Entscheidung für den Frieden

Nie wieder Hiroshima

Seit dem Abwurf der ersten Atombombe sind viele Jahre vergangen. Sind wir dem weltweiten Frieden heute näher?

Um 08:15 Uhr an dem fast wolkenlosen Morgen des 6. August 1945 gingen die Einwohner von Hiroshima ihren täglichen Routinen nach. Doch in diesem Moment warf ein US-Bomber aus etwa 9 Kilometern Höhe über der japanischen Stadt eine Atombombe ab. Innerhalb von 43 Sekunden wurde die Welt für immer eine andere.

Schätzungsweise 80 000 Menschen starben sofort, als die Bombe über ihnen explodierte; weitere Tausende starben später an Strahlenvergiftung. Zehn Quadratkilometer des Stadtgebietes wurden restlos zerstört. Drei Tage später fiel eine zweite Bombe auf Nagasaki. Rund 40 000 Menschen starben augenblicklich, Tausende weitere danach.

Der Kommandant der Enola Gay, die die erste Bombe abwarf, war Paul Tibbets. 1982 beschrieb er in einem Interview den Rauch und den Schutt, den er unter sich gesehen hatte: „Nachdem die Bombe explodiert war, konnte man nicht sehen, dass da unten überhaupt eine Stadt war; sie war bedeckt mit einer – die einzige Beschreibung, die ich geben kann, ist, es sah aus wie eine schwarze, kochende Masse Teer.“

Die Menschheit sucht seit Jahrtausenden nach neuen Techniken, um sich einen Vorteil über militärische Gegner zu verschaffen. Speerwerfer, Langbogen, griechisches Feuer, Schießpulver, Kanonen, Flinten, Minié-Geschosse, Maschinengewehre, Raketenwerfer – immer unheilvoller dröhnte die Kriegstrommel, während die Waffen immer größeres Tötungs- und Zerstörungspotenzial brachten.

Weiter dröhnte die Kriegstrommel mit der Entwicklung von Little Boy und Fat Man – den ersten Atombomben. Den Anstoß gab ein von Albert Einstein mit unterschriebener Brief an US-Präsident Franklin D. Roosevelt, aufgesetzt im August 1939 in Zusammenarbeit mit dem Physiker Léo Szilárd. Der Brief warnte vor Deutschlands Fähigkeit, eine Atombombe zu entwickeln, und drängte zu „raschem Handeln seitens der Administration“, um der Bedrohung zu begegnen. Daraufhin begannen die USA mit ihrem eigenen Atomprogramm unter dem Codenamen „Manhattan Project“.

Die Möglichkeit der Rückschau ist ein großer Vorteil, wenn man historische Entscheidungen bewertet. An jenem Morgen im August 1945 wurde die Welt in ein atomares Wettrüsten von existenzbedrohenden Ausmaßen gestürzt. Seither zittert die Welt in Ungewissheit, weil es in den Arsenalen etlicher Länder diese Waffen gibt.

Gerechter Krieg?

In der Rückschau ist es bemerkenswert, dass die Entwickler von Kernwaffen so wenig über moralische Aspekte dieser Technik nachdachten. Naturwissenschaftlicher Fortschritt ist oft von moralischer oder ethischer Verantwortung abgekoppelt; solche Erörterungen überlässt man dann der Philosophie, der Ethik oder der Religion. So wurde das Projekt vorangetrieben, ohne moralische oder ethische Orientierung oder leitendes Prinzip, und ohne die künftigen Risiken für die Menschheit zu bedenken. Die Furcht vor einer deutschen Waffe genügte, um die Forscher voranzutreiben.

Mit den sogenannten schlimmeren Aspekten können wir uns nicht befassen, denn im Krieg gibt es keine Moral. Deshalb denke ich über das moralische Problem nicht nach.“

Brigadegeneral a. D. Paul Tibbets über den Abwurf der Atombombe, die Hiroshima zerstörte („Reflections on Hiroshima“, 1989)

Westliche Länder berufen sich seit Langem auf die Theorie vom „gerechten Krieg“, um militärische Aktionen zu verteidigen, und waschen damit ihr Verhalten in Kriegszeiten rein. Staatenlenker leiten ihr Recht, in den Krieg zu ziehen, aus einem Komplex von Prinzipien namens ius ad bellum (Recht auf Krieg) ab. Eine üblicherweise zitierte „gerechte Sache“ ist Selbstverteidigung gegen einen Angriff – allerdings wird das verbreitet auch auf eine Intervention bei einem öffentlichen Missstand oder einer Ungerechtigkeit in einem anderen Land angewendet. Weiter spezifiziert die Theorie: Krieg muss ein letztes Mittel sein, von einer dazu berechtigten Stelle erklärt werden, auf den richtigen Absichten beruhen und eine vernünftige Erfolgschance haben – und zwischen den Mitteln und dem Zweck muss Verhältnismäßigkeit bestehen. Dieser letzte Punkt überschneidet sich mit einem zweiten Komplex von Prinzipien, dem ius in bello, das Verhaltensregeln im Krieg spezifiziert, darunter ein Verbot, Zivilisten zu töten (erwartungsgemäß gibt es natürlich keine breite Übereinstimmung, wie genau diese Prinzipien auszulegen oder anzuwenden sind, insbesondere wenn eine Seite die andere als Untermenschen ansieht).

Über den Begriff des gerechten Krieges wird seit Jahrtausenden nachgedacht; eine relativ frühe christliche Erörterung wird Ambrosius (ca. 339–397 n. Chr.) und Augustinus (354–430 n. Chr.) zugeschrieben. Rund 900 Jahre nach ihnen entwickelte Thomas von Aquin die Theorie weiter und lieferte eine theologische und systematische Unterbauung für die Kriegsführung auf der Basis des Gewissens. Als Fußnote der Geschichte sei erwähnt, dass der Feldgeistliche George Zabelka von der US-Luftwaffe die Besatzung der Enola Gay vor ihrem schicksalhaften Einsatz segnete und damit die Überzeugung unterstrich, dass die Atombombe ein gerechtes Mittel in einem gerechten Krieg sei.

Robert Oppenheimer, weithin anerkannt für die Leitung des Manhattan Projects bis zu seinem erfolgreichen Abschluss, hatte keine Gewissensbisse wegen des Abwurfs der Bombe; er war sicher, dass er notwendig gewesen war, um den Faschismus niederzuschlagen und dadurch die Demokratie zu retten. Die überwältigende Mehrheit der an dem Projekt beteiligten Physiker fand, dass Hitlers Angriffe und die Furcht, dass seine Wissenschaftler als erste eine Atombombe bauen könnten, ihr Handeln rechtfertigten.

Nach der Bombe – die skelettähnliche Ruine der Halle zur Förderung der Industrie der Präfektur Hiroshima, Oktober 1945

Ein Foto vom Oktober 1945 zeigt die skelettähnlichen Überreste der Halle zur Förderung der Industrie der Präfektur Hiroshima. Als über der Stadt, rund 150 Meter südöstlich von hier, die Atombombe explodierte, kamen alle in diesem Gebäude um. Die Ruine, das heutige Friedensdenkmal mit dem Beinamen Atombombenkuppel, wird im damaligen Zustand erhalten und wurde 1996 als bleibendes Mahnmal für die Welt und als Symbol für weltweiten Frieden zum Weltkulturerbe erklärt.

Doch es gab auch eine andere, weniger bequeme Wahrheit. 1954 merkte Oppenheimer an: „Wenn man etwas sieht, das technisch Laune macht, dann legt man los und macht es, und wie man damit umgeht, diskutiert man erst, nachdem man seinen technischen Erfolg gehabt hat.“ Der berühmte australische Physiker Sir Mark Oliphant soll gesagt haben: „Im Krieg habe ich gelernt, wenn man Leute gut bezahlt und die Arbeit spannend ist, dann arbeiten sie an allem mit. Es ist keine Schwierigkeit, Ärzte dazu zu bringen, an biologischer Kriegsführung zu arbeiten, Chemiker an chemischer Kriegsführung und Physiker an nuklearer Kriegsführung.“

Ein wenig verschob sich die moralische Lage, als Deutschland am 7. Mai 1945 kapitulierte. Weiter verschob sie sich, als die tatsächliche Macht der neuen Waffen offensichtlicher wurde. Nachdem Oppenheimer im Juli 1945 den Atomtest in Alamagordo, New Mexico beobachtet hatte, erinnerte er sich an ein Zitat aus der hinduistischen Bhagavad Gita: „Jetzt bin ich der Tod geworden, der Welten-Zerstörer.“ Er sah klarer, welch ungeheure Gewalt und Zerstörung gegen die Japaner entfesselt werden sollte – Militärs wie Zivilisten.

Einige Wissenschaftler und Physiker des Manhattan Projects wurden zunehmend unsicher, was den Einsatz der Bombe gegen Japan betraf – nicht so sehr, ob sie je eingesetzt werden sollte, was inzwischen beschlossene Sache zu sein schien, sondern wie und unter welchen Bedingungen. Allmählich dämmerte ihnen die Erkenntnis des Potenzials für unvorstellbare Zerstörung und ließ sie nachdenklich werden. Doch nun war ihre Schöpfung in den Händen politischer und militärischer Führer.

In ihrer Sorge um ihre moralische Verantwortung brachten sie eine Petition an Präsident Truman in Umlauf, in der es hieß: „Die Entwicklung der Atomkraft wird den Nationen neue Mittel der Zerstörung an die Hand geben. Die Atombomben, über die wir verfügen, stellen nur den ersten Schritt in diese Richtung dar, und die Zerstörungskraft, die im Lauf ihrer künftigen Entwicklung verfügbar werden wird, ist nahezu grenzenlos. So muss eine Nation, die den Präzedenzfall dafür schafft, diese nun freigesetzten Naturgewalten zum Zweck der Zerstörung zu nutzen, möglicherweise die Verantwortung dafür tragen, dass sie die Tür zu einer Ära der Verwüstung unvorstellbaren Ausmaßes geöffnet hat. […] Angesichts des oben Dargelegten ersuchen wir, die Unterzeichner, respektvoll darum, […] dass Sie von Ihrer Macht als oberster Befehlshaber Gebrauch machen und befehlen, dass die Vereinigten Staaten in diesem Krieg nicht zum Einsatz von Atombomben greifen, außer wenn die Bedingungen, die Japan auferlegt werden, in ihren Einzelheiten öffentlich gemacht worden sind und Japan in Kenntnis dieser Bedingungen abgelehnt hat, zu kapitulieren. […]“

Wenn zugelassen wird, dass sich nach dem Krieg eine Situation in der Welt entwickelt, die gegnerischen Mächten den unkontrollierten Besitz dieser neuen Mittel der Zerstörung ermöglicht, werden die Städte der Vereinigten Staaten ebenso wie die Städte anderer Nationen in ständiger Gefahr plötzlicher Vernichtung sein.“

Léo Szilárd, Petition an Präsident Truman (17. Juli 1945)

Obgleich diese Petition von 70 Wissenschaftlern unterzeichnet wurde, ist es wahrscheinlich, dass Truman sie nie zu Gesicht bekam, ehe die Bombe abgeworfen wurde. Ohne erkennbare Rücksicht auf das, was ihr Einsatz bedeuten konnte, ging der Präsident davon aus, dass bei der endgültigen Kriegsentscheidung durch sie weniger Amerikaner und Japaner sterben würden, als wenn konventionelle Waffen eingesetzt würden; die Befürworter sahen den Abwurf der Bombe als eine lebensrettende Maßnahme.

Im November 1945 versuchte Oppenheimer, das Projekt zu relativieren: „Der Grund dafür, dass wir diesen Job gemacht haben, war genau betrachtet, dass er eine organische Notwendigkeit war. Wenn man Wissenschaftler ist, kann man so etwas nicht stoppen. Wenn man Wissenschaftler ist, glaubt man, dass es gut ist, herauszufinden, wie die Welt funktioniert; dass es gut ist, herauszufinden, was die Realitäten sind; dass es gut ist, der Menschheit insgesamt die größtmögliche Macht zu geben, die Welt zu kontrollieren und gemäß ihrem Verstand und ihren Werten damit umzugehen.“ Allerdings beinhaltete diese Macht nun auch die Fähigkeit, dem Leben auf der Erde ein Ende zu setzen.

Vom Weltkrieg zum Kalten Krieg

Der Krieg schien die Erschaffung dieser „ultimativen Waffen“ zu erfordern. Bei Kriegsende lagen sowohl Deutschland als auch Japan besiegt und zerschmettert am Boden. Hätte man in diesem Moment innegehalten und durchgeatmet, so hätte man Zeit gehabt, über die Notwendigkeit friedlicher Koexistenz mit der Weltgemeinschaft nachzudenken, statt die Fähigkeiten von Kernwaffen zu verstärken. Warum geschah das nicht?

Die Antwort findet sich in einem Dokument, das mit messerscharfer Genauigkeit Joseph Stalins aggressives Denken in Sachen Außenpolitik und internationale Beziehungen beschreibt. George Kennan, Geschäftsträger der USA in Moskau, erläuterte in dem sogenannten „Long Telegram“ die Überzeugung der Sowjetunion, mit dem kapitalistischen Westen könne es „keine dauerhafte friedliche Koexistenz“ geben. Er beschrieb Russlands Pläne für eine aggressive Kampagne, sein nationales Interesse in direkter Opposition zum Westen zu positionieren – wirtschaftlich, politisch und militärisch.

Die USA und alle ihre Verbündeten reagierten mit einer Politik des „Containment“ (Eindämmung) mit dem Ziel, das Vordringen des sowjetischen Einflusses in der Welt zu begrenzen. Daraufhin begannen die beiden Mächte einen Konflikt anderer Art: einen „kalten“ Krieg, der eine riesige Ausweitung der atomaren Kampfkraft erforderte.

In den 1950er-Jahren wurden die Atombomben von Wasserstoffbomben abgelöst, die potenziell 2 500-mal mehr Zerstörungskraft hatten als die Bombe von Hiroshima, und führende Denker waren zunehmend besorgt. Im Juli 1955 veröffentlichen Bertrand Russell und Einstein ein Manifest, in dem sie vor der weiteren Nutzung von Kernwaffen warnten.

Sie sprachen „als Menschen, Mitglieder der Spezies Mensch, deren Weiterleben in Zweifel steht“ und fragten: „Werden wir der Menschheit ein Ende bereiten, oder wird die Menschheit dem Krieg entsagen?“ Das Manifest endete mit einer Resolution: „Angesichts der Tatsache, dass in einem künftigen Weltkrieg mit Sicherheit Kernwaffen eingesetzt werden und dass solche Waffen das Weiterleben der Menschheit gefährden, fordern wir die Regierungen der Welt dringend auf, einzusehen und öffentlich anzuerkennen, dass ihre Ziele nicht durch einen Weltkrieg gefördert werden können, und wir fordern sie deshalb dringend auf, für die Beilegung aller zwischen ihnen strittigen Angelegenheiten friedliche Mittel zu finden.“

Wir haben bislang nicht festgestellt, dass die Ansichten von Experten über diese Frage in irgendeiner Weise von ihren politischen Orientierungen oder Vorurteilen abhängen. Soweit unsere Nachforschungen offenbart haben, hängen sie nur von dem Wissensstand des jeweiligen Experten ab. Wir haben festgestellt, dass diejenigen, die am meisten wissen, am schwärzesten sehen.“

Bertrand Russell und Albert Einstein, „The Russell-Einstein Manifesto“ (9. Juli 1955)

Seit es das Potenzial für Konflikte zwischen Nationalstaaten gibt, wurde auf verschiedene Arten versucht, von solchen Konflikten abzuschrecken, z. B. indem ausreichend militärische Schlagkraft aufgebaut wurde, um entweder den Feind einzuschüchtern oder zu besiegen oder zu erreichen, dass der Preis eines Sieges für den Feind zu hoch wäre.

Doch das Aufkommen der Kernwaffen hat dies verändert. Mit der Fähigkeit, schon in den Anfangsphasen eines Konflikts Soldaten, Zivilisten und Infrastrukturen maximalen Schaden zuzufügen, wurde die sichere gegenseitige Zerstörung („mutually assured destruction“, MAD – wobei „mad“ auch „wahnsinnig“ bedeutet) die Standardverteidigung der Supermächte.

Wachsende Gefahren

In den Jahren danach wurden der Nutzen eines Kernwaffenarsenals und die existenzbedrohenden Risiken, die es mit sich bringt, vielfach analysiert. Zurzeit haben, soweit bekannt ist, acht Länder Kernwaffen: die USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan und Nordkorea. Auch Israel dürfte welche haben – und viele glauben, dass der Iran und Syrien an eigenen Bomben arbeiten.

Die Geschichte hat gezeigt, dass Kernwaffen als Abschreckung gegen Krieg weitgehend wirkungslos sind. Noch immer kommt es besorgniserregend häufig zu militärischen Auseinandersetzungen. Dies legt nahe, dass Probleme wie die Verbreitung von Kernwaffen, die wachsende Zahl der Länder mit Kernwaffen, fehlerhafte Einschätzungen der Bedrohungslage, Kommando- und Kontrollunterbrechungen sowie versehentliche Abschüsse dringend gelöst werden müssen.

Doch es gibt noch besorgniserregendere Gründe, die Option Kernwaffen zu überdenken. Mehrere einst führende Köpfe der US-Außenpolitik (darunter der frühere US-Senator Sam Nunn, Ex-Verteidigungsminister William Perry sowie die einstigen Außenminister George Schultz und Henry Kissinger) haben auf das eskalierende Risiko atomarer Instabilität zwischen den USA und Russland hingewiesen. In einem Gastkommentar des Wall Street Journal fragten sie 2011: „Können wir zusammen mit anderen Ländern, einschließlich anderen Atommächten, umsichtige Konzepte der Zusammenarbeit erstellen und erfolgreich umsetzen, um den atomaren Tiger gefahrlos zu demontieren?“ Jahrzehnte nach dem Ereignis, mit dem alles begann, ist die Frage nicht weniger wichtig.

In den letzten Jahren sind zunehmend Spannungen zwischen Russland und den USA aufgekommen. Ihre Wurzeln sind das politische Engagement auf dem Balkan, in Kosovo, Syrien usw., die NATO-Erweiterung, der Irakkrieg, Russlands Invasionen in Georgien und der Ukraine und die Annexion der Krim sowie angebliche Wahlmanipulationen durch Russland in anderen Ländern.

Diese Spannungen in Kombination mit zurückgeschraubter Kommunikation zwischen den beiden Ländern und dem Auslaufen vieler Rüstungskontrollabkommen bewegte Nunn 2019 zu einer Rede vor einer Diskussionsrunde in der Hoover Institution (einer Politik-Denkfabrik der Stanford University). Seine Bemerkungen beruhten auf einem Gastkommentar des Wall Street Journal von 2007, den er ebenfalls gemeinsam mit Schultz, Perry und Kissinger verfasst hatte. „Wenn dringliche neue Maßnahmen nicht ergriffen werden“, hatten sie geschrieben, „werden die USA bald gezwungen sein, in ein neues Atomzeitalter einzutreten, das prekärer, psychisch desorientierender und wirtschaftlich noch kostspieliger sein wird als die Abschreckung im Kalten Krieg.“

Bogen über dem Kenotaph im Friedenspark von Hiroshima mit Blick auf die Atombombenkuppel

Mitten im Friedenspark von Hiroshima überwölbt dieser Bogen einen Kenotaph mit den Namen aller Menschen, die durch die Bombe umkamen. Der Bogen umrahmt den Blick auf die benachbarte Atombombenkuppel.

Janusgesicht

Warum geht die Menschheit immer wieder an den Rand des Abgrunds? Hätte man Luftwaffenkaplan Zabelka, als er die Besatzung der Enola Gay segnete, nach der Ursache des Krieges gefragt, so hätte er durchaus auf das biblische Buch Jakobus verweisen können: „Woher kommt der Kampf unter euch, woher der Streit? Kommt’s nicht daher, dass in euren Gliedern die Gelüste gegeneinander streiten? Ihr seid begierig und erlangt’s nicht; ihr mordet und neidet und gewinnt nichts; ihr streitet und kämpft und habt nichts, weil ihr nicht bittet“ (Jakobus 4, 1–2). Die Menschen, denen der Apostel im 1. Jahrhundert schrieb, waren nicht die ganze Welt. Aber sein Argument ist dennoch aufschlussreich.

Steven Pinker, Psychologe und Kognitionswissenschaftler an der Harvard University, erkennt an, dass das menschliche Gehirn zu Gewalt prädisponiert ist, beeinflusst von Stammestum, Rachedurst und Vormachtstreben. Doch er glaubt, dass die Menschheit über diese kriegerischen Neigungen hinauswachsen kann; das menschliche Gehirn sei ja auch fähig zu Empathie – „der Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, ihren Schmerz zu spüren und es sich vielleicht noch einmal zu überlegen, ehe man ihnen etwas antut“ und zu Vernunft – „kognitiven Prozessen, die objektives, unbeteiligtes Analysieren sowie die Erkenntnis ermöglichen, dass die Gewalt selbst ein Problem ist, das es zu lösen gilt, statt ein Wettkampf, den es zu gewinnen gilt.“

Etwas Ähnliches wie Pinker schreibt der Psychologe und Evolutionsbiologe David P. Barash in Psychology Today. Das Wesen des Menschen sei „zugleich gemein und lieb, kriegslüstern und Frieden suchend, Teufelsbrut und ansprechbar durch die besseren Engel unseres Wesens.“

Wenn es um Krieg und Frieden geht, hat unser evolutionäres Erbe […] ein Janusgesicht: Es blickt in zwei ganz verschiedene Richtungen, in diesem Fall gleichzeitig zum Krieg und zum Frieden.“

David P. Barash, „War or Peace?“ Psychology Today (14. Juni 2013)

Bedauerlicherweise, so der Arzt Alex Lickerman, repräsentieren Staatslenker „nur gelegentlich das Beste, was die Menschheit zu bieten hat. Sie leiden an den gleichen drei Giften wie die Bevölkerung, die sie regieren: Habgier, Zorn und Dummheit. Die wahre Ursache von Krieg liegt in dem ungebremsten Wüten dieser drei Gifte in den Herzen der einzelnen Menschen.“ Diese Analyse erinnert an die Worte des Apostels Jakobus.

Warum können wir „die besseren Engel unseres Wesens“ nicht für ein Streben nach Frieden zu Hilfe nehmen? Lickerman fragt: „Wenn wir in zivilisierten Gesellschaften erwarten, dass Differenzen zwischen Personen einvernehmlich beigelegt werden […], warum gelten die gleichen Erwartungen dann nicht für Differenzen zwischen zivilisierten Ländern?“ Kühne Initiativen wie der Völkerbund, der Briand-Kellogg-Pakt von 1928 und die Vereinten Nationen haben sich genau das zum Ziel gesetzt: internationale Streitfälle zu lösen, ohne dass es zum Krieg kommt. Doch das Säbelrasseln geht weiter und wir sind weiter mit den Potenzial eines Atomereignisses konfrontiert, das allem Leben ein Ende setzt.

Bei seiner Ansprache vor der Hoover-Gesprächsrunde sagte Nunn 2019, die Welt sei tatsächlich in „ein neues Atomzeitalter“ eingetreten und die Nuklearmächte sollten „existenzielle gemeinsame Interessen“ als grundlegend für die Zukunft anerkennen. Er stellte mehrere Ideen für die Verringerung des Risikos vor, darunter die Anerkennung, dass es von vornherein Gefahr bedeutet, wenn irgendjemand „einen Finger am Abzug hat“.

Wenn sich die Nuklearmächte auf einen breiten Abbau einigen würden, um die Gefahr der Vernichtung zu verringern, würde die Welt mit Recht jubeln. Doch wäre das genug? Wie Oppenheimer sagte – Wissenschaft und Technik schreiten voran, ungeachtet ethischer Überlegungen. Irgendjemand wird andere Vernichtungswaffen entwickeln.

Die Frage drängt sich auf: Warum? Warum bestehen die Menschen der Welt nicht im eigenen, gemeinsamen Interesse auf Frieden? Lickerman hat die Antwort: „Der wirkliche Weg zum Weltfrieden ist nicht in noch mehr Gesetzen zu finden, in Diplomatie oder sogar im Krieg selbst. Er ist nur in dem zu finden, was einzelne Menschen tun, um die Überzeugungen in ihren Herzen zu läutern. […] Der Weltfriede besteht buchstäblich in dem, was jeder von uns in seinem eigenen Leben tut. […] Wenn Menschen zu tiefen Überzeugungen kommen, die den Frieden fördern, dann wird Friede folgen, wie ein Schatten dem Körper folgt.“

Als Erstes müssen wir prüfen, wie wir selbst dem Frieden näher kommen und wie wir persönlich miteinander umgehen. „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, hat Jesus gesagt – ein Mensch, der weltweit als Verkörperung des Friedens anerkannt ist. Aber er hat auch gesagt: „Liebt eure Feinde“. Das ist ein harter Satz, bis wir zu der Erkenntnis kommen, dass Güte den Hass überwindet und dass Hass nur noch mehr Hass hervorbringt.

Schon von Kindheit an pflegen wir alle eine übergroße Fürsorge für uns selbst, zum Nachteil anderer Menschen. Das sieht man auf dem Spielplatz, im Garten, auf dem Schulhof. Pinker nennt als Motive Stammestum, Rachedurst und Vormachtstreben. Wir werden geschickt darin, Probleme durch Konflikte zu lösen anstatt zu lernen, Frieden zu stiften. Es ist nicht überraschend, dass Leute, die in der Gesellschaft oder beim Militär in Führungspositionen aufsteigen, meist größere Experten für aggressives Auftreten sind als für das Streben nach Frieden.

Unsere kollektiven Einstellungen zu verändern, ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich – es sei denn, jeder von uns, aus welchem Land auch immer, macht auf wundersame Weise gleichzeitig einen Wandel des Herzens durch, denn der Weg zum Frieden besteht aus dem, wie wir als Person handeln. Können wir die dunkleren Motive in unserem Wesen ablegen und Frieden üben, sodass es etwas wie in Hiroshima oder Nagasaki nie wieder gibt? Ohne die Entscheidung, Frieden bewusst als unsere Lebensweise zu wählen, können wir nur erwarten, dass sich die Geschichte wiederholen wird.