Triumph und Tragödie im Nahen Osten
„In meinen Knochen spürte ich den Sieg des Judentums, das 2000 Jahre der Verfolgung im Exil von dem Land Israel überstanden hatte – die spanische Inquisition, Pogrome, antijüdische Erlasse, Einschränkungen und das Massenschlachten durch die Nazis in unserer eigenen Generation – und das die Erfüllung seiner uralten Sehnsucht erreicht hatte: die Rückkehr in ein freies und unabhängiges Zion.“
Als David Ben Gurion am 14. Mai 1948 in Tel Aviv den Staat Israel ausrief, hatte er sehr wahrscheinlich keine Vorstellung, wie lange der Konflikt mit der arabischen Welt noch dauern würde. Seit die ersten jüdischen Immigranten vor der russischen Verfolgung geflohen und an den Küsten Palästinas gelandet waren, waren schon über 50 Jahre vergangen. Jene Jahre waren schwierig gewesen, angefangen mit dem Ringen um die Begründung des Zionismus (s. „Theodor Herzl, der Vater des Zionismus“) und weiter geprägt durch den Ersten Weltkrieg, die Balfour-Erklärung, den Zusammenbruch der osmanischen Herrschaft in Palästina, das Mandat des Völkerbundes, die schwankende britische Haltung zur jüdischen Einwanderung, die Feindseligkeit der Araber und Palästinenser sowie die katastrophalen Verluste an Menschenleben im Holocaust. Doch bestimmt würde der Konflikt nicht noch ein halbes Jahrhundert andauern?
Als Pragmatiker wusste der künftige Premierminister natürlich, dass harte Zeiten bevorstanden. Er wusste, dass er und seine Kollegen sich im Hinblick auf die Teilung des Territoriums und ihre erhoffte Hauptstadt auf einen (wenn auch nur vorläufigen) Kompromiss eingelassen hatten, damit Israel ein Staat wurde. Doch er hatte allen Grund, zu glauben, dass mit dem Strom des Mitgefühls für die Überlebenden des Holocaust, dem Ende des britischen Mandats um Mitternacht und der Zusage breiter Unterstützung durch die Vereinten Nationen (UNO) ein überaus wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu internationaler Anerkennung, Frieden und Sicherheit für sein Volk erreicht war.
Als wollte er signalisieren, dass diese Hoffnung berechtigt war, telegrafierte Präsident Harry Truman nur 11 Minuten nach der Bekanntgabe die Anerkennung Israels durch die USA; drei Tage später folgte die Sowjetunion. Wenn auch wohl aus unterschiedlichen Gründen, sicherten die aufstrebenden Supermächte der jungen Nation ihren Platz auf der Weltbühne.
Doch die seither vergangenen 60 Jahre wurden für die Israelis wie auch die Palästinenser eine größere Herausforderung, als sich Ben Gurion in jenen ersten, abenteuerlichen Tagen des neuen Staates je hätte vorstellen können. Und im Mittelpunkt des scheinbar endlosen Konflikts war immer die Heilige Stadt – Jerusalem.
„Niemand, der diesen Augenblick erlebt hat, wird die Erinnerung daran je aus seinem Herzen verlieren.“
FOLGENREICHE RESOLUTION
Die UNO hatte am 29. November 1947 mit einer Zweidrittelmehrheit (33 zu 13 Stimmen und 10 Enthaltungen, u.a. von Großbritannien) die Resolution 181 verabschiedet. Diese sah vor, Palästina in zwei Staaten mit gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen zu teilen – einen jüdischen und einen arabischen – und Jerusalem zu internationalisieren. Auch wurde festgelegt, dass nach zehn Jahren ein nicht bindendes Referendum zur Zukunft der Stadt unter ihren Einwohnern durchzuführen sei. Was Ben Gurion betraf, so stimmte er dieser Klausel gern zu, denn er hoffte, dass die Juden Jerusalem nach einem Jahrzehnt leichter in Besitz nehmen könnten, obwohl die projizierte demografische Entwicklung der Stadt nicht zu ihrem Vorteil sein würde.
„Von all den Männern, Frauen, alten Leuten, Kindern, Babys in diesen Massen von Juden, die . . . in jener Nacht auf den Straßen tanzten, feierten, tranken und vor Freude weinten, sollte jeder Hundertste in dem Krieg sterben, den die Araber innerhalb von sieben Stunden nach dem Beschluss der Vollversammlung in Lake Success begannen.“
Die jüdischen Siedler in Palästina (die Jischuw) hatten den Beschluss der UNO freudig begrüßt; die Arabische Liga hatte ihn im Namen des palästinensischen Volkes abgelehnt. Schon im Oktober 1947 hatten die umgebenden arabischen Länder in Erwartung der Abstimmung begonnen, Streitkräfte an den Grenzen Palästinas zusammenzuziehen. Innerhalb von sieben Stunden nach dem Beschluss der UNO in Lake Suc-cess bei New York begannen die Palästinenser den Krieg, der mit Unterbrechungen über ein Jahr dauern sollte. Israels UNO-Botschafter Abba Eban schrieb später: „Die Zeit zwischen Dezember 1947 und April 1948 sollte eine der gefährlichsten in der jüdischen Geschichte sein.“ Leider hatte die neu geschaffene UNO keine Möglichkeit, die Einhaltung ihrer Beschlüsse durchzusetzen, und die Briten, die sich bei der Abstimmung enthalten hatten, wollten nicht zu sehr in die Sache hineingezogen werden, weil sie sich auf das Ende ihres Mandats vorbereiteten.
Nicht, dass Ben Gurion die Gefahren nicht erkannt hätte. Schon vor dem April 1947, als die Briten die UNO offiziell um Übernahme des Mandats ersuchten, war er zu dem Schluss gelangt, dass ein bewaffneter Konflikt mit den Arabern kommen würde. Da er seit 1946 Verteidigungsbeauftragter der Jischuw war, hatte er bereits mit einer Aufrüstung begonnen. Zusätzlich gab es diplomatische Vorbereitungen. Im November, kurz vor der Verabschiedung des UNO-Teilungsbeschlusses, traf sich seine Kollegin Golda (Meyerson) Meir im Namen der Jewish Agency heimlich mit König Abdullah von Transjordanien. Sie kamen überein, dass bei einem sehr wahrscheinlichen Konflikt zwischen den jüdischen Siedlern und ihren arabischen Feinden die Juden die im UNO-Plan für sie bestimmten Gebiete einnehmen würden, Transjordanien würde das arabische Palästina einnehmen, und die beiden Seiten würden Frieden schließen.
ERSTE SCHRITTE IM ERSTEN ARABISCH-ISRAELISCHEN KRIEG
Als die palästinensischen Araber nach der UNO-Resolution im November 1947 die jüdischen Siedler angriffen, schlugen die jüdischen Kräfte zurück, und bis Mitte Januar 1948 kam es so weit, dass Palästinenser aus Teilen Westjerusalems flohen. Im Februar gab Ben Gurion seiner Schutztruppe Hagana Befehl, weitere palästinensische Gebiete in Westjerusalem zu besetzen und mit Juden zu bevölkern. Im März beschloss die Hagana Angriffsaktionen gegen die Palästinenser (Plan D), u.a. die Vertreibung der Bevölkerung ganzer Dörfer. Dies war der Anfang – am Ende waren über 400 Palästinenserdörfer verschwunden und über 700 000 Menschen entwurzelt. Auf beiden Seiten gab es vielfältige Gründe für die Flucht der Palästinenser, doch zum Teil waren die Flüchtlingslager in Gaza, der West Bank, Transjordanien, Syrien, dem Libanon, Ägypten, dem Irak und den Staaten der Arabischen Halbinsel das Erbe der Angst der Palästinenser vor jüdischen Überfällen und gewaltsamer Vertreibung durch die Juden, aber auch der Invasionsstrategie der Araber.
Am 1. April traf sich Ben Gurion mit Führern der Hagana und befahl, das arabische Dorf Qastel oberhalb der Straße Tel Aviv-Jerusalem anzugreifen. So begann die Umsetzung von Plan D mehrere Wochen vor dem offiziellen Rückzug der Briten, mit dem Ziel, einen Korridor von der Küste bis Jerusalem zu öffnen und so viel wie möglich von der Stadt für den neuen Staat zu annektieren.
Der Eroberung großer Teile Jerusalems durch die Zionisten gingen zwei entscheidende Ereignisse voraus. Erst starb in Qastel am 8. April der palästinensische Militärführer Abd al-Qadir al-Husayni. Als Zweites folgte nur einen Tag danach der heimtückische Überfall auf Deir Yassin am Westrand Jerusalems durch jüdische Untergrundgruppen (Irgun und die Stern-Bande), bei dem 100-110 palästinensische Zivilisten starben – Männer, Frauen und Kinder.
Zu seiner Schande hatte das Hagana-Kommando in Jerusalem dem Überfall offenbar zugestimmt. In einem Brief an Ben Gurion bezeichneten der jüdische Philosoph Martin Buber und drei andere jüdische Denker das Massaker als „schwarzen Fleck auf der Ehre des jüdischen Volkes“ und „eine Warnung an unser Volk, dass keine praktischen militärischen Notwendigkeiten jemals solche Mordtaten rechtfertigen können“. Ben Gurion beantwortete den Brief nie, obgleich ihm mehrere Kopien geschickt wurden.
JERUSALEM IM MITTELPUNKT
Im April 1948 war die Lage in Jerusalem bedeutend schlechter geworden; das jüdische Viertel der Altstadt (in Ostjerusalem) wurde von den Palästinensern belagert. Ben Gurion berief eine Krisensitzung ein, um einen Weg zu finden, der Nahrungsmittelknappheit in der Stadt zu begeg-nen. Die Konvois kamen durch, und das Problem wurde abgemildert. Am 11. Mai stattete Golda Meir König Abdullah einen weiteren geheimen Besuch ab, um ihn zu überreden, Israel in den kommenden Tagen nicht anzugreifen. Doch er sagte, angesichts der veränderten Lage könne er seine vor sechs Monaten gegebene Zusage nicht mehr einhalten. Am 14. Mai erklärte Ben Gurion bekanntlich die Unabhängigkeit Israels, und fast sofort griffen Streitkräfte von fünf arabischen Ländern den neu entstandenen Staat an. Am 17. Mai befahl König Abdullah der Arabischen Legion, wie ihr damaliger Kommandeur Sir John Glubb berichtet, die Altstadt zu verteidigen, die einige Tage zuvor von den Juden angegriffen worden war. Die Jordanier erreichten am 19. Mai die Nordseite der Stadt und hinderten die jüdischen Kräfte daran, weiter vorzudringen.
Zu Beginn der folgenden Woche traf sich Ben Gurion mit seinem Generalstab und gab ihm eine Liste seiner Prioritäten. Erstens: Jerusalem, Galiläa und der Negev. Zweitens: Angriff statt Verteidigung. Drittens: einen Gegner nach dem anderen schlagen. Viertens: die Arabische Legion in Zugzwang bringen. Doch am 28. Mai hatte die Arabische Legion das jüdische Viertel mit Hilfe britischer Berufsoffiziere so weit gebracht, dass es sich ergab.
Revisionistische Historiker merken an, dass die herkömmlichen Berichte über den „Unabhängigkeitskrieg“ von einem israelischen David gegen einen arabischen Goliat erzählen. Doch die zahlenmäßig angeb-lich unterlegenen Israelis wa-ren tatsächlich immer überlegen, und dies noch mehr, als der Krieg andauerte. Außerdem zeigen in der Folge freigegebene Dokumente, dass die Araber jeweils aus eigenem Interesse kämpften, nicht um den Palästinensern zu helfen. Die Vorstellung einer geschlossenen arabischen Front ist nicht zutreffend. König Abdullah hatte mit Sicherheit andere Pläne. Der seit Langem bewährte Pragmatismus der Haschemiten erforderte die Bereitschaft, um des Friedens und des Wohlstandes willen an der Seite des jüdischen Volkes zu leben.
Am 11. Juni 1948 trat ein allgemeiner Waffenstillstand in Kraft. Westjerusalem war unter der Kontrolle der Juden – auch die palästinensischen Gebiete, deren Einwohner sie vertrieben hatten. Ostjerusalem und die Altstadt (mit dem jüdischen Viertel) waren in der Hand der Jordanier. Doch bald flammten die Kämpfe wieder auf, und am 26. September präsentierte Ben Gurion dem Kabinett einen neuen Plan. Er schlug einen Angriff vor, um die gesamte Stadt zu erobern, wurde jedoch überstimmt. Er unterband die Veröffentlichung des Vorschlags, um denjenigen, die gegen ihn gestimmt hatten, die Peinlichkeit zu ersparen.
Bei Kriegsende im Januar 1949 war Jerusalem noch immer geteilt. Noch einige Zeit danach machte Ben Gurion dem Kabinett Vorwürfe und sprach sich frei von Schuld für den „Verlust“ Ostjerusalems, wie er es nannte, den noch „Generationen beklagen“ würden. Wie der israelische Historiker Benny Morris anmerkt, glaubten sowohl Ben Gurion als auch General Mosche Dajan, der in den ersten Jahren des Staates zu Einfluss kam, der Krieg von 1948 hätte anders ausgehen müssen. Für sie hätte Israel das ganze Land besetzen müssen, „vom Jordan bis zum Mittelmeer, und es sei eine große Chance vertan worden, das ,Land Israel‘ bis zu seinen natürlichen Grenzen zu befreien“.
Jahre später schrieb Ben Gurion an Charles de Gaulle über Israels Absichten in der zweiten Phase des Krieges (Mai 1948-Januar 1949): „Wenn wir in dem Krieg, den die arabischen Völker gegen uns anzettelten, unsere Grenzen ausweiten und Jerusalem befreien könnten, würden wir Jerusalem und Westgaliläa befreien, und sie würden Teil des Staates werden.“
Ahnten die Jordanier, dass Ben Gurion die ganze Stadt wollte? Es gibt Anhaltspunkte dafür. Der erste betrifft die wirtschaftliche Unterentwicklung Ostjerusalems während der fast 20-jährigen jordanischen Herrschaft (1948-1967): Die Jordanier förderten Amman und das Ostufer des Jordans, vernachlässigten aber das Wirtschaftswachstum des Westufers (West Bank). Dahinter stand nicht nur eine Vorliebe für die haschemitische Hauptstadt Amman. Laut dem Historiker Michael Hudson war es sinnlos, in Ostjerusalem zu investieren, denn „die jordanische Obrigkeit fürchtete, dass Israel früher oder später wieder zuschlagen würde“.
Ein zweiter Anhaltspunkt dafür, dass die Jordanier Ben Gurions Pläne für die Stadt verstanden, kommt von Glubb. In seinen Memoiren schrieb er, dass ein Hagana-Offizier 1948, Wochen vor dem Ende des Mandats, zu einem Offizier der Arabischen Legion sagte, die Juden wüssten, was die Legion im arabischen Palästina tun wollten. Er fuhr fort, die Juden hätten nichts dagegen, solange die Legion den zionistischen Kräften nicht in Jerusalem ins Gehege kämen. Auf die Frage, was geschehen würde, wenn sie es doch täten, antwortete der Hagana-Offizier: „Jerusalem werden Sie nur über unsere Leichen betreten.“ Glubb vermutete: „Vielleicht hatten die Juden schon lange vorher beschlossen, ganz Jerusalem an sich zu bringen.“
Im Januar 1949 unterzeichnete Ben Gurion zwar Waffenstillstandsabkommen, doch was er einige Monate später vor dem Kabinett sagte, machte deutlich, warum er bereit gewesen war, sich mit weniger als einem geeinten jüdischen Jerusalem zu begnügen. Zur Erklärung, warum er nicht schleunigst Friedensverträge schloss, sagte er, er glaube daran, dass die Zeit in allen wichtigen Fragen – Grenzen, Flüchtlinge und Jerusalem – für Israel arbeite. Zum Letzteren meinte er, die Vorstellung der Internationalisierung werde in Vergessenheit geraten, da sich die Menschen an den Status quo gewöhnen würden. Diese Sichtweise passte zu seiner langfristigen Vision, dass das Ziel des Zionismus letztlich in vollem Umfang erreicht werden würde, einschließlich der Rückeroberung ganz Jerusalems. Solange die praktischen Umstände eine andere Situation erforderlich machten, konnte er unvollständige Resultate akzeptieren. Doch seine endgültigen Ziele blieben intakt.
DRAMATISCHES BEKENNTNIS ZU JERUSALEM
Am 5. Dezember 1949 reagierte Ben Gurion auf eine erneute Debatte in der UNO über Jerusalem und die heiligen Stätten mit einer Rede, die seine Haltung in Bezug auf die Stadt noch weiter zementierte. Er erklärte in der Knesset, Jerusalem könne nicht von Israel getrennt werden. Mit starken, gefühlsbetonten Formulierungen und Erinnerungen an die Geschichte und die jahrtausendealte Sehnsucht des jüdischen Volkes appellierte er an die Kernidentität der ersten Juden, die Israelis geworden waren. In dieser Rede ist die Stadt Jerusalem jüdisch, heilig, souverän, wert, für sie zu sterben. Sie ist das Herz des Staates, die ewige Hauptstadt:
„Wir sehen es als unsere Pflicht, zu erklären, dass das jüdische Jerusalem ein organischer und untrennbarer Teil des Staates Israel ist – so, wie es ein wesentlicher Bestandteil der Geschichte Israels, seines Glaubens und des Geistes unseres Volkes ist. Jerusalem ist das Herz des Staates Israel selbst. . . .
. . . Es ist unfassbar, dass die UN versuchen, Jerusalem vom Staat Israel zu trennen oder die Souveränität Israels über seine ewige Hauptstadt anzutasten.
. . . Unsere Bindung an Jerusalem ist am heutigen Tag nicht weniger intensiv, als sie es in den Tagen Nebukadnezars und Titus Flavius’ war; und als Jerusalem nach dem 14. Mai 1948 angegriffen wurde, war unsere heldenhafte Jugend nicht weniger imstande, ihr Leben für unsere heilige Hauptstadt hinzugeben, als unsere Vorväter in den Tagen des Ersten und Zweiten Tempels.
. . . Wir erklären, dass Israel Jerusalem niemals freiwillig aufgeben wird, ebenso wie wir in Jahrtausenden nicht unseren Glauben, unseren Charakter als Volk und unsere Hoffnung aufgegeben haben, nach Jerusalem und Zion zurückzukehren – trotz Verfolgungen, die in der Geschichte nicht ihresgleichen haben.
Ein Volk, das zweitausendfünfhundert Jahre lang standhaft den Schwur gehalten hat, den die ersten Juden im Exil an den Flüssen Babylons ablegten – Jerusalem nicht zu vergessen –, wird sich niemals in die Trennung von Jerusalem fügen. Und das jüdische Jerusalem wird niemals eine Fremdherrschaft hinnehmen, nachdem Tausende seiner Söhne und Töchter zum dritten Mal ihr historisches Heimatland befreit und Jerusalem vor Zerstörung und Verfall gerettet haben.“
Was genau Ben Gurion mit „das jüdische Jerusalem“ meinte, ist umstritten. Einige behaupten, er habe nie vorgehabt, ganz Jerusalem einzunehmen, Osten und Westen; er sei mit einem Teil der Stadt zufrieden gewesen. Doch wie wir sahen, widerlegen seine Worte und Taten mehrfach diesen Schluss und bestätigen das Argument, dass sein Ziel letztlich ganz Jerusalem war – ein Ziel, das auf Kernidentität und Ideologie basierte (s. Kurzbiograpfie „David Ben Gurion – aus Liebe zu Zion“). Die Formulierungen seiner Rede lassen auf mehr als Westjerusalem schließen. Sein Jerusalem war „ein wesentlicher Bestandteil der Geschichte Israels, seines Glaubens und des Geistes [des jüdischen] Volkes“, „ewig“, „die Heilige Hauptstadt“ der babylonischen und der römischen Zeit, „Zion“, und es war zusammen mit dem „historischen Heimatland“ „gerettet“ worden. Dies konnte nicht nur das Westjerusalem von 1948 sein. Er beanspruchte ganz Jerusalem.
Am 10. Dezember 1949 beschloss die UNO-Vollversammlung mit großer Mehrheit (38:14 mit 7 Enthaltungen), ihre Resolution von 1947 beizubehalten. Jerusalem sollte als corpus separatum einer internationalen Sonderverwaltung durch den UN-Treuhandschaftsrat unterstellt werden, der einen Gouverneur ernennen sollte. Daraufhin bekräftigte Ben Gurion in der Knesset, was er eine Woche zuvor über Jerusalem gesagt hatte. Nichts hatte sich geändert. Er sagte: „Wir können nicht mithelfen bei der gewaltsamen Teilung Jerusalems, die unnötig und unvertretbar die historischen und natürlichen Rechte des jüdischen Volkes verletzen würde.“ Und weiter: „Der Staat Israel hatte nur eine Hauptstadt und wird sie immer haben: das ewige Jerusalem. Dies war vor dreitausend Jahren so, und wir glauben, dass es immer so sein wird, bis zum Ende der Zeit.“ Nach der Rede beschloss die Knesset, wie vom Premierminister empfohlen, sich und den Regierungssitz Israels von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen.
60 JAHRE SPÄTER
Seit dem Konflikt von 1948 war Israel in mehrere Kriege mit der arabischen Welt und/oder den Palästinensern verwickelt: den Sinai-Feldzug von 1956, den Sechstagekrieg vom Juni 1967, den darauf folgenden Zermürbungskrieg, den Jom-Kippur-Krieg von 1973, den Libanonkrieg von 1982, den Zermürbungskrieg im Libanon, die Erste und Zweite Intifada von 1987 und 2000 sowie 2006 den Zweiten Libanonkrieg. Trotz dieser Kriege und verschiedener Versuche, Frieden zu schließen, wurde das Thema Jerusalem nie von der Tagesordnung genommen, denn es ist von gleichermaßen fundamentaler Bedeutung für den zionistischen wie für einen künftigen palästinensischen Staat. Ben Gurion machte seine Haltung vor und nach der Unabhängigkeit Israels deutlich, und seine Nachfolger haben es ihm nachgetan; in gleicher Weise haben palästinensische Führer – von Yassir Arafat und Mahmoud Abbas von der PLO bis zu Khaled Meschaal von der Hamas – ihren Anspruch auf Jerusalem als Hauptstadt angemeldet.
Gibt es einen Ausweg aus der arabisch-zionistischen Sackgasse? Altgediente Diplomaten, hoch qualifizierte Akademiker, religiöse Obrigkeiten und führende Persönlichkeiten der Weltpolitik haben sich seit über einem Jahrhundert daran versucht. Ihren bescheidenen Erfolgen (kalter Friede mit Ägypten, Friede bei Wirtschaft und Ressourcen mit Jordanien) stehen weit schwerer wiegende, schmähliche Misserfolge gegenüber (von Baker in Madrid, Rabin und Arafat in Oslo, Clinton in Camp David).
Bei Verhandlungen geht es unweigerlich um Rechts-, Sicherheits- und Wirtschaftsfragen sowie Flüchtlings-, Territorial- und Grenzprobleme. Viele, die an den endlosen Runden gescheiterter Handlungen teilgenommen oder sie beobachtet haben, ziehen sich in einen Fatalismus zurück, der erklärt, dass keine Lösung in Sicht ist, nur eine Verwaltung der Probleme. Meron Benvenisti, einst Stellvertretender Bürgermeister Jerusalems, kam zu dem Schluss, der Konflikt sei „unlösbar, aber handhabbar“. Er ist unlösbar, weil er „Fragen der Identität, der absoluten Gerechtigkeit, das Aufeinanderprallen der Affinität zu demselben Heimatland und widerstreitende Mythen“ betrifft.
Doch gerade hier, jenseits der üblichen Modalitäten, um die verhandelt wird, liegen die realen Möglichkeiten für Kompromisse. Identität und Ideologie, schrieb der bekannte Psychologe Erik Erikson, sind miteinander verbunden, fast zwei Seiten einer Medaille. Und er fügte hinzu, Identität sei formbarer, als wir vielleicht meinen. In der Einsicht, dass es notwendig ist, die Identität und Ideologie der anderen zu achten, und dass die eigene Identität und Ideologie für die gute Sache abgewandelt werden können, ist die Antwort auf den über hundertjährigen Konflikt zu finden.
Das Ideal der grundlegenden Wandlung, das die Bibel und der Koran gemeinsam haben – der Umkehr vom Bisherigen, der Buße (hebräisch schub; arabisch tauba) –, zeigt den Weg nach vorn. Wie neue Studien der Neurowissenschaft belegen, können wir unser Gehirn neu verschalten, selbst im Zusammenhang mit lang gehegten, felsenfesten und nie hinterfragten Überzeugungen.
Können sich Israelis und Palästinenser dieselbe Hauptstadt teilen? Ja. Ist Friede zwischen Israel und der Hamas möglich? Ja. Doch zuerst kommt die schmerzhafte, aber lohnende schub und tauba.