Lieber eine bessere DNS?
Neue Wege in der Landschaft der Genetik
Die Biochemikerin Jennifer Doudna spricht über neueste Verfahren der Gentechnik, mit denen sich die menschliche DNS korrigieren lässt. Allerdings wird dadurch die Liste ethischer Fragen, mit denen sich Forscher heutzutage auseinandersetzen müssen, noch länger.
Jennifer Doudna wuchs auf der Hauptinsel des US-Bundesstaates Hawaii auf, gewöhnt an die große Kurve des Horizonts und den grenzenlosen Himmel über diesem winzigen Punkt mitten im Ozean. Eine solche Aussicht kann durch ihre Größe überwältigen, aber auch Möglichkeiten versprechen: Man ist praktisch im leeren Raum, aber überall ist gleich da, hinter dem Rand, unter der Oberfläche, zu unseren Füßen. Dieses Bild passt zu der Entdeckung, für die Frau Doudna vor allem bekannt ist. Im Inneren der winzigsten Bakterienzellen haben sie und ihr Team einen Zugang zu einer ganz neuen Welt entdeckt: Indem es ihnen gelang, die Bakterien-DNS von infektiösen Viren zu erkennen und zu zerschneiden, fanden sie einen Weg, Gene zu „editieren“ – sie gezielt zu korrigieren.
Moleküle, die DNS zerschneiden (sogenannte Restriktionsenzyme), waren zwar bereits seit Jahrzehnten bekannt, aber dennoch war dies etwas Neues – ein Enzym, das programmiert werden konnte, an einer bestimmten Stelle zu schneiden. Durch diese bahnbrechende Entdeckung wurde unverhofft ein ganz neues Fenster zu einer Gentechnik von zuvor unerreichbarer Präzision und Genauigkeit aufgestoßen.
Frau Doudna und ihr Forscherteam schrieben 2012 in Science: „Wir schlagen eine alternative Methodik auf der Basis RNS-programmierter Cas9 vor, die erhebliches Potenzial für Anwendungen zur Ansteuerung von Genen und zur Genomkorrektur bieten könnte.“
Cas9, auch CRISPR genannt, hat die Welt der Gentechnik im Sturm erobert. In einem neueren Rückblick heißt es: „CRISPR ist rasch zum bevorzugten Werkzeug der Genmanipulation geworden, und es zeigt unglaubliche Aussichten als Plattform für die Erforschung von Genfunktionen in vivo.“
„Ich finde das Potenzial der Genomkorrektur spannend, eine positive Wirkung auf das menschliche Leben und unser Grundverständnis biologischer Systeme zu haben“, sagt Frau Doudna. Doch was ist der beste Weg voran in diese neue Welt?
„Vertrauen zur Naturwissenschaft bewirkt man am besten, indem man die Menschen, die an der Entstehung einer Technologie mitarbeiten, zur aktiven Beteiligung an Diskussionen über deren Nutzung anregt. Das ist besonders wichtig in einer Welt, wo Naturwissenschaft global ist, wo Materialien und Reagenzien von zentralen Anbietern geliefert werden und wo es leichter denn je ist, auf publizierte Daten zuzugreifen.“
Frau Doudna ist Professorin für Biochemie, Biophysik und strukturelle Biologie an der University of California in Berkeley. Sie sprach in ihrem Büro auf dem Universitätsgelände mit Dan Cloer von Vision.
DCWorum geht es, wenn wir über Keimbahnmodifizierung sprechen? Wie hat der internationale Gentechnikgipfel im Dezember 2015 Ihre Sicht beeinflusst?
JDDas ist so fantastisch, wenn man darüber nachdenkt. Plötzlich begreift man: „Wow, wir haben etwas in der Hand, was uns im Prinzip erlaubt, die menschliche Evolution zu verändern. Wir können eine Mutation aus der gesamten Population löschen – sie einfach wegmachen.“
Es gibt natürlich Fragen der wissenschaftlichen Machbarkeit und Realitäten der menschlichen Fortpflanzung, deshalb werden wir nichts über Nacht machen. Aber das Gesamtbild ist, dass wir die Mittel haben, unsere DNS zu verändern und damit das zu ändern, was wir an künftige Generationen weitergeben. Und jetzt können wir diese Entscheidungen treffen. Das ist ein Gedanke von großer Tragweite.
„Wir haben die Mittel, unsere DNS zu verändern und damit das zu ändern, was wir an künftige Generationen weitergeben. Und jetzt können wir diese Entscheidungen treffen.“
Das Gipfeltreffen hat diese Sicht nicht verändert, aber erweitert. Ich bin ein ziemlich offen denkender Mensch und versuche, zu lernen und zu verstehen. Ich kenne die naturwissenschaftliche Seite, weil ich Naturwissenschaftlerin bin, aber ich versuche, all die anderen Ansichten hierüber zu verstehen. Der Gipfel war interessant, weil wir von einigen Bioethikern und Leuten gehört haben, die mit Patienten und Familien mit genetisch bedingten Störungen arbeiten. Ich hatte Kontakt mit Menschen, die diese Krankheiten haben, mit verzweifelten Eltern, die Hilfe wollten. Ich bin selbst Mutter, also kann ich ihre Wünsche vollkommen verstehen.
Der Gipfel hat ein wichtiges Ziel erreicht, nämlich wichtige Beteiligte zusammenzubringen; nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Leute aus anderen Lebensbereichen – nicht alle, aber es war ein Anfang. So kamen mehrere Sichtweisen zum Ausdruck, und das war großartig. Generell war man sich einig, dass die Forschung weitergehen sollte, aber wir wollen mit der gebotenen Vorsicht weitermachen. Deshalb war das Ziel unserer Abschlusserklärung ein breiter gesellschaftlicher Konsens, bevor wir diese Technologie in irgendeiner klinischen Anwendung in der menschlichen Keimbahn einsetzen. Aber wie definiert man „breiter gesellschaftlicher Konsens“? Das werden wir noch sehen, es war nicht das Ende des Meinungsaustauschs, sondern der Anfang.
DCAm Ende des Gipfels wurde über die Sprache diskutiert – dass ein Glossar nötig wäre, um diese Informationen für interessierte Laien zugänglich zu machen. Ich hatte den Eindruck, dass die „Koryphäen“ (wie David Baltimore die Redner und die Zuhörer nannte) die Erwachsenen im Raum waren und wir anderen die Kinder, die man unterweisen oder zu einer Schlussfolgerung führen musste. Kann die Öffentlichkeit das, was sie wissen muss, verstehen?
JDDie Frage macht mich ein bisschen traurig; ich empfinde sicher nicht so, und dieser Eindruck tut mir leid. Wir sind alle Menschen, die in derselben Gesellschaft und auf demselben Planeten zusammenleben. Ja, manche von uns verfügen über Fachwissen in den Naturwissenschaften, andere auf anderen Gebieten; aber wir alle sind relevant für diese Diskussion. Ich bin auf anderen Gebieten absolut eine Lernende – so, wie Nichtnaturwissenschaftler vielleicht hier Lernende sind. Ich möchte mich am Meinungsaustausch beteiligen, nicht anderen diktieren oder vorsagen, was sie zu denken haben. Allerdings ist es die Realität, dass Naturwissenschaftler eine bestimmte Wissensbasis haben.
Die Herausforderung besteht darin, wie man solche Informationen an Leute vermittelt, die keine Fachleute sind. Wissenschaft ist auch eine ganz eigene Sprache, und wir gewöhnen uns an unsere Abkürzungen. Ich finde, an diesem Meinungsaustausch müssen sich unbedingt Naturwissenschaftler beteiligen, aber wir brauchen auch alle anderen mit am Tisch. Ich will, dass die Menschen von einer informierten Position aus über diese Dinge nachdenken – dass sie das Wissenschaftliche gut genug verstehen, um entscheiden zu können, was sie wirklich davon halten. Ich möchte einfach sicher sein, dass ich als involvierte Naturwissenschaftlerin das Meine tue, um diese Informationen zu liefern – zu erklären, was das hier ist, damit die anderen von einer informierten Perspektive aus darüber nachdenken können. Ich will ihnen nicht sagen, was sie denken sollen; ich will ihnen nur sagen: „Das ist es, worum es geht. Jetzt entscheiden Sie.“
DCIn einem Artikel in Nature haben Sie geschrieben: „Die rapide Entwicklung und weitverbreitete Verwendung einfach zu handhabender, kostengünstiger und effektiver Methoden zur Genomkorrektur hat die Landschaft der Biologie verändert.“ Für Laien ist dies äußerst komplex; können Sie uns sagen, was es im Wesentlichen bedeutet?
JDEs bedeutet, dass wir nun ein Mittel haben, das es uns erlaubt, den genetischen Code umzuschreiben, die DNS in Zellen zu verändern. Das ist von großer Tragweite. Damit können Wissenschaftler Dinge tun, die früher wirklich schwer oder unmöglich gewesen wären. Wenn ich an die „Landschaft der Biologie“ denke, denke ich an alles; nicht nur an Humanbiologie und Humanmedizin, sondern auch an die Biologie der Pflanzen, Pilze, die Welt der Bakterien. Das ist etwas Großes.
DCGibt es da auch einen dunklen Bereich? Wie einfach wäre es, eine Superbazille zu bauen?
„Wenn Leute wegen Bioterrorismus besorgt sind, da gibt es viel einfachere Wege als den, um Probleme zu machen.“
JDDas wäre möglich, wenn auch mit Schwierigkeiten; aber wenn ein Terrorist darauf aus ist, Schaden anzurichten, gibt es viel einfachere Wege. Darüber mache ich mir nicht allzu viele Sorgen. Wenn wir sagen, es ist „einfach und leicht zu handhaben“, meinen wir das relativ. Wenn man Molekularbiologe ist, ist es wirklich einfacher und leichter, aber für den Durchschnittsbürger auf der Straße gilt das nicht. Wenn Leute wegen Bioterrorismus besorgt sind, da gibt es viel einfachere Wege als den, um Probleme zu machen.
DCVor 50 Jahren wurde der Begriff Algenie geprägt, zusammengesetzt aus Alchemie und Gene; er spiegelt eine gewisse Skepsis gegenüber dem wider, was wir durch das Verändern von Genen tatsächlich erreichen könnten. Sind wir zu verliebt in Gene? Wie gut verstehen wir ihre deterministische Kraft?
JDDas wird ein bewegliches Ziel sein. Heute kennen wir eine Gruppe von Genen, die spezifische monogenetische Krankheiten verursachen [d. h., die von einem Defekt an einem einzelnen Gen hervorgerufen werden: Tay-Sachs-Syndrom, Sichelzellenanämie, Mukoviszidose, Bluterkrankheit etc.]. Und wir wissen: Wenn wir diese Mutationen bei Patienten reparieren könnten, hätte das für die Betroffenen einen enormen Nutzen. Darüber hinauszugehen zu komplexeren Krankheiten, etwa Schizophrenie, Störungsbildern des autistischen Spektrums oder anderen, wo viele Gene betroffen sind (vielleicht hundert Gene oder mehr, wo jedes ein wenig beitragen kann), wird schwierig sein. Wie soll man sich jemals vorstellen, die mit einer Korrektur des Genoms anzugehen? Ich weiß es nicht. Wäre ein Eingriff in die Gene jemals angemessen? Heute sind wir sicher nicht so weit, und vielleicht kommen wir nie dahin.
Bei allen möglichen anderen Dingen haben wir tatsächlich keine Ahnung, welche genetische Basis ihnen zugrunde liegt. Aber ich denke schon, dass künftig mehr Wissen verfügbar sein wird. Ich habe keine spezifische, zeitliche Vorstellung, aber ich glaube, dass die Technologien zur Korrektur des Genoms zu diesem grundlegenden Verstehen beitragen werden. Mit der fortschreitenden Entwicklung werden wir die Genetik anderer Merkmale und Krankheiten zergliedern können. Aber der heutige Stand ist: Wenn jemand tatsächlich genau dieses größere, schlauere Kind mit diesem Maß an Intelligenz haben wollte, ist es nicht so, als könnten wir das in das Genom einwählen.
DCDiese Art der Optimierung wirft eine Reihe anderer Fragen auf, aber bei monogenetischen Krankheiten sind die Fragen dem Anschein nach einfacher und könnten bewältigt werden.
JDNicht alle Probleme sind gelöst, ganz sicher. Aber wenn das Ihr Problem ist, dann ist es riesig. Meine Forschung betrifft die Technologie der Genkorrektur und auch bakterielle Immunsysteme. Wir kooperieren mit Klinikern im Bereich der Anwendung der Technologie, um die genetische Basis bestimmter Krankheiten zu verstehen, und wir hoffen, dass es künftig tatsächlich einen Nutzen für Patienten geben wird. Ich bin keine Ärztin, deshalb mache ich die klinischen Dinge nicht selbst; ich will aber denen, die sie machen, Therapiemöglichkeiten eröffnen. Das sind alles Therapien mit adulten somatischen Zellen, nicht mit Keimbahnzellen.
„Nicht alle Probleme sind gelöst, ganz sicher. Aber wenn das Ihr Problem ist, dann ist es riesig.“
Ich möchte mich wirklich an der allgemeinen Diskussion hierüber beteiligen; ich werfe das nicht einfach über den Zaun und überlasse es denen „auf der anderen Seite“, damit klarzukommen. Ich möchte festhalten, dass ich mich an diesem Meinungsaustausch beteilige und dass ich ein Gefühl für die Verantwortung habe.
DCWas war Ihr Beitrag zur Entdeckung von CRISPR/Cas9? Wie funktioniert das „Editieren“ von Genen?
JDDie CRISPR-Forschung war eine Gemeinschaftsarbeit von mir und Emmanuelle Charpentier in Deutschland. Wir haben uns zusammengetan, um die molekulare Funktion eines bestimmten Proteins namens Cas9 im bakteriellen Immunsystem zu identifizieren. Unsere Forschung hat gezeigt, dass das ein RNS-gesteuertes Protein ist.
Hier ist ein Modell. Das Protein verbindet sich mit einem RNS-Molekül [orange]. Die RNS sitzt innen im Protein. Zusammen suchen sie die DNS [blau] der Zelle nach einer Übereinstimmung zwischen den genetischen Buchstaben in der DNS und den Buchstaben der RNS ab. In dieser Weise hat die RNS eine steuernde Funktion in dem System; sie sucht nach einer spezifischen DNS-Sequenz. Wird eine Übereinstimmung der 20-stelligen Buchstabensequenz der RNS mit einem Segment der DNS gefunden, wird die DNS-Doppelhelix geöffnet (der hellblaue Strang wird von dem dunkelblauen getrennt und es wird eine RNS-DNS-Helix gebildet, die im Inneren des Proteins steckt). Dann zerschneidet eine molekulare „Schere“ im Protein die beiden DNS-Stränge. Dieser Schnitt ist sehr präzise, wie mit einem Skalpell; die DNS-Leiter wird gerade durchgeschnitten. Bei Bakterien ist das ein Mechanismus, Virusinfektionen zu bekämpfen.
Andere Mechanismen in der Zelle reparieren den Schnitt. Bei dieser Reparatur geschieht die eigentliche Korrektur der DNS, und die Sequenz kann verändert werden. Cas9 ist die Schere, aber dann muss die zerschnittene DNS anderen Proteinen in der Zelle überlassen werden, die die Rekombination katalysieren. Diese Reparaturenzyme können DNS, die man im Experiment zuführen kann, finden und einflicken.
Diese Reparaturenzyme sind schon seit Langem bekannt. Der Gedanke lautete also: Wenn man einen Weg finden könnte, die DNS an einer bestimmten Stelle zu öffnen, an der man eine Änderung einbringen will, dann könnte man steuern, wie diese Reparatur geschieht. Das war die Herausforderung – wie kann man genau da schneiden, wo man will.
Schon als ich noch Studentin war, in den 1980er-Jahren, gab es Überlegungen, wie man das bewerkstelligen könnte. Ich war im Massachusetts General Hospital, als Jim Gusella die Mutation kartierte, die Chorea Huntington verursacht, eine unheilbare neurologische Krankheit (früher als „Veitstanz“ bezeichnet). Und alle dachten: Jetzt kennen wir also das Gen, aber wie reparieren wir es? Es kursierten alle möglichen Ideen. Was, wenn man eine Chemikalie hätte, die es aufbrechen könnte? Oder wenn man ein anderes Stück DNS nähme, um es aufzubrechen?
Als wir auf dieses Protein im bakteriellen Immunsystem stießen, hatten wir natürlich gar nicht danach gesucht. Aber als wir verstanden, wie es funktioniert, begriffen wir, dass das ein unglaubliches Mittel zur Genomkorrektur sein würde. Weil wir es mit diesem kleinen Stück RNS programmieren können, können wir einen Schnitt setzen, wo wir wollen.
„Als wir verstanden, wie es funktioniert, begriffen wir, dass das ein unglaubliches Mittel zur Genomkorrektur sein würde.“
DCWie bekommt man es an die richtige Stelle, die richtigen Zellen?
JDAch ja, das ist eine sehr wichtige Herausforderung für die Zukunft, insbesondere im Hinblick auf Therapien. Im Moment ist die Methode, mit der wir das machen, eher grob: Wir können die Zellen elektrisch stimulieren oder chemisch behandeln, damit sie die Moleküle aufnehmen. Wir können sie an einen Antikörper anhängen, der dann von spezifischen Molekülen an bestimmten Zellen erkannt wird. Aber wir haben im Moment ehrlich gesagt keine besonders gute Methode, um das etwa in Muskel-, Hirn-, Leber- oder Lungenzellen einzubringen.
Was also die therapeutische Anwendung betrifft, steht ein Zuführungssystem ganz weit vorne. Ich habe größtes Interesse daran und arbeite mit verschiedenen Kollegen zusammen, um das herauszufinden. Ich denke allerdings, dass die ersten Therapien für Menschen, die diese Technologie nutzen, auf Blut oder das Auge beschränkt sein werden, denn die Zuführung in diese beiden Gewebe scheint weniger ein Problem zu sein. In das Auge kann man Material injizieren, und mit Blut kann man dem Körper Zellen entnehmen und sie außerhalb behandeln. Dann kann man validieren, dass die Bearbeitung richtig gelaufen ist, die Zellen wachsen lassen und sie dem Patienten wieder zuführen.
In diesen beiden Situationen ist die Zuführung kein so großes Problem, aber in anderen, z. B. bei der Behandlung der Duchenne-Muskeldystrophie, gibt es noch vieles herauszufinden. Bei einer anderen Methode werden künstlich erzeugte Viren eingesetzt, die die richtigen Zellen finden können und daran andocken; aber damit sind Risiken verbunden, die man in den Griff bekommen muss, wenn diese Methode beim Menschen verwendet werden soll.
Wir wissen, dass die Methode, Zellen außerhalb des Körpers zu verändern, in vitro prinzipiell funktionieren kann, denn immerhin wurde sie schon eingesetzt, um Krankheiten bei Tieren zu behandeln und zu heilen. Wir wissen, dass es z. B. bei Mäusen funktioniert; aber die Methode bei Menschen einzusetzen, ohne sie dabei zu gefährden, ist ein großer Schritt.
[Seit diesem Interview haben mehrere Labors berichtet, dass sie ein Zuführungssystem mit Viren verwenden, um die Duchenne-Mutation bei Mäusen zu korrigieren.]
DCWird die Technologie so zielgenau sein, dass heutige Bedenken gegen genetisch modifizierte Organismen beiseitegelegt werden?
JDJa, das kommt. Noch nicht, aber die Technologie kommt. Dies ist eine wirklich präzise Methode. Statt ein Virus zu brauchen, das wir irgendwo in ein Genom einbringen, um ein neues Gen zu bekommen (wie z. B. bei der ursprünglichen Gentherapie), programmieren wir nun ein Enzym, an eine spezifische Stelle in der DNS einer Zelle zu gehen und einen oder mehrere Schnitte zu setzen. Dann kann die Information sehr zielgenau verändert oder ersetzt werden. Bald werden wir das mit extremer Präzision und unglaublicher Effizienz tun können. Deshalb finden das alle so spannend. Es ist ein tief greifender Wandel in unserem Denken über die Biologie und in unserer Praxis der Biologie. Es ist ein Teil der neuen Landschaft.
DCCas9 ist ein Protein, also muss es ein Gen dafür geben. Bakterien haben dieses Gen. Haben wir es auch?
JDNein, nicht soweit wir wissen. Eukaryontische Zellen [Zellen mit einem Kern, der die DNS enthält] haben es anscheinend nicht, oder wir haben es nur noch nicht gefunden. Aber wenn sie es nicht haben, warum nicht? Vielleicht weil unsere Zellen viel komplexere Immunsysteme haben. Unser angeborenes Immunsystem bekämpft Viren durch eine Reihe von Proteinen und unser lernfähiges System entwickelt Antikörper; vielleicht brauchen wir so etwas deshalb nicht.
DCDas betrifft Vielzeller, aber alle unsere Probleme beginnen als einzelne Zellen. Krebs beginnt als einzelne Zelle. Wenn es also einen Reparaturmechanismus gäbe . . .
JDJa, aber die Zelle müsste wissen, dass sie eine Mutation hat, die schlecht ist, und dann fähig sein, sie zu korrigieren. Das „Wissen“ wäre der schwierige Teil. Aber bleiben Sie dran!
DCWaren Sie überrascht über die Tiefe der Aktivitäten im Inneren der Zelle?
JDIch werde jeden Tag überrascht. Das ist eine der Freuden, die Wissenschaftler haben. Wir Menschen sind faszinierende Wesen, und die ganze Art und Weise, wie Zellen wachsen und sich teilen und sich organisieren – ich weiß nie, was ich als Nächstes erwarten soll. Wer wusste, dass Cas9 existiert und diese Dinge tut? Wissenschaft ist ein Prozess wie Zwiebelschälen: Man entfernt eine Schicht und stellt fest: „Oh, darunter sind noch fünf weitere.“ Schicht um Schicht von Steuerfunktionen allein im Genom beispielsweise. Es geht ja nicht nur darum, dass Gene ein Protein kodieren. Es geht darum, wie diese Gene reguliert werden, um all die chemischen Modifikationen, die an der DNS gemacht werden, und die Mobilität und Plastizität der DNS. Das ist alles äußerst interessant.
DCWenn Sie sich die Zukunft der gezielten Veränderung von Genen vorstellen, ist da irgendetwas wissenschaftlich oder ethisch tabu bzw. etwas, wo die Kosten in Anbetracht des Nutzens zu hoch sind?
JDIch bin Naturwissenschaftlerin und glaube, dass es wichtig ist, Daten zu haben, um Entscheidungen zu treffen, insbesondere über Dinge wie diese. Allerdings meine ich, dass es für Experimente – vor allem mit Menschen, Tieren oder menschlichen Embryonen – geeignete Leitlinien geben muss, um Missbrauch zu verhindern. Es gehört zu unserem Wesen als Menschen, dass wir Regeln oder anerkannte Vereinbarungen haben wollen, damit in einer Art und Weise vorgegangen wird, die für die Gesellschaft verträglich ist. Eine Herausforderung ist aber, dass die Naturwissenschaft zwar global ist, gleichzeitig aber die verschiedenen Gesellschaften und Kulturen unterschiedliche Normen dafür haben, wie sie über diese Fragen denken. Ich weiß also nicht, ob wir zu einem Punkt kommen werden, an dem jeder auf der Erde sagen kann, wir sind uns alle einig, dass wir X und Y tun dürfen, aber nicht A und B.
„Die Naturwissenschaft ist zwar global, aber die verschiedenen Gesellschaften und Kulturen haben unterschiedliche Normen dafür, wie sie über diese Fragen denken.“
Ich denke aber schon, dass innerhalb einiger Rechtssysteme und wahrscheinlich auch innerhalb der Hauptströmung der Forscher und Kliniker (zumindest in den USA und Europa, vielleicht auch in Asien) Konsens darüber herrschen wird, wie eine Vorgehensweise aussieht, die menschliches Leben respektiert und mit deren Weiterentwicklung die Mehrheit kein Problem hätte.
Veränderungen brauchen immer Zeit. Sie und ich sind etwa gleich alt – alt genug, um uns daran zu erinnern, wie die künstliche Befruchtung erstmals allgemein zugänglich wurde. Es wurde viel darüber diskutiert, ob es in Ordnung sei, das zu tun; ich erinnere mich an Gespräche in meiner Familie – meine Eltern fragten: „Ist das richtig? Sollten Menschen das wirklich tun können?“ Aber mit der Zeit haben sich die Leute daran gewöhnt; sie haben festgestellt, dass auf diese Weise gezeugte Babys gesund zur Welt kamen und ihre Eltern sehr, sehr glücklich machten. Diese Kinder sorgten für große Freude. Ist das etwas Schlechtes? Manche Menschen sagen vielleicht „Das würde ich nie tun wollen“, aber andere sind der Meinung, dass die künstliche Befruchtung etwas Wunderbares ist.
Werden wir jemals an den Punkt kommen, an dem wir der Auffassung sind, es könnte unethisch sein, bei bestimmten Anwendungen nicht mit Genomkorrektur zu arbeiten? Das ist eine Möglichkeit, sogar für Eingriffe in die Keimbahn, aber wir sind noch nicht so weit; wir haben noch nicht die Forschungsergebnisse, um zu verstehen, wie die gezielte Veränderung von Genen beim Menschen funktionieren würde.