Jerusalem – das fragile Mosaik

Der Herausgeber von Vision, David Hulme, interviewte Bernard Wasserstein im Jahr 2002 in Glasgow.

 

DH Wann in der modernen Geschichte entwickelte sich die Idee von Jerusalem als Hauptstadt?

BW Von der Zerstörung der Stadt des Herodes im Jahre 70 n. Chr. an bis 1917, als es bis 1948 die Hauptstadt des britischen Protektorats wurde, war Jerusalem keine Hauptstadt gewesen. Von 70 bis 1917 war es ein provinzielles Zentrum, eine Art Provinzhauptstadt, aber nicht die Hauptstadt eines unabhängigen Staates. Das Protektorat Palästina war natürlich auch kein unabhängiger Staat, sondern eine britische Kolonie mit anderem Namen. Erst 1948 wurde Jerusalem die Hauptstadt eines unabhängigen Staates.

Der östliche Teil der Stadt wurde von Israel nach dem arabisch-israelischen Krieg von 1967 okkupiert. Israel unternahm alles, was möglich war, um die Kontrolle über Jerusalem zu festigen und die Rolle der Stadt als Hauptstadt aufs Neue zu betonen. Dabei ist es geblieben. Das hat allerdings den Rest der Welt nicht überzeugen können, dass Jerusalem die Hauptstadt Israels sei, zumindest nicht auf diplomatischer Ebene – obwohl Jerusalem praktisch gesehen genau dies ist.

DH Warum haben die frühen Zionisten es vermieden, Jerusalem zu einem Zentrum zu machen?

BW Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Erstens wollten die frühen Zionisten gemäß ihrer Ideologie die sozioökonomische Pyramide des jüdischen Lebens auf den Kopf stellen. Wir könnten dies eine antiurbane [gegen Verstädterung gerichtete] Ideologie nennen. Jerusalem war das Zentrum städtischer Ansiedlung im Palästina jener Zeit – mehr als die Hälfte der Juden im Palästina Ende des 19. Jahrhunderts lebten in dieser Stadt –, insofern war es in gewissem Sinne der Feind. Es war auch der Feind, weil die große Mehrheit der Juden, die in Jerusalem lebten, religiöse Anti-Zionisten waren. Diese hegten keine Sympathie für die Ideologie und die Ziele der zionistischen Agrarpioniere, die sich selbst als neuer Besen sahen, der die angesammelten Trümmer der jüdischen Vergangenheit auskehren würde, inklusive der bestehenden jüdischen Bevölkerung Jerusalems. Die Zionisten verwandten wenig Zeit für die Juden in Jerusalem, und das beruhte auf Gegenseitigkeit.

DH Der zionistische Gründungsvater Theodor Herzl beschrieb nach seinem ersten Besuch in Jerusalem die Stadt in seinem Tagebuch als einen schmutzigen, übel riechenden Ort und nicht so, wie man es erwartet hätte.

BW Nahezu alle Besucher Jerusalems des 19. Jahrhunderts, all die europäischen Besucher, die ihre Eindrücke aufgeschrieben haben, waren von dem, was sie sahen, ziemlich entsetzt. Wenn Sie nicht nur die Eindrücke Theodor Herzls betrachten, sondern auch die von Mark Twain oder Alexander Kinglake – einem der großen Reiseschriftsteller des 19. Jahrhunderts –, sie alle beschreiben Jerusalem als einen ziemlich übel riechenden und enttäuschend ungeistlichen Ort. Das gilt auch für den zweitgrößten Führer des Zionismus, Chaim Weizmann, der Anfang des 20. Jahrhunderts Palästina besuchte und gleichermaßen entsetzt war. In seinen Briefen an seine Frau Vera empörte er sich über die Juden von Jerusalem und über den Schmutz, in dem sie lebten. Das Jerusalem jener Zeit war ein ziemlich unattraktiver Ort.

DH Wie gelangten wir von der gegen Jerusalem gerichteten Position unter den frühen Zionisten zu dem Status Jerusalems als Israels „ewiger und ungeteilter Hauptstadt“, einer Position, die vielen dazu geeignet scheint, eine verhärtete Situation zu schaffen.

BW Nun, zuallererst sollten wir nicht vergessen, dass sich der Zionismus um Zion dreht. Der Berg Zion liegt im Herzen Jerusalems. Der Zionismus sah sich sehr bald mit dem Dilemma konfrontiert, ob man sich nun auf Palästina oder ein anderes Gebiet konzentrieren sollte, das vielleicht einer jüdischen Immigration wohlwollender gegenüberstand. Eine wegweisende Entscheidung in dieser Frage wurde auf dem Kongress der Zionisten im Jahre 1903 gefällt, auf dem man über ein Angebot der britischen Regierung debattierte, in Ostafrika ein Gebiet für eine jüdische Ansiedlung zu schaffen. Auf diesem Kongress und einem weiteren, der im darauf folgenden Jahr stattfand, wurde entschieden, dass die zionistische Organisation kein anderes Gebiet als Palästina akzeptieren würde.

Die Zionisten etablierten ihr politisches Hauptquartier in den 30er-Jahren, indem sie eine jüdische Agentur errichteten. Und es wurde mehr oder weniger klar, obwohl darüber nie ausführlich diskutiert worden war, dass Jerusalem die Hauptstadt des jüdischen Staates werden würde. Die Diskussion darüber begann 1936, als die Frage einer Teilung Palästinas aufkam. Zu dieser Zeit war die Frage, ob Jerusalem Teil des jüdischen Staates sein sollte oder nicht. Die Zionisten hatten natürlich die Ambition, so viel wie möglich von Palästina ihrem Staat einzuverleiben. Was Jerusalem betraf, waren sie in einer vorteilhaften Lage, da die Juden die Mehrheit in der Stadt stellten, und das seit Ende des 19. Jahrhunderts.

Der Bürgermeister war allerdings immer ein Muslim gewesen. Diese Regelung bestand seit der Herrschaft der Ottomanen. Der erste Bürgermeister unter den Briten war ebenfalls ein Muslim, wie auch der zweite und dritte. Diese Bürgermeister gerieten unter zunehmenden Druck seitens der jüdischen Mehrheit in der Stadt, und die Juden forderten mehr und mehr, dass sie ihren eigenen Bürgermeister haben sollten.

Von Anfang an war das Interesse der Zionisten an Jerusalem eher eine Sache einer allmählich zunehmenden Bedeutung, als einer von vorneherein bestehenden ideologischen Grundbedingung. Sie dachten, dass es gegenwärtig besser wäre, die Idee von Jerusalem als internationaler Stadt zu akzeptieren, in der Hoffnung, dass es im Verlauf der Zeit und mithilfe der jüdischen Mehrheit Teil des jüdischen Staates werden würde.

DH Wie stehen Sie zu der fast religiösen Verehrung, die einige der säkularen Zionisten der Stadt entgegenbrachten? Ich denke dabei an Moshe Dayan, der 1967 die Altstadt eroberte. Zu dieser Zeit war er ein erklärter Atheist. Plötzlich klang er jedoch wie einer der Religiösen.

BW Moshe Dayan war der Leiter der israelischen Delegation in den Jahren 1949, 1950 und 1951, die mit den jordanischen Repräsentanten über den Status Jerusalems verhandelte. Das Resultat war praktisch eine Übereinkunft über die Teilung der Stadt. Tatsächlich hatte Dayan Vorschläge der israelischen Regierung unterbreitet, mehrere kleine Territorien zu tauschen. Israel wollte Teile von Westjerusalem aufgeben als Gegenleistung für andere Gebiete, im Besonderen für den Zugang zur israelischen Enklave am Berg Scopus und dem Gebiet, auf dem die hebräische Universität und das Hadassah Hospital lagen, einer Insel jüdischen Territoriums, umgeben von Arabern.

Ich denke, 1967 war sogar für die weltlichen Juden ein religiöser Moment. Der Zionismus wurde zu einer Art säkularen Religion für viele Juden in der Diaspora, speziell in der Zeit zwischen 1967 und vielleicht bis zu den frühen 1980ern. Vieles von ihrem religiösen Leben hatten sie abgelegt, aber sie suchten nach einer nichtreligiösen Form der Verbindung zu ihrer Vergangenheit und fanden diese im Zionismus. In den Steinen der westlichen Mauer – diesen physischen Relikten der jüdischen Geschichte, die in diesem Moment eingenommen worden waren – fanden sie einen Mittelpunkt für diese Art von säkularer religiöser Hingabe.

DH Das bringt uns zur Frage von Identität und Ideologie. Wir haben hier ein Volk, das fortwährend sagte: „Nächstes Jahr in Jerusalem“, das diesen Slogan über Generationen immer wieder wiederholt hat. Sogar wenn diese Menschen säkularisiert werden, bleibt die Stadt doch ein mächtiges Bild ihrer Vorstellung. Gibt es ein ideologisches Element, das die Identität untermauert, sodass, wenn einmal alle Bedingungen richtig sind, die Wichtigkeit dieses ideologischen Elements auf persönlicher Ebene wieder zum Vorschein kommt?

BW Nun, sehen Sie, die Zentralität Jerusalems in der zionistischen Ideologie tritt eigentlich erst ab 1967 hervor. Es gab zwischen 1948 und 1967 kaum Forderungen in Israel oder in der jüdischen Welt nach irgendeiner Kampagne zur Befreiung Jerusalems oder für einen gewaltsamen Wiederanschluss des östlichen Teils der Stadt. Es gab natürlich Beschwerden über die Weigerung Jordaniens, den Juden zu erlauben, an der westlichen Mauer (Klagemauer) zu beten oder den historischen Friedhof auf dem Ölberg zu besuchen – dies war im israelisch-jordanischen Waffenstillstandsabkommen von 1949 festgelegt worden. Aber diese Probleme waren Teil der allgemeinen Beschwerden, die mit dem fortwährenden Kriegszustand der beiden Länder zu tun hatten. Sie waren zu dieser Zeit nicht wirklich zentrale Forderungen oder Denkweisen der Zionisten. Ab Juni 1967 wurde Jerusalem ein absolut zentrales Thema. Und nachdem man den östlichen Teil der Stadt eingenommen hatte, im Speziellen die Klagemauer, wurde die Vorstellung, diesen wieder aufzugeben, für die meisten Israelis bis vor kurzem nahezu undenkbar.

DH Nach dem 67er-Krieg gab es eine Debatte darüber, welches Territorium zurückgegeben werden sollte. David Ben Gurion, damals schon im Ruhestand, riet seinen Kollegen, die Westbank zurückzugeben, aber nicht Ostjerusalem. Warum hat er diese Grenze gezogen?

BW Ich erinnere mich daran, dass ich 1970 zu Ben Gurion gegangen bin, um mit ihm darüber und über andere Dinge zu reden. Die Sache war für ihn sehr klar. Auch die Golanhöhen betrachtete er als eine Ausnahme. Sie müssen bedenken, dass Israel zu jener Zeit noch keine akzeptierten Grenzen hatte, da es sich immer noch mit allen seinen Nachbarn im Kriegszustand befand und seit seiner Gründung befunden hatte. Deshalb war die Vorstellung, dass die Grenzen während des Waffenstillstands von 1949 bis 1967 unantastbar waren, nicht Teil des israelischen Denkens. Die Sicht war eher, dass Israel das Bestmögliche aus den Verhandlungen herausholen sollte – das, was strategisch sinnvoll wäre, auch in Bezug auf mögliche Friedensvereinbarungen mit seinen Nachbarn. Ben Gurions Sicht war, dass die Golanhöhen aus strategischen Gründen unabdingbar waren und dass Jerusalem aus sentimentalen oder ideologisch-nationalistischen Gründen unverzichtbar war. Seither hat sich die strategische Sichtweise Israels in Bezug auf die Golanhöhen geändert. Hauptsächlich wegen der Veränderungen in der Militärtechnologie, der neuen Raketentechnologie u. dgl. – deshalb haben die Golanhöhen nicht mehr die strategische Bedeutung, die sie im Denken der Israelis einmal hatten.

Auch was Jerusalem betrifft, gab es Veränderungen. Wir haben heute eine neue Generation, und viele Israelis, wie Barak, haben eine andere Sichtweise über Jerusalem und sind bereit, unterschiedliche Vereinbarungen zu treffen und bedeutende Zugeständnisse Israels in Kauf zu nehmen. Sie sind zweifellos ideologische Nachkommen Ben Gurions.

DH Wenn palästinensische Führer über Jerusalem reden, was verstehen sie darunter?

BW Ich denke, dass Jerusalem in der palästinensischen politischen und sozialen Vorstellung eigentlich nur die wirklich von Arabern bewohnten Stadtteile einschließt – vor allem also arabische Wohngebiete und Gebiete, die einmal von Arabern bewohnt waren. Westjerusalem jedoch war mit Ausnahme einiger Gebiete immer hauptsächlich jüdisch gewesen und gehört nicht zu dem, was man „terra irredenta“ (unerlöstes Gebiet) der Palästinenser nennen könnte, falls sie nicht ganz Palästina als solches sehen. Warum es ihnen vor allem geht, ist das Gebiet, das von 1949 bis 1967 unter jordanischer Hoheit war – im Besonderen die Altstadt und die moslemischen und christlichen Stadtteile – weniger die jüdischen und armenischen.

DH Ist eine Übereinkunft über Jerusalem zwischen den zwei hauptsächlichen Gegenspielern möglich?

BW Bereits am 31. Oktober 1995 lag ein von den zwei Verhandlungsführern der israelischen und palästinensischen Regierung ausgearbeiteter Entwurf eines Abkommens vor. Er (der Entwurf) sah vor, dass die Araber im Wesentlichen die Kontrolle in den von Arabern bewohnten Gebieten und die Juden dasselbe in den jüdisch bewohnten Gebieten haben sollten. Es war kein vollständiges Abkommen, aber es liegt immer noch auf dem Tisch und war die Basis der Vorschläge, die von Barak gemacht wurden und die effektiv von Präsident Clinton in Camp David im Sommer 2000 genehmigt wurden.

Ich habe das Gefühl, dass dies die Basis aller etwaigen Abkommen über Jerusalem bleiben wird – nicht weil mir das so gefällt oder ich es für vernünftig halte, sondern weil es das einzige Abkommen ist, das die Politiker Jerusalems dazu bringt, irgendwie einen Einklang mit der existierenden sozialen Geografie zu schaffen. Das ist eine Tatsache, die auch die heißesten Debatten über die Wichtigkeit Jerusalems für die eine oder andere Religion nicht ändern können.

DH In Ihrem Buch Divided Jerusalem erwähnen Sie viele ausländische „Mitspieler“, die sich in die Politik und das soziale Leben von Jerusalem eingemischt haben. Diese gibt es immer noch. Da ist z. B. das so genannte Quartett von UNO, der USA, der EU und Russland. Es gibt auch das Trio Ägypten, Jordanien und Saudi Arabien (siehe auch den Kastenartikel „Das Trio und das Quartett“ im Artikel „Stadt der Religionen“). Wie wichtig sind all diese Mitspieler für die Lösung des Problems Jerusalem?

BW Nun, der Einfluss von außerhalb hat immer eine bedeutende Rolle in Jerusalem gespielt. Jerusalem ist nun einmal eine internationale Stadt. Es bewegt Milliarden von Menschen – Muslime, Juden und Christen. Durch die gesamte überlieferte Geschichte hindurch sehen wir, wie von außen versucht wurde, das Schicksal der Stadt zu bestimmen. Die wesentlichen politischen Entscheidungsträger des Schicksals Jerusalems in jüngster Zeit waren aber lokaler Herkunft, hauptsächlich Israelis, Palästinenser und Jordanier. Die Anstrengungen, die Zukunft der Stadt von außen zu diktieren, festzulegen oder zu beeinflussen, waren nicht sehr effektiv. Muslime, Christen, die Sowjetunion, die Vereinigten Staaten, Großbritannien – sie alle mussten gehen, aber keiner von ihnen war in der Lage, wirklich bestimmenden Einfluss auszuüben. Ich denke, es ist eine sehr gesunde Sache, dass vor allem die Menschen oder Volksgruppen von Jerusalem diejenigen sein sollten, die seine Zukunft bestimmen.

Um es ziemlich deutlich zu sagen, ich denke nicht, dass die christliche Welt in den letzten Jahrzehnten in Bezug auf Jerusalem eine sehr konstruktive Rolle gespielt hat. Über die jüdische und muslimische Welt kann man sich sein eigenes Urteil bilden, wie es wohl auch jeder tut. Der christliche Versuch, Jerusalem 1947 unter dem Vorwand einer Internationalisierung einfach einzunehmen, hat jedenfalls nicht funktioniert. Der Hauptgrund, warum dies nicht klappte, war, dass sich die Einwohner (von denen zu jener Zeit weniger als 20% Christen waren) gegen eine christliche Kontrolle in Form einer so genannten internationalen Herrschaft entschieden.

Dass der Vatikan sich davon zurückgezogen hat, die christliche Kontrolle im Mantel einer internationalen Herrschaft sicherstellen zu wollen, ist klar. Man hat dort mittlerweile akzeptiert, dass man seine Ziele auf den Schutz der heiligen Stätten und der wenigen übrig gebliebenen christlichen Einwohner Jerusalems beschränken muss, die nunmehr auch weniger als 5 % der Bevölkerung stellen. Ich halte es auch für eher unwahrscheinlich, dass die Europäische Union in dieser Frage eine bedeutende Rolle spielen wird.

Bei den abschließenden Verhandlungen zwischen den Israelis und den Palästinensern in Camp David im Jahre 2000 und den darauf folgenden Diskussionen im Dezember 2000 und Januar 2001 in Taba gab es ein Hin und Her über alle möglichen Ideen in Bezug auf die Altstadt. So zum Beispiel die Idee einer Teilung der Souveränität am Tempelberg in der Weise, dass alles, was im Erdboden ist, israelisch sein würde, und alles über dem Boden palästinensisch. Eine andere Idee, die aufkam, war, Gott die Souveränität zu übertragen. Dies ist sicherlich eine hart zu knackende Nuss. Ich glaube aber, dass das Problem schlussendlich lösbar ist, sogar die Fragen über Tempelberg und heilige Stätten.

In diesem Punkt denke ich, dass die Beachtung der Geschichte der Jerusalem-Frage hilfreich ist. Sie ist lösbar durch Besinnung auf das alte Prinzip, durch welches die meisten Streitigkeiten in Jerusalem über die Jahrhunderte beruhigt worden sind – das Prinzip des Status quo in Bezug auf die heiligen Stätten. Die Vorstellung der Klagemauer als einer heiligen Stätte der Muslime ist eigentlich in der muslimischen Religionsgeschichte eher neu. Die palästinensische Führung hat klar gemacht, dass sie als letzten Ausweg auch bereit wäre, israelische Souveränität für die Klagemauer und das jüdische Altstadtviertel zu akzeptieren. Es ist ebenfalls eine Tatsache, dass man in Bezug auf Gebetsrechte für die Juden auf dem Tempelberg von Juni 1967 bis heute von keinerlei Forderung seitens irgendeiner jüdischen Quelle, die etwas zu sagen hatte, gehört hat. Erst seit die Juden ihn eingenommen haben, ist darüber geredet worden. Es ist auch Tatsache, dass der Tempelberg von Juni 1967 bis heute vollständig unter Kontrolle der muslimischen religiösen Autorität verblieben ist. Keine Synagoge wurde darauf errichtet. Und jede israelische Regierung, links- oder rechtsgerichtet, inklusive der gegenwärtigen Regierung unter Ariel Sharon, hat ein gesetzliches Verbot jüdischen Gebetes auf dem Tempelberg durchgesetzt.

Schlussendlich werden wir sehen, dass das Prinzip des Status quo den Weg zu einer Lösung zeigt; das bedeutet eine Fortführung muslimischer Kontrolle über das, was seit Beginn der muslimischen Herrschaft in Jerusalem eine heilige Stätte der Muslims war und nicht eine jüdische.

DH Sind Sie optimistisch, dass es kurzfristig zu einer Lösung des Problems kommt?

BW Ja, das bin ich. Ich glaube, dass die Israelis und die Palästinenser auf einem langen, verdrehten, verschlungenen und qualvollen Weg in Richtung einer Übereinkunft sind. Eigentlich sind sie schon seit 1993, mit Höhen und Tiefen, auf diesem Weg. Im Moment sind wir an einem schlimmen Punkt angelangt, aber im Gesamten gesehen, ist beträchtlicher Fortschritt gemacht worden.

Der Entwurf einer Lösung (der im Falle Jerusalems schon mehr oder weniger ausgearbeitet worden ist, wie ich schon ausgeführt habe) wird seine Absegnung durch die Politiker und durch die Mehrheit der öffentlichen Meinung beider Seiten erhalten. Es wird zweifellos Widerstand geben, es wird Rückschläge geben, und es wird schwierig sein, zu diesem Punkt zu gelangen. Angesichts der Wegstrecke, die wir bereits zurückgelegt haben – wenn man an die Zeit zurückdenkt, als Israelis und Palästinenser es noch ablehnten, miteinander zu reden oder sich gegenseitig anzuerkennen, und der einzige Wunsch war, sich gegenseitig auszulöschen –, glaube ich, dass die letzten Hürden auch noch überwunden werden. Wir müssen auf den richtigen psychologischen Moment warten.