Der Schmerz des Loslassens – Trauerbewältigung

Wir sind nie wirklich darauf gefasst: Das Telefon klingelt, und wir erfahren, dass jemand gestorben ist. Ob dieser Mensch uns nahe stand oder jemandem, den wir gut kennen – wir sind wahrscheinlich nicht besonders gut darauf vorbereitet, mit der Lage umzugehen.

Leider lehrt uns das Alltagsleben nicht, was zu tun ist, wenn ein geliebter Mensch stirbt. Doch wie wir auf den Tod eines lieben Menschen reagieren oder jemanden trösten, der einen Freund oder Angehörigen verloren hat, kann viel dazu beitragen, Trost zu finden und mit der Situation fertig zu werden. In beiden Situationen gibt es Dinge, die helfen können.

LEBEN UND TOD

Der Tod gehört zum Leben; das muss man einsehen und akzeptieren. Damit zurechtzukommen ist allerdings schwerer, als sich die meisten Menschen vorstellen. Nicht wenige haben alles Erdenkliche getan, um dem Tod ein Schnippchen zu schlagen oder ein Leben voller Leid zu verlängern, weil sie sich nicht auf die Realität vorbereitet haben, dass dieses Leben ein Ende finden wird.

Doch selbst wer sich damit abgefunden hat, dass der Tod unvermeidlich ist, macht sich wahrscheinlich nicht klar, wie lange es dauert, sich von einem Verlust zu erholen. In der Einführung zu ihrem Buch I’m Grieving As Fast As I Can (Ich trauere so schnell ich kann) zitiert Linda Feinberg einen trauernden Mann, der sagte: „Ich wusste, als meine Frau starb, dass es dauern würde, bis ich über den Berg wäre. Ich wusste nur nicht, dass da so viele Steilwände sein würden.“

Feinberg schreibt: „Es gibt viele Ungereimtheiten, wenn jemand stirbt.“ Die erste ist: „Der Mensch, den man am meisten brauchen würde, um diese Erfahrung durchzustehen, ist derjenige, der gerade gestorben ist.“ Noch schlimmer kann es dadurch werden, dass ein Hinterbliebener oft Dinge, die ihm wichtig waren, während der geliebte Mensch noch lebte, nun als sinnlos empfindet. Die Tätigkeiten, die Bedeutung hatten, waren auf die Person bezogen, die nun fort ist. Deshalb gelingt es manchen Hinterbliebenen nicht, einen Sinn in ihrem weiteren Leben zu sehen.

Besonders bei Kindern kann dies der Fall sein. Kinder können ihre Gefühle nicht so gut in Worte fassen wie Erwachsene, und das Schweigen erzeugt das Missverständnis, dass alles in Ordnung sei – dass das Kind mit seinem Kummer zurechtkommt. Viele Kinder trauern schweigend und warten darauf, verstanden zu werden. Und dabei liegen die Traditionen und die Sicherheit, die der Rahmen ihres Lebens waren, mit der Person, die sie verloren haben, begraben.

Nur zu oft sind überlebende Eltern von ihrer eigenen Trauer überwältigt, glauben aber, das Richtige zu tun und verbergen ihre wahren Gefühle; sie sagen ihren Kindern wenig oder gar nichts darüber, was geschehen ist, halten sie aus allen ernsten Familiengesprächen heraus, schicken sie während der Beerdigung fort und ignorieren, dass ihre Kinder die Verluste betrauern müssen, die ihr Leben so drastisch verändert haben“, schreibt die Trauertherapeutin Helen Fitzgerald in The Grieving Child (Das trauernde Kind), 1992.

Eines der Dinge, die Kinder wie Erwachsene am meisten brauchen, ist, über den Verstorbenen zu sprechen. Sie haben das Bedürfnis, die Beziehung aufzuarbeiten, die sie zu diesem Menschen hatten. Der Verlust kann eine sehr große Lücke in ihrem Leben hinterlassen; doch oft ist es anderen unangenehm, mit ihnen darüber zu sprechen, und das verschärft ihr Gefühl der Isolation und Einsamkeit.

DIE PHASEN DER TRAUER

Jeder, der einen geliebten Menschen verloren hat, macht verschiedene Phasen der Trauer durch. Zwar lehrt die Literatur zum Thema Trauer, jeder Hinterbliebene erlebe einen nahezu identischen Prozess und sei deshalb unweigerlich in einem bestimmten Maß funktionsunfähig, doch das ist nicht richtig. Manche Menschen machen nicht jede Phase der Trauer durch, die in den verschiedenen Büchern aufgelistet werden.

Dennoch kann ein Trauernder in unterschiedlicher Intensität Symptome wie fehlenden Antrieb, wieder zur Arbeit zu gehen, Schlafstörungen, lang anhaltende Traurigkeit, Konzentrationsschwäche und Orientierungslosigkeit erleben. Wie lange dauert das? Als allgemeine Orientierungshilfe schreibt Linda Feinberg, dass das Leben eines Hinterbliebenen bis zu drei Jahren verändert und mindestens ein Jahr lang gestört sein kann: „Sie werden gute und schlechte Tage, gute und schlechte Stunden haben.“ Wenn sich einige dieser Symptome bei einem trauernden Menschen zeigen, sollte man sie deshalb als normale Stufen des Heilungsprozesses sehen.

Ein anderer Aspekt des Trauerns ist das Leugnen. Es kann in verschiedenen Formen auftreten. Frau Feinberg zitiert eine Frau, die sagte: „Als ich [aus den Ferien] zurückkam, hoffte ich, mein Mann würde da auf mich warten, aber das tat er nicht.“ Die Realität des Todes ist nicht immer leicht oder sofort zu akzeptieren.

Dies gilt auch für Kinder, für die es schwer zu verstehen sein kann, dass ein Elternteil für immer fort ist. „Für immer“ ist ein schwerer Begriff für ein kleines Kind. Fragen wie „Wann kommt Papa heim?“ sind nicht selten, denn eine Stunde kann einem Kind vorkommen wie „für immer“. Diese Verständnisschwierigkeit kann durch Trickfilme hervorgerufen werden, in denen Figuren sterben und dann in einer anderen Szene wieder aufstehen und weitermachen. Der Trickfilm vermittelt, der Tod sei nicht real, nicht endgültig.

Trauernde jeden Alters können sich vorübergehend damit behelfen, dass sie das Ereignis leugnen, das zum Tod ihres geliebten Menschen führte. Mit der Zeit aber wird die Realität schmerzhaft klar, und sie wird akzeptiert.

KONTROLLVERLUST

Wenn ein Hinterbliebener während eines großen Teils der Trauerzeit allein ist, kann die Depression ein unliebsamer Begleiter werden. Frau Feinberg bringt es auf den Punkt: „Sie fühlen sich hoffnungslos, hilflos und außer Kontrolle. Sie sind zutiefst niedergeschlagen. Manchmal sind Sie so kurzatmig, als hätte Sie jemand in den Bauch geboxt.“ Bei einer solchen Stimmungslage kann ein Hinterbliebener auf den Gedanken kommen: „Was soll das Ganze noch?“

Wie Frau Feinberg ausführt, entwickeln Trauernde nicht selten selbstzerstörerische Verhaltensweisen. Viele Witwer und Witwen werden zum Beispiel unvorsichtige Autofahrer, obwohl sie vorher besonnen fuhren. Oder jemand, der vor dem Todesfall gelegentlich gern ein Glas Wein zum Abendessen trank, beginnt zu trinken, um Trost zu finden oder nachts einschlafen zu können. Dies kann leider zu langfristiger Abhängigkeit von künstlichen Hilfsmitteln führen.

Der Schmerz der Trauer kann so intensiv sein“, schreibt Frau Fitzgerald, „dass man vielleicht beginnt, auch sich selbst den Tod zu wünschen – zum Beispiel sich zu wünschen, man könnte einfach zu Bett gehen und nicht wieder aufwachen oder das Flugzeug, in dem man sitzt, würde abstürzen.“

Sie fügt hinzu, dass solche Gefühle bei Erwachsenen normal seien, doch auch Kinder seien davor nicht gefeit. Sie hören vielleicht melancholische Musik, schlafen schlecht, verdrängen ihren Zorn, bekommen schulische Probleme und sprechen weniger. Doch diese Phase geht vorüber. In dieser Zeit muss man dem Kind die Realität des Todes erklären und ihm Sicherheit geben, dass es geliebt und gebraucht wird.

Jeder, der während des Trauerprozesses depressiv verstimmt ist, wird feststellen, dass die Grenze zwischen Depression und Zorn leicht verwischt sein kann. Nicht selten schwankt man zwischen beiden. Bei trauernden Kindern liegt die Schwierigkeit oft darin, dass sie nicht wissen, wie sie Eltern oder Freunden ihren Zorn mitteilen sollen. Vielleicht verstehen sie nicht, warum sie Zorn empfinden, und attackieren deshalb gerade die, die sie am meisten lieben und achten.

Das Wissen um diese möglichen Verhaltensformen ist enorm wichtig dafür, Kindern durch diese Zeit der Aufgewühltheit zu helfen. Was sie wirklich wollen, ist, dass alles wieder so ist wie früher. „Es kann sein“, erklärt Frau Fitzgerald, „dass es dem verstorbenen Elternteil böse ist, und da es ihm diese Gefühle nicht mitteilen kann, richtet es sie stattdessen gegen die Lebenden.“ Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, Kindern zuzuhören, wenn sie versuchen, ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen.

Noch schwieriger wird es für den Betroffenen, wenn er findet, man dürfe seine Gefühle nicht zeigen. Verdrängte Emotionen können zu langanhaltender Depression führen. Anders ausgedrückt: Trauernde – ob Kinder oder Erwachsene – müssen über die Emotionen, die sie empfinden, sprechen.

Das aber ist möglicherweise nicht einfach, wenn Freunde sich durch Fragen, die im Zustand aufgewühlter Emotionen gestellt werden, überfordert fühlen und dem Hinterbliebenen deshalb aus dem Weg gehen. Leider dient dies nur dazu, das Problem noch zu verstärken. Wie Feinberg berichtet, sind die Reaktionen oft etwa so: „Ich war darauf gefasst, Trauer zu empfinden, aber auf die Reaktionen meiner Freunde war ich nicht gefasst. Sie haben mich regelrecht gemieden. Sie können mit meinem Kummer nicht umgehen, deshalb rufen sie nicht an. Sie sagen alle, sie hätten nicht angerufen, weil sie nicht gewusst hätten, was sie sagen sollten. Warum müssen sie denn etwas sagen? Sie sollten sich die Mühe machen. Ich habe genug zu ertragen.“

Die beste Hilfe, die man in solchen Zeiten geben kann, ist zuhören – und dann noch mehr zuhören.

Freilich müssen Freunde darauf achten, was sie sagen. Als leere Phrasen empfundene Sätze, die es dem Trauernden leichter machen sollen, sind nicht immer hilfreich. „,Du machst dich prima!‘ ,Du siehst gut aus!‘ Solche Aussagen machen Hinterbliebene wütend“, schreibt Feinberg. Die beste Hilfe, die man in solchen Zeiten geben kann, ist zuhören – und dann noch mehr zuhören.

ZEIT LASSEN

Während der Trauernde den Heilungsprozess durchlebt, geht die Achterbahn der Gefühle weiter. Es ist wichtig, dies zu wissen und seine zeitlichen Vorstellungen für die „Normalisierung“ daran anzupassen. Von einer Frau, die gerade entbunden hat, wird nicht erwartet, dass sie sofort ihre gewohnte Routine wieder aufnimmt – und so wird auch von jemandem, der einen geliebten Menschen verloren hat, nicht erwartet, dass er sofort zu seiner Routine zurückkehrt. Es kann sehr heilsam sein, sich eine Pause zu gönnen.

Ein Mensch in Trauer mag sich fragen, wie er mit verschiedenen Aspekten seines neuen Lebens als Alleinstehender oder Alleinerziehender umgehen soll. Hier kommt es darauf an, nichts zu überstürzen. Wenn der Ehepartner gestorben ist, ist es das Ratsamste, sechs Monate zu warten, ehe man irgendeine wichtige Entscheidung trifft. So lassen sich Entscheidungen vermeiden, die man später bereut. Ob es darum geht, die Kleider des Verstorbenen wegzugeben, die Einrichtung zu verändern, ein anderes Haus zu kaufen oder den Ehering abzulegen – die Zeit kann dazu beitragen, Abstand von starken und unberechenbaren Gefühlen zu bekommen. In einigen Monaten werden die Dinge viel klarer sein.

Die Zeit heilt tatsächlich Wunden. In der Zwischenzeit sind Stimmungsschwankungen völlig normal. Ein Mensch in Trauer kann sehr wechselhafte Gefühle haben und Dinge tun, die sowohl ihn selbst als auch seine Umgebung überraschen; doch allmählich wird er diese sehr schwierige Zeit hinter sich bringen und seine Situation akzeptieren lernen. Am Ende des Tunnels ist Licht. Doch es ist entscheidend, einzusehen, dass der Trauernde hierzu viel sprechen muss und dass seine Freunde und Bekannten viel zuhören müssen.

WORTE DER WEISHEIT

Die Auseinandersetzung mit dem Tod bringt viele Menschen dazu, ihr religiöses Fundament wieder einmal genauer zu betrachten. Immerhin sind Leben und Tod zentrale Themen jeder religiösen Überzeugung. Wer sich an die Bibel wendet, wird feststellen, dass sie den Menschen in Bezug auf Leben und Tod Mut macht und Trauernde und ihre Freunde dazu aufruft, einander dabei zu helfen, den Tod eines geliebten Menschen zu bewältigen – mit Zuhören, Beistehen und Verstehen.

Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; … weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit“.

Prediger 3, 1–4

Die Heilige Schrift beschreibt den Tod und die Trauer als einen natürlichen Teil der körperlichen, sterblichen Existenz. Salomo skizziert das Leben folgendermaßen: „Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; … weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit“ (Prediger 3, 1-4).

Das Wort Gottes lehrt auch, denen beizustehen, die in Not sind, und sich in schweren Zeiten als Freund zu erweisen: „Ein Freund liebt allezeit, und ein Bruder wird für die Not geboren“ (Sprüche 17, 17). Jakobus schreibt in seinem Brief, ein Aspekt eines reinen Gottesdienstes „… ist der: die Waisen und Witwen in ihrer Trübsal besuchen“ (Jakobus 1, 27).

Jakobus spricht auch die Bedeutung des Zuhörens an: „Ihr sollt wissen, meine lieben Brüder: ein jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn“ (Jakobus 1, 19). Der Zuhörer spendet einen unausgesprochenen Trost – durch seine Aufmerksamkeit und Anteilnahme.

In der persönlichen Verarbeitung von schweren Krisen ist zweifellos Hoffnung ein wichtiger Teil jeglichen Trostes – bei schwerer Krankheit z. B. besteht immer noch die Hoffnung auf Gesundung, die dem Kranken und den Angehörigen Kraft gibt. Der Tod scheint jedoch auch alle Hoffnung zu begraben. Was bleibt den Trauernden? Viele klammern sich an die Verpflichtung, für die Überlebenden weiterleben zu müssen – für Kinder, Eltern, Freunde, Aufgaben. „Das Leben muss weitergehen“ ist ein schwacher und meistens unzulänglicher Trost, aber manchmal der einzige, den Menschen finden können.

Obwohl heute sogar in christlichen Kreisen eine buchstäbliche Auferstehung bezweifelt wird, ist der Glaube daran der hilfreichste (innere) Trost beim Tod eines geliebten Menschen. Der Apostel Paulus bekräftigt dies im 1. Korintherbrief, Kapitel 15, Vers 16-19: „Denn wenn die Toten nicht auferstehen, so ist Christus auch nicht auferstanden … so sind auch die, die in Christus entschlafen sind, verloren. Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendsten unter allen Menschen“.

Die von Gott versprochene Auferstehung ist auch ein Ausdruck der Gerechtigkeit Gottes – der junge Mensch, der gestorben ist, erhält sein Leben zurück, der durch Jahre der schweren Krankheit und einen frühen Tod „Benachteiligte“ wird wieder leben. Durch die Auferstehung verliert der Tod „den Stachel“ (1. Korinther 15, 55).

Allerdings kann man Glauben nicht auf andere übertragen, nicht einreden oder befehlen. Er ist ein Geschenk Gottes, das wir von ihm erbitten können (Epheser 2, 8; Markus 9, 24).

Der Schmerz, einen geliebten Menschen zu verlieren, ist immer schwer, auch wenn jemand an die Auferstehung glauben kann. Doch das Wissen, dass es noch eine Zukunft für den Verstorbenen gibt, trägt dazu bei, dass die emotionelle Heilung beginnen kann. Der Heilungsprozess verläuft bei jedem Menschen anders, doch Geduld und Verständnis – sowohl bei dem Hinterbliebenen als auch bei denen, die ihn trösten wollen – können unendlich hilfreich sein, um diesen Prozess voranzubringen.