Wo die Sonne nie unterging: Karl V. und die Verteidigung der Christenheit
In unserer Serie haben wir bisher das Leben mehrerer historischer Gestalten untersucht, die versuchten, das Römische Reich entweder zu erhalten oder Elemente des untergegangenen Kaiserreiches im Westen wiederherzustellen. Von den letzteren versuchten einige mit mehr Erfolg als andere, territoriale Aspekte des Reiches zurückzubringen und/oder Konstantins christliches Erbe zu verteidigen und zu erweitern. Doch wie erfolgreich sie auch waren - keiner von ihnen vermochte die „Herrlichkeit des alten Rom“ für lange Zeit zurückzubringen. Und obwohl einige sich zum Christentum bekannten, bemächtigten sie sich alle der Rolle des Messias und identifizierten sich mit dem heidnischen Götterkult der römischen Antike.
VORIGES LESEN
(TEIL 4)
ZUR SERIE
Niemand könnte beanspruchen, europäischer zu sein als Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches (1519–56). Er war Spanier, Portugiese, Burgunder (Franzose), Österreicher und Niederländer; dazu strömte das Blut der Bourbonen und der Plantagenet in seinen Adern. Unter seinen Ahnen sollen Deutsche, Griechen, Italiener, Slawen, Litauer, Böhmen, Skandinavier, Angelsachsen, spanische Muslime und Juden gewesen sein. Er sprach fließend Spanisch, Französisch, Holländisch, Italienisch sowie Deutsch und erlangte über 70 königliche, fürstliche und sonstige herrschaftliche Titel, darunter Wahlkönig von Deutschland, Erzherzog von Österreich, Herzog von Burgund sowie König von Kastilien und Aragon. Dadurch hatte er Herrschaftsansprüche in Böhmen, Ungarn, Italien, Sizilien, Sardinien, den Niederlanden und der Neuen Welt der Amerikas, aber auch in Kroatien und sonstigen Ländern. Und Karls königliche Familienbande waren noch eindrucksvoller, wenn man die entferntere Verwandtschaft mit berücksichtigt. Der Historiker H.G. Koenigsberger merkt an: „Auf fast jedem Königsthron Europas saß irgendwann während seiner Herrschaft entweder Karl selbst oder ein Mitglied seiner Familie als Herrscher oder Gemahl“ („The Empire of Charles V in Europe,“ in Band 2 der New Cambridge Modern History, 1958).
Seine weit verstreuten Ländereien und Familienmitglieder sowie die Pflichten, die er übernahm, waren Grund fast pausenloser Reisen in die verschiedenen Teile seines Reiches und darüber hinaus. Karls territorialer Besitz übertraf den aller europäischen Mächte von 400 bis 1800; er erstreckte sich von Peru im Westen bis zu den Philippinen im Osten. Es war tatsächlich ein Reich, in dem die Sonne nie unterging.
FRÜHE EINFLÜSSE
Karl wurde im Jahr 1500 in der flämischen Stadt Gent geboren; doch bald wurde er praktisch Waise. Sein Vater, Philipp der Schöne, Sohn des Kaisers Maximilian I., starb 1506; und seine Mutter, die geisteskranke Tochter König Ferdinands II. und Isabellas I. („der Katholischen“) von Spanien, verbrachte den größten Teil ihres Lebens in Abgeschiedenheit. Karl wuchs in Flandern bei einer seiner Patinnen auf, seiner Tante Margarete von Österreich.
Schon als kleines Kind wurde der Prinz in den Orden des Goldenen Vlieses aufgenommen – eine im Jahr 1430 gegründete burgundische Institution mit dem Zweck, dem herrschenden Adel Möglichkeiten für ritterliche Tapferkeit in der Verteidigung des Landes und der Religion zu bieten. Diese Aufnahme entsprach sicher später auch den Wünschen des Mannes, der für Karl ab dem Alter von neun Jahren zur Vaterfigur wurde: Wilhelm von Croy, Herr von Chièvres. Er förderte in dem jungen Prinzen den burgundischen Ritterlichkeitskult mit seinen katholisch-christlichen Missionsidealen.
Ein weiterer wichtiger Einfluss in Karls Leben war Adrian von Utrecht, der 1506 mit seiner Erziehung betraut wurde. Adrian war als Sohn eines Zimmermanns geboren und war scholastischer Theologe und Professor geworden; zu seinen Schülern zählte der niederländische Bibelübersetzer Erasmus, der eine Zeit lang ebenfalls Berater des jungen Karl war. Später wurde Adrian Bischof und spanischer Großinquisitor; in Karls ersten Jahren als König in Spanien blieb er sein geistlicher Mentor. Mit Karls Hilfe gelangte er im Jahr 1522 als Hadrian VI. auf den Papstthron. Zu diesem Anlass, berichtet der flämische Historiker Wim Blockmans, schrieb ihm der König: „Mit dem Papsttum in deinen und dem Kaiserreich in meinen Händen denke ich, dass durch unser einmütiges Handeln Großes bewirkt werden kann. Ich bringe dir nicht weniger Liebe und Gehorsam entgegen als ein guter Sohn seinem Vater“ (Keizer Karel V: 1500–1558).
EIN VIELFACHER KÖNIG
Als Karls Vater Philipp im Jahr 1506 gestorben war, hatte Karl die Franche-Comté, die Provinzen, die später als Niederlande bezeichnet wurden, und Ansprüche auf das Herzogtum Burgund geerbt, das 1477 von Frankreich annektiert worden war. Da er aber erst sechs Jahre alt gewesen war, hatte seine Tante Margarete die Regentschaft übernommen, bis er 1515 volljährig wurde.
Als 1516 Ferdinand, sein Großvater mütterlicherseits starb, wurden Karl und seine Mutter zu den neuen „katholischen Königen“ von Spanien ausgerufen. 1517 reiste er nach Spanien, um sein Erbe in Anspruch zu nehmen. Der Geisteszustand seiner Mutter war allerdings so, dass Karl, obwohl die Herrschaft beiden zukam, effektiv der alleinige Monarch war. Bei dieser Aufgabe unterstützte ihn sein Großkanzler, der brillante piemontesische Jurist Mercurino Arborio di Gattinara. Dass Karl noch nicht Spanisch sprach, flämische Manieren hatte und vorzugsweise Burgunder in Ämter berief, machte ihn anfänglich unbeliebt.
1519 starb sein Großvater väterlicherseits, Kaiser Maximilian. Karl hatte sich bereits um die Wahl zu seinem Nachfolger als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches bemüht; dieses Verfahren hatte Maximilian bereits ein Jahr zuvor für ihn eingeleitet. Fürs Erste würde Karl Spanien verlassen müssen. Als Erwiderung auf die spanische Opposition gegen eine Finanzierung seiner kaiserlichen Ambitionen schrieb Gattinara eine Rede, in der er die Notwendigkeit einer Reise nach Deutschland verteidigte; diese trug der König 1520 dem spanischen Parlament vor. Blockmans zitiert daraus: „Dieser Entschluss muss gefasst werden aus Achtung vor dem Glauben, dessen Feinde so mächtig geworden sind, dass der Friede des Gemeinwesens, die Ehre Spaniens und das Wohl meines Königreiches eine solche Bedrohung nicht mehr hinnehmen können. Ihr Weiterbestehen kann nur gesichert werden, wenn ich Spanien mit Deutschland und den Titel des Caesar mit dem des Königs von Spanien vereine.“ Dann verließ er Spanien für drei Jahre.
„ERWÄHLTER KAISER“
Seine Bemühungen um die Kaiserwürde brachten Karl in Konkurrenz zu König Franz I. von Frankreich, der sie ebenfalls anstrebte. Sogar Heinrich VIII. von England (dessen Frau zu dieser Zeit Karls Tante Katharina von Aragon war) dachte daran, sich an dem Rennen zu beteiligen. Der Reiz des Kaiserthrons für jeden dieser Monarchen, so schreibt die deutsche Historikerin Gertrude von Schwarzenfeld, „zeigt, dass im Zeitalter des Humanismus der übernationale Charakter des Reichsgedankens wieder zugelassen wurde. Mit der Wiederentdeckung der Antike erinnerte man sich an das alte Römische Reich.“ Die Renaissance beruhte zum Teil auf dieser Rückkehr zu den Werten Griechenlands und Roms, und die damit einhergehenden humanistischen Ziele unterstützten die gesamteuropäische Einheit.
Mit Krediten mehrerer großer europäischer Kapitalistenfamilien gelang es Karl, Franz beim „Handsalben“ der Kurfürsten zu übertreffen. Obwohl Papst Leo X. kurz vor der Wahl offenbar noch versuchte, den Herzog von Sachsen ans Ruder zu bringen, wurde Karl am 28. Juni 1519 einstimmig zum König und Erwählten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekürt; damit wurde die Möglichkeit der Wiederbelebung römischer Ideale in die Hände der Habsburger gelegt. Der Biograph Karl Brandi zitiert, was Gattinara dem neuen Kaiser anlässlich seiner Wahl schrieb: „Sire, Gott ist sehr gnädig mit Euch gewesen: Er hat Euch über alle Könige und Fürsten der Christenheit zu einer Macht erhoben, wie sie seit Eurem Vorfahren Karl dem Großen kein Herrscher mehr genossen hat. Er hat Euch auf den Weg zu einer Weltmonarchie gebracht, zur Einung der ganzen Christenheit unter einem einzigen Hirten“ (The Emperor Charles V, 1939).
„In dem ikonographischen Programm des Triumphzuges wurde Kaiser Karl V. als rechtmäßiger Erbe Karls des Großen und Konstantins des Großen präsentiert . . . aber auch als Nachfolger von Titus und Gideon, den von Gott gesandten Vernichtern der Häresie.“
Im Oktober 1520 wurde Karl gemäß den Traditionen des Heiligen Römischen Reiches in Aachen, der Hauptstadt Karls des Großen, zum römischen König gekrönt (siehe Teil 3 von „Messiasse!“ in der Ausgabe Herbst 2005). Zu Beginn der Zeremonie, berichtet der Historiker Friedrich Heer, küsste Karl das Lothar-Keuz, das aus der Zeit des gleichnamigen Enkels Karls des Großen (840–55) stammt. Von hohem Symbolwert war dies wegen der in das Kreuz eingearbeiteten Kameen: auf einer Seite Caesar Augustus und auf der anderen Christus. Vor dem Altar legte sich Karl mit ausgebreiteten Armen auf den Bauch und gelobte den Schirm des katholischen Glaubens, den Schutz der Kirche, die Wiederherstellung der Besitztümer des Reiches, den Schutz der schwachen und Schutzlosen und die Unterordnung unter den Papst und die römische Kirche. Nachdem Karl seine Absichten kundgetan hatte, wurden die Fürsten und Volksvertreter aufgefordert, ihn gemäß der kaiserlich-römischen Tradition laut und mit erhobener Hand zum Herrscher auszurufen. Die Kurfürsten überreichten Karl das Schwert Karls des Großen, die Erzbischöfe von Köln und Trier salbten ihn, legten ihm das Krönungsornat Karls des Großen an und gaben ihm den Reichsapfel und das Szepter, und der Erzbischof von Köln setzte ihm die Kaiserkrone Ottos des Großen auf (sihe Teil 4 von „Messiasse!“ in der Ausgabe Winter 2006). Dann nahm Karl auf dem Thron Karls des Großen Platz und empfing die Kommunion.
DER KAMPF UM DEN FRIEDEN
Mit einem riesigen Reichsgebiet und tiefen römisch-katholischen Überzeugungen wünschte sich Karl Frieden. Doch während seiner
37-jährigen Herrschaft traten Umstände ein, die Konflikte unvermeidlich machten. Als Verteidiger des katholischen Christentums musste er sich den größten Teil dieser Zeit mit der wachsenden Unruhe auseinander setzen, die Martin Luthers Ruf nach radikalen Reformen innerhalb der Kirche entfesselt hatte.
„Karl sah es als seine von Gott zugewiesene Aufgabe, eine geeinte Christenheit gegen den äußeren Feind, die moslemischen Türken, und später gegen ihre inneren Feinde, die lutherischen Ketzer, zu führen.“
Hinzu kam die weiterhin bestehende Rivalität zwischen Karl und Franz I. von Frankreich wegen verlorener Territorien, der weite Teile seiner Herrschaft mit Konflikten zwischen den Habsburgern und den Valois belastete. Im Osten konfrontierte die Bedrohung durch das Osmanische Reich den Kaiser im Mittelmeerraum, Italien und Osteuropa direkt mit den Türken. Beide Fronten wurden durch teure Fortschritte in der Kriegstechnik schwieriger und kostspieliger. Und obwohl Spaniens gerade eroberter Zugang zu den Gold- und Silberminen Mittel- und Südamerikas Karl einen Vorteil hätte verschaffen sollen, brachten ihn seine notwendigen Reisen und seine zum Teil unnötigen Feldzüge in ständige finanzielle Schwierigkeiten.
Auf dem Reichstag zu Worms im Jahr 1521 war der Erwählte Kaiser einer von zwei Männern, die einander dort zum ersten Mal begegneten, und die gleichermaßen religiöse Reformen anstrebten (wenn auch mit sehr unterschiedlichen Methoden). Der erst 21-jährige Karl bezeichnete sich vor der Versammlung, wie Heer schreibt, als Abkömmling „der christlichen Kaiser des edlen deutschen Volkes, der katholischen Könige von Spanien, der Erzherzöge von Österreich, der Herzöge von Burgund, die alle bis zum Tod treue Söhne der römischen Kirche und beständige Verteidiger des katholischen Glaubens blieben“. Sein Gegenüber war der 37-jährige Augustinerpater und Theologieprofessor der Universität Wittenberg, Martin Luther. Vier Jahre zuvor hatte er seine 95 Thesen über Theologie und Kirche publik gemacht, die der Herrschaft des Vatikans widersprachen.
Meinungsverschiedenheiten mit Rom waren in Deutschland nichts Neues. Hundert Jahre lang hatten sich deutsche Kirchenmänner gegen päpstliche Einmischungen in ihre Angelegenheiten gewehrt. Doch angesichts eines zunehmenden Abweichlertums in den spanischen Niederlanden (etwa dem heutigen Gebiet von Belgien und Luxemburg) hatte Papst Leo X. durch das Fünfte Lateranische Konzil im Jahr 1515 dekretiert, dass gedruckte Schriften Irrlehren verbreiten konnten und daher von der Kirche genehmigt werden mussten. Als Reaktion darauf, berichtet Blockmans, ließ Karl drei Edikte verkünden – in den Jahren 1517, 1519 und 1520. Große Sorgen bereiteten ihm Luthers weit verbreitete Schriften und sein papstfeindliches Verhalten: Er hatte die päpstliche Bulle, mit der er exkommuniziert wurde, und ein Kirchengesetzbuch öffentlich verbrannt. Wie Blockmans berichtet, befahl Karl im März 1521, häretische Schriften auf öffentlichen Richtplätzen bei Trompetenschall zu verbrennen; sich selbst bezeichnete er dabei als „größten Beschützer und Bewahrer der allumfassenden Kirche“.
Der Kaiser war entschlossen, der wachsenden Gefahr für Recht und Ordnung zu begegnen, und befahl Luther, vor dem Reichstag in Worms zu erscheinen. Dort weigerte sich Luther zu widerrufen („Päpste und Konzilien sind nicht glaubwürdig, denn es ist bekannt, dass sie oft geirrt und sich selbst widersprochen haben“). Daraufhin wurde es durch das Edikt von Worms verboten, Schriften von Luther zu besitzen oder auch nur zu lesen, und erneut befohlen, sie öffentlich zu verbrennen. Doch weil sich der Kaiser an den burgundischen Kodex der Ritterlichkeit hielt, hatte er ihm freies Geleit zum Reichstag und zurück zugesichert.
Der Bauernkrieg in Deutschland (1524-1526), der wegen sozialer und wirtschaftlicher Ungerechtigkeiten entbrannte, war eine direkte Folge der Unruhe, die durch Luthers Aktionen hervorgerufen wurden, obwohl er selbst die Rädelsführer verurteilte.
KAISERLICHE VORBILDER
Koenigsberger bemerkt, dass Gattinara als Fachmann für römisches Recht in Karl nicht nur einen neuen Karl den Großen sah, sondern auch einen Mann, der „dem Pfad des guten Kaisers Justinian“ folgte – gewiss in der Hoffnung, dass Karl ähnlich wie dieser das Recht reformieren und Rechtsverfahren vereinfachen würde (siehe Teil 3 von „Messiasse!“). So, „dass es möglich wäre, zu sagen, dass es einen Kaiser und ein allgemein gültiges Recht gab“. Gattinara glaubte, Karls Kaisertitel sei ihm „von Gott selbst bestimmt . . . und bestätigt durch die Geburt, das Leben und den Tod unseres Heilandes Christus.“ Diese Ausdrucksweise entsprach seinem Denken. Als Karls politischer und persönlicher Berater warb Gattinara für die römisch-italienische Reichsideologie des Dichters Dante Alighieri, der Italien in der Frührenaissance als den maßgeblichen Mittelpunkt kaiserlicher Macht gesehen hatte. Dadurch wurde ein bedeutsamer Sinnzusammenhang für Karls Nachfolge auf den Kaiserthron geschaffen.
Von 1522 bis 1529 hatte Karl erstmals seinen festen Wohnsitz in Spanien. Von Barcelona aus trat er Ende Juli 1529 seine Reise nach Italien an, um sich von Papst Clemens VII. zum Kaiser krönen zu lassen. Seine Beziehungen zum Heiligen Stuhl waren empfindlich gestört worden, als Karls Kommandeure 1527 zu seiner großen Beschämung die Kontrolle über seine unterbezahlten Truppen verloren hatten, woraufhin diese Rom geplündert und den Papst mehrere Monat gefangen gehalten hatten.
Um die empfindlich getroffenen Italiener zu beschwichtigen und sich wieder beliebt zu machen, legte sich Karl nun ein neues Image zu. Entsprechend dem Rat von Gattinara präsentierte er sich nun als Verkörperung des römischen Kaisers. Sein Großkanzler war nicht der Einzige, der ihm hierzu riet. Im Jahr 1529 verfasste Karls Hofkaplan Antonio de Guevara eine politische Schrift über den römischen Kaiser Marcus Aurelius (161-180) und empfahl ihn seinem Herrn als Vorbild.
Anscheinend war Italien ebenso bereit für einen Kaiser, wie Karl bereit war, offiziell Kaiser zu werden. Die Zeit war gekommen, der Öffentlichkeit seine Stellung auf eine neue Weise deutlich zu machen: Der „Einzug des Kaisers“ wurde eingeführt – Triumphzüge im altrömischen Stil durch die kleinen und großen Städte des Reiches. Als Karls Schiffe im Hafen von Genua anlegten, sah er nicht nur römisch aus, sondern er wurde mit einer Rekonstruktion eines antiken römischen Triumphbogens begrüßt, den der habsburgische Doppeladler zierte. Auch die Kathedrale war mit einer Kopie eines Triumphbogens geschmückt. Als der Erwählte Kaiser zur Krönung in Bologna Einzug hielt, ging die Prozession vorbei an Abbildern der Kaiser Caesar, Augustus, Titus und Trajan, die Seite an Seite mit seinen eigenen Insignien standen.
Karl war nicht nur Nachfolger der römischen Kaiser, sondern auch Verteidiger des Glaubens und Soldat Gottes in der Tradition des durch Karl den Großen wiederhergestellten Kaiserreiches vom Jahr 800. Dem mittelalterlichen Vorbild entsprechend setzte der Papst Karl am 22. Februar 1530 die Eisenkrone der Lombardei auf. Zwei Tage danach setzte er ihn als Kaiser ein. Karl V. war der letzte Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, der von einem Papst gekrönt wurde, obwohl das Reich noch fast 300 Jahre bestand.
Auf seiner Reise nach Deutschland machte Karl im Juni in Innsbruck Station. Dort starb Gattinara. Die Einheit des Reiches, für die der Großkanzler lang und schwer gearbeitet hatte, verlor ihren Vorkämpfer. Obwohl inzwischen gereift, verlor Karl mit dem Tod Gattinaras den Berater mit der kaiserlichsten Gesinnung; als Nachfolger ernannte er zwei weniger mächtige Sekretäre. Doch wie wir sehen werden, gab Karl nie die religiösen und kaiserlichen Ideale auf, die Erasmus, Gattinara, Guevara und andere in seinen prägenden Jahren gefördert hatten.
Im Jahr 1536 hielt er als Triumphator Einzug in Rom wie einst einer seiner Vorfahren: Auf einem Schimmel und mit purpurfarbenem Umhang ritt er durch die antike Via Triumphalis. Wie die Kunsthistorikerin Yona Pinson schreibt, hatte Karl „sich wieder als rechtmäßiger Nachfolger der Kaiser des Römischen Reiches etabliert“, nach dem Bild des Marcus Aurelius als Eroberer zu Pferde („Imperial Ideology in the Triumphal Entry into Lille of Charles V and the Crown Prince [1549]“, in Bd. 6 von Assaph Studies in Art History, 2001).
ÄUSSERE UND INNERE FEINDE
Nach Gattinaras Tod blieb die Herrschaft Karls von Sorgen um die wachsenden protestantischen Unruhen geprägt. Obwohl die Aufmerksamkeit des Kaisers oft von der Bedrohung durch die Franzosen und Türken abgelenkt wurde – Grund genug, eine Ausweitung der religiösen und politischen Spaltung innerhalb Deutschlands zu vermeiden –, scheiterten sowohl Karl als auch die Protestanten mit ihren Versuchen, das Papsttum durch Reformen zur Versöhnung zu bewegen. Der Kaiser suchte den Vatikan davon zu überzeugen, alle Fragen der kirchlichen Schwierigkeiten in Deutschland durch ein Konzil erörtern zu lassen, doch „Karl V., der katholischste Kaiser, den die Welt je gesehen hat, fand in den Päpsten seine gewaltigsten Gegner“, wie Heer schreibt. Und während Karl selbst nie zu einer Änderung der Lehre neigte, waren die Protestanten nie geneigt, sich ohne eine solche Änderung zufrieden zu geben.
Von Juni bis September 1530 saß Karl dem von Auseinandersetzungen geprägten Reichstag von Augsburg vor, wo erstmals das Augsburger Glaubensbekenntnis verlesen wurde, das zur theologischen Grundlage aller protestantischen Gruppen wurde. So brachte Karls Versöhnungsversuch unbeabsichtigt das Basisdokument der protestantischen Abspaltung von Rom hervor.
Im Jahr 1545 berief Papst Paul III. endlich das lang erwartete Konzil zur ersten Sitzung in der norditalienischen Stadt Trient ein. Doch zwei Jahre danach griff Karl, des Widerstands von einigen der protestantischen Fürsten müde, zu den Waffen und schlug sie in der Schlacht von Mühlberg. In seinem Triumph soll er die Worte Julius Caesars wiederholt haben, der nach einem militärischen Sieg in Kleinasien sagte: „Veni, vidi, vici“ – „Ich kam, ich sah, ich siegte.“
Tizians Gemälde, das den Sieg des Kaisers feiert, zeigt ihn wieder zu Pferde mit der symbolträchtigen Heiligen Lanze der Karolinger, die, wie man glaubte, Teile der Nägel von der Kreuzigung Christi enthielt: Der Verteidiger des katholischen Glaubens hatte mit dem Beistand seines Erlösers obsiegt. Tizians Bild war jedoch eher propagandistisch als ein realistisches Porträt, denn tatsächlich hatte Karl in der Schlacht einen ganz anderen, kurzen Speer getragen.
Trotz des Sieges von Mühlberg wollte Karl den Protestantismus nicht zerstören. Er wusste, dass ihm das nie gelingen konnte. So erkannte er das Augsburger Glaubensbekenntnis 1555 im Frieden von Augsburg an und gewährte den deutschen Fürsten, ihren Territorien und den freien Reichsstädten Religionsfreiheit.
Am Ende des Jahrhunderts, 37 Jahre nach der Abschlusssitzung des Konzils von Trient, waren die meisten Missbräuche, die die Reformation ausgelöst hatten, überwunden; doch inzwischen waren die theologischen Unterschiede gefestigt, und Europa konnte nicht mehr im Katholizismus geeint werden. Zudem hatte das Konzil die Konterreformation eingeleitet, bei der die katholische Kirche die Initiative ergriff und das Heilige Offizium der Inquisition einrichtete. Die grausame Unterdrückung derer, die einer anderen Lehre anhingen, als ihr Fürst erlaubte, konnte die Kluft zwischen deutschen Katholiken und Protestanten nur vertiefen, und dies führte schließlich zum Dreißigjährigen Krieg (1618-48). Was Karl durch Gespräche und Versöhnung zu verhindern gesucht hatte – der gewaltsame Konflikt innerhalb der Christenheit –, wurde das prägende Merkmal des nächsten Jahrhunderts.
VORBEREITUNGEN FÜR DIE NACHFOLGE
Im Jahr 1548 äußerte sich Karls Engagement für Dynastie und Kaiserreich in einer neuen Serie kaiserlicher Einzüge in wichtigen Städten, die wieder in Genua begann und ein Jahr später in Antwerpen endete. Diese Prozessionen dienten dem Zweck, Karls einzigen ehelichen Sohn und Erben Philipp im Kontext der Reichsideologie seinen künftigen Untertanen vorzustellen. Im Regelfall wurden diese Einzüge mit Triumphbögen im römischen Stil und verschiedenen Festwagen mit „lebenden Bildern“ dekoriert, die Erfolge des Kaisers in Szene setzten.
Pinson zufolge war der Einzug Karls und Philipps im nordfranzösischen Lille (1549) politisch-religiös besonders eindrucksvoll; sie bezeichnet ihn als „militant katholische Propaganda“. Das „Bild des idealen Kaisers“ wurde gezeigt, in dem „der wahre Erbe und Nachfolger Karls des Großen, Verteidiger der Kirche und des Glaubens“ mit „Caesar als Weltherrscher (Domine Mundi)“ verschmolz. In den aufwendigen Dekorationen wurden Karls militärische Siege über Feinde innerhalb und außerhalb des Reiches verherrlicht – mit offenen Bezügen zu antiken römischen Eroberern sowie klassisch-heidnischen und biblischen Themen. Durch Assoziation wurde Karl zu Titus, der im Jahr 70 die antichristlichen Juden besiegte und Jerusalem mit seinem Tempel zerstörte. Er war „ein christlicher Erlöser“, begleitet von Mars und Neptun auf der einen und den theologischen Tugenden auf der anderen Seite. Außerdem war er der biblische Gideon, Zerstörer des heidnischen Baal-Altars zur Zeit der Richter und Besitzer des wundersamen wollenen Vlieses (dieser Bibelverweis wurde mit Karls Zugehörigkeit zum Orden der Ritter vom Goldenen Vlies verschmolzen). All diese Prozessionen zeigten und verherrlichten den Gedanken der Erbfolge vom Vater zum Sohn: Abraham und Isaak; David und Salomo; Philipp von Makedonien und Alexander der Große; Vespasian und Titus. Bei jedem dieser kaiserlichen Einzüge fiel Karls Mantel auf Philipp, den treuen Sohn.
„Geleitet von den Göttern Neptun und Mars überquerte Karl das Meer und eroberte La Goletta.“
Die Aufgabe, über ein Reich zu herrschen, in dem die Sonne nie unterging – und dies mit einer Gesinnung, die einer von Kriegswirren und religiöser Zersplitterung zerrissenen Zeit nicht mehr entsprach –, erschöpfte Karl so sehr, dass er abdankte. Im Jahr 1555 gab er seine Verpflichtungen in den Niederlanden an Philipp ab, im Jahr 1556 auch Spanien. Im selben Jahr beschloss er, die Kaiserkrone seinem Bruder Ferdinand anzutragen. Zwei Jahre nach Karls Rückzug in das spanische Kloster San Jerónimo de Yuste in der Extremadura, wo er (oder in dessen Nähe er in seinem Landhaus) bis zu seinem Tod am 21. September 1558 als Privatmann, politischer Beobachter und Berater lebte, wurde Ferdinand Kaiser.
DAS REICH GEHT NACH WESTEN
In seinem politischen Vermächtnis an seinen Sohn legt Karl Philipp ans Herz, sich um Frieden zu bemühen, aber nicht völlig auf seinen Anspruch auf Burgund, „unser Vaterland“, zu verzichten. Wie bereits dargelegt, umfasste Burgund einen Teil des „Mittleren Reiches“ – eben die Überreste des Weströmischen Reiches, die an den Kräften Ottos des Großen zehrten, nachdem das Reich Karls des Großen zerfallen war – und hatte entscheidenden Anteil an mehreren Versuchen, Roms zentripetale Macht wiederherzustellen.
Im Lauf der folgenden beiden Jahrhunderte verlagerte sich das Gravitationszentrum allmählich nach Westen, wenn auch nicht so, wie Karl gehofft hatte. Es waren die Atlantikländer Frankreich, Großbritannien und später Amerika, die nun ihre Macht international ausweiteten. Infolgedessen verlor das Heilige Römische Reich immer mehr an Einfluss, und sein Kaisertum wurde immer zeremonieller – bis Napoleon Bonaparte kam, dessen Ehrgeiz, ein neuer Karl der Große zu werden, der von französischem Boden aus operierte, ihn mit dem letzten Habsburgerkaiser des Heiligen Römischen Reiches konfrontierte: Franz II. Napoleons Griff nach dem Kaisertum wird in Teil 6 behandelt.
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