Europa 2015
Das Leben in Europa und in aller Welt könnte durch mehrere für 2014 bzw. 2015 geplante Ereignisse erheblich beeinflusst werden. Im September 2014 stimmte Schottland über die Unabhängigkeit von Großbritannien ab. Eine Entscheidung für die Trennung hätte weitreichende Folgen für die wirtschaftliche Positionierung beider Seiten. Großbritannien würde von der sechst- zur siebtgrößten Volkswirtschaft der Welt aufsteigen, während Schottland laut dem Magazin Forbes „die neue Slowakei (5,4 Millionen Einwohner, durchschnittliches Jahreseinkommen 24.000 Dollar)“ werden könnte. Und während Großbritannien Mitglied der Europäischen Union (EU) ist, wäre ein unabhängiges Schottland dies nicht (anders als die Slowakei) – jedenfalls nicht sofort. Das Beitrittsverfahren dürfte sich über Jahre hinziehen, zum Teil, weil Schottland nicht den Euro einführen, sondern das Pfund Sterling behalten will. Darüber hinaus stellt sich die Frage, was aus dem schottischen Hafen der britischen Atom-U-Boot-Flotte würde. Ein unabhängiges Land könnte sich durchaus weigern, das derzeitige Arrangement beizubehalten, was einen Verlust sowohl von Arbeitsplätzen als auch im Bereich der Einkommen zur Folge hätte. Die Schwierigkeit für Großbritannien besteht darin, dass es Jahre dauern würde, woanders einen geeigneten Hafen zu bauen.
Die Zukunft Schottlands ist jedoch nicht die einzige Sorge, mit der sich Großbritannien konfrontiert sieht. Wenn die Konservativen die Parlamentswahlen im Mai 2015 klar gewinnen, wird in einer Volksabstimmung darüber entschieden, ob man in der EU bleibt – oder nicht. Nach den Wahlen zum Europaparlament im Mai 2014 zogen gegen Brüssel eingestellte Euroskeptiker ins Parlament ein, und der Erfolg der neuen Partei der EU-Gegner, der United Kingdom Independence Party (UKIP), legt die Vermutung nahe, dass viele britische Wähler für einen Ausstieg aus der EU stimmen würden. Da Großbritannien eine der größten Volkswirtschaften der EU ist, würden die europäischen Finanzen dadurch einen empfindlichen Verlust erleiden; Großbritannien seinerseits würde zahlreiche EU-basierte Vorteile einbüßen. Doch müsste Großbritannien außerhalb der EU unweigerlich scheitern, wenn es, wie vorgeschlagen wurde, seine Handelsabkommen mit Brasilien, Russland, Indien und China (BRIC) ausweitete?
„Jede Prognose über die künftige Verfügbarkeit von Nahrungsressourcen für Menschen scheint zu zeigen, dass die Verwirklichung dieser fundamentalen Ziele durch menschliche Verhaltensweisen und Einstellungen gefährdet ist.“
Einem anderen Problem ist die Weltausstellung in Mailand von Mai bis Oktober 2015 gewidmet. Ihr Thema Nutrire il pianeta. Energia per la vita („Den Planeten ernähren. Energie für das Leben“) zeigt die aktuellen Probleme in Bezug auf Ernährungssicherheit und Nachhaltigkeit auf: Für jeden unterernährten Menschen weltweit (868 Millionen) gibt es zwei Fettleibige oder Übergewichtige (1,5 Milliarden); 36 Millionen Menschen sterben jedes Jahr, weil sie zu wenig zu essen haben, 29 Millionen, weil sie zu viel gegessen haben. Außerdem landet etwa ein Drittel aller produzierten Nahrungsmittel im Abfall (1,3 Milliarden Tonnen), über ein Drittel der weltweiten Getreideproduktion wird für Tierfutter und Biotreibstoffe verwendet. Manche behaupten, wir würden Tiere und Autos ernähren und nicht die Menschen, die Nahrung brauchen. Das enorme Ungleichgewicht zwischen dem, was wir uns von der Erde nehmen, und dem, was wir ihr zurückgeben, bedeutet, dass wir derzeit eineinhalb Erden brauchen, um unseren Bedarf zu decken. Im Jahr 2050 werden es, wenn wir so weitermachen, drei Erden sein. Die Weltausstellung in Mailand zielt darauf ab, uns diese Fakten bewusst zu machen und ein Protokoll zu erarbeiten, ein internationales Abkommen, mit dem die Länder beginnen können, diese Trends umzukehren.
Vor 200 Jahren, im Juni 1815, erlebte Europa einen großen Umbruch, als Napoleon Bonaparte bei Waterloo besiegt wurde. Diese Niederlage bedeutete das Ende eines Mannes, der, wie manche denken, den eigentlichen ersten Weltkrieg begann. Die globalen Gefahren von heute sind in ihrem langfristigen Potenzial jedoch weit schlimmer als alles, was Napoleon hätte anrichten können. Selbst die aktuellen europäischen Sorgen (Schottland, Großbritannien, die EU) nehmen sich neben den kritischen Problemen der weltweiten Nahrungsmittelproduktion und Ernährung unbedeutend aus. Wir bei Vision unterstützen individuelle und kollektive Bemühungen, zu den Grenzen, die der Lebensraum setzt, zurückzufinden und innerhalb dieser zu leben, die Erde zu pflegen und ihre Vielfalt zu erhalten – wir sollen sie „bebauen und bewahren“ (1. Mose 2, 15). Dabei sind wir uns stets der Tatsache bewusst, dass unser Engagement in Einklang mit dem Moralkodex stehen muss, in dem es auch heißt: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht“ (Matthäus 4, 4).