Der Preis der Mode
Die Modebranche ist voller ethischer Probleme – es gibt alles von Kinderarbeit über Sklaverei und entsetzliche Arbeitsbedingungen bis hin zu Gewalt. Wie können sich Verbraucher kleiden und dabei ihren Werten treu bleiben?
Elizabeth Cline ist seit zwei Jahrzehnten eine führende Stimme der ethischen Modemacher. Sie ist Expertin für Nachhaltigkeit, Verbraucherkultur und Arbeitnehmerrechte und hat zwei Bestseller über Mode geschrieben: Overdressed, ein Einblick in die schnelllebige Modebranche, und daran anschließend The Conscious Closet, ein Leitfaden zum Aufbau einer eigenen Garderobe. Letzteren charakterisiert Cline als „ein Manifest und Aufruf zum Handeln, um eine der umweltschädlichsten Industrien der Erde in eine Kraft für das Gute zu verwandeln“. Die Einleitung des Buchs schließt mit dem Appell: „Nutzen wir die enorme Macht der Mode, um die Mode selbst zu verwandeln, und dann könnten wir tatsächlich die Welt retten!“
Auf die jüngsten Ereignisse hin hat Cline jedoch ihr Hauptaugenmerk von der Macht des individuellen ethischen Verbraucherverhaltens (Ethical Consumption) abgewendet. In der schlimmsten Zeit der Coronapandemie stornierten große Markenfirmen Bestellungen im Wert von etwa 40 Milliarden US-Dollar – einige von ihnen waren bereits in der Produktion oder fertiggestellt und versandt. In Bangladesch allein waren über eine Million Textilarbeiterinnen betroffen. Unglücklicherweise verloren diese Arbeiterinnen nicht nur ihren Lohn, sondern auch ihren Arbeitsplatz. „Was haben all meine Jahrzehnte des Einsatzes für Ethical Consumption für den Schutz dieser Arbeiterinnen und höhere Löhne getan?“, fragte Cline. Die Antwort: „Nichts. Mein Ethical Consumption konnte Menschen schwarzer oder brauner Hautfarbe nicht davor schützen, während der Pandemie zu einem weit höheren Anteil als Weiße zu sterben oder lebensgefährlich krank zu werden. Es hat nicht das Geringste gegen den Klimawandel oder die Verunreinigung mit Plastik erreicht.“
Cline ist nicht die Erste, die sich zu den negativen Auswirkungen der Modebranche geäußert hat, aber die Arbeit von Journalisten, Filmemachern und Forschern hat wenig für eine Veränderung des Systems bewirkt. Konzerne sind höchst ungern zu notwendigen Änderungen bereit, die ihre Profite gefährden könnten. Und den meisten Käufern kommt es darauf an, die neuesten „Styles“ zum niedrigsten Preis zu bekommen – gleichgültig, was die Folgen des gedankenlosen Konsums sein mögen.
Wachstum eines Wirtschaftszweigs
So war es nicht immer. Die industrielle Revolution hat unsere Beziehung zu dem, was wir anziehen, verändert. Man würdigte nicht mehr, wie man seine Kleidung bekam und welche Zeit, Fähigkeiten und Ressourcen ihre Herstellung erforderte, weil Kleidung dank mechanisierter Produktion schnell und billiger hergestellt werden konnte. In den 1920er-Jahren hatte serienmäßig gefertigte Damenmode einen Anteil von über 75 % an der Branche. Sinkende Preise und die neuesten Pariser Designermodelle – kopiert und massenproduziert – machten Mode für die Massen zugänglich. Diese „Demokratisierung der Mode“ bedeutete, dass es nicht länger nur die Wohlhabenden waren, die sich an häufig wechselnden Moden erfreuen konnten.
Schon 1955 sah der Wirtschaftswissenschaftler Victor Lebow die Zukunft, in der wir heute leben, richtig voraus und schrieb: „Unsere enorm produktive Wirtschaft erfordert, dass wir den Konsum zu unserer Lebensweise machen, dass wir das Kaufen und Benutzen von Gütern zu Ritualen machen, dass wir unsere spirituellen Befriedigungen, unsere Ego-Befriedigungen im Konsum suchen. […] Wir brauchen ein immer schnelleres Tempo, in dem Dinge konsumiert, verbrannt, abgenutzt, ersetzt und weggeworfen werden.“
Es hat einige Zeit gedauert, bis dies voll ausgeprägt war. Erst nachdem Handelshemmnisse im Jahrzehnt bis 2005 allmählich fielen, nahm die Modebranche ihren aktuellen Lauf. Weniger Beschränkungen bedeuteten, dass Markenfirmen ihre Gewinne steigern konnten, indem sie ihre Produktion von teuren inländischen Standorten in Niedriglohnländer verlagerten und billigere Güter importierten. Da Kleidung überall gefertigt werden konnte und Entwicklungsländer nun unbegrenzte Mengen an Gütern in große Verbraucherländer wie die USA exportieren konnten, wurde die Modebranche, wie Cline schreibt, „einer der am meisten globalisierten, wenn nicht der am meisten globalisierte Wirtschaftszweig der Welt“.
Von Mode zu Müll
Mit der Globalisierung ist die Komplexität gekommen. Es gibt keine einheitlichen Vorschriften für die Sammlung und Meldung exakter Daten über das volle Produktionsvolumen der Modebranche, aber Schätzungen zufolge hat es sich seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt. Jedes Jahr werden zwischen 80 und 150 Milliarden Kleidungsstücke produziert – oder überproduziert. Anhand der Umsatzzahlen kann man die Anzahl der Kleidungsstücke extrapolieren, die Amerikaner im Durchschnitt kaufen (68 pro Jahr), und viele davon werden selten getragen. Auch von den 152 Kleidungsstücken in britischen Kleiderschränken wird fast die Hälfte selten getragen – wenn überhaupt.
„Bei der Menge an Kleidung, die bereits produziert worden ist, besteht keine praktische Notwendigkeit, in jeder Saison neue herzustellen, und dennoch tun die Markenfirmen das weiterhin – für einen glasklaren Zweck: den Konzerngewinn.“
Auch wenn diese Zahlen nur eine gut begründete Schätzung sind, steht eines fest: Wir kaufen zweifellos mehr Kleidung als je zuvor. „Fast Fashion“ – schnelle Billigmode – ist überall: in unseren Läden, in unseren sozialen Medien, in unseren Schränken. Die Modedesignerin, -autorin und -beraterin Aja Barber erklärt den Reiz solcher Mode mit einem Vorwurf, der auch gegen andere Industrien erhoben wird: geplanter Obsoleszenz (Produktalterung). „Auch in anderen Systemen müffelt es nach geplanter Obsoleszenz, aber bei Mode ist es etwas anders. Es bedeutet, Produkte herzustellen, die alles andere als hochwertig sind, um schnell zu verkaufen und Kunden zu locken, die oft wiederkommen, um mehr zu kaufen (oft als Ersatz für die Produkte, die ihnen gerade verkauft worden sind).“ Menschen in sozioökonomisch schwächeren Schichten sind davon besonders betroffen. „Wenn man immer die Zwanzig-Dollar-Stiefel kaufen muss, weil man sich nur die leisten kann, und sie nie länger als eine Saison halten, dann kauft man in der nächsten Saison wieder ein Paar Zwanzig-Dollar-Stiefel.“
Ob es daran liegt, dass die Kleidungsstücke schneller abgetragen sind als erwartet oder dass wir sie einfach satthaben und etwas Neues wollen – von der Mode, die wir kaufen, landet zu viel auf dem Altkleiderhaufen.
Und wohin gehen all diese unerwünschten Teile? Viele werden gespendet, was eine gute Wahl sein kann – wenn sie in einem tragbaren Zustand sind. Aber Spendensammelstellen werden oft von Altkleidern überflutet, die zu einem großen Teil schadhaft oder minderwertig sind und nicht wieder verkauft werden können. Ein kleiner Anteil dieses Ausschusses wird recycelt und wiederverwendet. Der Rest wird auf Müllhalden gekippt, verbrannt oder an ärmere Länder verschifft, damit diese sich darum kümmern.
Diese Praxis des „Müllkolonialismus“ ermöglicht es den Ländern des Nordens, ihre Probleme abzuladen, vorgeblich um die Volkswirtschaft von Entwicklungsländern zu beleben. Doch die negativen Folgen dieser Praxis für die Empfängerländer sind unbestreitbar. Ihre lokale Textilindustrie geht zugrunde, während ihre Märkte für Secondhandkleidung damit belastet werden, über 4,5 Millionen Tonnen Altkleidung, die jedes Jahr bei ihnen landen, zu sortieren, zu reparieren und zu verkaufen oder zu entsorgen. Viel davon wird letztlich zu Müll, der entweder abgeladen oder verbrannt wird – mit erheblichen Folgeschäden für sensible Ökosysteme und die menschliche Gesundheit. Die dadurch entstehenden Umweltrisiken müssen dann gemanagt werden und diese Länder sind gezwungen, Schulden aufzunehmen, um die Kosten dafür zu decken, dass sie sich um das kümmern, was andere weggeworfen haben.
Was steckt in unserer Kleidung?
Wir wissen nicht, woher unsere Kleidung kommt oder wohin sie geht, wenn wir mit ihr fertig sind, aber wir wollen sie schnell haben und wir wollen, dass sie billig ist. Bei über 60 % aller Kleidungsstücke wird das durch den Einsatz von Petrochemie erreicht.
Es gibt wenig erhaltene Kleidung aus der Vergangenheit, weil Naturfasern wie Baumwolle, Leinen, Seide und Wolle biologisch abgebaut werden und dabei nur einen relativ winzigen ökologischen Fußabdruck hinterlassen. Aber in der Mitte des 20. Jahrhunderts begann der Fußabdruck von Mode, mit der Entwicklung von Synthesefasern auf Erdölbasis zu wachsen. Nylon, die erste komplett synthetische Faser, wurde 1938 patentiert und der Öffentlichkeit knapp zwei Jahre danach in Form von Damenstrümpfen vorgestellt. 1958 waren schon weitere erdölbasierte Fasern entwickelt worden, darunter Polyester, Acryl und Spandex.
„Seit der Erfindung des mechanischen Webstuhls vor fast zweihundertfünfzig Jahren ist Mode ein schmutziges, skrupelloses Geschäft, das Menschen und die Erde gleichermaßen ausbeutet, um üppige Gewinne einzufahren.“
Heute werden Synthesestoffe fast ausschließlich in chinesischen Fabriken hergestellt. Sie sind vielseitig und billig in der Produktion, aber die wahren Kosten der Textilproduktion aus Öl sind mit der billigen Produktion nicht abgegolten. Dr. Subramanian Senthilkannan Muthu, Chief Sustainability Officer der Nachhaltigkeitsplattform Green Story, fasst die negativen Effekte synthetischer Textilien klar zusammen. Sie werden aus nicht nachwachsenden Ressourcen gewonnen und mit erheblichem Einsatz von Energie und Chemikalien produziert. Dabei entstehen giftige Schadstoffe und hohe Treibhausgasemissionen. Muthu fügt hinzu, dass auch das Management von Abfallstoffen aus der Produktion und Verarbeitung synthetischer Textilien problematisch ist, weil sie nicht biologisch abbaubar sind. Fügt man dieser Liste die oben erwähnten Schwierigkeiten mit dem Recycling oder der Wiederverwendung synthetischer Kleidung hinzu, sieht man, dass sie während ihres gesamten Lebenszyklus die Gesundheit von Menschen und der Umwelt gefährden.
Man könnte meinen, dass viele Probleme, die die Modebranche plagen, durch eine reduzierte Verwendung von Synthesefasern gemindert werden könnten. Aber die Sache ist weit komplizierter. Auch Naturfasern wie Baumwolle und Wolle können negative Umweltauswirkungen haben, darunter ein zu hoher Wasserverbrauch, Bodenverschlechterung durch Ackerbau und Belastung mit Agrochemikalien. Einige Naturfasern wie Bambus und Viskose sind zwar auf Pflanzenbasis, doch ist für die Verarbeitung die Behandlung mit giftigen Chemikalien erforderlich, die die Luft und das Wasser verschmutzen und Menschen in der Umgebung der Fertigungsanlagen krank machen.
Wer hat meine Kleidung hergestellt?
Bei der Größenordnung, in der wir Kleidung produzieren und konsumieren, sind Umweltschäden nicht die einzigen Probleme mit der Modebranche. Die Journalistin Lauren Bravo schreibt: „Die Umweltprobleme der Mode sind inhärent auch soziale Probleme, weil immer Menschen betroffen sind – gewöhnlich zuerst die jüngsten, ärmsten oder vulnerabelsten. Gleichgültig, welches Umweltverbrechen der Mode man untersucht – früher oder später stößt man auf menschliches Leid.“
Eine Rubrik für die Reichen
Die in der Bibel dargelegten Prinzipien sind ein zeitloser ethischer Kodex, der für alle Ebenen der Gesellschaft gilt. Die Wohlhabenden, deren Wohlstand von ihren Arbeitern abhängt, haben viel zu bedenken. Grundsätzlich ist allen geboten: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ (Jakobus 2, 8). Daher sollen die Reichen die Armen nicht benachteiligen: „Einen Armen ausbeuten, um sich zu bereichern, oder einem Reichen etwas schenken – beides bringt nur Schaden!“ (Sprüche 22, 16, Gute Nachricht Bibel). Sie sollen vielmehr Erbarmen zeigen und großzügig sein – „Wohl dem, der sich der Elenden erbarmt!“ (Sprüche 14, 21). Die Reichen sollen wissen, dass das Streben nach Reichtum viele Probleme mit sich bringen kann, denn „Geldgier ist eine Wurzel alles Übels“ (1. Timotheus 6, 10). Über das Hindernis, das Reichtum werden kann, sagte Jesus: „Wie schwer kommen die Reichen in das Reich Gottes“ (Lukas 18, 24). Und da es frustrierend, sinnlos und letztlich unmöglich ist, zwei Herren zu dienen, schloss er: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Lukas 16, 13 und Matthäus 6, 24). Besser für alle ist der Mittelweg: „Armut und Reichtum gib mir nicht“ (Sprüche 30, 8).
Im Segment Produktion innerhalb der Lieferkette der Textil- und Bekleidungsindustrie sind über 75 Millionen Menschen beschäftigt, davon über 75 % Frauen und die meisten in Entwicklungsländern. Von diesen „unsichtbaren“ Arbeiterinnen ist die Branche abhängig, aber die Komplexität der globalisierten Lieferkette macht es uns leicht, die Menschen zu übersehen, die unsere Kleidung herstellen. Markenfirmen wissen das und nutzen es zu ihrem Vorteil. Die Journalistin Alyssa Hardy erklärt: „Die Arbeiterinnen sind weit entfernt von den Markenfirmen, für die sie Kleidung herstellen; diese Tatsache ermöglicht es, die Schuld oder Verantwortung für ihre Behandlung auf andere zu schieben. So ist es den Markenfirmen lieber, denn diese Probleme zu beheben, würde ein größeres kulturelles Problem in der gesamten Branche implizieren.“
„Auf dem Laufsteg sieht Mode aus wie eine Branche voller Schönheit und Privileg, aber in der Fabrikhalle wird eine andere Geschichte erzählt.“
Infolge der mangelhaften Transparenz in der Branche, so Hardy, „werden Arbeiterinnen in Textilfabriken nicht als Angestellte der Markenfirmen behandelt, für die sie Kleidung herstellen, und erhalten deshalb nicht den gleichen Schutz wie jemand, der in der Mutterfirma arbeitet.“
Unzulängliche Belüftung, ungeschützter Kontakt mit gefährlichen Chemikalien und unsichere Gebäude werden weitgehend ignoriert, bis es zu spät ist. Unter den jüngsten Tragödien waren 2012 der Brand der Fabrik von Ali Enterprises, bei dem 289 Menschen starben, und der Brand der Tazreen-Fabrik in Bangladesch, in dem 112 Arbeiterinnen umkamen und viele weitere bei dem Versuch, zu entkommen, verletzt wurden.
Die tödlichste Katastrophe in der Geschichte der Textilindustrie geschah 2013 im Rana Plaza, einem achtgeschossigen Fabrikkomplex in Bangladesch. Trotz Beschwerden über gefährliche Arbeitsbedingungen wurde in dem Komplex, in dem über 5.000 Menschen in vier Textilfabriken Kleidung für mehrere Markenfirmen der Modebranche produzierten, weiterhin gearbeitet. Durch das schlechte Fundament des Gebäudes und den nicht genehmigten Aufbau zusätzlicher Etagen war die Bausubstanz instabil. Es gab sichtbare Risse und dennoch verlangten die Chefs, dass die Angestellten weiter arbeiteten. Die Entscheidung, trotz der Warnsignale weiter zu produzieren, war ein schwerwiegender Fehler: Am 24. April 2013 stürzte das Gebäude ein. Mehr als 1.100 Menschen starben und 2.000 erlitten Verletzungen, die ihr Leben veränderten.
Die Katastrophe des Rana Plaza hätte ein Wendepunkt für die gesamte Branche sein können. Sie erregte weltweit Aufmerksamkeit und es gab einige positive Ergebnisse. Die Regierung von Bangladesch machte es zu ihrer Priorität, alle Textilfabriken, die für den Export produzierten, zu inspizieren und zu evaluieren. Dennoch bestehen weltweit schlechte Arbeitsplatzbedingungen fort und sie sind nicht das einzige Problem, mit dem Textilarbeiterinnen leben. Da es in der gesamten Branche an Aufsicht fehlt, ist die Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen weiterhin eine ernste Sorge.
Die meisten Arbeiterinnen in der Textilbranche sind massiv unterbezahlt und verdienen nicht einmal genug zum Leben. Die Mindestlöhne werden von den einzelnen Ländern festgesetzt, aber in den Ländern mit der größten Textilproduktion besteht eine Lücke von durchschnittlich 45 % zwischen dem Mindestlohn und einem Lohn, von dem man leben kann, wie die WageIndicator Foundation 2022 berichtete. Laut einem Oxfam-Bericht von 2019 hat nicht eine einzige der vier Millionen Textilarbeiterinnen in Bangladesch genug zum Leben verdient.
Verbale Bedrohung, Körperverletzung und sexuelle Gewalt sind in der Branche an der Tagesordnung. Lange Arbeitswochen mit aufgezwungenen Überstunden – manchmal bis 96 Stunden – sind nichts Ungewöhnliches. Einige große Markenfirmen der Modebranche sind beschuldigt worden, in ihren Fabriken mit Kinderarbeit zu operieren. Sklavenarbeit ist nach wie vor ein Problem, besonders bei in China gefertigter Kleidung, die von ultraschnellen Fast-Fashion-Firmen verkauft wird.
Trage deine Werte
Aber es gibt auch gute Nachrichten. Die 1,7 Billionen Dollar schwere US-Bekleidungsindustrie wird zunehmend von Regierungsseite zu Veränderungen aufgefordert. Kalifornien hat kürzlich bahnbrechende Vorschriften zum Schutz der Textilarbeiterinnen im Staat verabschiedet, die unter anderem einen Mindestlohn pro Stunde vorsehen. Demnächst werden in den USA Gesetze in Kraft treten, die Markenfirmen für eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen und Löhne für Textilarbeiterinnen im Inland, aber auch für die sozialen und ökologischen Auswirkungen ihrer Lieferkette in die Verantwortung nehmen. Ein Vorreiter bei der Forderung von Transparenz bei großen Markenfirmen ist Frankreich. Neue Bestimmungen sehen vor, dass Markenfirmen wichtige Informationen offenlegen müssen, darunter den Anteil von Recyclingmaterial in ihren Produkten, wo ihre Kleidung genäht wird und welche Materialien verwendet werden. Auch Großbritannien und die EU wollen strengere Vorschriften für die Branche einführen. Trotz dieser umfassenden Regulierung von oben wird es Jahre dauern, bis eine umfassende Änderung eintritt.
Was können wir bis dahin als Individuen tun? Wenn Cline findet, dass ihr jahrzehntelanger Einsatz für ethisches Verbraucherverhalten nichts für den Schutz der Arbeiterinnen oder der Umwelt erreicht hat, lohnt es sich dann, weiter darauf zu achten, was wir kaufen? Um es klar zu sagen: Cline meint nicht, wir sollten individuelles Handeln „von unten“ aufgeben. Wir können noch immer etwas bewirken, schreibt sie, indem wir Veränderungen von oben unterstützen, zum Beispiel faire Arbeitspraktiken und Arbeitnehmerrechte, und ethisches Verbraucherverhalten kann den Weg für eine dauerhafte Veränderung ebnen. Es ist noch immer ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer besseren Zukunft. Die Mode- und Kulturjournalistin Dana Thomas fügt hinzu: „Wir als Verbraucher spielen eine zentrale Rolle. Es ist Zeit, mit dem gedankenlosen Shoppen aufzuhören und zu bedenken, was wir tun – kulturell und spirituell.“
„Die durchschnittliche Nutzungsdauer von Kleidung um nur neun Monate zu verlängern, würde fünf Milliarden Pfund einsparen, die es kostet, Kleidung zu liefern, zu waschen und zu entsorgen.“
Leider gibt es bei Mode oft eine Wertlücke. Wenn sie gefragt werden, antworten viele Verbraucher, sie würden sich Gedanken über die Umweltauswirkungen ihrer Kleidung oder die Notwendigkeit angemessener Bezahlung und sicherer Arbeitsbedingungen für Textilarbeiterinnen machen. Aber wenn der Preis stimmt, fliegen ethische Bedenken rasch aus dem Fenster. Barber schreibt: „Wenn man verlangt, dass ethische Mode ,bezahlbar‘ sein soll, verlangt man tatsächlich, dass sie nicht mehr ethisch ist, […] weil alle anderen ausgebeutet werden. Für alle in der Lieferkette ist sie nicht bezahlbar.“ Tatsächlich sind ethische Entscheidungen nicht immer einfach. Wir müssen uns fragen: Tragen wir zu dem Problem bei? Sind wir ein Teil der Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen dieses Systems?
Diese Fragen ehrlich zu beantworten, kann uns helfen, zu erkennen, dass unsere Entscheidungen nicht nur für uns selbst Folgen haben, sondern für alle und alles entlang der gesamten Lieferkette – die Menschen, die unsere Kleidung hergestellt haben, ebenso wie die Umwelt –, und zwar vom ersten Schritt der Produktion bis zum Ende der Nutzungsdauer eines Kleidungsstücks. Die Erkenntnis, dass der Preis von Mode nicht nur ein finanzieller ist, sondern auch ein sozialer und ökologischer, sollte uns dazu führen, unseren Konsum zu entschleunigen und mit Bedacht zu wählen, was wir dann letztendlich kaufen.
Wertzuschätzen, was wir schon haben und was dahintersteckt, dass wir es bekommen haben. Weniger, aber dafür Besseres zu kaufen, wenn es gebraucht wird – all das kann helfen, den Prozess zu verlangsamen und den Konzernen den Anreiz zu geben, ethische Praktiken einzuführen, Löhne zu zahlen, von denen die Arbeiterinnen leben können, und dafür zu sorgen, dass der Fertigungsprozess für die Arbeiterinnen sicher ist und dass das Bekleidungsstück während der gesamten Nutzungsdauer umweltverträglich ist. Wir müssen einen Weg finden, möglichst gut auszusehen, ohne das Wohl anderer aufs Spiel zu setzen, damit unsere Kleidung auch ein Ausdruck unserer Werte ist. Auch wenn das Problem zugegebenermaßen komplex ist, können wir informierte persönliche Entscheidungen treffen, die zu einer nachhaltigeren Zukunft beitragen.
„Wear your values“ – trage deine Werte
Die Modeschöpferin Orsola de Castro bringt es auf den Punkt: „Das nachhaltigste Kleidungsstück ist das, was du schon im Schrank hast.“ Mit anderen Worten: Man kann mehr tun, indem man erst einmal weniger kauft. Prüfen Sie, was Sie im Kleiderschrank haben, und beantworten Sie ehrlich, was Sie gebraucht haben und was Sie nur haben wollten. Hören Sie auf, den Mode-Influencerinnen zu folgen, und entwickeln Sie mit dem, was Sie haben, Ihren eigenen Stil.
Wenn Sie etwas tatsächlich brauchen, denken Sie zuerst an Secondhandkleidung.
- Kaufen Sie Kleidung aus Secondhandläden, Vintage- und in Kommission genommene Kleidung (persönlich oder online).
- Tauschen Sie mit Angehörigen und Freunden oder borgen Sie von ihnen.
- Für einmalige Anlässe ist Mieten eine sehr gute Option (sogar Brautkleider).
- Werden Sie kreativ. Oft kann man Kleidung anpassen, umgestalten oder aufbereiten, um etwas Neues zu kreieren. Sie können lernen, das selbst zu tun, oder eine Änderungsschneiderei vor Ort beauftragen.
Ob neu für Sie oder neu: Was Sie beachten sollten, bevor Sie kaufen.
- Kaufen Sie nur etwas, was Sie öfter tragen wollen.
- Prüfen Sie die Qualität des Materials und die Verarbeitung. Ein Kleidungsstück, das aus minderwertigem Stoff besteht oder schlecht verarbeitet ist, wird nicht halten.
- Kaufen Sie Kleidung mit Nachhaltigkeitszertifikat, wenn verfügbar.
- Schauen Sie sich die Pflegehinweise an, um sicher zu sein, dass Sie das Kleidungsstück in optimalem Zustand halten können.
Kleidung ist eine Investition – pflegen Sie sie.
- Halten Sie Maß beim Sauberhalten. Zu häufiges Waschen oder Reinigen kann Kleidung schädigen. Benutzen Sie Ihre Augen und Ihre Nase, um festzustellen, wann Waschtag ist.
- Reparieren Sie schadhafte Stellen. Viele Reparaturen gehen schnell und leicht, aber bei größeren kann eine gute Änderungsschneiderei helfen.
Wenn es endlich Zeit ist, sich zu trennen:
- Organisieren Sie Tauschaktionen mit Freunden und Verwandten.
- Verkaufen Sie Kleidung, die Sie nicht mehr haben wollen, über Secondhandläden oder das Internet.
- Prüfen Sie, ob örtliche Kleiderkammern für Bedürftige gut erhaltene Kleidung annehmen.
- Wenn die Kleidung in einem schlechten Zustand ist, machen Sie Putzlappen daraus.