Sicherheit durch Waffen?

Die Auseinandersetzung um Waffenkontrollgesetze gilt weltweit als etwas ausschließlich Amerikanisches. Doch die Geschichte, die ihr zugrunde liegt, ist von weltweiter Bedeutung – ebenso wie ihre Lösung.

In einem Zeitungsinterview bemerkte der amerikanische Schauspieler Brad Pitt: „Amerika ist ein Land, das auf Waffen gegründet ist. Das ist in unserer DNS.“ Er hat in zahlreichen Filmrollen Schusswaffen benutzt, aber anders als viele seiner Schauspielerkollegen tut er das auch im Privatleben. „Es ist sehr seltsam, aber ich fühle mich besser, wenn ich eine Waffe habe“, sagte er. „Ich fühle mich nicht sicher, ich habe das Gefühl, dass das Haus nicht vollkommen sicher ist, wenn ich nicht irgendwo eine versteckt habe.“ Seine Behauptung, Waffen seien Teil von Amerikas DNS, ist natürlich bildlich gemeint; die Genetik erkennt schließlich keine Landesgrenzen. Doch lohnt es sich, nachzufragen, was genau er damit meinte, insbesondere, da er seine Äußerung inmitten einer Welle von Verbrechen mit Schusswaffen tätigte.

Waffen sind ein großes, aktuelles und manchmal besorgniserregendes Thema in den USA, wo es laut dem Gun Violence Archive an fünf von sechs Tagen zu einer Massenerschießung kommt – definiert als eine Schießerei mit vier oder mehr Opfern, wobei der Schütze nicht mitgezählt wird. 2015, nach einem Vorfall in San Bernardino, bei dem 14 Menschen starben, sagte Präsident Barack Obama: „Wir haben jetzt ein Muster von Massenerschießungen in diesem Land, das nirgendwo auf der Welt seinesgleichen hat.“

Er war nicht der Erste, dem das auffiel. Im Jahr 1970 schrieb der Historiker Richard Hofstadter: „Die USA sind die einzige moderne, urbane Industrienation, die darauf beharrt, sich eine Waffenkultur zu bewahren. Sie sind die einzige Industrienation, in der legaler Besitz von Gewehren, Flinten und Handfeuerwaffen bei weiten Teilen der Bevölkerung vorherrscht.“

Mit „Waffenkultur“ meinte Hofstadter die Tatsache, dass Amerikaner mit Waffen weit mehr verbinden als nur Verbrechen. Amerikaner, die Waffen besitzen (es sollte erwähnt werden, dass dies bei 64 Prozent der Haushalte nicht der Fall ist, wie eine Erhebung von 2016 ergeben hat), haben unzählige Gründe dafür: Jagd, Schießsport und Wildbewirtschaftung sind nur einige davon. Das ist die verborgene Seite dessen, was der Rest der Welt sieht, wenn es zu einer Massenerschießung kommt.

Doch in den letzten Jahren ist ein weiterer Grund für Waffenbesitz immer wichtiger geworden. In einer Pew-Erhebung von 1999 nannten 26 Prozent der Waffenbesitzer den persönlichen Schutz als Hauptgrund; eine Folgeerhebung von 2013 ergab einen Anstieg dieser Motivation auf 48 Prozent, womit sie die verbreitetste war; ebenso wie Brad Pitt behaupteten 79 Prozent der Waffenbesitzer, sich durch den Waffenbesitz sicherer zu fühlen.

Im Jahr 1999 sagten 49 Prozent, dass sie hauptsächlich für die Jagd eine Waffe hätten, während nur 26 Prozent Schutz als wichtigsten Faktor nannten.“

Pew Research Center, „Why Own a Gun? Protection Is Now Top Reason“ (12. März 2013)

Massenerschießungen und andere Tragödien, allen voran der 11. September, scheinen diese Veränderung beschleunigt zu haben. Ein Bericht der NPR News vom Januar 2016 zitiert John Lamplugh, einen langjährigen Veranstalter von Waffenverkaufsausstellungen: „Nach San Bernardino ist unser Absatz um wahrscheinlich 50 Prozent gestiegen. […] Sie haben Angst, und sie müssen [sich] schützen. Oder sie fürchten, dass [die Regierung] sie ihnen wegnimmt. Das sind die beiden Dinge, die unser Geschäft vorantreiben.“ Einigen Schätzungen zufolge gibt es in Amerika inzwischen mehr Schusswaffen als Menschen – eine weit höhere Quote als irgendwo sonst.

ES IST KOMPLIZIERT

Für die meisten Menschen weltweit ist Amerikas Waffenkultur etwas unverständlich Verbissenes. In der Vergangenheit verließen sich viele Kulturen wie die USA auf die Waffe, doch heute handhaben fast alle diesen Aspekt anders als die USA und betrachten privaten Waffenbesitz nicht mehr als Grundrecht. Verkompliziert wird das Bild dadurch, dass sich auch viele Amerikaner ihrer Waffen entledigt haben; und dennoch verteidigt ein Teil der Waffenbesitzer weiterhin aggressiv das Recht, Waffen zu tragen. Warum ist das so? Wie die Journalistin Lois Beckett berichtet, „ist das eine Frage, die angesichts der Gewalt mit Schusswaffen in den USA in aller Welt gestellt – und meistens mit einem hilflosen Schulterzucken beantwortet wird.“

Dieses „hilflose Schulterzucken“ ist bezeichnend nicht nur für die Kompromisslosigkeit der Diskussion, sondern auch für die Komplexität der Probleme. Laut Beckett geht sie generell einher mit „fast ritualistischem Manövrieren, und Vertreter aller Seiten verschanzen sich in ihren Positionen“. Die einen (zumeist Liberale) meinen, Waffen seien das Problem, die anderen (zumeist Konservative) halten dagegen. Eine Grauzone scheint es nicht zu geben. Die Diskussion ist außergewöhnlich polarisiert, die Parteien so verfeindet wie bei einem Fußballspiel oder Grabenkrieg. Jede Seite hat ihre vorgefertigten Argumente, komprimiert und überall wiederholt in Gesprächen und im Internet. Einige gehen dabei einen Schritt weiter: In einem Strang von Internetkommentaren wurde z. B. behauptet, die Schießereien von Orlando und Sandy Hook seien politisch motivierte Falschmeldungen gewesen, um die Bewegung der Waffengegner zu unterstützen. Abstruse Behauptungen wie diese werden zwar nicht von vielen vertreten, doch sie passen durchaus zur generellen Stoßrichtung der Debatte, die in vielen Fällen auf bewusstes Blockieren hinauszulaufen scheint.

Kein einzelner Aspekt dieser Auseinandersetzung – polarisierte Politik, Medienmacht, multikulturelle Reibungen und Geschichte, Misstrauen gegenüber der Regierung oder selbst das Vorhandensein von Waffen – ist ausschließlich in den USA zu finden. Andere Länder weisen die meisten, wenn nicht alle diese Faktoren ebenso auf. Der Unterschied ist, dass viele Amerikaner Waffen anders sehen, und der Grund ist komplexer, als beide Seiten offenbar bedenken mögen. Tatsächlich könnte man sagen, dass der Streit am Kern des Problems vollkommen vorbeigeht, und es ist aufschlussreich, zu sehen, wie und warum das so ist.

Oft beginnt die Diskussion – und manchmal endet sie dort auch – mit dem zweiten Zusatzartikel der US-Verfassung, verabschiedet im Jahr 1789: „Da eine wohlgeordnete Miliz für die Sicherheit eines freien Staates notwendig ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden.“ Die für heutige Amerikaner abstruse Syntax des englischen Texts hat eine lange Diskussion darüber ausgelöst, ob hier private Bürger gemeint sind oder nur eine lokale Bürgerwehr. Wie auch immer dieser Absatz heute ausgelegt wird – das Prinzip wurde ein Jahrhundert früher eingeführt, als die englische Kolonialmacht in Friedenszeiten an zivilen Standorten stehende Heere stationieren konnte. Dem sollte der zweite Verfassungszusatz begegnen; doch in den letzten Jahrzehnten wird er breiter ausgelegt. Höchst umstritten und für viele überraschend, lockerte der Oberste Gerichtshof der USA im Jahr 2008 seine Auslegung in dem Sinn, dass Bürger sich zum Zweck der allgemeinen Selbstverteidigung bewaffnen dürfen.

Der zweite Verfassungszusatz schützt ein individuelles Recht, unabhängig vom Dienst in einer Bürgerwehr eine Feuerwaffe zu besitzen und für traditionell legale Zwecke wie Selbstverteidigung innerhalb des Heims von dieser Waffe Gebrauch zu machen.“

Supreme Court der USA, District of Columbia et al. v. Heller (2008)

Heute werden sowohl das „Recht, Waffen zu tragen“ als auch die Verfassung insgesamt von vielen Amerikanern vehement verfochten. An vorderster Front kämpfen dabei Konservative des rechten Flügels, zum Teil angetrieben von der National Rifle Association (NRA), die ihre Sache mit raffinierter Politik und aggressiven Slogans vorantreibt. „Aus meinen kalten, toten Händen!“ lautet ein Schlachtruf der NRA, abgeleitet von einem populären Mantra der Waffenbefürworter: „Meine Waffe gebe ich auf, wenn sie meine kalten, toten Finger von ihr abpflücken!“ Die NRA wurde 1871 als Organisation zum Üben mit Feuerwaffen für Militärs und später Jäger gegründet. Sie veröffentlicht verschiedene Zeitschriften für Waffensammler, Jagdbegeisterte und andere; und sie bietet noch immer Training und Zertifizierung in den Bereichen Waffengebrauch und -sicherheit für Zivilisten, Militär, Polizei und Vollzugskräfte. Doch im Lauf der Jahre hat sie sich verstärkt politisch für den Erhalt des zweiten Verfassungszusatzes stark gemacht, mit dem Argument, die ihm zugrunde liegenden Prinzipien seien weiterhin relevant. Einer ihrer Parteigänger schrieb anonym im Internet: „Unsere Vorväter haben es zu einem Recht für uns gemacht, dass wir legal Schusswaffen haben und tragen dürfen, damit unsere Nation [d. h. die Regierung] nicht zu mächtig wird und ihr Recht auf Kontrolle über das Volk nicht zu stark ausübt.“

Zentrale Werte

Solch ein wachsames Festhalten an einem jahrhundertealten Dokument kommt vielen Nichtamerikanern seltsam vor. Die USA, Mexiko und Guatemala sind die einzigen Länder weltweit, die das Recht, Waffen zu tragen, in ihrer Verfassung verankert haben. Der englische Schriftsteller und Journalist Henry Porter hat in einem pointierten Meinungsbeitrag geschrieben: „Wir haben diese Rechte vor langer Zeit abgeschafft, aber amerikanische Waffenbesitzer klammern sich mit der gleichen Hartnäckigkeit an sie wie frühere Generationen an das Fortbestehen der Sklaverei.“ Porter schreibt ablehnend und mit Erstaunen – was nicht überrascht, da Waffen für ihn nicht sonderlich wichtig sind. Für viele Amerikaner jedoch ist die Waffe mehr als nur ein Werkzeug, Gerät oder Hilfsmittel: Sie gehört untrennbar zu dem, was und wer sie sind.

Sheriff Mike Lewis lebt in dem ländlichen Bezirk Wicomico County im Bundesstaat Maryland. In einer Sendung von News21 sagte er: „Ich habe immer eine Waffe in der Hand gehabt, wahrscheinlich seit ich alt genug war, zu gehen. Das ist wirklich so. Bewaffnet zu sein gehört zu meinem täglichen Leben. Ohne meine Waffe gehe ich nirgendwo hin.“ Er fügte hinzu: „Wir lieben unsere Lebensart hier unten.“ Seine Worte erinnern an Brad Pitt, der behauptet, seit dem Kindergarten eine Waffe besessen zu haben.

Lewis ist weiß; er ist mittleren Alters; er ist Republikaner; er ist ein Mann; er lebt in einer ländlichen Gegend. Statistiken zufolge ist er ein archetypischer Waffenbesitzer. Das ist Bestandteil seiner Identität. Er mag klingen wie eine Figur aus einem Western, aber die Gründe, die er für den Waffenbesitz angibt – hobbymäßiges Jagen und Selbstverteidigung – wirken gemäßigter und gewöhnlicher als bei einem Stereotyp wie John Wayne. Sie passen zum Profil und den Aktivitäten der meisten amerikanischen Waffenbesitzer, insbesondere, wenn diese in den weiten ländlichen Gegenden des Landes leben. Für Lewis sind Waffen ein Teil des täglichen Lebens, und das waren sie seit seiner Kindheit. Auch dies ist typisch: Bei Amerikanern, die mit einer Feuerwaffe im Haushalt aufgewachsen sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Erwachsene eine besitzen, dreimal so hoch wie bei denen, die in einem Haushalt ohne Feuerwaffe aufgewachsen sind. Für viele von ihnen sind Waffen ein Teil dessen, was es bedeutet, Amerikaner zu sein.

Die Politologen Philip J. Cook und Kristin A. Goss schreiben: Waffenbesitzer „identifizieren privaten Besitz von Feuerwaffen mit zentralen amerikanischen Werten wie Freiheit, Misstrauen gegen die Obrigkeit und Eigenständigkeit des Individuums“. Viele amerikanische Grundprinzipien, auch der zweite Verfassungszusatz, wurden in der Zeit um den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775–1783) etabliert, und der Waffenbesitz bei Zivilisten ist untrennbar mit dieser Geschichte verbunden. Cook und Goss beschreiben dies wie folgt: „Bürgerwehren aus privat bewaffneten Männern haben die amerikanische Unabhängigkeit von dem tyrannischen König George erkämpft.“ Die Geschichte bestätigt dies bis zu einem gewissen Punkt, aber wichtig ist in den Augen der Autoren, dass dies zu einer Sicht von Waffen als „entscheidend für die Großartigkeit Amerikas“ geführt hat.

Zunehmend stehen Waffen auch für eine politische Identität, doch ist zu beachten, dass eine Kontrolle von Waffenbesitz im Prinzip über das gesamte Spektrum hinweg breite Unterstützung findet.

Das Gesamtbild aus dieser Umfrage ist klar: Die überwältigende Mehrheit der Waffenbesitzer ist für Zuverlässigkeitsprüfungen. Und zwar auch Waffenbesitzer, die Republikaner sind, und Waffenbesitzer, die NRA-Mitglieder sind.“

Tom Jensen, Direktor von Public Policy Polling, zu einer Umfrage unter Waffenbesitzern vom November 2015

Was den Unterschied ausmacht, sind die Prioritäten. Eine Pew-Erhebung im Jahr 2000 ergab, dass 66 Prozent der Unterstützer des demokratischen Präsidentschaftskandidaten die Kontrolle von Waffenbesitz wichtiger fanden als den Schutz des Rechts auf Waffenbesitz; ein kleinerer Anteil (46 Prozent) der Unterstützer des republikanischen Kandidaten teilte diese Meinung. 2016 ergab eine Folgeerhebung, dass sich die Kluft massiv vergrößert hatte: Auf der Seite des demokratischen Kandidaten waren nun 79 Prozent dieser Meinung, bei den Unterstützern des Republikaners nur noch neun Prozent. Dies entspricht der zunehmenden ideologischen wie auch demografischen Polarisierung zwischen den beiden dominanten Parteien bei vielen anderen Themen.

Wenn Rufe nach Gesetzen zur Kontrolle von Waffenbesitz laut werden – meistens nach Tragödien wie in Columbine, Sandy Hook und Orlando –, wird stark und konsistent dagegengehalten, gewöhnlich mit dem Argument, sie gingen zu weit. Das ist nicht überraschend, da die Waffe, wie gesagt, für viele untrennbar zu ihrer Lebensweise gehört: Sie ist es, die ihr Land geformt hat, und sie ist ein wesentlicher Bestandteil ihrer nationalen Werte. Jeder Versuch, die Rechte gesetzestreuer Bürger auf den Besitz und das Tragen von Waffen zu schmälern, wird als persönlicher Angriff auf ihre Freiheit und Bedrohung ihres Daseins selbst gesehen; deshalb hat der Slogan „Aus meinen kalten, toten Händen!“ so eingeschlagen.

Des Pudels Kern“

Amerikanische Waffengegner haben sich für erwartbare Ziele eingesetzt – stringentere und regelmäßigere Überprüfungen auf Waffenbesitz, höhere Abgaben, bessere Kontrolle von Waffenverkäufen –, aber bislang mit wenig Erfolg. Zwar folgt auf jede große Schießerei unvermeidlich ein Aufflackern der Aktivität von Waffengegnern – von medialer Empörung über Anhörungen im Senat bis hin zu erneuten Versuchen, Gesetze zur Waffenkontrolle zu entwerfen –, doch die Bewegung ist weitgehend schwach und gespalten, ihr fehlt ein monolithisches Gegenstück zur NRA als Vorkämpfer für ihre Sache. Einige wollen ein direktes Verbot von Schusswaffen, die meisten aber streben moderatere Kontrollen unterschiedlichen Ausmaßes an; doch selten sind sie mit Klarheit oder konsistentem Nachdruck aufgetreten.

Im Gegensatz dazu ist die Reaktion der Waffenbefürworter auf die Häufung von Massenerschießungen sowohl einheitlich als auch anders, handlich verpackt in einen weiteren populären Slogan: „Waffen bringen keine Menschen um. Menschen tun das.“ Ihr Ziel ist es, das Augenmerk von dem Gegenstand (der Waffe) auf die Gesellschaft umzulenken. Schuld ist dieser Logik zufolge nicht die Waffe selbst, sondern der Täter, der sie benutzt. Außerdem, so argumentieren sie, werden die Todesschützen direkt von der allgemeinen Kultur von Verbrechen und Gewalt beeinflusst, die durch die Nachrichten- und Unterhaltungsindustrie perpetuiert wird – ein verführerisches Argument, dem es allerdings an breiter Bestätigung durch verfügbare Beweise mangelt. Obgleich kein Zweifel daran besteht, dass Waffen in den Nachrichten eine bedeutende Rolle spielen und in Filmen und Videospielen oft verherrlicht werden, haben Studien bislang keinen direkten kausalen Zusammenhang zwischen diesen Faktoren und Verbrechen aufzeigen können. Gleichzeitig haben Studien gezeigt, dass es zwar keine schlüssigen Beweise dafür gibt, dass Waffen mehr Verbrechen bewirken, dass sie aber Verbrechen intensivieren; das bedeutet, die Verwendung einer Waffe erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass das Opfer eines Verbrechens stirbt.

Dennoch ist es angebracht, die Wurzel von Gewalt im Menschen zu suchen statt in den Waffen, die er benutzt. Schließlich hat menschliche Gewalt eine lange Geschichte. Vor 2 000 Jahren fragte der Apostel Jakobus in seinem biblischen Brief: „Woher kommt der Kampf unter euch, woher der Streit? Kommt’s nicht daher, dass in euren Gliedern die Gelüste gegeneinander streiten?“ (Jakobus 4, 1). Daraus folgt, dass Versuche, die Verwendung von Schusswaffen zu beschränken oder zu verbieten, die Gewalt nicht wirklich ausmerzen können, weil das menschliche Herz (und nicht die Waffe) sie hervorbringt. Ohne Schusswaffen würde unsere kreative Fantasie andere Mittel und Wege finden, um diese widerstreitenden Gelüste zu befriedigen. Was wir letztlich brauchen, ist ein umfassender Wandel des Herzens, von dem auch die Bibel spricht (siehe z. B. Hesekiel 36, 26; Jesaja 11, 9).

Die Bewegung der Waffenbefürworter betrachtet die Dinge natürlich nicht wie die Bibel, sondern vielmehr aus einer spezifisch amerikanischen Weltsicht. Der NRA-Präsident Wayne LaPierre bringt ihre Logik prägnant zum Ausdruck: „Das Einzige, was einen Bösen mit einer Waffe stoppt, ist ein Guter mit einer Waffe.“ Sheriff Lewis sagt: „Wir müssen den Bösen die Waffen aus den Händen nehmen.“ Das ist eine Schwarz-Weiß-Sicht, die man aus Wildwestgeschichten kennt. Das Modell „der Gute – der Böse“ ist spezifisch amerikanisch, vertraut von alten Hollywoodklassikern, Cowboys und Indianern, Räubern und Gendarmen. Es ist ein vereinfachendes Modell, leicht zu verbreiten, ideal für Medien und Internetclips. Zudem nutzt es Begriffe aus der Vergangenheit Amerikas – von der Besiedlung des Landes der Ureinwohner durch die Kolonisten bis zum Kalten Krieg. Durch die Aufrechterhaltung dieses Modells wird ein nationaler Gedanke gestärkt.

Das ist die vertraute Handlung alter Westernfilme, bei denen man die Schauspieler einfach danach zuordnen konnte, ob sie einen weißen oder einen schwarzen Hut aufhatten. Der Mythos ,weißer Hut, schwarzer Hut‘ ist in der Diskussion um Gewalt und die Regulierung von Waffenbesitz noch immer lebendig.“

Philip J. Cook und Kristin A. Goss, The Gun Debate: What Everyone Needs to Know

Es ist seltsam, dass Konservative – unter ihnen eine bedeutende Zahl von evangelikalen Christen – so denken, wenn das biblische Modell doch so greifbar nah ist. Die Heilige Schrift bezeichnet die menschliche Gesellschaft als sündig (Römer 3, 23) und unfriedlich (Jakobus 4, 4; Johannes 14, 27). Doch sie unterteilt die Menschheit nicht als Ganzes in „die Guten“ und „die Bösen“; außerdem bestätigt sie nicht die Ansicht, eine waffenlose Gesellschaft (oder eine, in der der Gebrauch von Waffen Beschränkungen unterliegt) sei automatisch eine friedliche Gesellschaft. Unsere Welt ist eine Welt, in der „die Werke des Fleisches“ einschließlich Mord vorkommen (Galater 5, 19–21); schlimme Ereignisse wie in Sandy Hook und Orlando entsprechen somit der biblischen Darstellung dieser Welt. Weder Liberale noch Konservative bieten dafür erfolgreiche Lösungen an. Jesus dagegen mahnte seine Zuhörer, zu ihm zu kommen, um der Finsternis der Welt zu entgehen und in seiner Erlösung und Lebensweise Seelenfrieden zu finden (Johannes 14, 27; 16, 33). Allerdings ist das ein Weg, den nicht viele in den USA – oder auf der Welt – eingeschlagen haben.

Sich eine Schusswaffe zu besorgen ist nicht die einzige Reaktion, mit der Menschen ihren Ängsten begegnen (und viele würden sich auch keine besorgen), aber es ist interessant, wie breit publizierte Tragödien und wahrgenommene Bedrohungen von außen bewirken, dass Menschen Hilfe und Sicherheit in Waffen suchen. „Gewalt mit Schusswaffen ist allgegenwärtig in unseren Gesprächen und unserem Dasein“, sagte Tricia Wachtendorf, Direktorin des Disaster Research Center an der University of Delaware, in einer Sendung der BBC. Man hat das Gefühl, dass sie überall sind, und dementsprechend reagieren die Menschen. Viele sind in höchster Alarmbereitschaft; häufiger als früher gibt es Fehlalarm wegen vermeintlicher Schießereien an öffentlichen Orten wie Flughäfen und Einkaufszentren. Im Zusammenhang mit einer Schießerei in Aurora, Colorado (in einem Kino, wo Waffen verboten sind), bemerkte eine Frau: „Waffenfreie Zonen sind potenzielle Todesfallen – in so was würden Sie mich nicht antreffen.“ Ein anderer Kommentator schrieb online: „Ich bin 79 Jahre alt. Habe in der U. S. Army gedient, bin ausgebildeter Gewehrschütze, ich habe nie gejagt oder auf Tiere geschossen, ich habe im Privatleben nie eine Waffe besessen, aber jetzt werde ich mir eine Waffe kaufen. Warum? Weil ich plötzlich Unheil am Horizont sehe.“ Diese Beklommenheit, die nicht nur Waffenbesitzer empfinden, passt auch zu der biblischen Darstellung der heutigen Welt. Jesus hat vorausgesagt, dass sie in der Endzeit von „Kriegen und Kriegsgeschrei“ erfüllt sein werde – man könnte auch sagen, von Schießereien und Geschrei über Schießereien (Matthäus 24, 6). Lamplugh, der Waffenverkaufsausstellungen veranstaltet, sieht, dass die Amerikaner Waffen kaufen, um ihren Ängsten zu begegnen; Jesus dagegen mahnte seine Zuhörer, die Angst loszuwerden, indem sie auf ihn vertrauten (Johannes 14, 27; 16, 33).

Auf wen kann man vertrauen?

Viele Aspekte der amerikanischen Waffenkultur sind Ausnahmen von internationalen Normen, aber die Reaktion des Volkes auf Tragödien zählt nicht dazu. Überall auf der Welt werden menschliche Lösungen gesucht, die in vielen Fällen den Schutz vortäuschen, den Gott bietet. Es ist nützlich, zu bedenken, dass das alte Volk Israel, wenn Gott es in die Schlacht führte, nie durch Militärmacht siegte, sondern durch die Macht Gottes; ein besonderes Beispiel dafür ist die Erzählung über Gideon in Richter 7. Wenn die Israeliten schwach wurden – und das geschah häufig –, lag es daran, dass sie sich von ihrem Gott abgewandt hatten. In diesem Licht ist es eine Ironie, dass so viele Amerikaner Waffen mit Geld kaufen, auf dem „In God We Trust“ steht – „Wir vertrauen auf Gott“. Aber diese Ironie ist nebensächlich, denn es ist ein allgemein menschlicher Fehler, sich auf sich selbst und auf Materialismus zu verlassen statt auf Gott. Die Schusswaffe oder jedes andere Mittel zur physischen Verteidigung und der zweite Verfassungszusatz (der oft mit einer Haltung angeführt wird, die an religiöse Strenge erinnert) sind ein minderwertiger Ersatz für das, was Gott denen verheißt, die ihm gehorsam sind.

Diese Situation zu korrigieren würde einen enormen Wandel in der Gesellschaft erfordern. Es würde bedeuten, dass die Menschheit eine andere Identität annimmt – eine, die nicht von menschlichen Vorstellungen oder patriotischem Gedankengut bestimmt ist. Es würde auch den oben erwähnten universellen Wandel des Herzens erfordern, jenen dem Menschen innewohnenden Drang zu Gewalt, den der Apostel Jakobus beschrieb, zu eliminieren – sei es Gewalt mit Schusswaffen oder mit sonstigen Mitteln. Angesichts der aktuell vorherrschenden Bedingungen und der ideologischen Kompromisslosigkeit auf allen Seiten scheint das praktisch unvorstellbar, doch die Bibel verheißt, dass es geschehen wird. Der Prophet Jesaja schrieb über jene künftige Zeit, dass dann Schwerter zu Pflugscharen und Spieße zu Sicheln gemacht werden würden. Mit moderneren Worten könnte man sagen: „Da werden sie ihre Pistolen zu Mistgabeln und ihre Gewehre zu Harken machen.“ Das vielleicht höchste Prinzip in einer solchen Welt: „Sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen [Gewalt anzuwenden]“ (Jesaja 2, 4). Möge jener Tag bald kommen.