Hinter dem Urknall

Teil 2: Alternativen

Unsere Zeit ist einzigartig und spannend: Heute verfügen wir über die Mittel, um viele der großen Fragen nach unserem Platz im Universum zu erforschen. Doch werden wir die Antworten, die wir suchen, je finden? 

Selbst mit seinen tausend funkelnden Lichtpunkten ist der Nachthimmel ein dunkler und ungastlicher Ort. Die himmlische Welt, unberührt von unserer menschlichen Schwachheit des Körpers und des Geistes, verzaubert uns dennoch mit einem lautlosen Ruf, der unser Innerstes anspricht. Ob wir ihn in klarer Nacht mit eigenen Augen von einem isolierten Aussichtspunkt aus betrachten oder als teleskopische Bilder, die kein menschliches Auge so aufnehmen könnte – der Nachthimmel fasziniert. In diesem Zeitalter der Computer, der virtuellen Welten und eines scheinbar grenzenlosen Unterhaltungsangebotes erfüllen uns die Weite und Majestät des Himmels mit Ehrfurcht. Seine Anziehungskraft ist einzigartig und zeitlos.

In Teil 1 sahen wir, dass die menschliche Geschichte eine Geschichte der Suche nach den natürlichen Grenzen unserer Welt, aber auch nach dem Sinn dieser Grenzen ist. Unsere fernste Grenze war immer das sprichwörtliche Himmelszelt oder Himmelsgewölbe – das Medium, der Raum, der uns umschließt.

Als Marshall McLuhan in den 1960er-Jahren den Satz prägte: „Das Medium ist die Botschaft“, sprach er nicht vom Kosmos. Doch sein Diskurs über unsere immer mehr von Computern und Fernsehen bestimmte Umwelt ist durchaus nicht nur für den soziologischen Kontext gültig. Ein Beispiel ist unsere anhaltende Suche nach einer Botschaft im Raum des Universums. Wir sind hier eingebettet, fest verwurzelt auf einem kleinen Planeten, schauen hinaus in eine große Weite und fragen uns: Wozu das alles? Wie der schottische Essayist Thomas Carlyle bemerkt haben soll: Wenn der Himmel tatsächlich „nicht bewohnt wäre – was für eine Platzverschwendung“. So faszinierend Außerirdische im Film sein mögen – uns interessieren natürlich nicht nur mögliche außerirdische Nachbarn. Wir suchen nach der Geschichte des Universums, weil wir glauben, dass wir durch ihre Botschaft Erkenntnisse über unser irdisches Dasein gewinnen werden. McLuhan zufolge tun wir uns schwer damit, gesellschaftliche Veränderungen zu verstehen, weil unser Sehen und Denken auf die Vergangenheit ausgerichtet ist – weil wir beim Vorwärtsfahren in den Rückspiegel schauen. Auch in der Astronomie ist unser Bild der Gegenwart von unserer Sicht der Vergangenheit abgeleitet.

WAS IST, KOMMT VON DEM, WAS WAR 

Weil das Licht, das wir sehen, über große Entfernungen zu uns kommt, blicken wir, wenn wir ins All hinausschauen, zurück in die Vergangenheit. Wir sehen, was war. Sonnenlicht-Photonen springen nicht augenblicklich von der Sonne zu uns. Ihre Energie, die das Wetter der Erde bestimmt und uns bräunt, ist acht Minuten alt, wenn sie uns erreicht. Das Licht von unserem nächsten Nachbarstern in der Milchstraße, Proxima Centauri, muss vier Jahre lang den Raum durchqueren, bis es auf der Erde wahrgenommen werden kann. Unsere nächste Nachbargalaxie Andromeda ist nahezu drei Millionen Lichtjahre entfernt. So lange braucht ihr Licht, den leeren Raum zu durchqueren. Das wohl fernste „Licht“ ist die kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung (im Folgenden „Hintergrundstrahlung“), die aus allen Richtungen des Raums zu kommen scheint. Sie wird als schwaches Nachglühen von der Entstehung des Universums vor 15 Milliarden Jahren gedeutet.

Wir sind jung, aber das Universum ist alt, und angesichts seiner immensen Größe kann unser Wissen um das, was tatsächlich ist, nur sehr beschränkt sein. Die funkelnden Punkte am klaren Nachthimmel mögen so nah aussehen, als könnte man sie berühren, doch sie sind es mit Sicherheit nicht. Als stünden wir am Boden einer tiefen Grube, blicken wir himmelwärts und haben dabei kaum eine Vorstellung vom Ausmaß der Wände, die uns umgeben. Als Menschen mit physischen, aber auch metaphysischen Sehnsüchten hoffen wir irgendwie, in diesem „nach oben unendlichen Abgrund“ der Vergangenheit Sinn zu finden. Wie mit einem Blick in den Rückspiegel hoffen wir, etwas zu finden, das uns zu einer besser informierten Gegenwart führen kann.

Die gängigste Ansicht über die Vergangenheit des Universums ist die sogenannte Urknalltheorie. Sie ist weithin akzeptiert – allerdings nicht von allen Wissenschaftlern. Es wurden mehrere Alternativen vorgestellt, doch hören wir von diesen konkurrierenden Theorien nur selten. „Für die meisten Menschen ist Kosmologie gleich Urknall“, sagte der Physiker Geoffrey Burbidge im Interview mit Vision. „In meinen Augen ist das nicht richtig, doch es ist eine Vorstellung, die die Menschen übernehmen und jetzt in ihr Denken und Träumen einschließen.“

Die Informationen, die uns das aufgefangene Licht bringt, lassen viele Deutungen zu. Zwar können die Hintergrundstrahlung und die Rotverschiebung (eine Verschiebung der Spektrallinien zum roten Ende der Strahlung bei entfernten Himmelskörpern) genau beobachtet werden, doch was sie bedeuten und uns über die Geschichte des Universums sagen, ist nicht so klar. Darüber herrscht nicht immer Einigkeit, und die Theoriebildung ist alles andere als einstimmig. Sie ist ein Wettbewerb zwischen Mehrheits- und Minderheitsansichten (s. die Tabelle „Cosmologies Compared  “, Englisch).

ROT SEHEN 

Edwin Hubble, der die Beziehung Rotverschiebung-Geschwindigkeit-Abstand entdeckte, verband seine Korrelation mit einem Vorbehalt. Er schrieb in den 1930er-Jahren: „Da die teleskopischen Ressourcen noch nicht erschöpft sind, kann die Beurteilung ausgesetzt werden, bis aus Beobachtungen bekannt ist, ob Rotverschiebungen tatsächlich Bewegung repräsentieren.“ Die meisten Astronomen glauben heute, dass die Rotverschiebung sowohl eine Bewegungskomponente als auch eine kosmologische Komponente hat. Den akustischen Bewegungseffekt (oder Dopplereffekt) kennen wir als Veränderung der wahrgenommenen Tonhöhe, wenn ein Fahrzeug mit Sirene vorbeifährt. Bei einer Lichtquelle, die sich vom Beobachter entfernt, ist die Rotverschiebung ein vergleichbarer Effekt. Bleibt man bei der Analogie zur Sirene, so ist die kosmologische Verschiebung wie eine Veränderung der Tonhöhe, deren Ursache nicht die sich bewegende Sirene ist, sondern die Straße selbst, die sich in die Länge zieht. Bei dieser Komponente der Rotverschiebung werden Lichtwellen dadurch abgeflacht und auseinandergezogen, dass sich das Universum ausdehnt.

Während das Licht das Universum durchquert, wird sein Spektrum somit aus zwei Gründen verändert: weil die Lichtquelle sich bewegt und weil der Raum zwischen der Lichtquelle und der Erde sich ausdehnt. Viele Astronomen sind von dieser Beziehung allerdings nicht überzeugt und sehen andere Ursachen der Rotverschiebung. Sie verweisen auf Ergebnisse über Quasare („quasi-stellare“, d.h. sternähnliche Objekte), deren Rotverschiebungen zu den höchsten bisher bekannten zählen. Laut der Urknalltheorie impliziert dies, dass sie zu den fernsten und somit ältesten und hellsten Objekten im Universum gehören. Skeptiker verweisen dagegen auf Fälle, in denen Quasare Galaxien mit geringer Rotverschiebung erscheinen, und Standarderklärungen für dieses Rätsel wurden offenbar widerlegt.

Wenn einige Quasare tatsächlich mit relativ jungen Galaxien verbunden sind, dann ist die Bedeutung der Rotverschiebung noch immer nicht richtig verstanden. Da jedoch Hubbles Korrelation zwischen Rotverschiebung, Entfernung und Alter zum Maß aller Dinge für die kosmologische Sicht der Mehrheit geworden ist, werden solche anomalen Daten als offensichtlich falsch und unseriös abgetan – einfach weil sie nicht den Erwartungen entsprechen.

Auch das Verständnis der Ursache der Hintergrundstrahlung wird durch das Festhalten am Urknall oder einem alternativen Modell offensichtlich verzerrt. Die gängige Urknall-Deutung stammt aus den späten 1940er-Jahren. Damals berechneten George Gamow, Ralph Alpher und Robert Herman die Eigenschaften der Reststrahlung des Anfangsereignisses. Ihre Zahlen erwiesen sich zwar letztlich als falsch, doch als im Jahr 1965 die Hintergrundstrahlung entdeckt wurde, soll Gamow behauptet haben, diese Astrophysiker hätten genau dort „ein Fünf-Cent-Stück gefunden“, wo er eines verloren habe.

Die Erklärung der Hintergrundstrahlung, die ohne Urknall auskommt, findet ihren Bezugspunkt in Andrew McKellars Arbeit aus den frühen 1940er-Jahren. Aufgrund seiner Beobachtung der vielen verschiedenen interstellaren Gase sagte McKellar die Temperatur der Hintergrundstrahlung korrekt voraus. Doch laut Burbidge, der seinerseits eine alternative Sicht vertritt (die „Quasi-Steady-State“-Theorie), ist diese Hintergrundstrahlung nicht die Folge eines Einzelereignisses, sondern Nebenprodukt der kontinuierlichen Schöpfung neuer Atome innerhalb der Sterne. Er hält McKellars Arbeit für bedeutend, weil sie zur Realität passt und durchgeführt wurde, ohne einen Urknall vorauszusetzen, während die Gruppe um Gamow Parameter schuf, mit denen ein Urknall funktionieren konnte. „In Wahrheit war keine Voraussage dabei“, schreibt Burbidge. „Doch die psychologische Wirkung irriger Vorstellungen von der Voraussage und Entdeckung [der Hintergrundstrahlung] ist einer der Hauptgründe dafür, dass so viele an den Urknall glauben.“

DER MENSCHLICHE FAKTOR 

Ginge es in der Wissenschaft nur um objektive Tatsachen, so würde man viel mehr offene Diskussionen wahrnehmen. Doch am Prozess der Theoriebildung sind auch andere, menschliche Faktoren beteiligt. Der Wissenschaftsschriftsteller Timothy Ferris hat beobachtet, dass Wissenschaftler nicht anders als wir anderen sind, auch wenn sich die Wissenschaft einen leidenschaftslosen, logischen und trockenen Anstrich gibt. Wir alle sind emotionell beteiligt und daher „unausweichlich in das, was wir untersuchen, verstrickt“.

Dies Zusammenspiel von menschlicher Logik, Gefühl und Erfahrung ist zu berücksichtigen, wenn wir die Rätsel der kosmischen Geschichte lösen wollen. All diese Faktoren beeinflussen unsere individuelle wie auch kollektive Vorstellung davon, wie das Mögliche vom Unmöglichen zu unterscheiden sei. Der verstorbene Wissenschaftstheoretiker und -historiker Thomas Kuhn untersuchte dieses Zusammenspiel von wissenschaftlicher Methode und menschlichen Gefühlen in seinen Arbeiten über wissenschaftliche Revolutionen anhand von Fällen, bei denen eine Theorie einer neueren wich. „Der Bereich des wissenschaftlich Glaubbaren kann und muss durch Beobachtung und Erfahrung drastisch eingeschränkt werden, sonst gäbe es keine Wissenschaft“, schrieb er. „Doch sie allein können ein solches Glaubenssystem nicht bestimmen.“

Kuhn stellte fest, dass Wissenschaft nicht einfach eine Detektivgeschichte ist; sie ist ein Unterfangen, das über bloße Fakten hinausgeht. Wie eine Weberin viele Entscheidungen trifft, wenn sie einen Bildteppich schafft, so beinhaltet auch die wissenschaftliche Konstruktion von „Wirklichkeit“ Entscheidungen darüber, was ins Bild gehört und was nicht. Kreativität, Persönlichkeit und Politik – all dies spielt dabei eine Rolle. Wie Kuhn in Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen aufzeigte: „Ein scheinbar beliebiges Element, entstanden durch persönliche und historische Nebenbedingungen, ist immer ein prägender Bestandteil der Überzeugungen, die eine bestimmte wissenschaftliche Gemeinschaft zu einer bestimmten Zeit hat.“

Burbidge und andere sehen in der Urknalltheorie eher ein Glaubenssystem als eine leidenschaftslose Beschreibung auf der Basis von Beobachtungen. „Buchstäblich alle, die ich kenne, die die Hintergrundstrahlung beobachten, glauben vom Anfang des Projekts an, sie wüssten, woher sie kommt“, sagt er. „In der Gruppe ist niemand (und sie würden auch niemanden in die Gruppe lassen), der skeptisch ist, der sagen würde: ,Vielleicht ist dies die falsche Deutung.‘ Solche Leute gibt es nicht. Es darf sie nicht geben. Man kommt nicht über das Vordiplom hinaus, wenn man nicht glaubt, was sie glauben.“

Die meisten denken nicht um; die meisten wiederholen ihre These immer und immer wieder.“ 

Geoffrey Burbidge, Vision Interview

Wenn die Urknalltheorie wirklich ein Glaubenssystem ist – ist sie im Begriff, sich aufzulösen? „Man kann an etwas glauben, so sehr man will; es kann richtig sein oder nicht richtig“, kommentiert Burbidge. „Aber dadurch, dass massenhaft Leute daran glauben, wird es nicht richtig.“

Könnte die Urknalltheorie kurz vor einer Mutation durch eine erneute kosmologische Revolution stehen? Wenn die Urknalltheorie und ihre Vorstellung von einem Anfang unterginge, wie würde sich dies auf andere Glaubensinhalte auswirken, die in dem Strudel von Wissenschaft und Genesis mitwirbeln?

AM ANFANG 

Der Same, aus dem letztlich die Urknall-Idee erwachsen sollte, war erstmals im Jahr 1931 erkennbar. In einem Leserbrief an die Zeitschrift Nature beschrieb der belgische Kleriker und Astronom Georges Lemaître einen Anfang des Universums: das „Uratom“. Dies, so spekulierte er, habe sich ausgedehnt, vergleichbar einem explodierenden Feuerwerk, das in immer kleinere Teile zerfällt. Wie in Teil 1 beschrieben, hatte seine Vorstellung Parallelen zu einer Prosadichtung Edgar Allan Poes aus den 1840er-Jahren, aber auch zu 600 Jahre älteren kabbalistischen Schriften.

Einige meinen, dass Lemaître eine Versöhnung der Astronomie mit der Theologie beabsichtigte. Den wissenschaftlichen Anstoß für seine Spekulation gaben allerdings Einsteins Gleichungen zur Schwerkraft. Einstein zog ein statisches, harmonisches Universum vor und entwickelte Formeln, um das Gleichgewicht der innerhalb des Universums wirkenden Kräfte zu zeigen, doch Lemaître und der russische Mathematiker Alexander Friedmann entdeckten für seine Gleichungen Lösungen, die ein instabiles, dynamisches Universum voraussagten. Als Hubble zudem im Jahr 1929 erklärte, dass sich andere Galaxien in zu ihrer Entfernung proportionalen Geschwindigkeiten entfernten, kam der Durchbruch für die Theorie des expandierenden Universums.

In den darauf folgenden Jahrzehnten gab es hitzige Diskussionen zwischen Vertretern des „Steady State“ und Anhängern des neuen, explosiven Modells. Der britische Astronom Fred Hoyle prägte zum Spott den Begriff „big bang“ (großer Knall/Urknall) und sagte, das Universum sei kein Mädchen, das aus einer Torte springe. Doch in den 1950er-Jahren hatte sich die Meinung gegen den „Steady State“ gewendet. Bei einer denkwürdigen Sitzung der Royal Society, erinnert Burbidge, „hielt der Präsident eine Rede, in der er im Wesentlichen sagte, Leute, die den Steady State verträten, seien nicht einmal Wissenschaftler. Wenn man dies vom Präsidenten seiner eigenen Gesellschaft hört, erreicht die Botschaft auch alle anderen.“

Burbidge schreibt: „Es gibt keinen besonderen, zwingenden Grund dafür, so entschieden für ein Standardmodell des Universums mit einem Anfang statt für ein alternatives Modell zu sein – außer der Tatsache, dass es immer leichter ist, mit der Mehrheit einig zu sein, als anders zu denken.“

GOTTESBEWEIS 

Ebenfalls in den frühen 1950er-Jahren vollzog die Urknalltheorie den Sprung des Glaubens vom wissenschaftlichen Konstrukt zum „göttlichen Willen“. Papst Pius XII. verknüpfte die Kosmologie mit der Genesis und verkündete kühn: „Entsprechend ihrem Fortschreiten und entgegen früher vorgetragenen Behauptungen entdeckt wahre Wissenschaft Gott in immer größerem Maße – als wartete Gott hinter jeder Tür, die die Wissenschaft öffnet.“

In seiner Ansprache an die Päpstliche Akademie der Wissenschaften (1951) fuhr der Papst fort: „Wir würden sogar sagen, dass aus dieser progressiven Entdeckung Gottes . . . nicht nur der Wissenschaftler selbst Nutzen zieht, wenn er als Philosoph reflektiert – und wie kann er einem solchen Reflektieren entgehen? –, sondern auch diejenigen, die an diesen neuen Entdeckungen teilhaben oder sie zum Gegenstand ihres eigenen Nachdenkens machen.“

Der Astronom Hilton Ratcliffe kommentiert den psychologischen Reiz einer solchen Konvergenz von Wissenschaft, Geist und Glauben: „Die Vorstellung eines unendlichen Universums, das nur ziellos herumwackelt, ist Anathema für die kollektive menschliche Psyche“, schreibt er in The Virtue of Heresy. „Konfrontiert mit dem zunehmenden Atheismus in der wissenschaftlichen Philosophie seufzte der Mensch erleichtert auf und presste ein universales Muster an seine Brust, das verdächtig danach aussah, als könnte es einfach göttlich sein!“ In der Vorstellung lässt sich ein Urknall leicht zum Fingerabdruck eines Ursprungsakts durch einen Schöpfer umformen.

Die meisten denken nicht um; die meisten wiederholen ihre These immer und immer wieder.“ 

Geoffrey Burbidge, Vision Interview

Mit solchen Spekulationen könnte man die wissenschaftliche Theorie dann als Grundlage nutzen, um Gott zu verstehen. In der wissenschaftlichen Gemeinschaft geschieht dies allgemein sicher nicht; Wissenschaftler machen den Glauben an einen Schöpfer nicht vom Glauben an den Urknall abhängig. Kosmologen mögen zwar solche Metaphern bemühen, doch sie bekennen sich nicht wirklich zu einer Überzeugung, den Ursprung des Universums zu verstehen sei gleichbedeutend damit, Gott in die Karten schauen zu können.

Weil wir alle in irgendeiner Weise nach spirituellem Verstehen streben – ob wir dabei an Inspiration glauben oder an Evolution (s. Ein Astronom über Spiritualität“) –, ist es leicht, den Urknall zu unserem Beweis für die Existenz eines Schöpfers zu machen. Dieser Gottesbeweis hat allerdings einen Haken: Sieht man die Genesis und den Urknall als ein und dasselbe, dann stehen und fallen sie auch miteinander.

Wenn wir aber „… durch den Glauben erkennen, daß die Welt durch Gottes Wort geschaffen ist, so daß alles, was man sieht, aus nichts geworden ist“, wie Paulus an die Hebräer schreibt, können wir dann durch die Wissenschaft das Unsichtbare erkennen und dem Glauben Substanz geben? Die natürliche Welt transparenter zu machen, ist sicher ein Ziel der Naturwissenschaft. Doch wenn Glaube richtig definiert ist als „… eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht“ (Hebräer 11, 3 und 1), dann stellt sich die Frage, ob die empirischen, experimentellen und theoretischen Methoden des wissenschaftlichen Prozesses für die Suche nach spiritueller Wahrheit wirklich hilfreich sind.

Könnten diese Methoden eher trügerisch sein, nützlich zum „Beweis“ der Nichtexistenz eines Schöpfers, wie einige Wissenschaftler durchaus behaupten? Mit einem besseren Wissen darüber, wie Wissenschaft tatsächlich praktiziert wird – dass nicht nur die kalte, rationale Ableitung von Messwerten dabei eine Rolle spielt, sondern auch das menschlich-allzumenschliche Element mit Wettbewerb, Kompromiss und emotioneller Bindung –, muss der Beobachter seine Meinung darüber revidieren, was Wissenschaft wirklich ist. Caveat emptor.

ALTERNAVERSUM 

Den Verfechtern von Theorien, die im Widerspruch zum Urknall stehen, geht es nicht darum, den spirituellen Sinn abzuschaffen; das ist ihre geringste Sorge. Sie kämpfen einen ungleichen Kampf, einfach um eine Rückkehr zur Wissenschaft auf der Basis der Beobachtung, Physik auf der Basis von Laborarbeit und eine korrekte Berichterstattung über die Beweislage zu erzwingen. Für diese wachsende Gruppe von Physikern ist eine Theorie der Weltentstehung auf der Grundlage von Improvisationen imaginärer Multiversen, von Quantentunneln, dunkler Materie und dunklen Kräften, die sie beleben, einfach nicht haltbar.

Einer dieser Urknallgegner ist der Physiker Eric Lerner, der die Dynamik von Plasmen erforscht. Für ihn ist eine Theorie, die für alle Beobachtungen alles bedeuten kann, einfach nicht glaubwürdig (s. unseren Artikel „Der Urknall – Wissenschaft oder XY-ismus?“). Lerner schreibt: „Die Zeit ist gekommen, und zwar schon seit Langem, den Urknall als Hauptmodell der Kosmologie aufzugeben. . . . Alle Grundvoraussagen der Urknalltheorie sind durch die Beobachtung mehrfach widerlegt worden. Die Theorie ist inzwischen mit einem rasant wachsenden Durcheinander von Ad-hoc-Hypothesen belastet.“

Bilderstürmern wie Lerners Alternative Cosmology Group zufolge ist die Urknall-Kosmologie schlichtweg eine Form des Kreationismus: eine Glaubensüberzeugung, die auf inkorrekten Deutungen statt nachprüfbaren wissenschaftlichen Beweisen beruht. Sie sind sicher, dass ihre alternativen Kosmologien „versprechen, die Beobachtungen stimmig zu erklären und neue Phänomene vorauszusagen“, wie es die Urknalltheorie nicht leistet. Die Urknall-Kosmologie verdanke ihren Erfolg nicht ihrer Verifizierung durch Beobachtung oder Experiment, schreibt Lerner, sondern ihrer „Fähigkeit, Beobachtungen im Nachhinein mit einem ständig wachsenden Instrumentarium anpassungsfähiger Parameter in Einklang zu bringen, so wie die alte, geozentrische Kosmologie des Ptolemäus Schichten über Schichten von Epizyklen benötigte“ (s. Kastenartikel „Theorie oder Trickserei?“).

Vertretern alternativer Theorien geht es um die Art Revolution, die Kuhn darstellte. „Wie reagieren Wissenschaftler auf die Erkenntnis einer Anomalie in der Übereinstimmung zwischen Theorie und Natur?“, fragte er. Eine Revolution der Sichtweise erwächst aus dem Eindruck, dass „ein bestehendes Paradigma bei der Erforschung eines Aspekts der Natur, zu der es selbst einst den Weg geebnet hat, nicht mehr angemessen funktioniert.“

RENAISSANCE 

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellte sich Einstein noch ein verstehbares Universum vor, in dem „Gott nicht würfelt“; heute dagegen ist das wissenschaftliche Weltbild beliebiger, unklarer, dunkler geworden. Vertreter von Kosmologien ohne Urknall glauben, dass ihre Schlussfolgerungen über die Struktur des Universums die an eine moribunde Theorie gekettete naturwissenschaftliche Forschung wiederbeleben werden. Die Unverständlichkeit, sagen sie, sei unser eigenes Werk. Die Urknalltheoretiker ignorierten Experimente, die tatsächlich durchführbar seien, und Beobachtungen, die gemacht werden könnten; stattdessen hätten sie ein Fantasie-Weltbild erfunden, das nicht nachprüfbar sei und nicht erklärt werden könne – außer durch eine weitere intellektuelle Erfindung.

Könnte das Umdenken, das die Bilderstürmer befürworten, eine Renaissance der theoretischen und technologischen Leistungskraft bewirken? Sie meinen, ja. Aus ihrer Sicht ist es klar, dass das Festhalten am Urknall als der Erklärung für die Entstehung der Welt eine wissenschaftliche Sackgasse ist: Die Urknallforschung absorbiert Geldmittel, leitet unser wissenschaftliches Kapital in ein immer größer werdendes Labyrinth von bizarren theoretischen Pfaden und stellt eine Theorie nach der anderen auf, um Dinge zu erklären, deren Existenz nicht nachweisbar ist.

Wenn dies im Bereich der Physik geschieht, ist die Frage nicht weit, ob es auch im Bereich der Metaphysik geschieht. Haben wir die gleiche Praxis, Theorien zu erfinden, die zu unserer Meinung passen, wenn wir spirituelle Fragen ergründen wollen?

Eine Neugier auf Sinn ist die treibende Kraft hinter der Wissenschaft im Allgemeinen und den Naturwissenschaften Physik, Astronomie und Kosmologie im Besonderen. Neugier und ein emotionelles Bedürfnis nach Wissen treiben den menschlichen Geist dazu, Teleskope und Teilchenbeschleuniger zu erfinden und die Mathematik zu entwickeln, mit denen wir unsere Ergebnisse untersuchen. Wir haben in der Tat ein unglaubliches Instrumentarium erfunden, um viele der großen Fragen nach unserem Platz im Universum zu erforschen (mag die Art, wie dieses Instrumentarium genutzt wird, auch fragwürdig sein), und wir hoffen, dass diese physikalische Forschung Türen zu metaphysischem Sinn öffnen wird (s. unseren Artikel „Urknall – es geht ums Ganze“). Es ist leicht, diese beiden Arten des Forschens – die Physik und die Metaphysik – zu vermengen, denn wie der Physiker Freeman Dyson einst sagte: Das Universum wusste anscheinend, dass wir kommen würden.

EIN NEUER HIMMEL 

Am Ende seines Buches Many Worlds in One kommt der Astrophysiker Alexander Vilenkin zu einer höchst wichtigen Frage. Nachdem er im gesamten Text beschrieben hat, warum „keine Ursache erforderlich ist“, um ein Universum aus „nichts“ zu schaffen, bemerkt Vilenkin, dass die grundlegenden Gesetze, die die weitere Entwicklung des Universums bestimmen, einen Ursprung in etwas Realem haben müssen. Der „Prozess ist von denselben grundlegenden Gesetzen bestimmt, die die weitere Entwicklung des Universums beschreiben. Daraus folgt, dass die Gesetze schon vor dem Universum selbst ,da‘ sein sollten.“

Ob das Universum zuerst in einer Form oder einer anderen erschien (entstand es durch eine Explosion, oder war schon alles an seinem Platz?), zu einem Zeitpunkt oder einem anderen (ist es jung oder alt?) – das große Rätsel bleibt die allererste Quelle der Gesetze, die das Universum bestimmen. Die Irrungen und Wirrungen der Kosmologie spiegeln unsere Grundfragen als bewusste Wesen wider. Wenn wir nicht einmal die Muster des materiellen Universums entziffern können, um uns auf eine verstehbare Weise in der Schöpfung zu orientieren, gibt es dann irgendeine Hoffnung, die Metaphysik hinter der Physik zu finden? Es scheint, als wäre selbst der Himmel, oder wenigstens das, was der Mensch in ihm sieht, nicht vertrauenswürdig. Gibt es eine Informationsquelle über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Universums, die verlässlich und über menschliche Voreingenommenheit erhaben ist? Gibt es ein anderes Medium, durch das wir Antworten auf unsere tiefen Fragen finden können, einen Führer zu einer richtigen Sicht der Vergangenheit, damit wir effektiver und zufriedener vorangehen können?

Die Bibel, in einem gewissem Sinn eine Überlieferung von Vilenkins geheimnisvollem Gesetzgeber, ortet einen Schöpfer außerhalb des wissenschaftlich Feststellbaren. Ob das Universum 6 000, 6 Milliarden oder eine Billion Jahre alt ist – die Hoffnung der Menschheit ist nicht in der Feststellung eines Geburtsdatums zu finden. Sie ist in der Offenbarung zu finden, dass es jenseits von dem, was wir sehen, mehr gibt; die Antwort liegt nicht in dunkler Energie und dunkler Materie, sondern in einem neuen Himmel und einer neuen Erde.

Die Erkenntnis, dass es über den Zeitrahmen eines menschlichen oder auch kosmischen Lebens hinaus noch mehr gibt, ist eine Revolution des Denkens. Sie ist vergleichbar mit unseren Instrumenten, die weiter als das menschliche Auge in das Universum hinaussehen können. Diese Erkenntnis eröffnet ein neues Paradigma, ein neues Bewusstsein von Sinn, ähnlich wie Kuhns wissenschaftliche Revolutionen, doch auf persönlicher statt kollektiver Ebene. Dies erfordert ein persönliches Umdenken, eine Revolution, bei der ein Paradigma zögernd, dann vollständig einem anderen weicht. Unsere persönliche Revolution ermöglicht den Sprung von einem rein physikalischen Wissen, wo wir sind, zu einem spirituellen Wissen, warum wir sind.

Um den Sinn zu finden, den wir alle intuitiv suchen, müssen wir Informationen nutzen, die außerhalb der Reichweite der Wissenschaft zu finden sind. Gibt es einen Geist, der schon vor dem Universum da war? Wenn ja, warum beschloss dieser Geist, Menschen zu machen? Unsere Schlussfolgerungen werden zur Richtschnur nicht nur unseres inneren Lebensgefühls, sondern auch unseres Verhaltens nach außen – wie wir mit unseren Weggefährten umgehen und für sie sorgen.

Ein Wissen um den Ursprung gibt wichtige Orientierungshilfen dafür, wo wir in Zeit und Raum sind und von wo wir uns leiten lassen müssen. Der richtige Weg nach vorn ist oft unklar und schwierig, aber nicht unmöglich zu finden, und wir alle können – aus Gründen, die die Wissenschaft nie verstehen könnte – am Urknall vor bei unseren Weg finden.