Kinder erziehen: Die Kunst der Selbstbeherrschung
Elternschaft bringt atemberaubende Freuden mit sich, aber sie sind untrennbar verbunden mit enormer Verantwortung. Werden Eltern ihr nicht gerecht, dann sind die Freuden für alle Beteiligten getrübt – oft über Generationen hinweg.
Zu der Verantwortung, die Eltern implizit übernehmen, wenn sie ein Kind in die Welt setzen, gehört als vielleicht oberste Pflicht, ihm zu vermitteln, wie man seine Gedanken, seine Emotionen und sein Verhalten reguliert. Wenn Kinder heranwachsen, ohne diese Fähigkeit entwickelt zu haben, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie in der Schule versagen, aggressiv sind, Suchtmittel konsumieren, hoch riskante sexuelle Kontakte haben und – als Folge eines oder mehrerer dieser Faktoren – generell negative Lebenserfahrungen machen. Leider sind viele Eltern, die in diesem Bereich selbst zu kämpfen haben, schlecht dafür gerüstet, solche Fähigkeiten weiterzugeben. Manche Forscher gehen sogar so weit zu sagen, die meisten, wenn nicht gar alle schwerwiegenden Probleme, die Menschen jeden Alters in unserer Gesellschaft plagen – einschließlich einiger körperlicher und psychischer Störungen – ließen sich in der ein oder anderen Weise auf eine Unfähigkeit zurückführen, Aspekte des Ich angemessen zu beherrschen.
„Fast alles, was das Ich ist oder tut, hängt in irgendeiner Weise von Selbstregulierung ab.“
Diese entscheidende Fähigkeit wird oft und mit Recht einfach als Selbstbeherrschung bezeichnet; der weiter gefasste Begriff Selbstregulierung schließt auch Aspekte ein, die mit dem Erreichen von Zielen zusammenhängen und in mehrfacher Hinsicht nicht davon zu trennen sind. Wenn zwischen unserem aktuellen und unserem gewünschten Zustand eine Diskrepanz besteht, sind wir motiviert, unsere Gedanken, Emotionen und Verhaltensweisen zu ändern. Der Begriff Selbstbeherrschung bezeichnet das bewusste Streben nach Verhaltensänderung, um diese Diskrepanz zu verringern; Selbstregulierung hingegen schließt zusätzlich eher automatische Prozesse ein – und beide sind für die menschliche Entwicklung wichtig.
Für diesen Artikel könnte gelten: Zur Selbstregulierung gehören bewusste, zielgerichtete Entscheidungen, emotionale Reaktionen, Aufmerksamkeit oder Verhalten zu steuern, indem man ein unbewusstes, automatisches Verhalten durch eines ersetzt, das bewusstes Bemühen erfordert (z. B. eine Befriedigung auf später verschiebt oder Zorn unter Kontrolle hält) – doch das umfasst längst noch nicht alles. Zwar müssen Eltern vielleicht auch nicht alles in allen Einzelheiten wissen, doch ist es für den Zusammenhang wichtig, einige grundlegende Fakten über das Funktionieren automatischer wie auch bewusster Selbstregulierungsprozesse bei Erwachsenen zu verdeutlichen. Statt diese Begriffe nur als etwas zu verstehen, das der nächsten Generation zu vermitteln ist, sollten Eltern sich bewusst werden, wie Fähigkeiten der Selbstregulierung, die sie ihren Kindern vermitteln, gleichzeitig bei ihrem eigenen Verhalten als Eltern zum Tragen kommen
BEWUSSTE UND AUTOMATISCHE REGULIERUNG
In den 1990er-Jahren stellten der Psychologe Roy Baumeister und seine Kollegen fest, dass die Literatur über die eher bewussten und gewollten Selbstregulierungsprozesse eine Art „Kraftmodell“ der Selbstbeherrschung vermuten ließ. Die Forscher verglichen den Prozess mit einem Muskel, der ermüdet, und erklärten, Selbstregulierung sei offenbar eine begrenzte (wenn auch erneuerbare) Ressource, die erschöpft werden könne: Nach einem bewussten Akt der Selbstbeherrschung waren die Ergebnisse eines unmittelbar folgenden Tests für Selbstbeherrschung schlechter. Doch die Muskel-Analogie war damit noch nicht erschöpft: „So, wie Training Muskeln stärker machen kann“, schrieben sie, „kann das regelmäßige Ausüben von Selbstbeherrschung anscheinend die Willenskraft stärken.“ Und damit nicht genug der guten Nachrichten: So, wie ausgepowerte Sportler noch einmal all ihre Kräfte für den Endspurt zusammennehmen können, können Menschen mit erschöpften Selbstbeherrschungsreserven, „wenn genug auf dem Spiel steht“, ebenfalls noch einmal all ihre Kräfte zusammennehmen – sich quasi zusammennehmen –, ehe sie Zeit zum Regenerieren brauchen. Ein positiver Nebeneffekt: „Gezieltes Bemühen um Selbstbeherrschung in einem Bereich, z. B. Geld ausgeben oder Sport treiben, führt zu Verbesserungen in ganz anderen Bereichen, z. B. Lernen oder Pflichten im Haushalt.“
Wenn die Betätigung unserer Selbstbeherrschungsmuskeln unseren Ressourcen aber so viel abverlangt, wie sollen wir dann effektiv die vielen täglichen Aufgaben bewältigen, die eine Form der Selbstregulierung erfordern? Zum Glück ist dazu nicht immer eine bewusste Anstrengung nötig. Automatische Selbstregulierung ist die Steuerung von Gedanken, Emotionen oder Verhaltensweisen ohne bewusstes Wollen. Es ist möglich, bewusste Selbstbeherrschung in automatische Selbstbeherrschung umzuwandeln; dann wird die automatisierte Reaktion schnell aktiviert, selbst unter Stress.
Den deutlichsten Einfluss auf die Umwandlung bewusster Reaktion in automatische Reaktion hat die Wiederholung. Wenn wir auf eine bestimmte Situation immer mit einem bestimmten Verhalten reagieren, ohne darüber nachzudenken, kann man dieses Verhalten als automatisch bezeichnen – wie z. B. Nägelkauen als gedankenlose Reaktion auf innere Unruhe. Wenn das oft vorkommt, bemerken wir, dass wir unsere Fingernägel ruinieren, und erkennen dadurch die Notwendigkeit, auf innere Unruhe positiver zu reagieren. Und wenn es uns nach wiederholten Bemühungen gelingt, das Nägelkauen durch eine andere Reaktion zu ersetzen, wird das neue Verhalten mit der Zeit so automatisch wie das alte.
Doch Selbstregulierung lässt sich auch anders automatisieren. In einer viel zitierten Studie haben die deutschen Forscher Peter M. Gollwitzer und Veronika Brandstätter nachgewiesen, dass die Planung einer bestimmten Reaktion auf einen bestimmten situativen Auslöser eine starke gedankliche Verknüpfung zwischen dem Auslöser und dem gewünschten Verhalten bewirkte. Sie nannten diese geplanten Reaktionen „Durchführungsintentionen“ und unterschieden sie von Zielintentionen. Eine wunderbare Zielintention könnte z. B. sein: „Ich will abnehmen“ – doch selbst wenn dieses Ziel durch große Willenskraft und ernährungswissenschaftliche Kenntnisse unterstützt wird, ist es nicht immer einfach zu erreichen. Werden aber Durchführungsintentionen vor dem Eintreten stressiger oder ablenkender Situationen eingeübt, so stärkt dies die Zielintentionen. Am Anfang geht es darum, mit einem bestimmten Auslöser die gewünschte Handlung zu verknüpfen. Jemand, der abnehmen möchte, würde z. B. eine spezifische Wenn-Dann-Verknüpfung erstellen, ehe er mit einer potenziellen Versuchung konfrontiert wird – etwa mit Freunden in ein Restaurant geht. Er könnte sich eine spezifische Handlungsweise vornehmen: „Wenn die Dessertkarte kommt, dann bestelle ich Pfefferminztee.“ Wird dieses Wenn-Dann gedanklich eingeübt, so lässt sich eine effektive Verbindung zwischen dem situativen Auslöser (dem Erhalt der Dessertkarte) und dem gewünschten Verhalten herstellen, sodass dieses im entscheidenden Moment leichter fällt, selbst wenn man abgelenkt oder unter Druck ist.
Mit diesen Erkenntnissen können wir vielleicht lernen, unsere eigenen Emotionen und Reaktionen zu regulieren. Aber wie geben wir die Fähigkeit zur bewussten wie auch automatischen Selbstregulierung unseren Kindern – die sie brauchen, damit es ihnen möglichst gut geht?
FRÜHE KINDHEIT: BEGINN DER SELBSTREGULIERUNG
Das Wort Selbstregulierung mag zwar deutlich nach Unabhängigkeit klingen, doch der Ursprung dieser Fähigkeit ist absolute Abhängigkeit. Sie wird durch emotionale Bindung in der frühen Kindheit möglich, die durch achtsame Interaktion zwischen Kleinkind und Bezugspersonen entsteht. Es ist bekannt, dass sensorische Anregungen, z. B. Berührungen, zur Bindung und zu emotionaler Selbstregulierung beitragen. Die emotionale Bindung wirkt sich direkt auf die neuronalen Bahnen aus, die an der Selbstregulierung beteiligt sind. Es ist wichtig, dass Emotionen nicht nur reguliert werden, sondern auch selbst regulierend wirken. Sie integrieren und organisieren die Aktivität unseres Gehirns, bewerten und deuten die Reize, die es empfängt und verarbeitet. Wenn ihre Regulierung richtig funktioniert, befähigen sie uns, den sozialen Anforderungen unserer Welt gerecht zu werden; sie zwingen uns, wahrzunehmen, was unsere Mitmenschen, aber auch uns selbst motiviert, und es einzuordnen. Emotionen verbinden vielfältige Bereiche in unserem Inneren, doch sie ermöglichen auch Verbindungen nach außen – soziale Beziehungen.
Der Psychiater Daniel Siegel hat viel über die Entwicklung der emotionalen Regulierung bei Kindern geschrieben und häufig auf die Bedeutung der Primäremotionen für soziale Beziehungen hingewiesen. Primäremotionen sind die ersten Bewertungen des Gehirns, ob eine Erfahrung „gut“ oder „schlecht“ ist; diese Bewertungen finden ständig statt, wenn auch nicht immer bewusst. Dadurch, dass wir Anzeichen für den emotionalen Zustand anderer Menschen wahrnehmen und darauf reagieren, werden wir in einer „emotionalen Resonanz“ verbunden, wie Siegel schreibt. „In dieser gemeinsamen Resonanz“, erklärt er, „beeinflussen sich zwei Personen einander gegenseitig in ihrem inneren Zustand. Diese Einstimmung aufeinander, diese verbindende Resonanz, ermöglicht uns das Gefühl des Zusammenseins.“ Auf dieser Basis kann Empathie entstehen, und sie ist eine notwendige Voraussetzung für andere Prozesse, die für die Selbstregulierung wichtig sind.
Diese Bindung zwischen Eltern und Kindern ist von lebenslanger Bedeutung; um das Ideal in der frühen Kindheit zu beschreiben, führt Siegel das Beispiel eines Säuglings mit nasser Windel an. Erst bringt das schlechte Gefühl der nassen Windel das Baby zum Weinen. Mutter oder Vater reagieren darauf, indem sie den Grund des Unbehagens feststellen und Abhilfe schaffen. Das Baby begreift, dass sein Zustand infolge der Interaktion mit dem Elternteil verändert wurde, und fühlt sich wohlig verbunden. Bleibt die angemessene Reaktion aber aus, so hält das Unbehagen an, und der Säugling bleibt in einem Zustand der Not und Isolation. Siegel erkennt an, dass Eltern nicht in jeder Situation das Ideal erreichen können. Manche Kinder sind schwerer zu beruhigen als andere, und manchmal können die Signale eines Babys unklar sein. Doch regelmäßiges, erfolgreiches Verbundensein in der Beziehung zwischen Säugling und Bezugsperson ist notwendig, um das Fundament für emotionale Selbstregulierung und später andere Formen der Selbstregulierung zu schaffen.
Auch die Entwicklungspsychologin Susan Calkins hat über den Zusammenhang zwischen frühkindlicher Bindung und emotionaler Selbstregulierung geschrieben. Sie erklärt, dass Säuglinge mit sicherer Bindung, wenn sie sich körperlich entwickeln, ihre motorischen Fähigkeiten zu nutzen beginnen, um ihre emotionalen Reaktionen zu regulieren. Im Alter von drei bis sechs Monaten entwickeln sie motorische Fähigkeiten, die ihnen bestimmte bewusste Handlungen ermöglichen. Anstelle einfacher Strategien zur Selbstberuhigung wie Saugen oder Wegsehen können sie nun beginnen, ihre Aufmerksamkeit von einem Reiz, der negative Gefühle auslöst, abzuziehen und aktiv auf ein positiveres oder neutrales Objekt umzulenken. Über etwa ein weiteres Jahr, während ihre Körperbeherrschung zunimmt, entwickeln sie die Fähigkeit, nicht nur sich selbst zu beruhigen, sondern auch zu erkunden, sich zurückzuziehen und sich umzuorientieren; und sie lernen, die Hilfe von Bezugspersonen zu suchen, um ihre Emotionen zu regulieren.
„In den ersten drei Jahren wird die Grundlage für die spätere emotionale, soziale und kognitive Regulierung eines Kindes gelegt – und für die Motivation, sich in diesen Bereichen zu regulieren.“
In ihrer weiteren Entwicklung sind Kleinkinder immer stärker fasziniert von ihrer Fähigkeit, Aspekte ihrer Umgebung zu steuern, und Eltern hören (unendlich oft) die Worte „selber“ oder „ganz alleine“. Es ist wichtig, dass Kinder in diesem Alter möglichst viel tun, um ihre Umwelt zu erkunden und zu bewältigen (s. „Ein Positives Ich-Gefühl bei Kindern fördern“); wichtig ist aber auch die gelassene Unterstützung und Leitung von Bezugspersonen, die angemessene Grenzen aufzeigen und untermauern. Wenn alles gut geht, sollte ein Kind am Ende des Kleinkindalters fähig sein, auf elterliche Anweisungen zu reagieren und sie zu befolgen, und so beginnt es Selbstbeherrschung zu entwickeln. In diesem Alter wird ein Kind auch geschickter darin, seine Gefühlsäußerungen zu regulieren.
Susan Calkins erklärt, dass frühkindliche Fähigkeiten, sich selbst zu beruhigen, sich abzulenken und Hilfe zu suchen, notwendige Voraussetzungen für die dann folgende Entwicklung von Selbstregulierungsfähigkeiten sind. „Werden diese Fähigkeiten nicht ausgebildet, so können Schwierigkeiten in Bereichen wie soziale Kompetenz und schulische Anpassung die Folge sein“, schreibt sie und fährt fort: „Das Fehlen einer angemessen entwickelten Beherrschung (oder, wie in einigen Fällen, eine zu starke Beherrschung) der eigenen Emotionen kann eine Vorstufe einer psychopathologischen Entwicklung sein.“
Zwar sind neurologische und physiologische Faktoren an der Entwicklung einer angemessenen Beherrschung von Emotionen und Verhalten beteiligt, doch bestätigt die umfangreiche Literatur zur Selbstregulierung einhellig, dass warmherzige Unterstützung und Führung durch Eltern und andere Bezugspersonen von grundlegender Bedeutung sind. Dabei ist allerdings zu beachten, dass „angemessene“ Selbstbeherrschung je nach Alter etwas anderes ist. Kleinere Kinder können nicht so gut zwischen Emotionen, Gedanken und Handlungen unterscheiden wie größere Kinder, und Babys können es schon überhaupt nicht. Wer einen Säugling anbrüllt, er solle aufhören zu schreien, verlangt das Unmögliche und wird nicht nur das gewünschte Ergebnis nicht erreichen, sondern untergräbt gleichsam die künftige Fähigkeit des Kindes zur Selbstregulierung.
VORSCHULJAHRE
Wenn Kinder das Kleinkindalter hinter sich lassen, in dem es vor allem um Erkunden und Bewältigen ging, lernen sie bewusste Strategien, um Emotionen und Verhalten zu regulieren. Wie zu erwarten, zeigen Eltern von Kindern, die solche Strategien anwenden, tendenziell ihrerseits Selbstregulierungskompetenz. Sie legen mehr Geduld und positiv anleitendes Verhalten an den Tag als andere Eltern – sie helfen ihren Kindern, zu lernen, in frustrierenden Situationen ihre Aufmerksamkeit umzulenken oder sie von etwas Verbotenem abzulenken. Ablenkung ist in diesem Alter eine wichtige Selbstregulierungsstrategie, doch Kleinkinder wenden sie eher nicht spontan an. Diese und andere Selbstregulierungsstrategien scheinen vielmehr erlernt zu werden, wenn Eltern sie positiv vermitteln. Umgekehrt lässt die Forschung auch erkennen, dass Eltern mit einem negativeren Führungs- und Kontrollstil keine konstruktiven Strategien bei ihren Kindern fördern.
Der Vorteil für Kleinkinder, die schon früh ihre Aufmerksamkeit umlenken können, besteht darin, dass sie in ihrer weiteren Entwicklung eher mehr Selbstbeherrschung üben und dass diese Fähigkeit in der gesamten frühen Kindheit relativ stabil bleibt. Diese Stabilität hat zu Spekulationen geführt, dass Selbstbeherrschung vielleicht eine Frage des Temperaments sei, doch sind die Zusammenhänge zwischen Erziehungsstil und der Entwicklung von Selbstbeherrschung gut dokumentiert, und der gesunde Menschenverstand legt nahe, dass wahrscheinlich auch Erziehungsstile über die Zeit hinweg recht stabil bleiben. Daraus haben Forscher geschlossen, dass bewusste Beherrschung gefördert werden kann, auch gegen genetische oder durch Temperament bedingte Faktoren.
Um bewusste Selbstbeherrschung bei Vorschulkindern zu fördern, muss man verstehen, dass es für sie schwerer ist, ihre Emotionen oder ihr Verhalten zu zügeln, wenn sie gleichzeitig mehrere Anforderungen verarbeiten müssen. Nach Baumeisters „Kraftmodell“ der Selbstbeherrschung ist es leicht zu verstehen, dass die inhibitorischen Fähigkeiten (Hemmung) eines Vorschulkindes erst mit der Zeit automatisiert werden; tatsächlich ist ja auch der vordere Stirnlappen des Gehirns – der, wie seit Langem bekannt, an Selbstkontrolle und Impulshemmung beteiligt ist – bei so kleinen Kindern noch recht unreif.
Einer der entscheidenden Entwicklungsschritte, die Kinder in diesem Alter vollziehen, umfasst eine zunehmende Motivation, sich auf das Erreichen spezifischer Ziele zu konzentrieren. Kleinere Kinder können sich damit zufriedengeben, etwas zu erreichen, das dem Ziel irgendwie ähnelt (da sie mehr an dem Prozess interessiert sind), doch später entwickeln sie konkrete Leistungskriterien. Sie beginnen, Freude über ihre Erfolge und Enttäuschung über ihre Misserfolge zu empfinden, und entwickeln eine Motivation, beharrlich zu sein und Dinge zu bewältigen. Diese Motivation kann allerdings geschwächt werden oder verschwinden, wenn das Kind sich bei seinen Bemühungen kontrolliert fühlt. Zu viel Anleitung bei einem Schulprojekt kann z. B. die Motivation von Kindern verringern, die Aufgabe selbst zu bewältigen.
Ein interessanter Aspekt der Entwicklung von Selbstregulierung bei Kindern ist der klare Unterschied zwischen Eltern, die kontrollieren, und Eltern, die führen. Kontrollierende Eltern verwalten die Bewegungen und Ziele eines Kindes in einer Weise, die Autonomie verhindert, häufig mit psychischen Druckmitteln wie dem Einreden von Schuldgefühlen oder Liebesentzug. Ein solcher Erziehungsstil bringt keine selbstbeherrschten Kinder hervor. Eltern, die führen, verstehen es hingegen, dies in einer Weise zu tun, die Autonomie fördert. Sie setzen klare Maßstäbe und Grenzen und wenden diese konsistent an, doch gleichzeitig lassen sie Raum für den Ausdruck der Persönlichkeit. Ein solcher Erziehungsstil unterstützt die Verinnerlichung der Maßstäbe und Grenzen, sodass das Kind sie schließlich als seine eigenen akzeptiert. Ohne diese Verinnerlichung von Verhaltensmaßstäben gibt es keine Selbstregulierung, und Versuche von außen, ihre Einhaltung zu erzwingen, fördern im Kind eher Angst, Frustration und Feindseligkeit.
Natürlich muss das Maß der persönlichen Ausdrucksfreiheit, die Kindern gelassen wird, altersgerecht sein. Vorschulkindern kann man z. B. leicht erlauben, zwischen zwei oder drei gesunden Snacks zu wählen oder zu entscheiden, welche Farbe sie heute tragen oder welche Gutenachtgeschichte sie heute hören möchten. Entscheidungen, die Werte und Grenzen betreffen, überlässt man ihnen dagegen nicht (z. B. wann Schlafenszeit ist, Standards für Ernährung oder Kleidung).
Entwicklungspsychologen stellen immer wieder fest, dass der Stil der Erziehung – die grundsätzliche Art, als Eltern mit verschiedenen Situationen umzugehen – für die erfolgreiche Förderung von Selbstregulierung bei Vorschulkindern wichtiger ist als Techniken. So, wie sich der effektivste Erziehungsstil für Säuglinge und Kleinkinder durch Wärme, Respekt, Offenheit und Unterstützung von Autonomie innerhalb sicherer Grenzen auszeichnet.
MITTLERE KINDHEIT
Die mittlere Kindheit ist ein für die Selbstregulierung besonders wichtiges Stadium. Obgleich das menschliche Gehirn auch im Erwachsenenalter noch formbar ist, hat Selbstregulierung tiefe Wurzeln, und diese gelten als recht fest, wenn die mittlere Kindheit endet (wenn auch alterstypische Veränderungen noch bis zur Vorpubertät eintreten). Schulkinder sind mehr außer Haus; soziale Beziehungen und Beziehungen mit Gleichaltrigen haben bei ihnen einen direkteren Einfluss auf die Entwicklung von Selbstregulierung als bei kleineren Kindern. Nachdem sie im Vorschulalter gelernt haben, dass Emotionen durch eigene Gedanken oder durch Worte und Taten anderer ausgelöst werden können, und sie nun mit einer größeren Fähigkeit zu abstraktem Denken ausgestattet sind, sind Schulkinder für den nächsten Schritt zur Entwicklung reifer Selbstregulierungsstrategien bereit. Wenn Eltern sie anleiten, Situationen, die negative Emotionen auslösen, bewusst zu überdenken oder ihr Verhalten mithilfe kognitiver Techniken zu steuern, beginnen Kinder mit etwa zehn Jahren, diese Strategien regelmäßiger selbstständig anzuwenden.
In dieser Zeit brauchen Kinder noch weitere Selbstregulierungsstrategien und -kompetenzen, u. a. Selbstbeobachtung und Selbstdarstellung. Doch vor allem müssen sie glauben, dass sie zu persönlichen Veränderungen fähig
sind, wenn diese notwendig werden. Auch müssen sie lernen, Verantwortung und Schuld realistisch zuzuweisen. Dies ist besonders wichtig, weil die Wahrnehmungen anderer Menschen bei Kindern im Schulalter beginnen, das Selbstbild zu beeinflussen, und weil ein großer Teil ihrer Bemühungen um Selbstregulierung dem Streben nach Zugehörigkeit und sozialer Identität gelten kann. Natürlich werden Eltern wissen wollen, mit wem ihr Kind Umgang hat, doch ist das Bedürfnis nach Zugehörigkeit in sich keine Gefahr für die Selbstregulierung. Es kann sie sogar stärken, da Kinder lernen, anderen zuliebe egoistische Impulse zu unterdrücken oder sich an soziale Regeln zu halten. Tatsächlich wurde festgestellt, dass gesellige Menschen mehr Selbstregulierungskompetenz zeigen als weniger gesellige. Aus ihrer Untersuchung zu diesem Thema schließen Kathleen D. Vohs und Natalie J. Ciarocco: „Erlangung und Aufrechterhaltung von Zugehörigkeit sind zur Selbstregulierung motivierende Kräfte.“
„Die Entwicklung von emotionaler Selbstbeherrschung und positivem Sozialverhalten ist stark an enge, vertrauensvolle Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern gebunden.“
Wenn ihr soziales Umfeld weiter wird, beginnen Kinder, die Bedürfnisse, Wünsche, Ziele und Erwartungen, die andere für sie haben, wahrzunehmen. Viele dieser Wahrnehmungen können den eigenen Normen und Werten eines Kindes widersprechen – wobei das Ausmaß des Widerspruchs von Kind zu Kind unterschiedlich ist. Die Aufgabe, jene Erwartungen in Einklang zu bringen, wird dadurch erschwert, dass Kinder eigentlich in zwei sozialen Welten leben: der Welt ihrer erwachsenen Bezugspersonen und der ihrer Altersgruppe. Dies kann zu verwirrenden Emotionen führen, wenn sie beginnen, sich aus der Perspektive dieser beiden Einflussgruppen zu beurteilen, und versuchen, ihre moralische Identität zu finden. In dieser Zeit kommt es darauf an, dass Eltern kommunikationsbereit bleiben, Empathie für die Emotionen ihrer Kinder zeigen, sie aber gleichzeitig zu angemessenen Reaktionen anhalten. Eltern, die emotional auf ihre Kinder eingestimmt bleiben, werden wahrscheinlich feststellen, dass die von ihnen vermittelten Maßstäbe, Werte und Grenzen das größte Gewicht haben. Und wenn die Grundlagen zur Selbstregulierung in den ersten Lebensjahren erfolgreich geschaffen wurden, ist es wahrscheinlich, dass die Fähigkeit eines Kindes zur Selbstregulierung über die mittlere Kindheit hinaus stabil bleibt. Ist das nicht der Fall, so müssen Eltern damit rechnen, dass es in der Pubertät mit einigen schweren Problemen zu kämpfen hat.
ADOLESZENZ/PUBERTÄT
Die erkennbare Stabilität der Selbstregulierung nach der mittleren Kindheit bedeutet nicht, dass Heranwachsende nun keine Führung mehr brauchen. Wie wir Erwachsenen aus eigener Erfahrung wissen, bedeuten Fähigkeit und Motivation zur Selbstregulierung nicht, dass uns diese immer gelingt. Heranwachsende brauchen noch immer die Hilfe von auf sie eingestimmten Eltern, die sie anleiten, automatisch richtig zu handeln, entweder durch Gewöhnung oder durch die Formulierung geeigneter „Durchführungsintentionen.“ Doch auch in anderen Bereichen benötigen sie noch Hilfe: Das Gehirn von Teenagern macht noch erhebliche Weiterentwicklungen durch, und viele dieser Veränderungen wirken sich auf Entscheidungsfindung und Selbstregulierung aus. Interessanterweise identifizieren neue Forschungsergebnisse die Fähigkeit, Befriedigungen auf später zu verschieben, als wichtige Voraussetzung für weniger riskantes Verhalten bei Heranwachsenden – und dazu sind sie durchaus fähig, auch wenn der vordere Stirnlappen noch nicht ausgereift ist. Reife spielt jedoch eine Rolle für die Fähigkeit, Entscheidungen mit langfristiger Perspektive zu treffen, und genau hierbei sind Eltern ideal geeignet, Heranwachsende zu leiten.
Wie auch in früheren Entwicklungsstadien ist es allerdings unwahrscheinlich, dass Heranwachsende die beabsichtigten Lehren richtig aufnehmen und verinnerlichen, wenn Eltern versäumen, sich auf ihren emotionalen Zustand einzustimmen. Dies dürfte leider der häufigste Fehler sein, den Eltern machen, wenn sie ihre Kinder drängen, ihr Verhalten zu ändern. Wenn Kinder und Teenager uns um Rat fragen, sind wir versucht, die Sache direkt auf den Punkt zu bringen – ihnen ohne Umschweife unsere Erfahrung zugute kommen zu lassen, indem wir ihnen genau sagen, was sie tun müssen. Dabei erzielen wir damit nur, dass sie sich nachher unverstanden und isoliert fühlen. Nehmen wir uns hingegen die Zeit, uns auf einen Teenager emotional einzustimmen, und lassen ihn spüren, dass wir tatsächlich verstehen, warum er sich in der Situation so fühlt, stärken wir nicht nur die gegenseitige Bindung, sondern unterstützen auch seine angemessene Selbstregulierung. Dazu kann es nötig sein, dass Eltern Selbstbeherrschung vorleben, besonders wenn die Situation emotional geladen ist.
Ob man das Erwachsenenalter, die Adoleszenz, die mittlere Kindheit oder irgendein anderes Lebensalter betrachtet – Selbstregulierung und zwischenmenschliche Verbundenheit sind untrennbar in einen zyklischen Prozess verwoben. Selbstregulierung erwächst aus sozialer Verbindung und Einstimmung, und gleichzeitig hängt der Erfolg unserer sozialen Verbindungen in hohem Maße von unserer Fähigkeit zur Selbstregulierung ab. Zweifellos ist daher die Aufgabe, mit unseren Kindern in angemessener Weise verbunden zu sein, eine der obersten Pflichten für uns Eltern. Zum Glück liegt im Erfolg dieser Verbundenheit auch eine der größten Freuden der Elternschaft.