Feminismus – der komplementäre Blickwinkel
Muss Ebenbürtigkeit unbedingt Gleichheit bedeuten; oder können Männer und Frauen von den Unterschieden profitieren und eine Synergie zwischen den Geschlechtern schaffen?
Als es Betty Friedan erstmals klar wurde, dass mit der Rolle der Frauen in der Gesellschaft etwas nicht stimmte, lag sie damit nicht völlig daneben. Natürlich war sie auch nicht die Erste in der Geschichte, der dies auffiel oder die eine inadäquate Lösung vorgeschlagen hat. Das Problem, wie sie es artikuliert, war die Unzufriedenheit der durchschnittlichen Hausfrau mit ihrer Rolle, die von den Betroffenen als bedrückend, wenig erfüllend, minderwertig und deshalb unfair empfunden wurde. Friedans Buch The Feminine Mystique (Die feministische Mystik) erschien in den frühen 60ern und wird als Wegbereiter der so genannten zweiten Welle des Feminismus angesehen - die erste war die Frauenwahlrechtsbewegung des vorigen [19.] Jahrhunderts.
Friedans Behauptung, dass sie 20 Jahre als gelangweilte Hausfrau verbracht hatte und dass dies der Grund war, warum sie Feministin geworden war, wird zwar kontrovers beurteilt, aber man muss fairerweise anerkennen, dass es tatsächlich in ihrer Generation und davor eine Menge gelangweilter Hausfrauen gegeben hat. Ob sie nun deshalb eine der vielen Formen des Feminismus anstrebten, oder wenn nicht, warum nicht, sind Fragen, die es wert sind, erörtert zu werden.
Ob gelangweilt oder nicht, Hausfrauen waren jahrhundertelang nichtsdestoweniger Gegenstand verschiedener Versuche, ein für alle Mal die Rolle der Frauen festzulegen. Für einige ist die Antwort eine matriarchalische Gesellschaft und - basierend auf der Annahme, dass Gewalt ein speziell männliches Attribut sei - die dadurch erreichbare Eliminierung der Gewalt. Für die Gegenseite heißt die Lösung totale Unterwerfung und Demütigung von Frauen, um sie „in Schach zu halten“. Die Behandlung von Frauen unter dem Regime der Taliban in Afghanistan erinnert daran, dass auch in unseren modernen Zeiten das Pendel weit ausschlagen kann.
Im Westen stimmt man größtenteils zu, dass Männer und Frauen gleichberechtigt behandelt werden sollten und in der sozialen Ordnung gleichwertig sind. Aber sogar dies ist vielen verschiedenen Interpretationen unterworfen. Einige moderne Feministinnen streben nach etwas, was sie „Ergänzung“ nennen - Gleichwertigkeit, die die sexuellen Unterschiede anerkennt. Manche meinen, dass dieses Konzept eigentlich die Gleichberechtigung in Frage stelle, für die die Feministen so hart gearbeitet haben.
GLEICH UND DOCH UNTERSCHIEDLICH?
Was ist also Gleichberechtigung?
„Frauen sind den Männern gleichgestellt und sollten auch so behandelt werden“, ist die Meinung von Wendy McElroy, aber sogar sie fragt: „Aber was bedeutet das? Wie definiert man Gleichberechtigung? . . . Hat es mit Gleichheit vor dem Gesetz zu tun und Gleichbehandlung von Seiten existierender Institutionen? Oder schließt es eine sozio-ökonomische Gleichheit ein — eine Neuverteilung von Reichtum und Macht —, die dann auch neue Gesetze und einen Umsturz der existierenden Institutionen erfordert?“
Wenn man Gleichberechtigung als Gleichbehandlung vor dem Gesetz definiert, würden wahrscheinlich sogar die extremsten Konservativen mit Frau McElroy übereinstimmen. „Niemand stellt das Konzept von Gleichheit vor dem Gesetz in Frage; eine gerechte und faire Behandlung aller im Gericht, vor den Schranken der Justiz“, sagt Jacob van Flossen, der ultrakonservative Autor der 1998 erschienenen politischen Novelle mit dem Titel Return of the Gods (Rückkehr der Götter).
Dieses grundlegende Konzept von Gleichheit vor dem Gesetz war auch in früheren Kulturen schon Basis des Rechtswesens. Erwähnenswert ist darunter die jüdische Gesellschaft des ersten Jahrhunderts. Nach ihrem Gesetz wurden Männern definitive Instruktionen in Bezug auf die Verpflichtung gegenüber ihren Frauen gegeben, und Frauen besaßen Erb- und Eigentumsrechte, die den modernen westlichen Frauen erst in moderner Zeit zugebilligt worden sind.
Solche Definitionen von Gleichberechtigung gehen jedoch nicht weit genug, um die Anhänger zahlloser Fraktionen des Feminismus zu besänftigen. Darunter die so genannten Geschlechterfeministinnen oder Radikalfeministinnen, die behaupten, dass Frauen so lange unterdrückt werden, solange die traditionellen Rollen der Geschlechter in der Gesellschaft aufrechterhalten werden. Diese Form des Feminismus, wie viele andere auch, ist dogmatisch schwer festzunageln - es gibt unzählige Vorschläge zu Vorgehensweisen, wie solche „Geschlechterunterdrückung“ beendet werden könnte. Manche gehen so weit, dass sie heterosexuelle Beziehungen rigoros zurückweisen und/oder eine vollständige Abtrennung von der patriarchalischen Gesellschaft propagieren, weil sie glauben, dass Männer von Natur aus böse sind. Andere Geschlechterfeministinnen konzentrieren sich auf die Veränderung der Darstellung der Geschlechterunterschiede durch die Medien oder die Entfernung geschlechterspezifischer Ausdrücke aus der Konversation. Die letztere Gruppe versucht vermeintliche Unterschiede zwischen Mann und Frau aus dem Sprachgebrauch zu eliminieren und glaubt, dass Gleichberechtigung einfach Gleichsein bedeutet.
Gibt es Unterschiede? Und wenn ja, ist das etwas Schlimmes?
Gibt es Unterschiede? Und wenn ja, ist das etwas Schlimmes? Oder hat die Idee von „einander ergänzen“ etwas für sich? Van Flossen fragt: „Aus welchem Zwang heraus wollen wir menschliche Unterschiede verneinen - das, was jeden von uns einzigartig macht -, wäre das ein ultimatives Ziel?“
Danielle Crittenden, Autor von What Our Mothers Didn't Tell Us (Was uns unsere Mütter nicht erzählt haben), unterstreicht dies auch: „Sollten Männer und Frauen versuchen, identische Lebensformen zu leben, oder gab es gute Gründe für die alte Aufteilung der Arbeit? . . . Wenn ja, machen uns diese Aufteilungen wirklich ,ungleich‛?“
GEGENSEITIGE ABHÄNGIGKEIT
Um auf den Kern der Sache zu kommen, sollten wir diese Frage noch weiterführen. Welche „alten“ Arbeitsaufteilungen besprechen wir? Jene der 60er- oder 50er-Jahre? Gehen wir zurück bis ins Mittelalter? In das erste Jahrhundert unserer Zeitrechnung? In die Antike? Betrachten wir Agrargesellschaften, wo Männer und Frauen zusammen ihre Landwirtschaft betrieben und unterschiedliche, aber in beiden Fällen lebenswichtige Aufgaben zu erfüllen hatten? Oder die Situation in Städten, wo einer oder beide aus dem Haus gehen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen?
Die Pariserin Elisabeth Badinter ist Anthropologin und auch Doktor der Philosophie. In ihrem Buch Man/Woman: The One Is the Other (Mann/Frau: Einer ist wie der andere) diskutiert sie das Konzept Gleichberechtigung im Kontext urzeitlicher Gesellschaften und aus anthropologischer Sicht. Sie schreibt: „Die menschliche Nahrungsbeschaffung impliziert ein Teilen von Aufgaben und Ressourcen. In allen uns bekannten urzeitlichen Gruppen war die Jagd Männersache und das Sammeln Frauensache. Eine Kombination von Fleisch und Gemüse ist für eine ausgeglichene Diät für beide Geschlechter lebenswichtig. Beide haben also ihre Ressourcen geteilt: tierische Proteine gegen pflanzliche Proteine.“ Für Frau Badinter ist dies eine Indikation, dass die Rollenunterschiede geschichtlich gesehen die Gleichberechtigung sichergestellt und nicht vermindert hat.
Die Rollenunterschiede haben geschichtlich gesehen die Gleichberechtigung sichergestellt und nicht vermindert.
Sie fügt hinzu: „Wenn Männer und Frauen unterschiedliche Ressourcen erarbeiten, etablieren sie damit ihre gegenseitige Abhängigkeit. Kein Teil dieses Kollektivs kann insofern seinen Reichtum monopolisieren. Die Sicherstellung der regelmäßigen Versorgung der Einzelnen mit Nahrung erfordert, dass diese Nahrungsmittel zusammengelegt werden und jedem zugänglich sind. Das Prinzip der Ergänzung ist hier offensichtlich, da niemand der Gruppe ohne den anderen existieren kann.
Diese gegenseitige Abhängigkeit ist ein Faktor in der Betrachtung dieses Prinzips ,einer für den anderen‘ und, vielleicht mehr als man denkt, in Bezug auf Gleichberechtigung“.
Nkiru Nzegwu, Professorin für Afrikanische Studien an der Binghamton University im Staat New York, gelangt zu einer fast identischen Einschätzung. In einem Artikel für die Zeitschrift Jenda: A Journal of Culture and African Women Studies aus dem Jahre 2001 beschreibt sie die Kulturen Westafrikas als „Zwei-Geschlechter-Systeme“, da Männer und Frauen nach verschiedenen Rollen streben. In solchen Gesellschaften, sagt sie, „sind Frauen und Männer gleichwertig, ebenbürtig in dem, was sie für die Erhaltung und das Überleben der Gemeinschaft tun. Diese Vorstellung von gegenseitiger Ergänzung als Prinzip für die Geschlechterunterschiede gibt den gesellschaftlichen Pflichten, Rollen und Verantwortungen von Männern und Frauen einen vergleichbaren Wert. Obwohl sie unterschiedliche Aufgaben erfüllen und unterschiedliche Rollen ausüben, werden oder müssen Männer und Frauen als im Wert für die Gemeinschaft gleichgestellt gesehen werden.“
Frau Nzegwu erklärt, dass sich der westliche Feminismus nicht in diese Gesellschaften transferieren lässt, da dessen Befürworter dieselbe Rolle als die Männer anstreben. Sie sieht das als Folge der westlichen Vorstellung von Individualismus, der nicht sieht, dass Männer und Frauen lebenswichtige, aber unterschiedliche Teile eines Ganzen sind.
Ihrer Meinung nach behindert dieser fundamentale Fehler den westlichen Feminismus: „Obwohl der Feminismus einen wichtigen Beitrag zur Neubestimmung der Geschlechterbeziehung geleistet hat, ist die individualistische Vorstellung von Gleichberechtigung, in welcher der Unterschied der Geschlechter als belanglos angesehen wird, problematisch. Die Betonung des Individualismus verschleiert die eingebaute Machtungleichheit zwischen Männern und Frauen und verursacht, dass die Ungleichwertigkeit der Geschlechter aufrechterhalten und bestärkt wird. Diese individualistische Vorstellung wird als Emanzipation präsentiert und ist in seiner Deutung von Gleichberechtigung als Gleichheit kein Konzept für Befreiung.“
In einem Dokumentarspiel, das Frau Nzegwu geschrieben hat, konfrontieren zwei nigerianische Frauen aus Onitsha zwei bekannte westliche Feministinnen. Omu, eine der afrikanischen Frauen, bringt es direkt auf den Punkt: „Es scheint mir, dass es in eurer Gesellschaft eine negative und unbedeutende Sache ist, eine Frau, Tochter, Mutter oder Ehefrau zu sein; deshalb seid ihr so schrecklich versessen, den Männern gleich zu sein. Aber das muss nicht so sein. Hier verkörpern diese Rollen Einfluss und bilden die Basis wichtiger sozialer Verantwortungen. Ihr müsst verstehen lernen, dass so etwas möglich ist.“
Die zweite Afrikanerin, Onyeamama, fügt hinzu: „Euer Zorn ist irrational ... Er ist ungesund und abnormal ... Wir teilen ihn nicht“.
„Ihr solltet das Leben der Männer nicht als Modell für die weibliche Identität benutzen“, fährt Omu fort, „denn dies setzt paradoxerweise voraus, dass Frauen nichts sind. Wenn ihr das zum Ausdruck bringen wollt, dann tut es offen. Aber behandelt die Frauen nicht als Nichts, indem ihr deren Leben und Tun als belanglos einstuft. Ihr solltet euch besser fragen, warum ihr so auf „Mann“ fixiert seid.“
Onyeamama fasst zusammen, wie sie die Sache sehen: „Wir sehen keine Notwendigkeit darin, Gleichberechtigung im Sinne von „gleich wie Männer zu sein“ zu begreifen oder indem wir uns danach sehnen, Männer zu sein, oder indem wir die positiv zu sehenden Unterschiede zwischen uns eliminieren wollen. Hier bei uns sind Männer wie Frauen soziale Ergänzungen.“
DIE DRITTE WELLE
Könnten sich Frauen in der westlichen Welt mit diesen Idealen aus fremden Kulturen identifizieren? Offenbar sind die Vorteile von einer als Ergänzung gesehenen Partnerschaft zumindest bei einem Teil westlicher Feministinnen auf Verständnis gestoßen. Die heutigen Feministinnen der so genannten „Dritten Welle“ sind in ihren Ansichten so unterschiedlich, wie es diejenigen der zweiten Welle waren. Eine große Anzahl der heutigen jungen Frauen, die sich als Feministinnen sehen, distanzieren sich auch von den Idealen, für die ihre Mütter eingetreten waren.
Autoren wie Danielle Crittenden haben einige ihrer Themen aufgegriffen. Zum Beispiel reagiert sie auf die Ansicht der früheren Präsidentin der National Organization of Women (Nationale Frauenorganisation), Karen DeCrow, dass Männer nie ihre Frauen unterstützen sollten, weil, so Frau DeCrow, die Liebe nur gedeihen kann, wenn jeder für sich selbst sorgt. Frau Crittenden bemerkt dazu: „Die bedauerliche Entdeckung, die meine Generation gemacht hat, ist, dass ökonomische Gleichberechtigung uns nicht näher an eine ,blühende Liebe‘ bringt wie die alte Geschlechtertrennung in der Arbeit . . . Und das ist deshalb so, weil eine erfolgreiche Ehe weniger mit der Erlangung einer Gleichstellung mit unseren Ehegatten zu tun hat als damit, zu verstehen und zu akzeptieren, dass Männer und Frauen im Laufe einer Ehe Kompromisse und Opfer bringen müssen - und dass diese Notwendigkeit von Kompromissen und Opfern unseren Geschlechtsunterschieden entspringen und somit den verschiedenen Beweggründen, warum wir überhaupt geheiratet haben.“
Wendy Shalit, Autorin von A Return to Modesty: Discovering the Lost Virtue (Rückkehr zur Bescheidenheit: Die Entdeckung einer verlorenen Tugend), bestätigt die Prinzipien von Badinter und Nzegwu, wenn es darum geht, dass die Definitionen der westlichen Feministinnen in Bezug auf Gleichberechtung zu einem Problem sexueller Doppelmoral werden - einem fundamentalen Element der meisten Zweige des Feminismus. Frau Shalit argumentiert, dass Frauen eigentlich durch die sexuelle Revolution geschädigt worden seien. Indem sie sexuell ebenso frei sein wollten, wie sie meinten, dass Männer es seien - indem sie Gleichheit erreichen wollten -, haben sie die am meisten befreiende Macht aufgegeben: Sex zu verweigern, bis sie die langfristig verpflichtende Bindung erhalten, die sie wirklich wollen.
Shalit tritt nicht dafür ein, diese Macht zur Manipulation zu gebrauchen. Sie sieht es als eine legitime komplementäre Rolle, von essentieller Bedeutung für die Familie und die soziale Stabilität. Dies haben die Frauen eingetauscht gegen eine vermeintliche Macht, die ihnen wünschenswerter erschien, die sie mehr wie Männer machen würde.
„Die sexuelle Revolution scheint fehlgeschlagen zu sein“, meint Frau Shalit, „größtenteils deswegen, weil sie die Unterschiede zwischen den Geschlechtern ignoriert hat . . . Die Emanzipation . . . ist schief gelaufen, weil sie . . . darauf bestand, dass alle erkennbaren Unterschiede das Resultat von Unterdrückung seien. Deshalb waren alle Vorschläge, die rechte Ordnung wiederherzustellen - wie z. B. durch Gesetze gegen sexuelle Belästigung -, wie der Versuch, ein Heftpflaster über ein amputiertes Glied zu kleben.“
Wenn Frauen in der heutigen Gesellschaft darauf reduziert werden, entweder dieselbe Rolle wie Männer zu übernehmen oder„in einer extremen, aufopfernden Weise feminin zu sein“, gibt es dann einen Ausweg? Frau Shalit meint, dass die Ergänzung in der Geschlechterrolle von Männern und Frauen zurückgewonnen werden kann.„Viele junge Frauen von heute sind der Meinung, dass ihr Leben nicht durch die Fehler ihrer Eltern ruiniert werden sollte, und wir selbst wünschen uns nichts mehr, als dass wir, wenn dies möglich wäre, zu den Zeiten vor all diesen Experimenten zurückkehren könnten. Wir glauben nicht nur, dass es Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, wir sind auch der Meinung, dass diese Unterschiede ausgesprochen Sinn ergeben - einen Sinn, der nicht nur in einer irrelevanten Tatsache über uns besteht, sondern der uns inspirieren und in unserem Leben leiten kann.“
„Wir glauben nicht nur, dass es Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, wir sind auch der Meinung, dass diese Unterschiede ausgesprochen Sinn ergeben.“
Frau Shalit geht noch weiter und erläutert:„Unsere Mütter sagen, wir sollten ,die Errungenschaften‘ nicht aufgeben, die sie so hart erkämpft und an uns weitergegeben haben. Wir denken: welche Errungenschaften? Sexuelle Belästigungen, Vergewaltigungen bei Verabredungen, Nachstellungen, Essstörungen, all diese trostlosen Abhängigkeiten? Oder ist es die großartige Errungenschaft von Scheidung, die ihr im Sinn hattet?“
ROLLEN UND BEZIEHUNGEN
Obgleich auch die Ansicht, dass die Geschlechter einander ergänzen, von heutigen Feministinnen unterschiedlich gesehen werden mag, hat wohl niemand große Probleme, die Gültigkeit einer Ergänzung in Bezug auf die Fortpflanzung zu erkennen. Es ist offensichtlich, dass Männer und Frauen jeweils einen unbedingt notwendigen Beitrag bei der Zeugung von Kindern leisten. Schwieriger ist es schon, die ergänzende Rolle von Mann und Frau bei der Erziehung und in der Ehe allgemein zu akzeptieren.
Studien, wie eine 1998 von der University of Edinburgh erstellte, zeigen, dass Kinder zwar ähnliche Dinge von Vater und Mutter brauchen (ein Rollenmodell, Zeit, Unterstützung, ausgedrückte Liebe und menschlichen Kontakt), dass es aber nicht ideal ist, wenn dies nur von einem Elternteil vermittelt wird. Der Report berichtet weiter:„Kinder brauchen von ihren Vätern und Müttern gemeinsam eine ausgeglichene, einander ergänzende und stabile Beziehung.“
Die Ergänzung der Geschlechter, die für Elisabeth Badinter und Nkiru Nzegwu so offensichtlich notwendig ist, wird im modernen Westen nicht so leicht ankommen, aber auf jedem Gebiet des menschlichen Lebens sieht man Beweise für die Notwendigkeit. Frau Badinter meint:„Die Lektion, die wir lernen müssen, ist zweifältig: Die totale Aufgabe der Charakteristika, die jedem Geschlecht eigen sind, ist schwierig und riskant. Wenn man nämlich diese Wahrheit ignoriert, riskiert man den Tod.“ Sie umschreibt dann die Meinung ihres Landsmannes und Anthropologen Georges Balandier:„Die Beziehung zwischen den Geschlechtern entspricht anscheinend historischen und unantastbaren Strukturen und . . . jeder Versuch, dieses System zu unterminieren, ist eine weit zerstörerische Revolution als eine, die nur darauf abzielt, die Klassengesellschaft zu eliminieren. Sexueller Dualismus ist das Paradigma jedes Dualismus, das Paradigma der Weltgeschichte.“
Müssen sich Männer und Frauen davor fürchten, unterschiedlich zu sein? Wäre es wirklich eine Reduzierung der Frauen auf das von Betty Friedan beschriebene Modell einer gelangweilten Hausfrau, wenn man das Konzept von unterschiedlichen, aber einander ergänzenden Rollen annehmen würde? Oder könnte es stattdessen zu größerer Befreiung führen, als alle bisher in der Geschichte durchgeführten Experimente hervorgebracht haben?