigkeit, psychischem Wohlergehen und lebenslanger Zufriedenheit. Das Bedürfnis, mit Gleichaltrigen verbunden zu sein, ist bei Jugendlichen so akut, dass Zurückweisung durch Gleichaltrige fast lähmend sein kann. Jugendliche brauchen Beziehungen mit Erwachsenen, die ihnen helfen, die sozialen Fallstricke zu umgehen, die sie zum Rückzug in sich selbst drängen, wenn sie alleingelassen werden. „Während das Wegstreben von Erwachsenen universell ist“, so Siegel, „ist etwas vielleicht Einzigartiges am modernen Leben die wachsende Zahl von Jugendlichen, die auf diese Herausforderungen damit reagieren, dass sie Erwachsene komplett aus ihrem Leben ausschließen.“ Wir neigen zu der Vorstellung, es sei unser Ziel, unsere Kinder bei der Erlangung von Unabhängigkeit von Erwachsenen zu unterstützen, aber tatsächlich geht es für uns alle (nicht nur für Jugendliche) um gesunde Interdependenz – gegenseitige Abhängigkeit –, nicht Unabhängigkeit. Als Erwachsene müssen wir uns vielleicht diesen Drang zurückholen, mit anderen sozial verbunden zu sein. In unserem modernen, geschäftigen Leben geht er leicht verloren; aber er ist eine Gabe, die in gewisser Weise damit zu tun hat, offen für neue Erfahrungen zu sein.
„Für den Jugendlichen wie den Erwachsenen ist das Offenhalten der Kommunikationskanäle das grundlegendste Prinzip dafür, gut durch diese Jahre zu kommen.“
3. Der Drang nach Neuem
Der Drang, der Erwachsene davon überzeugt, dass Jugendliche sich für unbesiegbar halten, ist tatsächlich das, was Jugendliche offen für neue Erfahrungen macht. In richtige Bahnen geleitet, kann dieser Drang zu einem stabilen Teil ihrer Persönlichkeit werden. Offenheit ist eines der „Big Five“, der fünf großen Persönlichkeitsmerkmale (die anderen sind Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus), und sie ermöglicht es, Leidenschaft und Abenteuer zu erleben und neue, kreative Lösungen zu finden. Dennoch halten sich Jugendliche tatsächlich nicht für unbesiegbar. Wie Shatkin aufzeigt, schätzen Jugendliche das Risiko, dass ihnen etwas Schlimmes zustößt, sogar höher ein, als es wirklich ist. Wenn sie danach gefragt werden, überschätzen sie oft die Wahrscheinlichkeit, dass sie wegen ihres Verhaltens Schwierigkeiten bekommen werden. Warum dann der Ruf der Risikobereitschaft? Bis die präfrontale Hirnrinde vollständig durchgeschaltet ist, wirkt jede der hier erörterten vier Triebkräfte so stark auf Heranwachsende ein, dass sie diese ohne anfängliche Hilfe nicht zügeln können. Auch hier kann eine gesunde Interdependenz von Erwachsenen ausschlaggebend sein.
4. Kreatives Erkunden
Kreatives Erkunden kann eine wunderbare Gabe und ein gesundes Nebenprodukt der Veränderungen sein, die das jugendliche Gehirn durchmacht. Wenn neue Verbindungen abstrakteres Denken ermöglichen, probieren Jugendliche unkonventionelle Herangehensweisen aus, die sie dazu bringen, nahezu alles infrage zu stellen. Dieser Drang ist es, der uns fragen lässt, was der Sinn des Lebens ist und wie wir da hineinpassen. Psychologen nennen das Identitätsbewusstsein, und es nimmt in der Adoleszenz erheblich zu. Erwachsene haben Jugendlichen bei der Suche nach Sinn und Orientierung viel zu geben, und Jugendliche haben wiederum Erwachsenen viel zu geben; sie können helfen, das Gefühl von Sinnhaftigkeit und Staunen, für das wir im banalen Alltag abgestumpft sind, wieder neu zu erleben.
Fazit
Die gesunde Interdependenz, auf die es ankommt, damit Eltern und Jugendliche gut durch diese Zeit kommen, setzt eine bewusste Entscheidung voraus. Wir als Erwachsene, deren präfrontale Hirnrinde (hoffentlich) vollständig durchgeschaltet und gut trainiert ist, müssen unser Augenmerk bewusst von dem abwenden, was wir als negative Auswirkungen der Veränderungen im Gehirn unserer Jugendlichen sehen könnten. Stattdessen müssen wir unser Herz und unser Denken bewusst den Gaben zuwenden, die unsere Jugendliche gerade entwickeln – Gaben, die nicht nur ihnen zugute kommen werden