Wenn eine Ehe stirbt
Populäre Mythen und falsche Vorstellungen können hinderlich dabei sein, anderen (oder sich selbst) über den Schmerz einer Scheidung hinwegzuhelfen.
Heben Sie die Hand, wenn Sie noch nie gehört haben, wie jemand sagte: „50 % aller Ehen enden mit der Scheidung.“ Das ist ein Satz, der seit Jahrzehnten nachgebetet wird, aber wie so viele Aussagen, die wir blind als eindeutige Wahrheiten akzeptieren, ist er weder eindeutig noch wahr. Selbst wenn wir ihn als gültig akzeptierten, würde er uns wenig über die Gründe sagen, warum Menschen sich scheiden lassen, wie sich eine Scheidung auf Paare und ihre Familien auswirkt, wie dauerhafte Beziehungen funktionieren oder welche Unterstützung Menschen brauchen, wenn sie diesen so schmerzvollen Prozess durchmachen. Dies sind die eigentlichen Fragen, auf die wir Antworten brauchen. Es geht nicht nur darum, wie häufig Scheidungen sind.
Werfen wir trotzdem einen kurzen Blick auf die Häufigkeit. Laut dem Projekt „Our World in Data“ der Universität Oxford wäre die Zahl 50 % nur für US-amerikanische Paare, die in den 1970er-Jahren geheiratet haben, fast richtig gewesen. Bei Ehen, die in den Achtziger- und Neunzigerjahren geschlossen wurden, nahm die Wahrscheinlichkeit einer Scheidung immer weiter ab.
„Vielleicht haben Sie die populär gewordene Behauptung gehört, die Hälfte der Ehen ende mit Scheidung. […] Das war einmal wahr: 48 % der amerikanischen Paare, die in den 1970er-Jahren geheiratet hatten, waren nach 25 Jahren geschieden. Seither ist die Wahrscheinlichkeit einer Scheidung jedoch zurückgegangen.“
Von der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa) veröffentlichte Zahlen zeigen, dass die aktuellen Trends der Scheidungsraten weltweit unterschiedlich sind. Doch als Prozentsatz der Eheschließungen scheinen sie – was vielleicht überrascht – in der Mehrheit der OECD-Länder zurückzugehen. Auch die Zahlen der Eheschließungen sind rückläufig, und Paare, die heiraten, tun dies deutlich später im Leben als früher. Und hier ist eine Nachricht für die Babyboomer, die nicht viel Positives an der nachfolgenden Generation finden können (die sie schließlich selbst mit großgezogen haben): Junge Paare, die heute heiraten, lassen sich mit geringerer Wahrscheinlichkeit scheiden als die vorausgegangene Generation der Babyboomer.
Es gibt viele Gründe dafür, dass Paare später oder gar nicht heiraten, doch finanzielle Sorgen belasten Menschen bis 35 schwer; viele von ihnen hatten gerade ihr Studium oder ihre Ausbildung beendet und kamen auf den Arbeitsmarkt, als die große Rezession von 2008 hereinbrach. Sie erwarten zwar, „irgendwann“ verheiratet zu sein, aber wegen dieses erheblichen Rückschlags können sie es sich in naher Zukunft nicht leisten. Laut dem Pew Research Center sind z. B. in den USA die Schuldenlast durch Studentendarlehen, Sorgen um finanzielle Instabilität und wirtschaftliche Unsicherheit unter den Gründen, aus denen junge Menschen länger ledig bleiben, obgleich sie erkennbar ebenso großes Interesse an einer Ehe haben wie frühere Generationen. Die Arbeitseinkommen haben stagniert, während die Lebenshaltungskosten – insbesondere für Wohnraum – explodiert sind, sodass Wohneigentum für junge Paare eine Utopie ist, wenn nicht die Eltern mindestens eines Partners fähig und willens sind, sie mit einer Anzahlung zu unterstützen. Zahlreiche Berichte zeigen, dass bezahlbare Mietwohnungen in Städten weltweit noch schwerer zu finden sind, was bedeutet, dass junge Erwachsene zunehmend länger bei ihren Eltern wohnen, als ihnen vielleicht lieb ist.
Infolgedessen lernen Paare sich länger kennen, bevor sie heiraten – was, so kann man hoffen, dazu beitragen könnte, die Wahrscheinlichkeit einer späteren Scheidung weiter zu verringern. Zum Kennenlernen gehört ja, zu lernen, wie man bei Beziehungsproblemen gemeinsam Lösungswege findet, die beiden Partnern zugutekommen – der vielleicht wichtigste Faktor dafür, die Bindung lebendig und eine Ehe aufrechtzuerhalten.
Gehen oder bleiben?
Neben der viel zitierten Häufigkeit von Scheidungen ist eine weitere falsche Vorstellung sehr verbreitet: dass der Entschluss, sich scheiden zu lassen, generell leichtfertig sei – aus einer Laune heraus gefasst, ohne die schwerwiegenden Folgen für alle Betroffenen groß zu berücksichtigen. Doch wenn das so wäre, wäre Paartherapie nicht eine derart gesuchte Form der Lebenshilfe geworden. Das Leid, mit dem eine Scheidung einhergeht, kann traumatisch, lähmend und lebensverändernd sein – kurzfristig, aber auch noch lange im Nachhinein und ebenso vorher, wenn eine zerrüttete Ehe künstlich am Leben erhalten wird. Oft gehen der Erkenntnis, dass Eingriffe nichts bringen und dass man nichts mehr tun kann, als den Stecker zu ziehen, Jahre herzzerreißenden Schmerzes voraus. Für die meisten Menschen ist dieser Entschluss eine Qual. In der überwältigenden Mehrheit der Fälle empfindet mindestens einer der Partner, schon alles getan und aufgegeben zu haben, wenn das böse Wort „Scheidung“ im Vokabular einer Ehe auftaucht. Manchmal geht es auch beiden so.
Die Realität ist, dass der Entschluss, die einstige Bindung, die „bis an ihr seliges Ende“ bestehen sollte, aufzugeben, auch bei einer chronisch krisenhaften oder sogar von Gewalt geprägten Ehe sehr schwer sein kann. Und je länger an der Ehe festgehalten wurde, desto schwerer kann es sein, sich das Leben ohne den Partner vorzustellen. Auch wenn bei einer Scheidung beide Seiten technisch noch am Leben sind – die Einheit, die ihre Hoffnungen und Träume von künftiger Gemeinsamkeit und Partnerschaft im Alter verkörperte, ist gestorben. Das ist ein Verlust, der ein schmerzhaftes Loch hinterlässt; und wie bei anderen Verlusten ist der Prozess des Trauerns weder schnell noch einfach. Wenn das Paar Kinder hat, kommt auch deren Trauer ins Spiel. Und Erwachsene, die trauern, sind nicht immer in der besten Verfassung, um verwirrte und trauernde Kinder zu unterstützen.
„Vertieft in ihr eigenes Leid, finden kürzlich getrennte Eltern, dass ihr Zorn und ihre Not danach drängen, gegenüber mitfühlenden Zuhörern ausgedrückt zu werden. […] Sie übersehen manchmal, dass auch ihre Kinder zuhören.“
Zusätzlich zu dem niederschmetternden emotionalen Verlust für die ganze Familie geht die letzte Konsequenz einer Scheidung oft auch mit finanziellen Turbulenzen, einem Umzug und anderen tiefgreifenden Veränderungen des Lebens einher. Netzwerke von Unterstützern können schrumpfen, wenn Schwiegerfamilien und Freunde Partei ergreifen. Manchmal wird sogar ein Elternteil den Kindern entfremdet. Auch wenn es also einige wenige geben mag, die leichten Herzens eine Scheidung einreichen können, sind sie gewiss nicht in der Mehrheit. Für die meisten ist der Entschluss weder impulsiv noch einfach.
Was sind dann die häufigsten Gründe, die für diesen drastischen Schritt genannt werden?
Diese Frage wurde in mehreren Studien untersucht, aber deren Ergebnisse miteinender in Einklang zu bringen, kann kompliziert sein, weil die Fragebögen in manchen Studien Antworten zur Auswahl vorgeben und in anderen nicht. Wenn offen gefragt wurde, waren die am häufigsten genannten Gründe Untreue, Unverträglichkeit und Sucht. Wenn ein Fragebogen mit einer Antwortauswahl verwendet wurde und eine Antwort „fehlendes Engagement“ lautete, wurde diese gewöhnlich zusammen mit anderen ausgewählt. International und bei vielen Studien nennen Paare all die Gründe, die man erwarten könnte (wenn auch nicht in der gleichen Reihenfolge): Untreue, Sucht, Kommunikationsprobleme, religiöse Differenzen, Streit und Misshandlung, zu jung geheiratet, Differenzen im Umgang mit Finanzen und viele mehr – von denen jeder, wenn keine Lösung gefunden wird, die Bindung mit Sicherheit untergraben kann.
Die Psychologen Thomas Bradbury und Benjamin Karney von der University of California in Los Angeles erforschen insbesondere die Bedeutung eines tiefgehenden Engagements für den Schutz vor einer Scheidung. Dies ist aber keine statische Eigenschaft. Es muss von beiden Partnern ständig gezeigt werden. Engagement wird hier als die Intensität definiert, mit der man eine Beziehung aufrechterhalten will. Laut Bradbury und Karney bedeutet es im besten Fall, dass beide Partner bereit sind, persönliche Opfer zu bringen, um die Ehe zu erhalten, wie hart es auch kommen mag.
Worauf es dabei ankommt, ist, dass sich beide Partner für dasselbe Ziel einsetzen. Wenn ein Partner den anderen z. B. mit Worten oder körperlich verletzt oder immer wieder betrügt, wird das Engagement des anderen wenig Wert haben. Ein solches Verhalten ist tödlich für das Vertrauen, und wenn das Vertrauen stirbt, stirbt das Engagement mit ihm; ohne Vertrauen gibt es keine Beziehung. Und man sollte sich über Folgendes im Klaren sein: Engagement für eine verletzende Beziehung kann verhängnisvoll sein – und tragischerweise ist es das auch oft.
Scheidung und Religion
Was wir bis hier über die unzähligen Gründe erfahren haben, aus denen Menschen sich scheiden lassen, könnte manchen traditionellen Ansichten widersprechen, insbesondere der Vorstellung, dass es gar keine Scheidung gäbe, wenn die Ehe nur ernster genommen würde. Für Außenstehende, insbesondere wenn sie ihre Ansichten mit ihrem Glauben begründen, mag es leicht sein, anzunehmen, die Patentlösung für solche Probleme – worin sie auch immer konkret bestehen – sei schlichtes Engagement für die Ehe. Aber wie so viele Herausforderungen der Gesellschaft lässt sich eine Scheidung nicht verhindern, indem man einfach den Entschluss fasst, sich nicht scheiden zu lassen. Gelöst werden müssen die zugrunde liegenden Probleme, die unausweichlich zur Scheidung führen, und oft sind dies Probleme, die auch vielen anderen Schwierigkeiten zugrunde liegen.
Menschen mit glaubensbasierten Ansichten können bei „Gott hasst Scheidung“ stehen bleiben, statt weiter in der Bibel zu lesen, wo dasselbe Verb, hassen, im Zusammenhang mit Lügen, Zwietracht, Wutausbrüchen und sonstigen Verhaltensweisen verwendet wird, die Menschen als Motive dafür nennen, ihr Heil in einer Scheidung zu suchen. Zwar kann es auch verlockend sein, zu glauben, unter allen Bedingungen zusammenzubleiben, sei alles, was nötig wäre, um eine Scheidung zu verhindern. Allerdings ist es viel wahrscheinlicher, dass diese Denkweise Verletzungen und Probleme lediglich vertuscht, statt den notwendigen Wandel zu bewirken – und in vielen Fällen erreicht sie nicht einmal das.
In einem Bericht von 2008 meldete die Barna Group (eine glaubensbasierte Forschungsorganisation) die Scheidungsraten innerhalb verschiedener Religionen, vom Christentum bis zu anderen Glaubensrichtungen, und auch bei Atheisten. Ihre Befunde könnten für manche überraschend sein. Die drei Gruppen mit dem niedrigsten Scheidungsrisiko? Katholiken, Evangelikale und … Atheisten. Von da an steigen die Zahlen. Wenn man es anders betrachtet und die Zahlen der Evangelikalen und anderen wiedergeborenen Christen kombiniert, ist ihre Scheidungsrate statistisch identisch mit der von nicht wiedergeborenen Christen: 32 % gegenüber 33 %. Bei Atheisten und Agnostikern waren 30 % verheiratet und dann geschieden. Die Barna Group beeilt sich, zu erklären, dass die dreiprozentige Abweichung vom nationalen Durchschnitt innerhalb der Bandbreite des Stichprobenfehlers lag, was nahelegt, dass die Wahrscheinlichkeit eines Ehe-Aus bei Atheisten und Agnostikern im Grunde gleich der der Gesamtbevölkerung ist. Anders gesagt: Zwischen Mitgliedern einer Religionsgemeinschaft, Atheisten und der Gesamtbevölkerung gibt es keine wesentlichen Unterschiede.
Tatsächlich lässt die Grundlage des christlichen Glaubens, die Bibel, Scheidung aus bestimmten Gründen zu, unter anderem wegen Untreue und unvereinbarer religiöser Überzeugungen (Matthäus 5, 31–32; 1. Korinther 7, 12–15). Sie beschreibt Gottes „Scheidung“ von Israel, weil es den Bund mit ihm gebrochen hat – wobei diese Untreue mit Ehebruch verglichen wird (Jeremia 3, 20) –, und eine spätere Wiederheirat in einem neuen Bund (Jeremia 31, 31–33; Offenbarung 19, 6–9). Die Bibel erkennt an, dass Scheidung ein Familientrauma ist, aber auch, dass die idealen Bedingungen für ihre Vermeidung im Leben der Menschen nicht immer gegeben sind. Dieser Beurteilung würden die meisten Menschen, die nach monate- oder jahrelanger Therapie zur Rettung einer angeschlagenen Ehe eine Scheidung durchlitten haben, wohl zustimmen.
Noch einmal: Vielleicht ist das, was man da sieht, nicht das Fehlen eines starken Wunschs, sich in einer lebenslangen Ehe zu binden. Vielleicht ist das, was man da sieht, ein Mangel an „Beziehungsintelligenz“ allgemein in der Welt, und der wirkt sich unweigerlich auf jedes System und jede Institution in unserer Gesellschaft aus, auch auf die Ehe. Wenn Völker einander ständig bekriegen und das von Generation zu Generation gefeiert wird, erscheint es naiv, zu erwarten, dass einzelne Menschen und Familien Experten in der Wahrung des Friedens sein können.
„Mose hat euch erlaubt, euch zu scheiden von euren Frauen, eures Herzens Härte wegen; von Anfang an aber ist’s nicht so gewesen.“
Statt zu fragen: „Wie verhindert man Scheidung“ oder „Wie verhindert man Kindesmisshandlung“ – oder Schießereien an Schulen oder die unzähligen anderen Probleme –, könnte man fragen: „Wie lehrt man Menschen, so miteinander umzugehen, wie sie sollten?“ oder „Wie beendet man die Muster von Beleidigung und Misshandlung, die sich immer mehr steigern, auf allen Ebenen, von Familien über örtliche Gemeinschaften bis zu Regierungssystemen?“ Wie wir jeden Tag in den Nachrichten sehen, ist es viel leichter, über die Probleme der Gesellschaft zu streiten, als sie gemeinsam an der Wurzel zu packen. Es sieht danach aus, dass wir daran, wie wir generell Probleme angehen, radikal etwas ändern müssen. Leider ist es unbequem, uns selbst zu fragen, wie wir die verletzende Behandlung anderer eliminieren können. Stattdessen verletzen wir einander bei Zankereien darüber, wessen Ideologie am besten die Symptome unserer Probleme reparieren kann, weiter.
Wenn es darum geht, an der Wurzel einiger Probleme, die zur Scheidung führen, Muster zu identifizieren, findet man alles von direkter Gewalt und Untreue über „Zumachen“ bis zu Gaslighting (gezielter Desorientierung) und anderen kontrollierenden Verhaltensweisen. Natürlich sind Eigenschaften, die zu einer dauerhaften Ehe beitragen, nicht sehr verschieden von denen, die allgemein zu guten Beziehungen mit anderen beitragen – ob man mit ihnen verheiratet ist oder nicht. Vertrauenswürdigkeit. Bereitschaft, an Problemen zu arbeiten. Selbstaufopferung, Offenheit und Ehrlichkeit. Liebe, Respekt, Fürsorge und Interesse aneinander. Das sind gute Charaktereigenschaften für alle, nicht nur für Eheleute. Schließlich ist das, was wir in unserer Ehe sind, nur ein Spiegelbild dessen, was wir als Mensch sind und wie wir generell an Beziehungen herangehen. Aber wie bei einer Freundschaft oder Geschäftsbeziehung kann nicht ein Partner allein die ganze Arbeit leisten; und in den meisten Fällen ist die Dynamik komplex und von außen nicht leicht zu beurteilen.
Tatsache ist schlichtweg, dass eine Ehe manchmal nicht zu retten ist – und manchmal kann es sogar gefährlich sein, sie dennoch weiterhin retten zu wollen.
Unterstützung in der Trauer
Wenn ein Paar den Punkt erreicht, an dem das Scheidungsverfahren eingeleitet ist, brauchen beide Partner die Unterstützung von Freunden und Angehörigen ebenso sehr, wie wenn ein Ehepartner gestorben wäre. Ein erschöpfender Vergleich dieser beiden Arten von Verlust würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, aber es gibt Entsprechungen, und eine von ihnen ist, dass Freunde und Angehörige oft nicht wissen, was sie sagen sollen oder wie sie die Betroffenen am besten unterstützen können.
Als Erstes ist es wichtig, zu beachten, dass bei einer Scheidung beide Seiten einen furchtbaren Verlust erleiden, unabhängig davon, wer die Scheidung eingereicht hat. Auch im Vorfeld wird es eine Menge Schmerz und Not gegeben haben, und je nach Umständen kann noch viel nachkommen.
„Es tut mir leid, dass du diesen Schmerz und Verlust durchmachst; das muss sehr schwer sein“ – das ist ein vollkommen angemessener Satz, mit dem Freunde und Angehörige Unterstützung und Anteilnahme ausdrücken können. Sollte die Scheidung in einem Stadium sein, in dem die Partner vor allem erleichtert sind, den Stress und Schmerz der Ehe hinter sich zu haben, werden sie es Ihnen mitteilen, und Sie können Ihre Unterstützung entsprechend anpassen. Aber viele Betroffene haben nach dem Verlust einer Ehe noch monatelang keinen festen Boden unter den Füßen, besonders wenn sie ihr Zuhause oder die Menschen in ihrer Umgebung verlassen, ihren Haushalt verkleinern, schwierige Finanzfragen klären müssen und/oder Mühe haben, ihren Kindern beim Zurechtkommen mit einer neuen Realität zu helfen. Es kann furchtbar schwer sein, sich wieder an das Leben ohne Partner anzupassen und ohne ein zweites Paar Hände mit den Anforderungen von Beruf, Kindern, Haushalt und Finanzen zu jonglieren. In den meisten Fällen dürften Hilfsangebote nicht abgewiesen werden.
„Für jeden Beteiligten ist ein Unterstützungssystem überlebenswichtig.“
Wenn die Umstände es erlauben und besonders wenn Kinder betroffen sind, versuchen Sie, zu beiden Parteien freundlich zu sein – oder wenigstens höflich. Die Scheidung der Eltern ist für Kinder schlimm genug, auch ohne hören zu müssen, wie die Erwachsenen, die ihnen nahestehen, Vater oder Mutter verteufeln. Es sollte sich von selbst verstehen, dass beispielsweise die Frage, wer schuld an der Trennung sei, das Gegenteil von hilfreich ist. Das betrifft auch: „Was ist passiert?“, „Was hast du getan?“, „Was ist schiefgelaufen?“ oder „Hast du das geahnt?“
Selbst wenn er oder sie es geahnt hat, trübt oft sehr viel Unsicherheit die Zukunft eines Menschen, der eine Scheidung durchmacht. Wie werden die Kinder zurechtkommen? Wie werde ich zurechtkommen? Wo werden wir wohnen? Wie werden wir finanziell über die Runden kommen? Deshalb ist es konstruktiver, zu fragen, wie man helfen kann, als Verkündungen über die Zukunft abzugeben – gleichgültig, wie ermutigend sie gemeint sind. Aussagen wie „Kinder sind widerstandsfähig; deine Kinder schaffen das!“ oder „Du kriegst jemand Besseren!“ sind nicht so aufbauend, wie man vielleicht hofft. Manche Kinder sind tatsächlich widerstandsfähiger als andere, aber die meisten werden durch die Entwicklung der Ereignisse und das Leid ihrer Eltern sehr aufgewühlt. Und wer in Scheidung lebt, dürfte anfangs kaum daran denken, sich in eine neue Beziehung zu stürzen, außer wenn sie bereits besteht (und der Scheidungsgrund ist). Wenn dies nicht der Fall ist, kann die Vorstellung, jemanden zu „kriegen“, bestenfalls überfordernd und möglicherweise direkt furchterregend sein.
Trauernde sind generell nicht bereit dafür, dass man ihnen all die scheinbar positiven Aspekte ihrer Situation aufzeigt. Sie brauchen es nicht, dass man ihnen sagt, wie unglaublich attraktiv sie sind oder wie viel besser sie ohne den Menschen dran sind, den sie einmal als Lebenspartner auserwählt hatten. Schließlich haben sie diesen Menschen einmal genug geliebt, um ihre Zukunft um ihn herum zu bauen. Die Verletztheit und das Leid können noch mit sehr viel Liebe vermischt sein, und das macht den Kummer und Verlust umso schmerzhafter. Den meisten Betroffenen hilft es nicht, Dritten zuzuhören, die den früheren Partner schlechtmachen.
In Wahrheit ist Trauer eine normale Reaktion nach einer Scheidung, und jeder Mensch verarbeitet sie auf seine eigene Weise und in seiner eigenen Zeit. Der Prozess der Erholung kann bei manchen langsam scheinen, und das mag zum Teil daran liegen, dass es für die Trauer um eine Scheidung keine unterstützenden Rituale gibt. Für das Ende einer Ehe gibt es keine Bestattung, keinen Grabstein, keine Totenwache. Eine Scheidung bedeutet eine komplette Änderung des Lebenswegs, und es gibt nichts, was sie erkennbar symbolisiert, außer vielleicht einem Gerichtsurteil, das eines Tages mit der Post kommt. Das kann Gefühle der Entrechtung auslösen, eine Empfindung von Unwirklichkeit und Isolation. Freunde und Angehörige können vielleicht helfen, indem sie an Daten denken, die für die trauernde Person schmerzhaft sein könnten (z. B. einen Hochzeitstag oder den Tag, an dem die Scheidung rechtskräftig wurde), und Pläne für gemeinsame Zeit mit ihnen machen. Jemanden zu unterstützen, der wegen einer Scheidung trauert, wird leichter, wenn man daran denkt, dass Trauer eben Trauer ist. Die Gründe für Trauer sind unterschiedlich, aber die Trauer selbst ist ein leidvoller Prozess, unabhängig davon, was sie ausgelöst hat.
Das Ende einer Ehe ist sicher keine ideale Entwicklung. Wie gesagt: Scheidung ist schmerzhaft für beide Partner, für betroffene Kinder und oft auch für die Schwiegerfamilien und andere Verwandte. Es ist das Beste für alle, wenn beide Partner willens und fähig sind, ihre Differenzen zu lösen, ob das Paartherapie oder andere Formen der Beratung bedeutet. Aber für uns als Angehörige und Freunde ist es wichtig, zu begreifen, dass dies nicht immer möglich ist und dass es wirklich nicht unsere Aufgabe ist, herauszufinden, warum. Unsere Aufgabe ist es, die Unterstützung anzubieten, die das Paar und seine Kinder brauchen werden, um den schweren Trauerprozess zu überstehen und die ganz konkreten Herausforderungen zu bewältigen, die der Übergang von einer Familie zu zwei Familien mit sich bringt.