Wer Hat Die Heizung Aufgedreht?
Diskussion über die globale Erwärmung
Der frühere britische UN-Botschafter Sir Crispin Tickell, der ein starkes Interesse an Umweltpolitik hat, erläutert in diesem Interview mit Chefredakteur John Meakin einige Gedanken zur globalen Erwärmung. Derzeit ist Tickell Kanzler der University of Kent sowie Direktor des Oxforder Green College Centre for Environmental Policy, dessen erklärtes Ziel darin besteht, „die Kluft zwischen Naturwissenschaft und Politik in Fragen der Umwelt überbrücken zu helfen“. Er ist Autor des Buches Climate Change and World Affairs (Klimawandel und Weltpolitik 1977, 1986) und wird oft gebeten, über Umweltfragen zu referieren.
JM Was hat Sie zu Ihrem Engagement für die Umwelt geführt?
CT Während einer Freistellung vom diplomatischen Dienst hatte ich die Gelegenheit, etwas völlig anderes zu tun. Ich verbrachte dieses Jahr als Fellow des heutigen Weatherhead Center for International Affairs an der Universität Harvard. Ich wählte mit Absicht ein Thema, das Naturwissenschaft und Politik miteinander verbindet, und das war der Klimawandel. Das war meine erste intensive Erkundung dieses Themas, obwohl es mich eigentlich schon seit Jahren interessiert hat.
JM Manche Menschen finden, die Aufmerksamkeit für Umweltthemen sei mehr ein politisches Phänomen als irgendetwas anderes. Sind diese Umweltgefahren real?
CT Ich glaube, die Gefahren sind sehr real. Ich glaube nicht, dass die Sorgen übertrieben sind, denn was wir brauchen, damit nicht alles noch schlimmer wird, ist ein grundsätzliches Umdenken. Die Option „business as usual“ – weitermachen wie bisher – ist nicht wirklich eine Option. Wenn man die Umwelt als Ganzes nimmt, kann man sagen, dass die Spezies Mensch außer Kontrolle geraten ist. Wir haben eine für uns selbst unhaltbare Situation geschaffen, und die Frage ist, was machen wir jetzt?
JM Nehmen wir zum Beispiel die globale Erwärmung. Es ist heftig umstritten, wie viel der Mensch hierzu beiträgt und wie viel auf andere Faktoren zurückzuführen ist, etwa auf natürliche Wetterzyklen oder vielleicht sogar auf die Aktivität der Sonnenflecken.
CT Nun, dazu ist als Erstes zu sagen, dass dieses Thema von den Wissenschaftlern der Welt sehr gründlich untersucht worden ist. Ohne Frage ist das Hauptmerkmal des Wetters seine Unbeständigkeit: es ändert sich ständig. Und in den letzten tausend Jahren (dem Zeitraum, den wir am besten kennen) hat es viel Unbeständigkeit und Veränderungen gegeben. Es gab Wärmeperioden, Kälteperioden, nasse Perioden und Dürreperioden. Wandelbarkeit müssen wir also als Bestandteil des Systems akzeptieren.
JM Das war, bevor der Mensch einen wesentlichen Einfluss ausübte?
CT Ja, als der Mensch eigentlich keinen Unterschied machte. Seit der industriellen Revolution ist der Anteil der beiden wichtigsten Treibhausgase Kohlendioxid und Methan in der Atmosphäre enorm gestiegen. Es gibt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Menge dieser Gase in der Atmosphäre und der durchschnittlichen Oberflächentemperatur auf der Erde. Beim Kohlendioxid ist die Menge heute die höchste seit 420 000 Jahren, und das ist eine lange Zeit. Das Methan hat sich ebenfalls verdoppelt, mehr als verdoppelt, doch wir wissen zurzeit wenig darüber, was mit und durch Methan geschieht. Der wichtigste Faktor in dieser Angelegenheit scheint das Kohlendioxid zu sein.
JM Hat das Element Mensch diese Veränderung bewirkt?
CT Die Wissenschaftler der Welt sind im zwischenstaatlichen Expertenausschuss zur Klimaveränderung (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) zusammengekommen, und ihre neueste Einschätzung ist, dass der Mensch der Hauptverursacher der aktuellen Erwärmung ist. In den letzten 50 Jahren hat sich die Erdoberfläche um etwa 0,6 °C erwärmt. Der° Beitrag des Menschen hieran ist sehr schwer zu beziffern, aber die meisten Wissenschaftler denken, dass er erheblich ist. Aufgrund der enormen Komplexität des Klimas ist es sehr schwierig, zu sagen, was als Nächstes geschehen wird. Einer Hypothese zufolge bewirkt die Erwärmung der Atmosphäre, dass die Polarkappen schmelzen und eine große Menge Süßwasser in die Weltmeere fließt, sodass die Strömungssysteme der Meere verändert werden. Es gibt Anzeichen dafür, dass dies bereits beginnen könnte – dass einige Teile des Nordatlantischen Stroms (zu dem auch der Golfstrom gehört) abnehmen könnten. Die Folge könnte eine plötzliche Wiederabkühlung sein.
JM Haben wir ein kritisches Stadium erreicht? Stehen wir, steht unsere Umwelt „auf der Kippe“?
CT Niemand weiß, wo die Schwellenwerte liegen, und niemand weiß, ob es einen Punkt gibt, an dem es zu einer Abkühlung und dann einer raschen Erwärmung kommen könnte. Weil das Klima so komplex ist, liegt es außerhalb der menschlichen Möglichkeiten, Modelle dafür zu erstellen, und so können wir heute nur sagen, dass sowohl globale Erwärmungen als auch globale Eiszeiten schon vorgekommen sind.
JM Was verbindet nun Wissenschaft und Politik in dieser Zeit der Ungewissheit?
CT Das ist es, was ich untersucht habe, als ich an der Universität Harvard war; ich glaube, ich habe als einer der Ersten die Beziehung zwischen Klimawandel und Politik erforscht. Und zu meiner Überraschung ist das, was ich vorschlug – ein internationales Klimaabkommen – tatsächlich weniger als 20 Jahre später wahr geworden. Die Wissenschaft ist dabei in mehrfacher Hinsicht interessanter als die Politik, doch die Politik muss dazukommen, denn wie wir unsere Gesellschaften managen, ist eine Angelegenheit der Politik.
„Die Politik muss dazukommen, denn wie wir unsere Gesellschaften managen, ist eine Angelegenheit der Politik“.
JM Meinen Sie damit, dass es ein Aspekt dieses Managements ist, dass wir alle unsere Bestrebungen, unsere kollektiven Wünsche so anpassen müssen, dass sie umweltverträglich werden?
CT Generell denke ich, dass wir als Erstes dem Wandel der Wirtschaft Vorrang geben müssen, denn das Funktionieren der Märkte ist unbefriedigend. Es ist kurzsichtig angelegt und kann zu seltsamen Ergebnissen führen. Und deshalb denke ich, der erste Schritt auf dem Weg zur Lösung der Umweltkrise besteht darin, unsere wirtschaftlichen Werte zu überprüfen – was uns Dinge wert sind, wie wir ihnen den richtigen Preis zumessen.
JM Steuern wir also auch auf eine Krise des Kapitalismus zu?
CT Ja, der Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form könnte zusammenbrechen, weil er die Ökologie nicht angemessen berücksichtigt. Der Kapitalismus ist ohne Zweifel in sich begrenzt. Dort, wo wir gemeinschaftsorientierter handeln können – in der Erkenntnis, dass wir alle nicht nur uns selbst gegenüber, sondern auch der Gemeinschaft gegenüber Verpflichtungen haben –, bekommen wir ein anderes Ergebnis. Um die Dinge richtig einzuschätzen, muss man die Ökonomie neu betrachten, aber auch die moralische Seite der Dinge.
JM Wenn Sie bedenken, dass das Wesen des Menschen sich gewöhnlich in Egoismus, Konkurrenz und Streben nach dem eigenen Vorteil zeigt, sehen Sie die Fähigkeit des Menschen, in Harmonie mit der Umwelt zu leben, dann optimistisch oder pessimistisch?
CT Ich finde, man sollte nicht davon ausgehen, dass Menschen von Natur aus egoistisch und habgierig sind. Sie sind es nicht, außer wenn es zu einem Bestandteil der Kultur wird, dass man so sein soll; wir müssen also die Kultur verändern. Eine Reihe der intellektuellen Grundannahmen, nach denen die Menschheit vorantreibt, verändern sich im Lauf der Zeit. Wenn wir mit unseren Großeltern über den Zustand der Umwelt sprächen, hätten diese große Mühe, uns zu verstehen. Man hat also ständig Probleme damit, wie man das heutige Wissen um die Welt und ihre Ressourcen mit der tatsächlichen Lebensweise der Menschen in Verbindung bringt.
Bis vor relativ kurzer Zeit wurde es in vielen menschlichen Gesellschaften als notwendig empfunden, sich um andere Menschen zu kümmern und mit Ressourcen sparsam umzugehen, sodass eine Gemeinschaft in einem bestimmten Gebiet lebte, Nahrungsmittel anbaute und alle sich gegenseitig unterstützten. Es ging ihnen um das Wohl der Gesellschaft, nicht nur der einzelnen Person. Doch wenn man die Marktwirtschaft einführt, die berühmte „unsichtbare Hand“, die alle Probleme löst, dann funktioniert es offensichtlich nicht.
In gewisser Weise müssen wir wieder dahin zurückkommen, die Dinge viel mehr als Mitglieder einer lebendigen Gemeinschaft zu sehen, die mit der übrigen Natur zusammenlebt. Das ist alles andere als leicht, aber es gab Zeiten in der menschlichen Geschichte, in denen es so war.