Eine Frage der Freiheit

Wir, das Volk der Vereinigten Staaten, von der Absicht geleitet, unseren Bund zu vervollkommnen, die Gerechtigkeit zu verwirklichen, die Ruhe im Innern zu sichern, für die Landesverteidigung zu sorgen, das allgemeine Wohl zu fördern und das Glück der Freiheit uns selbst und unseren Nachkommen zu bewahren, setzen und begründen diese Verfassung für die Vereinigten Staaten von Amerika.“

Präambel der US-Verfassung (1787)

Durch die Ratifizierung der Verfassung der USA entstand „eine neue Nation, in Freiheit gezeugt“ – so Abraham Lincoln in seiner berühmten Rede von Gettysburg. Dabei ging es Lincoln allerdings nicht um die Verfassung, sondern um die Revolution, deren Ergebnis sie war.

Für Amerikaner ist jenes Ereignis vielleicht einfach ein stolzes Kapitel ihrer Geschichte, für andere Nationen nur einer von vielen Kriegen. Doch die Amerikanische Revolution übt noch immer einen Einfluss auf die politische Selbstbestimmung von Völkern aus, der den meisten Menschen wohl nie bewusst geworden ist. Heute wie damals geht es darum, was in der Präambel der Verfassung „das Glück (oder die Segnungen) der Freiheit“ heißt.

Auf das hin, was Thomas Jefferson als „eine lange Reihe von Missbräuchen und Übergriffen“ mit dem Ziel bezeichnete, die amerikanischen Kolonien Großbritanniens politisch und wirtschaftlich „absolutem Despotismus zu unterwerfen“, hatten die Bewohner der Kolonien, durch deren Vision die Vereinigten Staaten von Amerika entstanden, ihr Heil in der Freiheit gesucht. In der berühmten Unabhängigkeitserklärung gab Jefferson diese Geschichte von „unentwegtem Unrecht und ständigen Übergriffen“ durch die Regierung des Königs George III. von England wieder, „die alle auf die Errichtung einer absoluten Tyrannei abzielen“.

James Madison brachte die Herausforderung auf den Punkt, die vor den Kolonisten lag, als sie eine Alternative zu entwickeln suchten: „Entwirft man jedoch ein Regierungssystem, in dem Menschen über Menschen herrschen, dann besteht die große Schwierigkeit darin: es zuerst zur Herrschaft zu befähigen, und es dann darauf zu verpflichten, sich selbst unter Kontrolle zu halten.“ Ihre Lösung bestand darin, die Souveränität zwischen der Zentralregierung und den Regierungen der verschiedenen Bundesstaaten aufzuteilen und die Macht der Regierenden noch weiter einzuschränken, indem sie die Gewaltenteilung in Exekutive, Legislative und Judikative sowie gegenseitige Kontrollen der Gewalten einführten.

ALLE MACHT DEM VOLKE

Seit der Geburt der Vereinigten Staaten haben auch andere Völker in der Folge von Revolutionen Regierungen gebildet, die ihre Freiheit sicherstellten. Das Prinzip, auf dem solche Regierungen beruhen, ist in einem unterschätzten Ausdruck der US-Verfassung enthalten: „Wir, das Volk.“ [Deutschland: „Wir sind das Volk!“] Diese wenigen Wörter setzen eine Unterscheidung zwischen dem Volk und seiner Regierung; sie drücken aus, dass Regierungen ihre Macht aus der Zustimmung der Regierten herleiten, und dass sie dazu da sind, menschliche „Grundrechte“ zu gewährleisten.

Jefferson formulierte eloquent: „Wenn immer irgendeine Regierungsform sich als diesen Zielen abträglich erweist, ist es das Recht des Volkes, sie zu ändern oder abzuschaffen und eine neue Regierung einzusetzen und diese auf solchen Grundsätzen aufzubauen und ihre Gewalten in der Form zu organisieren, wie es ihm zur Gewährleistung seiner Sicherheit und seines Glückes geboten zu sein scheint.“ Auch die Präambel der Charta der Vereinten Nationen leitet deren Macht aus einer Erklärung ab, die mit „Wir, die Völker der Vereinten Nationen“ beginnt.

Diese Regierungsform beschwor Abraham Lincoln in Gettysburg: „Die Regierung des Volkes, durch das Volk, für das Volk wird nicht von der Erde verschwinden.“ Heute wirken diese Worte wie der Ausspruch eines Propheten. Seit über zwei Jahrhunderten haben seither Völker in aller Welt nach politischer Freiheit und ihren Segnungen gestrebt. In den letzten zehn Jahren des 20.

Jahrhunderts waren es die Völker Osteuropas. 2011 werden in Nordafrika und dem Mittleren Osten Regierungen abgeschafft und neue eingesetzt.

 „Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; dass dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören.“ 

Unabhängigkeitserklärung der USA (1776)

Ohne Frage ist die Befreiung von Tyrannei eine wesentliche Voraussetzung für das, was Jefferson „unveräußerliche Rechte“ nannte: „Leben, Freiheit und das Streben nach Glück“. Die Frage ist, ob politische Wahlfreiheit für den Einzelnen und die Regierung von Menschen für Menschen ausreichen, um diese Ziele zu erreichen. Kann eine so einfache Formel aus Tyrannei Freiheit entstehen lassen und deren Segnungen für uns und unsere Kinder sichern? Ohne diese Segnungen – u. a. ausreichenden materiellen Wohlstand, um die Bedrängnis zu eliminieren, die durch das Fehlen von Lebensnotwendigem entsteht – bedeutet politische Freiheit wenig. Wirtschaftliche Freiheit ist daher ebenso eine Folge wie ein Motiv politischer Befreiung.

AUFTRITT DER WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFT

Die Revolution der menschlichen Regierung, die 1776 begann, ist am besten im Zusammenhang mit einer anderen Revolution zu verstehen, die bereits eingesetzt hatte: der Industriellen Revolution. Einige Historiker beschreiben sie primär als einen Prozess sozioökonomischen Wandels, der über 200 Jahre dauerte; doch herrscht Einigkeit darüber, dass in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Verlagerung von Handwerk und Arbeit mit Tieren zu maschineller Produktion begann, die praktisch jeden Aspekt des täglichen Lebens in irgendeiner Weise revolutionierte.

Robert E. Lucas Jr., Träger des Wirtschafts-Nobelpreises von 1995, schreibt in seinen Lectures on Economic Growth über die letzten 200-plus-Jahre: „Erstmals in der Geschichte hat der Lebensstandard von Massen begonnen, anhaltend zu wachsen.“ Er fügt hinzu, „nichts, das diesem wirtschaftlichen Verhalten auch nur entfernt ähnelte“, habe es schon früher gegeben. Handel wurde im 18. Jahrhundert bereits seit geraumer Zeit getrieben, doch war er im Vergleich mit der Produktion für den Eigenbedarf unbedeutend. Durch die Industrialisierung wurde alles anders. Die neue Technologie bewirkte, dass erstmals in der Geschichte die überwältigende Mehrheit der Verbrauchsgüter und Dienstleistungen zum Verkauf, Handel oder Tausch am Markt bestimmt war.

Kräftigen Wind in die Segel bekam die Industrielle Revolution durch Adam Smiths The Wealth of Nations (deutsch Der Wohlstand der Nationen), eine Darstellung der Wirtschaftswissenschaft am Beginn der Epoche. Smiths Werk erschien 1776 – im selben Jahr, in dem die britischen Kolonien in Amerika ihre Unabhängigkeit erklärten – und lieferte die wissenschaftliche Grundlage, die nötig war, um von Industrialisierung und Massenproduktion zu profitieren. The Wealth of Nations ist bis heute das Fundament ökonomischen Denkens und das bedeutendste Werk über den Aufstieg sowie die angewandten Prinzipien des Kapitalismus mit freier Marktwirtschaft. In Verbindung mit Smiths übrigen Prinzipien bedeutete Kapitalismus mit freier Marktwirtschaft, dass industrielle Technologie genutzt werden konnte, um die Menschen von einem Leben mit dem Existenzminimum zu befreien und das volle Produktivitätspotenzial der Erde freizusetzen.

Smiths These ist, dass wir alle aus Eigennutz handeln und, wenn wir dies in Freiheit tun, dadurch den Gemeinnutz fördern, sei es absichtlich oder nicht. Er erklärt: „Nicht von dem Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe. […] Niemand möchte weitgehend vom Wohlwollen seiner Mitmenschen abhängen, außer einem Bettler.“ Auf dieser Basis sind Interventionen durch die Regierung oder Befehle von oben nicht nötig. Smith nannte solche Interventionen sogar „gefährlich“.

Der Zeitpunkt der Publikation von The Wealth of Nations hätte nicht idealer sein können. Im späten 18. Jahrhundert herrschte der (durchaus nicht unbegründete) Eindruck, die wirtschaftliche Unterdrückung durch die privilegierte herrschende Klasse sei eine Ursache, vielleicht die Ursache praktisch aller sozialen Ungerechtigkeit. Die Massen fanden, die Ausschweifungen der Monarchen und der reichen Aristokratie führten zur Verschwendung nationaler Ressourcen, dadurch werde Kolonisierung und Eroberung nötig und somit der Krieg perpetuiert. Wenn Not seltener wäre, hieß es, wäre vielleicht das Leben gerechter und Krieg überholt. So passte The Wealth of Nations mit seiner These, die das handelnde Individuum über Interventionen der Obrigkeit stellte, bestens zu der neuen politischen Vorliebe für eine „Regierung des Volkes, durch das Volk, für das Volk“ – ein neues, liberales Wirtschaftsmodell, um innerhalb einer neuen, liberalen politischen Struktur eine neue volkswirtschaftliche Realität zu schaffen, und all das auf der Basis individueller Entscheidungsfreiheit.

EINE PERFEKTE WELT?

Inzwischen hat die entwickelte Welt über 200 Jahre dieser politischen und wirtschaftlichen Freiheit hinter sich. In dieser Zeit haben wir gesehen, wie Völker mit wirtschaftlicher Freiheit auch politische Freiheit forderten, und wie auf die Befreiung von politischer Tyrannei das Streben nach wirtschaftlicher Freiheit folgte. Diese neuen Freiheiten gaben uns Hoffnung – Hoffnung, dass wir durch eine Regierung, die von uns selbst käme, eine Welt erschaffen könnten, in der reales Recht für alle Menschen möglich wäre.

Über diese Welt sprach US-Präsident Franklin Delano Roosevelt in seiner Rede vom 6. Januar 1941 vor dem Kongress, als Amerika sich anschickte, gemeinsam mit den Alliierten Europa von der Tyrannei Hitlers zu befreien. Roosevelt sah eine Welt, die der Mensch schaffen würde – gegründet auf vier zentrale Freiheiten: Freiheit der Rede und der Meinungsäußerung, Religionsfreiheit, Freiheit von Not in Gesundheit und Frieden sowie Freiheit von Furcht vor Krieg oder Kriegsgefahr. „Das ist keine Vision eines fernen tausendjährigen Reiches“, erklärte er. „Es ist eine feste Grundlage für eine Welt, die schon in unserer Zeit und unserer Generation verwirklicht werden kann.“ Die Vision, die er in jener Rede zum Ausdruck brachte, war nicht für Amerika allein, sondern für alle Menschen überall. Mit dem „fernen tausendjährigen Reich“ spielte er auf die biblische Verheißung einer tausendjährigen Weltherrschaft Jesu Christi auf dieser Erde in Frieden und Wohlstand an. Roosevelt glaubte, dass Menschen fähig seien, ohne einen Messias eine Weltordnung zu schaffen – eine „Kooperation freier Länder, die in einer freundlichen, zivilisierten Gesellschaft zusammenarbeiten“.

Die Revolution, die laut Roosevelt jene idyllische Weltordnung hervorbringen würde, sollte permanent und friedlich sein und sich ständig an veränderte Bedingungen anpassen, „ohne das Konzentrationslager oder den ungelöschten Kalk im Graben“. So sehen die aktuellen Revolutionen in Nordafrika und dem Mittleren Osten allerdings nicht aus. So sahen die Revolutionen des letzten Jahrhunderts in Osteuropa und Russland ebenfalls nicht aus. Die Amerikanische Revolution gegen die britische Krone im Jahr 1776 übrigens auch nicht.

Wir stellen uns Nationen gern als zusammengehörige Gruppen von Menschen vor, verbunden durch Abstammung, Sprache und Kultur. Tatsächlich sind die meisten das nicht. Dies ist immer deutlicher geworden, seit der Kalte Krieg zu tauen begann und 1989 die Berliner Mauer fiel. In der Flut politischen Wandels ging ein Imperium unter, und neue Macht- und Gesellschaftssysteme traten an seine Stelle – eine weniger einheitliche und weniger handhabbare Welt.

Wenn immer irgendeine Regierungsform sich als diesen Zielen abträglich erweist, ist es das Recht des Volkes, sie zu ändern oder abzuschaffen und eine neue Regierung einzusetzen und diese auf solchen Grundsätzen aufzubauen und ihre Gewalten in der Form zu organisieren, wie es ihm zur Gewährleistung seiner Sicherheit und seines Glückes geboten zu sein scheint.“ 

Unabhängigkeitserklärung der USA (1776)

Regierungen auf der Grundlage individueller Wahlfreiheit haben das Problem nur verschärft. Mit ihnen kam eine steigende Flut ethnischer Unabhängigkeitsbestrebungen, die innerstaatliche Konflikte in aller Welt zur Folge hatten. Der Grund ist einfach: In der Demokratie wird Mehrheit mit Macht belohnt. Das ist die Tyrannei der Demokratie. Wenn die Minderheit sich von ihrer Regierung nicht repräsentiert fühlt, macht sie Gebrauch von ihrem Recht als Souverän, ihre Regierungsform zu wechseln. So bröckeln Nationen Stück für Stück auseinander. Während dies geschieht, kommt es zu internationalen Konflikten, um wenn möglich zu verhindern, was der US-Staatsmann und frühere Soziologieprofessor Daniel Patrick Moynihan nach der Hauptstadt der Hölle in John Miltons Paradise Lost „Pandämonium“ nannte. Offenbar gibt es keine Vision oder Überzeugung, keine Theorie oder Struktur – sei sie wirtschaftlich oder politisch, in Kombination oder allein –, die diese Auflösungserscheinungen stoppen kann (Spr. 29, 18[BP1]). Die Regierungen heute, ob repräsentativ oder nicht, befinden sich in der Krise.

TYRANNEI DURCH UNS SELBST

Roosevelts Generation ist Vergangenheit. Was bleibt, ist unser Kampf mit Madisons „großer Schwierigkeit“: einen Rahmen zu schaffen, in dem eine Regierung durch Menschen über Menschen sowohl die Regierten als auch sich selbst kontrollieren kann. Die Wahrheit ist, dass sich die Natur des Menschen durch keine Form menschlicher Regierung ändern lässt. Wenn sich aber unsere Natur nicht ändert, werden unsere individuellen Entscheidungen uns letztlich nur den Tod bringen (Sprüche 14, 12). Wenn die Entscheidungen von uns kommen, kommt auch die Tyrannei von uns. Wie sollen wir von der Unterdrückung befreit werden, die wir durch unsere Entscheidungen als Individuen über uns bringen?

Hier ist Adam Smiths Marktwirtschaft auf der Basis von Eigennutz keine Hilfe. Heute, nach 30 Jahren Markttriumphalismus, leben wir mit den Folgeschäden einer Wirtschaftskrise, die durch Marktwahn und Deregulierung verursacht wurde. Erst kam der Marktfundamentalismus der Reagan-Thatcher-Ära in den 1980er-Jahren. Es folgte der marktfreundliche Neoliberalismus der Clinton-Blair-Ära (der größte Teil der 1990er-Jahre). In dieser Zeit wurde zwar die Marktfreiheit etwas eingedämmt, doch verfestigte sich auch der Glaube an die Märkte als wichtigster Mechanismus für die Sicherung des Allgemeinwohls.

Ganz wie in Smiths Vision funktionieren Märkte heute, und das ist so gewollt, primär auf der Basis von menschlichem Eigennutz – mit einem Wort: Habgier. In jedem anderen Kontext gilt Habgier als etwas moralisch Schlechtes, das mit einem mangelhaften, undisziplinierten Charakter einhergeht. Nicht so im Kontext des Marktes, wo die konkurrierenden Interessen von Käufer und Verkäufer bei einem Geschäft angeblich das Alchimie-Kunststück fertigbringen, etwas individuell Schlechtes in etwas zu verwandeln, das für die gesamte Gesellschaft gut ist.

Die alchimistische Formel ist jedoch fehlerhaft. Fragen danach, was wir in Gesellschaft und Politik tun sollen, sind unbestreitbar moralisch-ethische, nicht per se wirtschaftliche Fragen. Moralisch-ethische Entscheidungen erfordern eine wertorientierte Erziehung und Bildung, und Entscheidungen aufgrund von Werten verlangen oft, den Eigennutz etwas anderem unterzuordnen, sich in Geduld zu üben und die persönliche Befriedigung hintanzustellen. Der Markt lehrt uns freilich nicht, aufgrund von Werten zu handeln – das kann er nicht. Bei marktbasierten Lösungen müssen Entscheidungen anhand des Verhältnisses von Kosten und Nutzen getroffen werden. Die meisten von uns wählen wahrscheinlich eine Vorgehensweise, die uns in der kürzesten Zeit den größten Nutzen zu bringen verspricht. Dies führt selten zu den besten Ergebnissen, sei es für uns oder die Gesellschaft als Ganzes. Und wenn marktbasierte Anreize nötig sind, um uns zu motivieren, das moralisch Richtige zu tun – wie werden wir dann entscheiden, wenn solche Anreize nicht bestehen und wir nur das eine Denkmuster kennen: zu wählen, was uns den größten Nutzen in der kürzesten Zeit und zu den geringsten persönlichen Kosten zu bringen scheint?

Der gravierendste Fehler der alchimistischen Formel liegt darin, dass sie nicht berücksichtigt, wie Märkte unser Denken verändern. In unserer marktbasierten Welt sind wir ständig gezwungen, Gütern, die wir brauchen oder haben wollen, einen Wert beizumessen und dann, je nachdem ob sie ihren Preis wert sind oder nicht, zu handeln. Wäre der Markt auf „Dinge“ beschränkt, hätte Smiths Formel vielleicht einen gewissen Wert. Doch die Reichweite der Märkte ist viel größer. Heute hat der Marktethos in Schulen Einzug gehalten: Schüler bekommen Geld, wenn sie bessere Noten heimbringen. Auch Krankenhäuser, Gefängnisse und Wohltätigkeitsorganisationen haben ihre Tätigkeit nach dem Marktmodell ausgerichtet. Auf staatlicher Ebene werden Kriege nicht mehr von Patrioten ausgefochten, sondern bei privaten Militärdienstleistern in Auftrag gegeben. Und ein führender Ökonom, der Nobelpreisträger Gary Becker, hat vorgeschlagen, die USA sollten ihr Einwanderungsproblem dadurch lösen, dass sie die US-Staatsbürgerschaft verkaufen.

Dass für Probleme in diesen Lebensbereichen Marktprinzipien übernommen wurden, ist Beweis genug dafür, dass der Markt Einfluss darauf hat, wie wir denken und wie wir nicht nur Dingen, sondern auch Menschen und ihrem Leben Wert beimessen. Und das ist der springende Punkt: Märkte sollen beeinflussen, was für uns Wert hat und wie wir diesen Wert beziffern. Das ist die Hauptfunktion von Märkten. Einfach ausgedrückt: Was wir tun, hat Auswirkungen darauf, wie und was wir denken. Märkte sind expansiv und selbst verstärkend; deshalb können sie uns nicht befreien. Sie können uns nur zu Sklaven unserer selbst machen – einer selbst auferlegten Tyrannei.

Und wie steht es um die Erde, die unser Leben ernährt? Industrialisierung und freie Marktwirtschaft hätten auch sie befreien sollen. Doch die Erde wird gezwungen, so schnell so viel zu produzieren, dass selbst erneuerbare Ressourcen oft keine Zeit haben, sich zu regenerieren. Die Industrialisierung und Umweltverschmutzung verändern unsere Umwelt auf unvorhersehbare Weise, und dies nicht zum Besseren. Wir tyrannisieren den einzigen Planeten, den wir zum Leben haben. Unser Streben nach den Segnungen der Freiheit hat die Erde beschmutzt und einen Bund gebrochen, von dem wir zumeist nichts wissen. Das Resultat: „Die Erde ist entweiht von ihren Bewohnern“ (Jesaja 24, 5). Und während unser Planet kämpft, um sich von der Versklavung durch uns zu befreien, scheinen wir mit den „Naturkatastrophen“ gestraft, die uns heimsuchen.

EIN NEUES MODELL

Die Freiheit, die sich die Menschen als Folge einer Regierung und einer Wirtschaft auf der Grundlage individueller Entscheidungsfreiheit erhofften, ist einfach ausgeblieben. Niemand kann bestreiten, dass sich Menschen an ihrer Regierung beteiligen müssen, oder dass es Märkte geben muss. Die Grundfrage zum Thema Regierung und zu der qualvollen Geschichte des Menschen mit ihr lautet, ob wir tatsächlich fähig sind, über uns selbst, andere und die Erde zu herrschen. Was die Märkte betrifft, so müssen wir einsehen, dass es Lebensbereiche gibt, in die sie nicht hineingehören.

Nun tritt die Demokratie der Selbstbestimmung an die Stelle der repräsentativen Regierungsformen, die die letzten 200 Jahre prägten, und der Kapitalismus definiert die Werte in allen Kulturen und Generationen, die er erreicht. Was diese beiden Kräfte zurücklassen, sind Generationen von Kindern, die in dem Glauben aufwachsen, dass es keinen sozialen Prozess außer der Politik gibt, dass es keine geistigen Werte oder Wahrheiten außer denen gibt, die sie für sich selbst definieren oder die durch die natürlichen Kräfte des Marktes vorgegeben sind.

Die Befreiungsbewegungen, die 1776 begannen, sind nicht die letzte, beste Hoffnung des Menschen und der Erde. Es gibt eine Alternative, mit der die Menschheit es noch nicht versucht hat. Die Prinzipien, auf denen diese Regierung und ihre Wirtschaft beruhen, sind in dem Rechtssystem umrissen, das einer anderen „Nation, in Freiheit gezeugt“ gegeben wurde: dem alten Volk Israel. Die Struktur seiner Regierung war wertorientiert, bot individuelle Entscheidungsfreiheit und ließ Raum für Märkte. Außerdem bot sie Regeln, die – wenn sie eingehalten wurden – Machtsysteme und Gesellschaftsstrukturen so ausglichen, dass die Schwachen geschützt, die Armen und Entrechteten unterstützt wurden. Ihr erstaunlichstes Merkmal war ein gesetzlicher Mechanismus, durch den die Gesellschaft und die Wirtschaft mit jeder Generation wieder neu anfing. Sein Zweck war, die Menschen von der Tyrannei ihrer eigenen Entscheidungen zu befreien – eben der Tyrannei, der wir heute infolge unserer Revolution der Befreiung unterworfen sind. Da jedoch dieses Rechtssystem, soweit wir wissen, nie vollständig umgesetzt wurde, hat es die beabsichtigte Wirkung auf das individuelle und nationale Gewissen nie entfaltet.

In unserer Zeit ist friedliche Koexistenz zwischen den Völkern der Welt ein so dringliches Anliegen wie seit jeher. Was wir brauchen, ist ein Modell, nach dem eine globale Gemeinschaft organisiert werden kann – die Generation um Generation so lebt, dass alle leben können. Die tragische Wahrheit ist, dass die Friedensstifter dieser Welt durch Regierungen und Institutionen, die schon der Idee des Friedens spotten, am Erfolg gehindert werden.

Ein solches Modell gibt es. Und wenn seine Umsetzung auch auf Widerstand stoßen wird: Es ist sicher, dass es schließlich verwirklicht wird. Diese Regierung wird die Freiheit und die Segnungen geben, die der Mensch nicht erreichen konnte. Wir werden diese Regierung in der nächsten Ausgabe betrachten.