Ein schwieriges Kind erziehen
„Viele Eltern heranwachsender Kinder meinen, sie hätten nicht viel Einfluss auf ihre Kinder, aber die Fakten sprechen eine andere Sprache.“
Selbst Kinder zu haben, ist keine Voraussetzung für entschiedene Ansichten über Kindererziehung. So ist es kein Wunder, dass Eltern in Bezug auf ihren Erziehungsstil manchmal übermäßig defensiv sein können.
Dies trifft sogar dann zu, wenn offenbar alles gut läuft. Doch was ist, wenn das Verhalten eines Kindes besonders schwierig scheint? Da wir unsere Verantwortung ernst nehmen, fragen wir uns vielleicht, wer oder was daran schuld ist, statt was wir tun können, um die Situation zu verbessern. Vielleicht fragen wir uns sogar, ob sie überhaupt verbessert werden kann. Wird aus einem unfolgsamen Kleinkind unausweichlich ein schwieriger Jugendlicher? Oder schlimmer: Wenn wir einen aufsässigen Teenager haben – einen, der sich weigert, Aufforderungen nachzukommen oder sich an Regeln zu halten –, haben wir dann eine reale Chance, zu erreichen, was wir für ihn wollen?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zuerst wissen, was genau unsere Ziele sind. Wir haben vielleicht eine allgemeine Vorstellung: Glück, Erfolg, körperliche und seelische Gesundheit. Und wir alle wünschen uns, dass wir mit unseren Kindern gut kommunizieren können und eine positive Beziehung haben, die mehr bewirkt als nur die unmittelbare Belohnung eines friedlichen Haushalts. Denn wenn Teenager gut mit ihren Eltern kommunizieren, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie in wichtigen Dingen die Werte der Familie übernehmen. Doch welche konkreten Fähigkeiten und Kompetenzen gehören zu diesen wunderbaren Zielen?
In Studien, an denen zahllose Familien und Jugendliche teilnahmen, wurden fünf Kernkompetenzen identifiziert, die das spätere Leben günstig beeinflussen: ein positives Selbstgefühl, die Fähigkeit zur Selbstkontrolle, effektive Entscheidungsfindung, ein System moralischer Überzeugungen und prosoziale Verbundenheit. Man könnte vielleicht noch weitere Eigenschaften hinzufügen, aber die bestehenden Forschungsergebnisse zeigen übereinstimmend, dass Jugendliche, die diese fünf Stärken in hohem Maß aufweisen, bessere Aussichten haben, glückliche und produktive Erwachsene zu werden.
Einige wenige Eltern haben offenbar das Glück, dass es für sie recht unproblematisch ist, die Grundlagen für diese Fähigkeiten zu schaffen. Wenn Sie jedoch zu den vielen gehören, die es mit schwierigen Kindern zu tun haben, kann Ihre Familie in Verhaltensmuster verstrickt sein, die Kommunikation erschweren. Eltern wünschen sich vielleicht, sie könnten mit dem ewigen Kritisieren aufhören, tun sich aber schwer, irgendwelche positiven Aspekte im Verhalten ihres Kindes zu finden, auf die sie sich stattdessen konzentrieren könnten. Wenn Kinder mürrischer oder aufsässiger werden und niemand sich an die letzte herzliche Umarmung oder liebevolle Kabbelei erinnern kann, kommen manche Eltern fast so weit, dass sie aufgeben und bei Google die „strengsten Eltern der Welt“ suchen.
Wenn Ihnen dabei etwas vertraut vorkommt: Fassen Sie Mut. Es gibt Wege, an Ihr schwieriges Kind heranzukommen, gleichgültig, wie alt es ist. Wenn Sie bereit sind, einige Strategien in Betracht zu ziehen, die auf den ersten Blick vielleicht nicht ganz natürlich wirken, werden Sie überrascht feststellen, wie viel wirksamer Sie kommunizieren können, selbst mit Teenagern, die sich sehr aufsässig verhalten. Zum Glück ist Aufsässigkeit kein dauerhafter Charakterzug, sondern eine Verhaltensweise – und Verhaltensweisen kann man durch positive Interaktionen verändern.
AUF VERBINDUNG AUSGELEGT
Als Erstes müssen Sie verstehen, dass Ihr Teenager Ihre Anerkennung braucht und ersehnt – ob es danach aussieht oder nicht. Das menschliche Gehirn ist auf Verbindung ausgelegt, insbesondere mit Bezugspersonen und Eltern, und das sogar bei Jugendlichen. Doch zusätzlich zu Ihrer Anerkennung, Liebe und Zuneigung braucht Ihr Kind Sie auch als Lehrer, Rollenvorbild und stützenden Halt, wenn es lernt, mit den Konflikten und Hürden zurechtzukommen, denen es in seinem Umfeld begegnen wird.
Wie Sie selbst blüht es auf, wenn es einen positiven Beitrag leisten kann und dafür anerkannt wird, und welkt bei ständiger Negativität und Kritik. Vielleicht sollte schon der gesunde Menschenverstand uns das sagen; aber es gibt auch umfangreiche Forschungsergebnisse, die bestätigen, dass positive Bestärkung menschliches Verhalten sehr viel wirksamer verändert als negatives Feedback. Natürlich hat auch negatives Feedback eine Wirkung. Leider wird das menschliche Gehirn generell eher aufmerksam, wenn etwas schiefgeht, als wenn alles gut geht. Dies gilt für elterliche Gehirne ebenso wie für kindliche oder jugendliche. So wird unser schwieriges Kind – das wir lieben und das sich nach unserer Liebe und Anerkennung sehnt – fast mit Sicherheit mehr negatives als positives Feedback von uns bekommen und unser negatives Feedback obendrein überproportional stark wahrnehmen. Die Aufmerksamkeit, die unser Kind braucht, kommt daher meist genau dann, wenn sie am wenigsten effektiv ist, und noch dazu in der Form, die am wenigsten effektiv ist. So entsteht ein Teufelskreis – ein Zyklus negativer Wechselwirkungen, denn unser Kind reagiert nicht, und deshalb verstärken wir das negative Feedback. Dann sind wir unweigerlich (wenn auch etwas irrational) überrascht, wenn auch das negative Verhalten eskaliert.
Noch komplizierter wird es dadurch, dass Teenager negative Erwartungen ihres Umfeldes durchaus zu spüren bekommen. „In unserer heutigen Gesellschaft wird mit Adoleszenz ein überwältigend negatives Klischee verbunden“, schreibt John Coleman von der Oxford University. „Das negative Klischee hat etliche ungünstige Folgen. Für die große Mehrheit gesetzestreuer und fleißiger junger Menschen bedeutet es allzu oft, dass sie von Erwachsenen behandelt werden, als wären sie Unruhestifter. […] Für Eltern bedeutet es, dass im Zusammenhang mit den Teenagerjahren Erwartungen geweckt werden, in deren Mittelpunkt vor allem die Probleme stehen.“
Wie brechen wir aus diesem Teufelskreis aus, wenn wir darin verfangen sind?
Ein wichtiger Orientierungswert ist das Ziel, Kinder dabei zu unterstützen, die genannten Kernkompetenzen zu verinnerlichen. Erinnern Sie sich daran, wie Sie Ihren Kindern geholfen haben, laufen zu lernen. Sie haben ein Gleichgewicht zwischen Kontrolle und Laufenlassen, Ermutigen und Warnen gesucht. Zuerst haben Sie sie fast durchgehend festgehalten, während sie übten, erste Schritte zu gehen, und sie überschwänglich gelobt, wenn es gut ging. Wenn es nicht gut ging, haben Sie sie nicht angeschrien, sondern sie ermutigt, aufzustehen und es noch einmal zu versuchen. Allmählich ließen Sie ihnen immer mehr Selbstbestimmung, bis sie auf ihren eigenen Füßen standen und vorwärtsgingen, ohne nach Ihrer Hand zu greifen. Dies fällt Eltern recht leicht, wenn es um körperliche Fähigkeiten von Kleinkindern geht, aber wenn die Kinder älter werden, ist es viel schwieriger, zu beurteilen, was das richtige Maß an Halt ist. Manchmal schätzen wir ihre Fähigkeiten falsch ein, und das kann zweierlei Folgen haben: Wir trauen ihnen entweder zu viel zu – das führt zu Überreaktionen auf die „Stürze“, die Kindern helfen, ihre Fähigkeiten zu perfektionieren – oder zu wenig – das führt zu mehr Kontrolle, als wir ausüben müssten, und entmutigt sie.
Eltern tun sich nicht immer leicht mit dem Übergang zwischen der Ausübung der gesamten Macht und der Abgabe einiger Machtbefugnisse an ihre Teenager. Doch, so Coleman: „Eltern müssen Flexibilität und eine Bereitschaft zu neuen Formen der Interaktion mit ihren heranwachsenden Söhnen und Töchtern entwickeln, wenn schwere Konflikte vermieden werden sollen.“
Wenn schwere Konflikte in Ihrem Haushalt die Regel geworden sind, ist eine Wende zum Positiven trotzdem nicht unmöglich. Doch zunächst müssen Sie tun, was immer möglich ist, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass Ihr Kind tut, was es soll, damit es zu positivem Verhalten kommt, das Sie bestärken können. Wenn diese Vorarbeit für positive Interaktionen geleistet ist, wird der Zyklus der positiven Wechselwirkungen fast so mühelos wie der vorherige Teufelskreis. Sowohl die Eltern als auch das Kind werden von vornherein ein positives Ergebnis erwarten – und Erwartungen haben einen starken Einfluss darauf, wie Menschen aufeinander reagieren.
„Die Wirksamkeit von Strafen hängt davon ab, ob und wie oft das positive Gegenteil bestärkt wird. […] Ein wirksames Bestärkungsprogramm kann durch sehr vereinzelte Bestrafungen unterstützt werden, wenn das Kind nicht das Verhalten zeigt, das Sie entwickeln wollen.“
Alan E. Kazdin, Spezialist für klinische Kinderpsychologie und Direktor des Yale Parenting Center, hilft Eltern von Kindern mit schweren Verhaltensstörungen. Seine praxisbasierten Techniken kommen ohne Medikamente und ohne Demütigungen aus (wie z. B. Teenager mit einem Schild, auf dem ihre Verfehlungen stehen, an eine Straßenecke zu stellen). Kazdins Instrumentarium beinhaltet das „Eltern-ABC“, wie er es nennt. Als Eltern, sagt er, können wir lernen, effektiv mit A = antecedents (Vorlauf), B = behaviors (Verhalten) und C = consequences (Konsequenzen) zu arbeiten, um das Verhalten von Kindern zu verändern.
A – VORLAUF
Um ein negatives Muster durch ein positives abzulösen, müssen wir die Umstände bedenken, die im typischen Fall zu Problemverhalten führen: seinen Vorlauf. Vielleicht hat ein Vater seine Tochter aufgefordert, ihr Zimmer sauberzumachen; sie zuckt mit den Schultern und macht weiter mit dem, was sie gerade tut. Der Vorlauf hier war eine Aufforderung: Sie wurde gebeten, etwas zu tun. Das ist vielleicht eine der gängigsten Methoden, die Eltern anwenden, um bestimmte Verhaltensweisen von Kindern zu erreichen, denn sie ist sehr direkt. Doch die Bereitschaft eines Kindes, Aufforderungen nachzukommen, kann verstärkt werden, wenn Eltern den Vorlauf anders gestalten.
In seinem Buch Everyday Parenting Toolkit führt Kazdin einige Beispiele für Vorläufe an, die sich als besonders effektiv erwiesen haben. Wenn wir die Wahrscheinlichkeit des gewünschten Verhaltens erhöht haben, können wir mit positiven Konsequenzen reagieren, die dieses Verhalten verstärken. Wird dieser Zyklus oft genug wiederholt, wird das Verhalten verinnerlicht. Dann können wir den Mechanismus mit Vorlauf und Konsequenzen weglassen, ohne dass das Verhalten verloren geht.
Für den Vorlauf empfehlen Kazdin und sein Team, vorbereitende Ereignisse, Wahlmöglichkeiten und entgegenkommende Aufforderungen einzusetzen. Ein vorbereitendes Ereignis ist alles, was auf ein Verhalten hinführt; Wahlmöglichkeit wird zwischen zwei für den Erziehenden akzeptablen Optionen geboten. Zugegeben – als Eltern finden wir vielleicht, wir sollten für Gehorsam keine Vorarbeiten leisten müssen. Wir haben das Sagen, oder nicht? Andererseits kann es hilfreich sein, darüber nachzudenken, wie wir selbst behandelt werden möchten. Hören wir lieber auf jemanden, der uns zeigt, dass er unsere Gefühle achtet, oder auf jemanden, der sich rücksichtslos darüber hinwegsetzt? Gewiss, es gibt Erziehungsgurus, die eine militärische Disziplin propagieren, bei der Kinder „sich still verkriechen und gehorchen“, doch es gibt auch viele nachdrückliche, indes sanfte Taktiken, die Gehorsam fördern.
„Zu viel strafen ist ineffektiv und bewirkt einfach, dass der Teufelskreis weitergeht. Man sollte viel weniger, aber viel effektiver strafen.“
Wie schafft man also einen Vorlauf, der ein gewünschtes Verhalten wahrscheinlicher macht? Sagen wir, Ihr Kleinkind will nicht ins Bett gehen. Macht es generell direkt vor dem Schlafengehen etwas Anregendes? Mit Papa toben, mit einem Lieblingsspielzeug spielen, die Katze jagen? Ein vorbereitendes Ereignis schafft entweder günstige oder ungünstige Voraussetzungen für ein erwünschtes Verhalten. Anregende Aktivitäten sind in diesem Fall eine ungünstige Voraussetzung; sie sind keine sehr effektive Vorbereitung auf das Schlafengehen. Ein Bad und eine ruhige Geschichte hingegen wären günstige Voraussetzungen für die Bereitschaft, ins Bett zu gehen. Auch Wahlmöglichkeiten können ein hilfreicher Vorlauf für das Schlafengehen sein. Natürlich nicht die Wahl, ob es ins Bett geht oder nicht, sondern die Wahl zwischen verschiedenen Gutenachtgeschichten, Badespielsachen oder Schlafanzügen.
Auch mit entgegenkommenden Aufforderungen lässt sich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Ihr Kleinkind Ihrer Aufforderung zum Schlafengehen folgt. „Manche Dinge tun Menschen bereitwilliger als andere, wenn sie dazu aufgefordert werden“, erläutert Kazdin. „,Komm und umarme mich‘, zum Beispiel, oder ,Komm, hilf mir, den restlichen Apfelkuchen aufzuessen‘.“ Wenn Sie versuchen, Ihr Kleinkind zu Bett zu bringen, ist Apfelkuchenessen vielleicht keine gute Vorbereitung, eine Umarmung hingegen schon. Wie wäre es mit „Umarmst du mich mal? Dankeschön! Such dir bitte ein Buch zum Vorlesen aus und bring es mir, ja?“ Es geht darum, einige einfache Aufforderungen anzubieten, bevor die schwierige kommt, damit die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sie befolgt wird. Dieses Prinzip ist so bewährt, dass es in einer Vielfalt von Anwendungen genutzt wird– von der Paartherapie über Verkaufsgespräche bis zu Verhandlungen mit Geiselnehmern. Jedes Mal, wenn Ihr Kind eine entgegenkommende Aufforderung befolgt, reagieren Sie mit positiver Bestärkung – einem begeisterten Dankeschön, einem Lächeln und einer Umarmung – dies fördert die Bereitschaft, auch die Aufforderung zu befolgen, um die es Ihnen geht.
Es sollte selbstverständlich sein, dass der Ton, in dem man Aufforderungen ausspricht oder Feedback gibt, und auch die soziale Situation sehr wichtig sind. Vor anderen Erwachsenen, Schulfreunden oder Geschwistern sollte man Aufforderungen oder Zurechtweisungen aus der Nähe und leise aussprechen, nicht so, dass es im ganzen Raum hörbar ist. Öffentlich gezeigter Unmut verlängert den negativen Zyklus, weil er demütigend ist; vor allem aber hat die Forschung nachgewiesen, dass eine Aufforderung umso eher befolgt wird, je näher man bei der betreffenden Person ist, wenn man sie ausspricht. Auch eine sanfte Berührung am Arm oder ein anderes kleines Zeichen der Zuneigung kann hilfreich sein.
Ein verbreiteter Fehler besteht darin, von vornherein zu implizieren, dass man Ungehorsam erwartet (mit Ausdrücken wie „Wehe, wenn nicht …“). „Der effektivste Vorlauf ist eine Aufforderung in ruhigem Ton, ohne Schroffheit, mit ,Bitte‘ und der Aussicht auf Flexibilität und der Implikation von Wahlmöglichkeiten“, schreibt Kazdin. „Wenn Sie das als die Art lascher Erziehung empfinden, die zum moralischen Niedergang unserer einst moralischen Nation geführt hat, sehen Sie es einmal so: Eine Mutter, die Schroffheit und Zwang verbreitet, signalisiert, dass sie nicht daran glaubt, dass ihre Befehle befolgt werden; eine Mutter, die an ein positives Ergebnis glaubt, kann es sich leisten, bei einer Aufforderung entspannt zu sein.“
B – VERHALTEN
Verhalten – das B (behaviors) von Kazdins „Eltern-ABC“ – ist vielleicht das, worauf wir am meisten achten. Das ist es, was wir ändern wollen, oder nicht? Aber halt. Was wir eigentlich wollen, sind jene Kernkompetenzen, die Bausteine für einen guten Charakter und dauerhaftes Glück. Müssen wir dafür an jedem einzelnen Verhalten jedes Mal arbeiten? Nicht ganz. Haben wir unseren Kindern beigebracht, auf dem Gehweg anders zu laufen als auf dem Rasen, oder haben sie gezeigt, dass sie ihre Fähigkeit zu laufen selbstständig an verschiedene Untergründe und Bedingungen anpassen konnten? Wir müssen ihnen nicht jeden einzelnen Ausdruck der Freundlichkeit oder jede Form der Selbstkontrolle einzeln vermitteln. Um ihnen eine generelle Vorstellung von „Freundlichkeit“ zu geben, beginnen wir mit der Prägung spezifischer Verhaltensweisen, zunächst mit der häufigsten oder den beiden häufigsten. Identifizieren Sie das positive Gegenteil eines Verhaltens – das, was Sie stattdessen sehen möchten. Das positive Gegenteil eines Tobsuchtsanfalls (einer der Verhaltensweisen, die laut Kazdin am einfachsten zu eliminieren sind) wäre z. B. die Fähigkeit, Frustration ruhig zum Ausdruck zu bringen, ohne zu schreien und mit Gegenständen zu werfen. Das Gegenteil von Aufsässigkeit wäre Achtung vor Familienregeln und Aufforderungen und sogar ein gelegentlicher Ausdruck von Liebe und Fürsorge. Manchmal ist das Verhalten, das wir uns wünschen, eigentlich eine Kombination aus Verhaltensweisen; in diesem Fall müssen wir es in seine Bestandteile aufschlüsseln.
Wenn wir ein positives Verhalten identifiziert haben, das wir aufbauen möchten, können wir es mithilfe von Simulationen, Ausformen und Starthilfe zur Gewohnheit machen, je nach dem aktuellen Erfolg des Kindes mit diesem Verhalten. Simulation wird, wie das Wort impliziert, dann angewendet, wenn das gewünschte Verhalten überhaupt nicht gezeigt wird. Dabei wird dieses Verhalten unter künstlichen Bedingungen praktiziert, bei kleinen Kindern z. B., indem man spielerisch „so tut, als ob“, schreibt Kazdin, oder bei größeren Kindern als Übung oder Rollenspiel. Der Zweck ist, das praktizierte Verhalten mit positiven Konsequenzen zu belohnen und es dadurch für sie attraktiv zu machen. Ausformen ist angebracht, wenn Teile des gewünschten Verhaltens gezeigt werden, aber nicht die vollständige Form. Man formt das Verhalten aus, indem man die Ansätze, die das Kind aktuell zeigt, belohnt und schrittweise mehr erwartet, sodass es jedes Mal etwas weitergeht, bis das Verhalten vollständig „ausgeformt“ ist. Starthilfe ist vielleicht nicht so oft erforderlich wie das Ausformen, allerdings besonders nützlich, wenn ein Kind ein Verhalten schon recht gut beherrscht, aber nicht durchgehend zeigt. Starthilfe bedeutet einfach, ein Verhalten anzuschieben – z. B. die ersten Schritte mit dem Kind zusammen zu tun, weil man weiß, dass das Kind das Verhalten eher zu Ende führt, wenn die ersten Schritte bereits gemacht sind.
Jede dieser Techniken zum Aufbau bestimmter Verhaltensweisen beruht auf einem bewährten Prinzip: Wenn ein Kind für ein Verhalten immer wieder mit positiven Konsequenzen belohnt wird – in Form positiver Interaktion mit Ihnen –, wird es dieses Verhalten mit der Zeit verinnerlichen. In der Forschung wird dies als „verstärktes Verhalten“ bezeichnet, aber der wichtige Aspekt ist, dass es sich um einen positiven Zyklus handelt. Statt einen Zyklus negativer Verhaltensweisen und negativer Konsequenzen zu verstärken, entwickeln und verstärken Sie einen Zyklus positiver Verhaltensweisen und positiver Konsequenzen. Wichtig ist, nicht mit Lob zu sparen, bis Ihr Kind alles erreicht hat, was Sie erwarten. Denken Sie noch einmal daran, wie Ihr Kind laufen gelernt hat. Lehren bedeutet, Schritt für Schritt zum Erfolg zu führen, und wer nicht begreift, dass der erste Schritt in Richtung Erfolg führt, wird den zweiten Schritt nicht tun (siehe „Dies ist mein lieber Sohn […]“).
C – KONSEQUENZEN
Damit kommen wir zum Buchstaben C von Kazdins „Eltern-ABC“. Mit dem Prinzip Konsequenzen sind die meisten von uns vertraut; als Eltern haben wir vielleicht viel über negative Konsequenzen oder Strafen nachgedacht. Doch wie steht es mit den vielen positiven Konsequenzen, die man einsetzen kann? Es gibt auch neutrale Konsequenzen, wenn es am besten ist, ein Verhalten zu ignorieren, doch hier konzentrieren wir uns auf positive Bestärkung, weil sie besonders wirksam ist, um negative Kommunikationsmuster zum Positiven zu wenden. Die weitaus wichtigste Form ist positive Zuwendung einschließlich Lob. Auch ein Punktesystem kann helfen, und Kazdin gibt detaillierte Anweisungen für den effektiven Einsatz eines solchen Systems. Doch die wirksamsten Mittel, die Eltern für positives Verstärken haben, kommen aus ihrer natürlichen Liebe und Zuneigung zu ihrem Kind. Wenn ein Punktesystem verwendet wird, so Kazdin, sollte es Lob und Zuwendung ergänzen, nicht ersetzen.
„Gute Kommunikation bezeichnet einen echten Austausch, bei dem Sie und Ihr Kind miteinander sprechen und, noch wichtiger, einander zuhören.“
Wenn Kazdin über Lob und Zuwendung schreibt, meint er, bestimmte Verhaltensweisen aufzuzeigen und mit Worten, liebevollen Blicken, Lächeln und Berührungen Anerkennung zu äußern. Lob kann allerdings kontraproduktiv sein, wenn es zu allgemein ist. Zeigen Sie sich begeistert, natürlich – besonders bei kleineren Kindern –, aber zeigen Sie, worüber. „Sicher ist es in Ordnung, (begeistert) zu sagen ,gut gemacht‘, wenn danach genau gesagt wird, was gemacht wurde und warum es gut war“, schreibt Kazdin. Spezifisches Lob ist wichtig, allerdings kommt es darauf an, dass die bestärkende Zuwendung dem Verhalten so zeitnah wie möglich folgt.
So bewährt diese Prinzipien auch sind – positive Veränderungen zu unterstützen, erfordert Zeit und Geduld. Manche Familien brauchen vielleicht sogar Hilfe von Außenstehenden, um in ihrem Bemühen, eingefahrenene Verhaltensmuster zu verändern, konsistent zu werden. Wenn die Atmosphäre zwischen Ihnen und Ihrem Teenager schon länger negativ belastet ist, kommen positive Erwartungen und liebevolle Unterstützung vielleicht beiden Seiten zunächst unnatürlich vor. Gleichwohl ist es wichtig, dabei zu bleiben, bis es sich natürlich anfühlt. Und das wird es, denn die Erkenntnis, dass jeder Schritt sich lohnt, wird dafür sorgen, dass Sie – und Ihr Kind – weitergehen.
Das heißt nicht, dass Sie eine Beziehung erwarten können, die danach für immer konfliktfrei bleibt. Das menschliche Gehirn ist Konflikten unterworfen, und solange unser innerstes Wesen nicht grundlegend verwandelt wird, werden wir in unseren Beziehungen immer wieder Schwierigkeiten zu überwinden haben. Doch man kann die emotionale Not lindern, die in Familien herrscht, wenn man in negative Kommunikationsmuster gerät. Wenn wir willens sind, unser Verhalten als Eltern positiv zu verändern, müssen wir die Hoffnung auf beglückende Beziehungen mit unseren Kindern nicht aufgeben – nicht nur während sie heranwachsen, sondern weit darüber hinaus.