Sich auf einen Höhenflug begeben: Medikamente als Drogen
Schlagzeilen über den Tod von Prominenten im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Arzneimitteln kommen immer häufiger vor. Das Problem befindet sich in allen Gesellschaftsschichten auf dem Vormarsch und ist besonders besorgniserregend bei jüngeren Menschen. Gibt es dafür eine Ursache und ist das Problem zu lösen?
Chronischer Missbrauch von Medikamenten ist nicht nur eine Geißel der Reichen und Berühmten. Von halbwüchsigen Kindern über Arbeiter und Geschäftsleute bis hin zu Senioren – keine Gruppe ist immun. Und das Problem beschränkt sich nicht auf die USA, auch wenn ein großer Teil der Daten dort gesammelt wurde. Ein Artikel im Journal of the American Medical Association von 2007 zitiert eine Warnung der Vereinten Nationen: Der Medikamenten-missbrauch werde den Missbrauch illegaler Drogen bald weltweit übersteigen.
Auf der Suche nach den Gründen eines Problems von so großer Tragweite kann die Wissenschaft hilfreich sein. Was macht Suchtstoffe so attraktiv?
Das National Institute on Drug Abuse (NIDA) gibt einige Antworten. „Die meisten Suchtstoffe wirken direkt oder indirekt auf das Belohnungssystem des Gehirns, da sie es mit Dopamin überfluten“, heißt es auf der Website des Instituts. „Dopamin ist ein Neurotransmitter und in Regionen des Gehirns vorhanden, die Bewegung, Emotion, Wahrnehmung, Motivation und Lustgefühle regulieren. Die Überstimulation dieses Systems, das unser natürliches Verhalten belohnt, bewirkt die Gefühle der Euphorie, die die Betroffenen haben wollen, und lehrt sie, den Missbrauch zu wiederholen.“
Daneben sind auch zwei weitere Neurotransmitter beteiligt – Serotonin und Noradrenalin –, und wenn die Ausschüttung dieser drei Botenstoffe auf irgendeine Weise gestört wird, kommt es zu affektiven Störungen. Funktioniert das System hingegen richtig, so tragen diese chemischen Stoffe dazu bei, dass man innerhalb einer normalen Bandbreite von Stimmungen und Emotionen bleibt.
Doch das Gehirn – diese komplexe Masse aus Neuronen und Nervenzellen – braucht nicht nur Neurotransmitter, um zu regulieren, was wir fühlen, denken und tun. Hormone, die vom endokrinen System ausgeschüttet werden, spielen ebenfalls eine wichtige Rolle für die Regulierung von Emotionen und für die Normalität von Wachstum und Entwicklung in ihren verschiedenen Aspekten. Neben Neurotransmittern sind Hormone auch für das Nervensystem wichtig; das endokrine System und das autonome Nervensystem sind durch den Hypothalamus verbunden. Diese Struktur im Gehirn regt das endokrine System an, auf bestimmte auslösende Reize hin Hormone auszuschütten (z. B. Adrenalin und Kortisol).
Adrenalin kommt uns zu Hilfe, wenn wir in einer Stresssituation sind: Es erhöht den Puls und den Blutdruck, damit wir kämpfen oder fliehen können. Kortisol bewirkt unter anderem, dass einige der aufwendigeren Körperfunktionen ausgesetzt werden, um Energie freizusetzen – auch dies, um wahrgenommenen Gefahren begegnen zu können. So können sogar die körperlichen Wachstums- und Entwicklungsprozesse unterbrochen werden, wenn wir in einer Belastungssituation sind, doch normalerweise normalisiert sich alles wieder, sobald die Gefahr vorbei ist. Hält der Stress jedoch langfristig an, so gerät die Adrenalinausschüttung außer Kontrolle, erhöht den Kortisol-Basisspiegel über unnatürlich lange Zeit und stört die normale Funktion dieser Prozesse.
Besonders schädlich ist das für Säuglinge und Kinder, denn bei ihnen entwickelt sich gerade die Grundlage der Selbstregulierung, von der normale soziale und emotionale Bewältigungsmechanismen abhängen. Wenn diese Entwicklung durch einen hohen Kortisolspiegel gehemmt wird, sind sie stärker gefährdet, später Probleme mit der Selbstregulierung zu bekommen – und das schließt Suchtprobleme ein. Doch auch im Gehirn von Erwachsenen unterdrückt ein anhaltend erhöhter Kortisolspiegel diese Funktionen, und dabei wird die Ausschüttung von Dopamin und Serotonin gehemmt. Um vollkommen zu verstehen, wie das Zusammenwirken all dieser Faktoren Sucht fördern oder möglicherweise verhindern kann, bedarf es weiterer Forschung.
Die Lebensweise in unserer modernen westlichen Welt wird immer stressiger, doch aufgrund des heutigen Wissens über das Funktionieren des Nerven- und des endokrinen Systems hat die medizinische Forschung festgestellt, dass man Menschen mit emotionalen oder affektiven Störungen helfen kann, indem man ihnen Substanzen gibt, die Neurotransmitter nachahmen oder beeinflussen. Verständlicherweise sind diese enorm beliebt geworden. Allerdings haben Medikamente, wenn sie wirksam sind, oft auch Nebenwirkungen.
VOM GEBRAUCH ZUM MISSBRAUCH
Der Konsum von Drogen wie Heroin, Kokain und Marihuana in westlichen Ländern ist ein seit Langem bestehendes, gut dokumentiertes und wachsendes Problem, doch nun schlagen die Behörden Alarm wegen des relativ neuen Phänomens Arzneimittelmissbrauch. Laut des Institute of Medicine und der National Institutes of Health nutzen zwar die meisten Amerikaner rezeptpflichtige Medikamente nur für den Zweck, für den ihr Arzt sie verordnet, doch etwa 20 % haben schon einmal solche Medikamente für nichtmedizinische Zwecke eingenommen.
Rezeptpflichtige Arzneimittel bedürfen einer behördlichen Zulassung; sie müssen vom Arzt verschrieben werden und sind, wie der Name sagt, nur auf Rezept über Apotheken erhältlich. Rezeptfreie Mittel können einfach gekauft werden.
Viele rezeptpflichtige Medikamente dienen der Beeinflussung von Gehirnfunktionen, bei denen eine Störung diagnostiziert worden ist. Unter kontrollierten Umständen können Patienten bei einem realen medizinischen Problem davon profitieren. Doch auch Menschen ohne diagnostizierte Fehlfunktion können eine Wirkung auf das Gehirn spüren, wenn sie solche Medikamente einnehmen. Bestimmte Substanzen sprechen das Belohnungssystem im Gehirn an und lösen angenehme Gefühle aus – mit oder ohne medizinische Indikation. Das NIDA erklärt: „Wenn bestimmte Suchtstoffe eingenommen werden, können sie das Zwei- bis Zehnfache an Dopamin freisetzen wie natürliche Belohnungen. In manchen Fällen geschieht dies fast unmittelbar (z. B. wenn Drogen geraucht oder gespritzt werden), und die Wirkung kann weit länger anhalten als bei natürlichen Belohnungen. Die im Gehirn ausgelöste Lustempfindung ist viel stärker als bei natürlich lustvollen Dingen wie Essen und Sex. Die Wirkung einer so enormen Belohnung motiviert stark dazu, diese Substanzen immer wieder zu konsumieren. Deshalb sagen Forscher manchmal, Suchtverhalten sei etwas, das wir sehr, sehr gut lernen.
Die drei Klassen von Medikamenten, die am häufigsten missbraucht werden, sind Opiate (Schmerzmittel), Beruhigungsmittel, die am Zentralnervensystem ansetzen (Sedativa), und Muntermacher (Amphetamine). Opiate verändern das Schmerzempfinden und wirken zusätzlich auf die Gehirnareale ein, die mit dem Lustempfinden zu tun haben. Sedativa verringern die Hirnaktivität und wirken beruhigend, während Muntermacher den Dopaminspiegel erhöhen – den Neurotransmitter, der mit Lustempfindung zu tun hat. Wenn diese Substanzen genau nach Verordnung genommen werden, können sie hilfreich sein und sind gewöhnlich nicht suchtbildend.
„Wir haben eine Situation, in der ein weitverbreitetes, gefährliches Verhalten bei Jugendlichen normal geworden und in unseren Familien angekommen ist. Diese Feststellung sollte als Weckruf für Eltern dienen: Ihr Teenager ist von einer Drogenlandschaft umgeben, die nicht existierte, als sie selbst Teenager waren.“
Besonders alarmierend ist das Alter vieler Menschen, die Arzneimittel missbrauchen. Aus einem Merkblatt des NIDA von 2011 geht hervor, dass 7,7 % der amerikanischen Jugendlichen (im Alter von zwölf bis 17 Jahren) angaben, im Vorjahr rezeptpflichtige Mittel aus nichtmedizinischen Gründen genommen zu haben. Ein Bericht des Office of National Drug Control Policy meldet: „Nahezu ein Drittel der Personen ab zwölf Jahren, die 2009 begannen, Drogen zu konsumieren, hatte als Einstieg ein rezeptpflichtiges Medikament aus nichtmedizinischen Gründen genommen“. Der Bericht gibt außerdem an, dass jeden Tag 2.500 amerikanische Jugendliche zum ersten Mal rezeptpflichtige Schmerzmittel nehmen. Der Missbrauch rezeptpflichtiger Medikamente ist bei Jugendlichen in den USA häufiger als der aller illegalen Drogen, außer Marihuana. Deshalb wird diese Generation dort auch als „Generation Rx“ bezeichnet.
Am beliebtesten sind Schmerzmittel, insbesondere bei den Jüngeren, doch werden sie mit Beruhigungsmitteln (Schlaftabletten und angstlösenden Mitteln), Aufputschmitteln sowie frei verkäuflichen Husten- und Erkältungsmitteln ergänzt. Sehr häufig werden mehrere dieser Mittel kombiniert und in Verbindung mit Alkoholexzessen genommen.
URSACHE UND WIRKUNG
Die große Frage ist: Warum? Warum haben junge Menschen im Alter der körperlichen Bestform das Bedürfnis, Chemikalien einzunehmen, die die Funktion ihres Gehirns verändern? Natürlich werden Drogen und Medikamente genommen, um eine gewünschte Wirkung zu erzielen. Viele von ihnen lösen, wie bereits angemerkt, angenehme Gefühle unterschiedlicher Intensität aus.
Rod Colvin ist der Autor von Overcoming Prescription Drug Addiction: A Guide to Coping and Understanding. Vision fragte ihn, was junge Menschen zum Medikamentenmissbrauch führt. Er antwortete, dass generell eine Kombination mehrerer Faktoren eine Rolle spiele, besonders aber „das Bedürfnis, von allem wegzukommen – sich wohlzufühlen – derselbe Faktor, der auch Erwachsene motiviert, mit dem Konsum von Drogen oder Medikamenten anzufangen, um sich wohlzufühlen.“ Er fuhr fort: „Menschen wollen oft ausbrechen, weil sie eine unerkannte Depression oder andere Belastungen in ihrem Leben haben, und eine einfache Pille scheint sie von diesem Gefühl zu befreien.“ Nur: „Das Wohlgefühl hält eine Weile an, aber dann beginnt der Abstieg ins Chaos – mit Sucht.“
Mit anderen Worten: Der Missbrauch bestimmter Substanzen bei Jugendlichen kann ein Signal sein, dass sie psychische Probleme haben, die über die „gewöhnlichen“ pubertären Stimmungsschwankungen hinausgehen – wenn auch sich die Motivation, etwas zu nehmen, schlicht und einfach daraus ergibt, mehr Spaß haben oder das Leben mehr genießen zu wollen. Oft möchten die Jugendlichen auch „dazugehören“ oder eine Form von Stress überwinden, z. B. soziale Ängste oder Gruppenzwang. Zusätzlich nehmen Schüler und Studenten gelegentlich Muntermacher, um vorübergehend ihre geistige Leistungsfähigkeit zu erhöhen.
Im Jahr 2006 bestätigte die NIDA-Direktorin Nora D. Volkow vor dem House Subcommittee on Criminal Justice, Drug Policy and Human Resources, dass die Gründe des zunehmenden Medikamentenmissbrauchs in Amerika vielfältig sind. Sie verzeichnete „eine deutlich höhere Anzahl verschriebener Medikamente, eine deutlich höhere Verfügbarkeit der Medikamente, aggressives Marketing durch die pharmazeutische Industrie, Wildwuchs illegaler Internetapotheken, die diese Mittel ohne gültiges Rezept und ohne Kontrolle abgeben, sowie eine größere soziale Akzeptanz der medikamentösen Behandlung von immer mehr Dingen“. Frau Volkow warnte: „Die Tatsache, dass Ärzte diese Mittel legitim und immer häufiger für eine Vielzahl von Beschwerden verschreiben, führt zu dem irrigen und gefährlichen Schluss, dass auch ihre nichtmedizinische Verwendung unbedenklich sein sollte.“
Colvin bemerkt außerdem, es bestehe „ein Mangel an Wissen über die Gefahren von Mitteln, die am Anfang ein Wohlgefühl bewirken“. Bei jungen Heranwachsenden „herrscht ein Glaube, dass Pillen nicht so schlimm sind wie Drogen oder Alkohol, aber oftmals sind die langfristigen Wirkungen ebenso schlimm, wenn nicht schlimmer.“ Bei Heranwachsenden kann die Einnahme solcher Mittel z. B. langfristige Auswirkungen auf Hirnfunktionen haben. In einem NIDA-Forschungsbericht ist zu lesen: „Ein Hirnareal, das in der Adoleszenz noch reift, ist der präfrontale Kortex – der Teil des Gehirns, der uns befähigt, Situationen einzuschätzen, überlegte Entscheidungen zu treffen und unsere Emotionen und Begierden unter Kontrolle zu halten. Da dieser wichtige Teil des Gehirns bei Heranwachsenden noch nicht ausgereift ist, sind sie stärker gefährdet, schlechte Entscheidungen zu treffen (z. B. Drogen auszuprobieren oder süchtig zu werden). Die Einnahme von Arzneimitteln, während das Gehirn noch in der Entwicklung ist, kann deshalb weitreichende, lang anhaltende Folgen haben.“
Die Wohlfühlpillen zu nehmen, von denen Colvin spricht, gehört zu einem Teufelskreis, der einen enormen körperlichen und seelischen Preis fordert. In einer Presseerklärung für sein Buch bemerkte er: „Millionen von Amerikanern jeder demografischen Gruppe sind in die Suchtfalle geraten, und das zerfetzt das emotionale Gewebe von Familien im ganzen Land. Nicht nur, weil Familien Angehörige verlieren – die Sucht fordert ihren emotionalen Tribut von der gesamten Familie. Niemand bleibt verschont von dem Schmerz und dem Chaos, wenn ein Angehöriger sich mit Medikamenten zerstört.“
Auf Totenscheinen wird eine Überdosis als Todesursache mit „Vergiftung“ bezeichnet, und das National Center for Health Statistics der USA berichtet: „Im Jahr 2008 wurde Vergiftung zur führenden nichtnatürlichen Todesursache in den USA.“ Besonders bemerkenswert dabei: „In fast neun von zehn Todesfällen durch Vergiftung sind Drogen oder Arzneimittel die Ursache.“ Das Institut führt diesen Anstieg wenigstens teilweise auf den vermehrten Konsum rezeptpflichtiger Schmerz- und Beruhigungsmittel zurück.
Aber woher bekommen Kinder und Jugendliche diese Mittel? In den meisten Fällen ist der Weg nicht weit. Der heimische Medizinschrank liefert regelmäßig eine Auswahl von Mitteln, aus der sie sich bedienen können. Die überwältigende Mehrheit der Befragten nannte Freunde oder (ahnungslose) Angehörige als Quelle und bestätigte, die Mittel kostenlos bekommen zu haben. Viele Jugendliche steigen in den Medikamentenmissbrauch ein, indem sie die Medikamente ihrer Eltern durchprobieren. Mit anderen Worten: Eine billige Quelle zu finden, ist nicht schwer. Da immer mehr menschliche Verhaltensweisen und Befindlichkeiten als Krankheit und daher medikamentös behandelbar klassifiziert werden, sind heimische Medizinschränke zunehmend mit einer Vielzahl verlockender Mittel bestückt.
EINE FRAGE DER ENTSCHEIDUNG
Angesichts wachsender Besorgnis über Ausmaß und Folgen des Medikamentenmissbrauchs gehen amerikanische Behörden nun über die bloße Berichterstattung hinaus und suchen nach Möglichkeiten, die Flut einzudämmen. Kampagnen sind sicher bis zu einem gewissen Punkt hilfreich, um ein Bewusstsein zu schaffen, doch das Problem muss an seiner Wurzel gepackt werden. Das NIDA hat eine Reihe von Broschüren veröffentlicht, die Risikofaktoren für einen möglichen Arzneimittelmissbrauch aufzeigen. Sie weisen darauf hin, dass die ursprüngliche Entscheidung, eine Droge oder ein Medikament zu konsumieren, zumeist freiwillig ist. Irgendwann wird bewusst entschieden, ein Mittel auszuprobieren.
„Ein Kind, das 21 Jahre alt wird, ohne zu rauchen, Drogen zu nehmen oder Alkohol zu missbrauchen, wird dies fast mit Sicherheit nie tun.“
Hier kommt es darauf an, wie fest das moralische Fundament eines Kindes ist. „Die frühesten Interaktionen eines Kindes sind entscheidend für seine gesunde Entwicklung und sein Risiko, Drogen oder Medikamente zu missbrauchen“, steht in der NIDA-Broschüre. Weiter nennt sie als wichtigste schützende Faktoren Selbstbeherrschung, positive Beziehungen und aufmerksame, unterstützende Eltern (mehr zu diesem Thema in „Ein positives Ich-Gefühl bei Kindern fördern“ und „Kinder erziehen: Die Kunst der Selbstbeherrschung“).
All die Faktoren, die zum Medikamentenmissbrauch beitragen, hängen natürlich zusammen und werfen bestimmte Fragen auf. Wenn junge Menschen etwas einnehmen, um sich wohlzufühlen, warum haben sie sich dann davor nicht wohlgefühlt? Was geschieht in ihrem Leben, das sie verlockt, eine chemische Substanz zu missbrauchen, um sich besser zu fühlen? Ein geringer Prozentsatz der Betroffenen mag genetisch vorbelastet sein, aber heute ist bekannt, dass das Umfeld eine Rolle dabei spielt, ob bestimmte Gene ausgedrückt werden. (Dies steht im Mittelpunkt der aktuellen Forschung zu der seit Langem diskutierten Frage „Veranlagung oder Förderung“.) Und auch wenn manche Jugendliche nur ihre alterstypischen hormonellen Schwankungen abreagieren, ist das Problem doch eindeutig größer, als sich mit normalem Verhalten erklären lässt.
Es handelt sich um ein Problem der Größenordnung „Leben oder Tod“, und wir können uns nicht darauf verlassen, dass es durch Gesetzgebung gelöst wird. Neue Gesetze ändern nichts daran, wie ein Mensch denkt oder wie fähig bzw. unfähig er ist, das Leben und all seine Herausforderungen zu bewältigen. Die Lösung für die Epidemie Medikamentenmissbrauch muss die Person in den Mittelpunkt stellen – die persönlichen Entscheidungen, die jeder von uns trifft; keine Regierung kann die Denkprozesse eines Menschen steuern. Eine gesunde Moral muss von innen heraus entwickelt, statt von außen aufgezwungen werden. Dazu ist ein Umfeld erforderlich, in dem Kinder und Heranwachsende lernen können, gesunde Entscheidungen für ihre Lebensweise zu treffen – und ein solches Umfeld bietet im Idealfall die Familie (s. „Ene, mene, muh: Wie Kinder entscheiden lernen“).
Wann sollten Eltern mit dieser Art der Unterstützung anfangen? Am besten natürlich ab dem frühesten Kindesalter, wenn die Grundlagen für die Selbstregulierung am leichtesten zu formen sind. Das National Center on Addiction and Substance Abuse (CASA) der Universität Columbia drängt seit Langem darauf, schon auf kleine Kinder vorbeugend einzuwirken, und empfiehlt elterliches Engagement als wichtiges Präventivmittel. Der CASA-Begründer Joseph Califano Jr. schreibt: „Elterliche Macht ist die wirksamste, am meisten unterschätzte und am wenigsten genutzte Ressource, die wir in dem Bemühen haben, Kinder frei von Drogen- und Alkoholmissbrauch und Sucht zu erziehen.“
Doch Eltern älterer Kinder und Jugendlicher müssen nicht aufgeben. Viele Internetseiten bieten Eltern (und Jugendlichen) Hilfe an, sich verantwortungsvoll über den Gebrauch und Missbrauch von Arzneimitteln zu informieren. Sie sollten sich über die Art und das Ausmaß des Problems informieren und sich bemühen, eine gute Kommunikation mit ihren Kindern zu pflegen – nicht nur reden, sondern auch zuhören. Dies dient als vorbeugende Maßnahme, lange bevor Missbrauch vermutet werden könnte, doch es kann auch enorm viel bewirken, wenn ein Problem bekannt und noch zu bewältigen ist. Eine angemessene Kontrolle und Aufsicht über Arzneimittel im Haus ist Pflicht. Achten Sie aber auch auf die Freunde Ihres Kindes, also darauf, ob sie die üblichen Anzeichen für mögliches Missbrauchsverhalten aufweisen.
Wenn Sie ein Problem haben oder bei einem Menschen in Ihrer Nähe ein Problem vermuten – holen Sie sich Hilfe. Sie ist nicht weiter weg als Ihr Telefon oder das Internet.
Letztlich geht es darum, persönliche Verantwortung zu erlernen. Was wir für das Richtige halten, ist nichts Geringeres als eine veränderte Einstellung der Gesellschaft gegenüber der Familie und ihrer Rolle für die Entwicklung von Kindern. Wie der alte Spruch besagt: „Bring einem Kind am Anfang seines Lebens gute Gewohnheiten bei, es wird sie auch im Alter nicht vergessen“ (Sprüche 22, 6, Gute Nachricht Bibel).
„Letzten Endes ist die Verhütung von Drogenmissbrauch bei Jugendlichen Elternsache.“
Eine gesunde, stabile Familie ist ein perfekter Organismus für die Entwicklung von Moral. Sie gibt noch unreifen Menschen Zugang zu reifen Menschen, die ihre Entwicklung mit Liebe und Fürsorge fördern. Sie bietet die Struktur, die Kinder in ihrem Leben brauchen. Sie bietet das positive Umfeld für die emotionale Reifung. Gesunde Denkmuster werden von den Eltern eingeübt und vorgelebt – und durch Liebe verstärkt. Elterliche Liebe bewirkt das Gefühl des Selbstwertes und der Sicherheit, das Kinder brauchen, um die körperlichen Voraussetzungen für Moral in den Strukturen des Gehirns zu entwickeln. Kurz: Moral lässt sich am besten im Rahmen moralischer Familien vermitteln.
Es ist wahr, dass Medikamente von Ärzten, abgebenden Apotheken und Erwachsenen im Haus genauer kontrolliert werden könnten. Doch die eigentliche, langfristige Antwort auf unser Problem – den Missbrauch von Medikamenten – liegt in der Rolle, die die Familie für die moralische Entwicklung künftiger Generationen spielen sollte.