Warnung – Wärmekollaps!
Unsere Erde überhitzt sich und es sind bereits Anzeichen zu sehen, dass das Klima zusammenbricht. Was können wir jetzt noch tun?
Ein Geologe, der seit etwa 20 Jahren jeden Sommer dieselbe Felswand in Grönland besucht, hat eine große Veränderung der Landschaft bemerkt. Wo er früher über vereiste Flächen gehen musste, um diese Stelle zu erreichen, geht er nun über einen Sandstrand. Für ihn ist der Klimawandel eine feststehende, beobachtbare Tatsache.
Laut der Zeitschrift Nature hat Grönland 2023 die höchste Temperatur seit 1.000 Jahren verzeichnet. Der Artikel kommt zu dem Schluss, dass menschliche Aktivitäten zu einem Erwärmungstrend beigetragen haben, der um 1800 begann und weitreichende Folgen haben könnte: „Die unverhältnismäßige Erwärmung geht mit einem erhöhten Schmelzwasserabfluss einher; dies impliziert, dass der Einfluss des Menschen auch in Zentral- und Nordgrönland angekommen ist, und könnte den gesamten Masseverlust Grönlands weiter beschleunigen.“
Was jetzt mit dem grönländischen Eisschild geschieht, kann ein Kipppunkt sein, der weitere große klimatische Veränderungen nach sich zieht, zum Beispiel beim Zirkulationsmuster des Atlantiks (siehe Abbildung 3 unten). Gleichzeitig war auch die noch nicht endgültig berechnete globale Temperatur 2023 die heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen: 1,4 °C über dem vorindustriellen Niveau, bezogen auf 1850 bis 1900. In den 174 Jahren seit Beginn der Aufzeichnungen waren die letzten neun Jahre die wärmsten, was die Sorgen um steigende Meeresspiegel und Rekordkonzentrationen von Treibhausgasen einschließlich Methan noch verstärkt.
„Die Kipppunkte allein zeigen, dass wir es mit einem planetaren Notstand zu tun haben, bei dem sowohl das Risiko als auch die Dringlichkeit der Situation akut sind.“
Über die Ursache dieser dramatischen weltweiten Veränderung wird natürlich diskutiert. Da der Klimawandel auch politisch umstritten ist, ist die Debatte inzwischen so verbittert, dass Meteorologen in mehreren Ländern – darunter Großbritannien, Spanien, Frankreich, Australien und die USA – wegen ihrer öffentlichen Äußerungen zum Klimawandel belästigt werden und sogar Morddrohungen erhalten haben.
Die Vertreter einer Seite tun die Einwirkung des Menschen ab und glauben, dass wir auf ein so massives Erdsystem wenig Einfluss haben können. Sie sagen, kein Anstieg des Ausstoßes von Treibhausgasen (Kohlenstoffdioxid, Methan, Chlorfluorkohlenstoffe, Stickstoffoxid) könne eine solche Veränderung bewirken.
Andere halten mit historischen Details wissenschaftlicher Forschungen über die zugrunde liegende Dynamik dagegen. Der Erwärmungstrend, den der Geologe in Grönland mit eigenen Augen gesehen hat, wurde zum Beispiel schon 1972 korrekt vorausgesagt. In jenem Jahr prognostizierte der Meteorologe John S. Sawyer in einem Nature-Artikel einen Anstieg von atmosphärischem Kohlenstoffdioxid (CO2) und damit einhergehend einen weltweiten Temperaturanstieg um 0,6 °C bis zum Jahr 2000. Der tatsächliche Temperaturanstieg betrug 0,5 °C. Sawyer erkannte an, dass noch viel mehr Forschung nötig war, konnte aber dennoch vor über 50 Jahren schließen: „Trotz der enormen Masse der Atmosphäre und der sehr großen wirkenden Energien in den Wettersystemen, die unser Klima produzieren, wird klar, dass sich menschliches Handeln einer Größenordnung nähert, bei der es als möglicher Faktor des Klimas und des Klimawandels nicht komplett ignoriert werden kann.“
Doch selbst damals war der Gedanke eines Zusammenhangs zwischen Erderwärmung und in der Atmosphäre angestauter Wärme nicht neu. Der französische Wissenschaftler Joseph Fourier hatte ihn im vorausgegangenen Jahrhundert vorgetragen. Er hatte 1824 bemerkt, dass die Erde wärmer ist, als ihr Abstand von der Sonne erwarten lässt, und war zu dem Schluss gekommen, dass die Atmosphäre Wärme speichert. Ende des 19. Jahrhunderts beobachtete der schwedische Chemiker Svante Arrhenius, dass das CO2 in der Atmosphäre wirksam Wärme einfängt, und sagte voraus, dass die enorme Zunahme der Kohleverbrennung für industrielle Zwecke zu einem Anwachsen des atmosphärischen CO2 und einer Erwärmung der Erde führen werde.
Im 20. Jahrhundert wurde der Zusammenhang zwischen CO2 und Erderwärmung durch zwei wichtige Entdeckungen weiter bestätigt. 1938 zeigte der britische Ingenieur Guy Callendar, dass der Temperaturanstieg von einem halben Grad in den vorausgegangenen 50 Jahren dem CO2-Anstieg durch Industrieproduktion und Kohleverbrennung entsprach, und 1958 brachte der US-Wissenschaftler Charles Keeling den Anstieg von CO2 in der Atmosphäre in Verbindung mit dem Bevölkerungswachstum. Im Jahr 1750 waren es noch unter 280 ppm (parts per million, Teile pro Million) und 2020 – nach einem exponentiellen Wachstum der Weltbevölkerung und der Industrialisierung – rund 420 ppm.
Aus dieser 200-jährigen Geschichte der Forschung über die Rolle von Wärme in der Atmosphäre wird mit Sicherheit deutlich, dass der Klimawandel etwas mit menschlichen Aktivitäten zu tun hat. Und anders als heute weist diese Geschichte keine Politisierung des Themas auf und niemand unterstellte den Forschern Betrug oder Schwindel.
Bei der Weltklimakonferenz der UNO von 2023 (COP28) wurde besprochen, was man gegen die Probleme infolge der Erderwärmung tun könne; 2015 hatten 196 Staaten bei der COP21 das Pariser Abkommen unterzeichnet und als Zielwert einen globalen Temperaturanstieg von nicht mehr als 1,5 °C bis Ende des Jahrhunderts festgelegt. Der Weltklimarat der UNO (IPCC) wertet die Forschung zum Klimawandel aus. Im Sonderbericht „Global Warming of 1.5°C“ stellte er Daten von 86 Fachleuten aus 39 Ländern für politische Entscheidungsträger zusammen und bestätigte mit einem „hohen Vertrauensniveau“, dass die Erderwärmung zwischen 2030 und 2052 wahrscheinlich 1,5 °C erreicht, wenn sie im derzeitigen Tempo weitersteigt.
„Selbst wenn der Zielwert des Pariser Abkommens von einem Temperaturanstieg auf 1,5 °C bis 2 °C erreicht wird, können wir das Risiko nicht ausschließen, dass eine Kaskade von Rückkoppelungen das Erdsystem irreversibel auf einen Weg zum ,Treibhaus Erde‘ stößt.“
Leider haben diese Staaten ihre 2015 eingegangenen Verpflichtungen bislang nicht umgesetzt und das Ergebnis ist das, was der verstorbene Klimatologe Will Steffen und andere als „planetaren Notstand“ bezeichnet haben. Dass trotz eingegangener Verpflichtungen für vereinbarte Ziele so wenig erreicht worden ist, ist vielleicht ein Zeichen für die fehlende Bereitschaft einiger Produzenten und Großverbraucher fossiler Brennstoffe, etwas zu ändern. Sie sind eine mächtige Lobby und zeigen wenig Neigung, sich für ein Ende der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen einzusetzen – lieber als von Ausstieg sprechen sie von Verringerung. Russland, Saudi-Arabien und China unterstützen einen sofortigen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen nicht. Und auch wenn COP28 mit einem Communiqué abgeschlossen wurde, das vorsieht, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu beenden, bleibt abzuwarten, ob dieses Ziel noch rechtzeitig erreicht werden kann.
Mittlerweile ist das Problem nicht nur, dass die Erde immer heißer wird, sondern dass wir möglicherweise eine „weltweite Kipp-Kaskade“ ausgelöst haben, wie Steffen und seine Kollegen schreiben. Schon 2019 stellten sie fest, dass neun der 15 bekannten Weltklima-Kipppunkte, die den Zustand der Erde regulieren, aktiviert worden waren.
Ein weiteres Beispiel dafür, dass ein Kipppunkt die plötzliche Freisetzung von CO2 und Methan in die Atmosphäre auslöst, wäre ein irreversibles Auftauen des arktischen Permafrosts.
Dazu schrieb Steffen: „Wir sind bereits weit vorn auf dem Weg zum Kollaps“ der Zivilisation. Das bedeutet, es kann bereits zu spät sein, um ein „Treibhaus Erde“ zu verhindern – ob es uns gelingt oder nicht, die Emissionen zu reduzieren.
Angesichts dieser massiven Gefahr in unmittelbarer Nähe appellierte König Charles III. leidenschaftlich an die führenden Köpfe aus aller Welt und die Delegierten bei der COP28: „Wir bringen die Natur außerhalb der ausgeglichenen Normen und Grenzen und in gefährliches, unbekanntes Terrain. […] Unsere Wahl jetzt ist krasser und düsterer: Wie gefährlich wollen wir unsere Welt tatsächlich machen?“ In diesem Appell steckt ein nicht allzu subtiler moralischer und ethischer Imperativ – nämlich wo der Fokus jetzt sein muss, für Menschen in Führungspositionen wie für alle Bürger.
Im Vorfeld der COP28 sandte UN-Generalsekretär Antonio Guterres eine Videobotschaft an die über 200 Teilnehmer des Global Faith Leaders Summit, die zu Gesprächen über den Klimawandel nach Dubai gekommen waren. Er sagte: „Wir brauchen die moralische Stimme und spirituelle Autorität religiöser Führungspersönlichkeiten weltweit, um das Gewissen der weltlichen Führungen anzusprechen, ihren Ehrgeiz zu wecken und sie zu inspirieren, zu tun, was nötig ist.“
„Am Abgrund der Geschichte stehend und angesichts des Ernstes der Herausforderungen, mit denen wir alle konfrontiert sind, bedenken wir das Erbe, das wir künftigen Generationen hinterlassen werden.“
Wenn der Mensch mit seinen Mitteln auf sich selbst gestellt ist, kommt er eher nicht mit moralisch-ethischen Prioritäten als Hauptmotiv zum Verhandlungstisch. Gewöhnlich gewinnt das Selbstinteresse. Doch gibt es angesichts eines planetaren Notstands eine andere Wahl? Könnte ein radikaler Wandel die Lage noch immer retten? Es gibt eine frohe Botschaft. Trotz allem, was vor uns liegt, gibt es Hoffnung.
Die Klimaforscherin Kate Marvel, führende Autorin des „Fifth National Climate Assessment“ der USA (2023), hat kürzlich Anlass zu Optimismus gegeben. Obgleich ihr Team in Bezug auf die Folgen negativer Klimawandeltrends recht hatte, sieht sie Anzeichen einer Besserung: „Extreme Ereignisse wie Hitzewellen, Überflutungen und Dürren werden schlimmer und häufiger, genau wie wir es vorausgesagt haben. Es hat sich gezeigt, dass wir recht hatten.“ Aber sie fügt hinzu: „In den letzten zehn Jahren sind die Kosten von Windkraft um 70 % und von Sonnenenergie um 90 % zurückgegangen. Auf erneuerbare Energien entfallen jetzt 80 % der neuen Stromerzeugungskapazität. Die Treibhausgasemissionen unseres Landes fallen, während unser BIP und unsere Bevölkerung wachsen.“
Der Hoffnungsschimmer, den sie sieht, ist, dass die USA auf der Ebene der Staaten, Kommunen und Stämme auf die Warnungen vor dem Klimawandel reagiert haben. Doch sie erkennt an, dass mehr Menschen mitziehen müssen. Sie ist weniger besorgt darum, die Fossilbrennstoffindustrie oder Klimaleugner zu erreichen, als andere Gruppen zu erreichen, wie es das Programm „Climate Change Communication“ der Universitäten Yale und George Mason beschreibt. Darin werden innerhalb der amerikanischen Gesellschaft sechs Publikumsgruppen zum Thema Klimawandel unterschieden: alarmiert, besorgt, vorsichtig, gleichgültig, zweifelnd und abwinkend.
Die Verschiebungen zwischen diesen Gruppen im Zeitraum von 2013 bis 2023 sind aufschlussreich. Im Herbst 2023 waren 57 % der Bevölkerung bezüglich des Klimawandels alarmiert oder besorgt – gegenüber nur 39 % im Jahr 2013 –, während die Gleichgültigen, Zweifelnden und Abwinkenden nach 33 % im Jahr 2013 nur noch 28 % ausmachten.
Zu verstehen und darauf zu reagieren, welche Zukunft unsere Kinder und künftige Generationen erwartet, wenn der Zielwert 1,5 °C überschritten wird, ist die moralische und ethische Pflicht, die wir erfüllen müssen. Ein oft dem deutschen Theologen Dietrich Bonhoeffer zugeschriebener Ausspruch lautet: „Der ultimative Test für eine moralische Gesellschaft ist die Welt, die sie ihren Kindern hinterlässt.“ Das wäre natürlich generell für jeden Bürger auf der Welt anwendbar, in diesem Moment aber speziell für die globale Umwelt. Der gute Umgang mit der Erde wird schon zu Beginn der biblischen Aufzeichnungen hervorgehoben. Die Idee, den Garten Eden anzulegen und zu erhalten, verlangte von Adam, ihn zu kultivieren und sorgfältig zu pflegen. Es entsteht ein grundlegendes Gefühl der moralischen Verantwortung für die Erde, ihr zu dienen und sie zu bewahren. Und wie mehrere Autorinnen und Autoren gezeigt haben, gibt es praktische Schritte, die wir alle unternehmen können, um etwas Positives zu bewirken.
Julian Cribbs How to Fix a Broken Planet: Advice for Surviving the 21st Century enthält zum Beispiel detaillierte persönliche Strategien dafür, die Erde abzukühlen. Der unmittelbarste Beitrag, den wir leisten können, „ist unseren persönlichen Konsum bei allem zu reduzieren, besonders bei Konsumgütern, Textilien und Kleidung, Maschinen und Geräten, Baustoffen, Reisen und Verkehr, von weither importierten Gütern und Luxuslebensmitteln – und mehr zu recyceln und weniger zu verschwenden. Es ist unser Überkonsum von Gütern, der den Klimawandel hauptsächlich vorantreibt – und wir müssen ihn unter Kontrolle bringen, oder wir rauben unseren Enkeln ihre Zukunft auf einer bewohnbaren Erde.“
Das ist unsere dringliche moralische Pflicht. Politik- und Wirtschaftsführer müssen das Ihre tun. Statt kurzfristig zu denken und politisch und wirtschaftlich motivierte Kompromisse einzugehen, müssen sie jetzt für das größere, langfristige Wohl tätig werden. Wie oben angesprochen können Bürger auf persönlicher Ebene mehr tun.
Sicher ist, dass wir unsere Nachkommen und alles Leben nach 2100 zu einem katastrophalen Schicksal mit 3 °C über den vorindustriellen Temperaturen verurteilen, wenn wir nicht sofort handeln. Sie haben es besser verdient – und wir alle können es besser machen.