Wer glauben Sie zu sein?
Aus dem Archiv von Vision: Wenn Ihr Selbstwertgefühl davon abhängig ist, wie Sie aussehen (oder wie Sie glauben, auszusehen), könnte es hilfreich sein, zu verstehen, was in Ihrem Kopf tatsächlich vor sich geht. (Neuveröffentlicht im Frühjahr 2022, aus unserer Ausgabe vom Sommer 2020)
Fühlen Sie sich unter Druck, perfekt zu sein? Den Standards der Gesellschaft um Sie herum zu genügen? Sport zu treiben und Diät zu machen, damit Sie der weichgezeichneten Perfektion nahekommen können, die die Mode-/Film-/Fitness-/Medienindustrie als Ideal propagiert?
Für die meisten Menschen ist das Streben nach körperlicher Perfektion weder realistisch noch machbar und für einige ist es sogar der Weg zum Zusammenbruch. Trotzdem hält der Trend an und heute beeinflusst er leider einen jüngeren Querschnitt der Bevölkerung als früher. Eine britische Studie von 2016 ergab zum Beispiel, dass nur 61 % der Mädchen im Alter zwischen 7 und 21 mit ihrem Aussehen zufrieden waren – 12 % weniger als fünf Jahre zuvor.
Die kanadischen Psychologen Gordon Flett und Paul Hewitt haben mit mehreren Kollegen und Kolleginnen die „perfektionistische Selbstpräsentation“ untersucht. Ihre über Jahre gesammelten Daten deuten darauf hin, dass der Versuch, der Außenwelt ein perfektes Bild zu präsentieren, das Bestreben, Unvollkommenes zu verstecken, und die Angst davor, auch nur zu offenbaren, dass es Unvollkommenes geben könnte, „positiv mit Depressionen korrelierte[n]“. Zwar haben sie festgestellt, dass dies insbesondere junge Menschen betrifft – für sie sind soziale Medien Plattformen, um sich zu präsentieren, aber auch Quellen von Druck, als jemand gesehen zu werden, der perfekt ist und das perfekte Leben führt –, doch ist klar, dass niemand immun ist.
Der Journalist und Romancier Will Storr hat dieses Phänomen 2017 in Selfie aufgegriffen. Unter diesem Titel erwartet man vielleicht eine humorvolle Auseinandersetzung mit der Selfie-Kultur der Zweitausendergeneration und dem Narzissmus, der „alles für Insta“ tut – obgleich auch dieses Stereotyp über eine Generation, wie alle anderen, weder zutreffend noch nützlich ist. Der Untertitel des Buches, How We Became So Self-Obsessed and What It’s Doing to Us (Wie wir so Ich-besessen wurden und was das mit uns macht), legt allerdings nahe, dass Storr tiefer schürft.
Schon zu Beginn zeigt er auf, dass für viele Menschen, die damit beschäftigt sind, perfekt zu erscheinen, das Körperbild von entscheidender Bedeutung ist. Wir neigen zu der Vorstellung, dass Probleme mit der Körperwahrnehmung zumeist bei Frauen vorkommen, doch das hat sich verändert. Storr zitiert eine US-amerikanische Studie von 2008 über Erwachsene mit „körperdysmorpher Störung“ (einer Fixierung auf das Körperbild und die wahrgenommenen Mängel der eigenen Erscheinung), die ergab, dass Männer und Frauen zu fast gleichen Anteilen darunter leiden und dass sie häufiger vorkommt als Schizophrenie und bipolare Störungen. Bei Männern zeigte sich insbesondere ein Zusammenhang zwischen der Zufuhr von Steroiden und „muskeldysmorpher Störung“ – einer Diagnose, die inzwischen im Diagnostic and Statistical Manual (DSM) der American Psychiatric Association erfasst ist. Großbritannien und andere Länder sind in ähnlicher Weise betroffen; auch dort steigen die Zahlen der Patienten mit Essstörungen sowie der Mitglieder von Fitnessklubs.
Der intensive Druck, als perfekt gesehen zu werden, führt bei einigen zu selbstverletzendem Verhalten oder sogar Selbstmordgedanken. Eine Metaanalyse von 2017 ergab eine signifikante Korrelation zwischen Perfektionismus und Selbstmord. Wenn man sich nie als „gut genug“ wahrnimmt, warum soll man es dann weiter versuchen?
Bei den meisten von uns geht es wohl nicht so weit, doch sind wir wahrscheinlich nicht ganz unberührt von perfektionistischem Druck. Bearbeiten wir unser Leben, ehe wir es zur Schau stellen? Zeigen wir nur die präsentabelsten Aspekte – die Bilder, auf denen wir am besten aussehen, am meisten Spaß haben, den schicksten Kaffee trinken, die attraktivsten Sukkulenten pflanzen, mit der coolsten Achterbahn fahren, das Instagram-tauglichste Pop-up-Museum besuchen? Sind wir neidisch auf andere, deren Leben so viel besser aussieht? „Muss Spaß machen, die zu sein.“
Eine weitere Studie von 2017 bestätigt das wachsende Ausmaß des Problems. Die Antworten von mehr als 41 000 US-amerikanischen, britischen und kanadischen Studenten und Studentinnen bei Umfragen über einen Zeitraum von 28 Jahren wurden von Psychologen ausgewertet und es zeigte sich, dass sozial vorgeschriebener Perfektionismus um 32 % zugenommen hatte. Das ist besonders beunruhigend, weil dies eine der Formen von Perfektionismus ist, die in Zusammenhang mit Depression und Selbstmord stehen.
Das Ich ist eine Geschichte
Was ist dieses Ding, das wir alle das Ich nennen? Was ist es, was einen Menschen zu diesem Menschen macht?
Statt einer streng wissenschaftlichen oder materialistischen Definition verwendet Storr eine einfache Begriffserklärung: Das Ich ist „der Mechanismus der Bestrebungen, Überzeugungen und persönlichen Eigenschaften, die uns in der Kombination zu der Person machen, die wir sind. […] Jedes Ich ist anders. […] Wir spüren seine Macht: Es ist das Ich, das uns Druck macht, uns um Status, Attraktivität, Leistung, Moral, Strafe und Perfektion zu sorgen. Wir empfinden, dass es einzig dieses ,Ich‘ ist, das in Konflikte und Lieben und Träume involviert ist – aber dass alle Menschen die gleichen Verhaltensmuster wiederholen, verrät, dass da tatsächlich Gesetzmäßigkeiten und Funktionen am Werk sind.“
Wer glaube ich zu sein? Diese Frage kann uns schneller zum Kern der Sache bringen, als uns vielleicht zunächst klar ist. Wer wir zu sein glauben, ist weitgehend das, was wir uns über uns selbst sagen – die Geschichte, die wir uns über uns selbst erzählen.
„Wir müssen […] etwas Wichtiges und Beunruhigendes über das menschliche Ich bedenken: dass es dafür gebaut ist, uns eine Geschichte darüber zu erzählen, wer wir sind, und dass diese Geschichte eine Lüge ist.“
Was es bedeutet, ein bewusst denkender Mensch zu sein, sieht Storr als ein vierfaches Erleben: „Erstens hat man die Sinneserfahrungen – was man sieht, hört, riecht, schmeckt, die körperlichen Reize, die die Haut aufnimmt. Zweitens hat man das Erleben halluzinatorischen Reisens – man kann sich Bilder aus der Vergangenheit, der Zukunft und der Fantasie vorstellen. Das Dritte ist das emotionale Erleben – der unablässig wogende Ozean aus Angst, Erregung, Liebe, Begehren, Hass usw., der unter unseren Tagen strudelt und schwillt. Schließlich hat man seinen inneren Monolog, die geschwätzige Stimme, die alles erzählt und alles interpretiert, was uns geschieht, es mit uns diskutiert, Theorien darüber bildet, nie still ist.“
Storr fährt fort: „Wenn das Ich eine Geschichte ist, dann machen Sie sich bereit, ihren windigen Urheber kennenzulernen“ – jene innere Stimme mit dem Beinamen „left-brain interpreter“ (Linkshirn-Erklärer).
In den 1960er-Jahren arbeitete der Neurowissenschaftler Michael Gazzaniga mit Epilepsiepatienten, deren Hirnhälften operativ getrennt worden waren, um zu verhindern, dass sich epileptische Anfälle über das gesamte Gehirn ausbreiteten. Dies brachte die Anfälle nicht völlig zum Verschwinden, doch waren sie generell weniger schwer und weniger häufig und die Patienten konnten nach der Operation ein in vielfacher Hinsicht normales Leben führen.
Diese bahnbrechende Operation war so interessant für Gazzaniga, weil sie etwas Merkwürdiges in unserer mentalen Verschaltung ans Licht brachte: Sie machte erhebliche Unterschiede darin deutlich, wie jede der Hirnhälften Informationen verarbeitet. Weil die organische Verbindung zwischen Links und Rechts – das „corpus callosum“, ein Band aus Nervenfasern – durchtrennt worden war, konnten die beiden Hälften Informationen nicht mehr miteinander teilen, um sie schnell und ganzheitlich zu deuten.
Forscher machten sich die Art zunutze, in der die Augen über das rechte und das linke Gesichtsfeld mit dem Gehirn kommunizieren, und zeigten Patienten Gegenstände, die nur eine Seite ihres Gehirns sehen konnte. Sie zeigten z. B. der linken Hirnhälfte eines Patienten einen Hühnerfuß und der rechten eine verschneite Landschaft. Dann baten sie ihn, aus einer Sammlung von Bildern, die sie ihm vorlegten, ein passendes auszuwählen. Seine linke Hand (rechte Hirnhälfte) deutete auf eine Schneeschaufel, die für die verschneite Landschaft passte, und seine rechte Hand (linke Hirnhälfte) deutete auf das Bild eines Huhns, passend zu dem einzigen Bild, von dem er wusste, dass er es gesehen hatte. Der Hühnerfuß und das Bild mit dem Huhn passten natürlich zusammen, aber er musste verbalisieren, warum die Schneeschaufel richtig war, und so sagte er: „Man braucht eine Schaufel, um den Hühnerstall auszumisten.“ Gazzaniga schreibt: „Als die linke Hirnhälfte [wo das Sprachzentrum sitzt] die Reaktion der linken Hand wahrnahm, ohne zu wissen, warum sie dieses Bild gewählt hatte, stellte sie dies sofort in einen Zusammenhang, der es erklären würde.“
Die Ergebnisse dieser Experimente ermöglichten Forschern verblüffende neue Erkenntnisse darüber, wie das Gehirn funktioniert. Storr macht jedoch auf eine potenziell beunruhigende Realität aufmerksam: „Die unangenehme Wahrheit ist, dass wir alle einen Erklärer haben, der unser Leben erzählt, und dass das alles nur Mutmaßung ist. Wir alle konfabulieren, pausenlos“, schreibt er. „Wir bewegen uns in der Welt, tun Dinge und empfinden Dinge und sagen Dinge, aus zahllosen unbewussten Gründen, während ein spezifischer Teil unseres Gehirns ständig bestrebt ist, ein sinnvolles Narrativ aus dem zu machen, was wir anstellen und warum.“
„Wenn wir uns daran machen, unser Handeln zu erklären“, schreibt Gazzaniga, „sind es alles Post-Hoc-Erklärungen anhand von Post-Hoc-Beobachtungen mit keinerlei Zugang zu der unbewussten Verarbeitung.“
„Jenes ich, auf das man so stolz ist, ist eine Geschichte, die das Erklärer-Modul gestrickt hat, um so viel von unserem Verhalten zu erklären, wie es einarbeiten kann, und den Rest leugnet oder rationalisiert es.“
Die Wahrheit ist, so seine Schlussfolgerung: „Zuzuhören, wenn Menschen ihr Handeln erklären, ist interessant […] , aber oft Zeitverschwendung.“
Natürlich wollen wir glauben, wir hätten generell die Kontrolle über unser Denken und Fühlen, unsere Reaktionen seien berechtigt, unsere Sichtweisen und Präferenzen seien logisch und vertretbar – normal. Doch nun stellt sich heraus, dass es, wenn wir uns eine Geschichte darüber erzählen, warum wir etwas tun, sein kann, dass wir sie um mutmaßliche Beweggründe herum erfinden. Könnte unser Erklärer etwas Falsches mutmaßen? Und wenn ja, warum?
Gazzanigas Forschung hilft uns, zu verstehen, dass es in unserem Unbewussten ein Element gibt, das bestrebt ist, die Welt sinnvoll zu erklären. Allerdings wollen wir bei dieser sinnvollen Erklärung gut, logisch, angemessen aussehen. Und so rationalisieren wir unser Verhalten: Wir sind keine schlechten Menschen, also müssen wir einen guten Grund gehabt haben, dies zu tun, jenes zu denken. Wir geben uns eine Menge Spielraum. Es kann schwierig sein, unsere eigene Voreingenommenheit klar zu sehen, und noch schwieriger, an ihr vorbeizusehen.
„Wegen der Funktionsweise unseres Gehirns“, so Storr, „läuft unser Ich-Empfinden von Natur aus im Erzählmodus: Wir erleben uns als Helden im fortlaufenden Roman unseres Lebens, in dem auch Verbündete, Schurken, plötzliche Schicksalswendungen und schwierige Bemühungen um Glück und Belohnungen nicht fehlen. Unser durch Stammeszugehörigkeit geprägtes Gehirn setzt unseren Freunden Heiligenscheine und unseren Feinden Teufelshörner auf.“
Noch kreativer wird unser innerer Erzähler, wenn wir mit den Geschichten anderer Leute konfrontiert sind – dem „perfekten Ich“, das sie in sozialen Medien und anderen sozialen Interaktionen vorzeigen. Die Selbstzweifel, die ihre Geschichten in uns auslösen können, können sehr entmutigend sein und dadurch entsteht Druck, noch weiter zu rationalisieren und so unsere eigene Geschichte zu verbessern.
„Nichts ist so abgründig wie das menschliche Herz“, schrieb einst der hebräische Prophet Jeremia. Wir haben eine angeborene Fähigkeit zur Selbsttäuschung – zum Selbstbetrug – und wir erkennen die Täuschung nicht von Natur aus.
Welche Geschichte erzählen Sie sich selbst? Ist es eine ehrliche Geschichte? Wer glauben Sie zu sein?
Das Ich ist Kultur
Unter dem Ich stellen wir uns weitgehend etwas Psychisches vor, das seinen Sitz im Gehirn hat. Aber das ist nicht alles.
Im Austausch mit Storr erläuterte der Soziologe John Hewitt: „Das Gehirn, das wir haben, mit der Psyche, die dieses Gehirn produziert, ist wichtig, aber viele Dinge, die wir gern erklären würden, erklärt es nicht, während Kultur und Gesellschaft das tun.“ Daraufhin fragte Storr: „In welchem Maße sind wir dann die Kultur, in die wir hineingeboren werden?“ Hewitt zufolge hat Kultur einen Anteil von nicht weniger als 90 % an dem, wer oder was wir sind.
Das ist ein überraschender Gedanke. Wären wir wirklich zu 90 % anders, wenn wir in einer anderen Kultur aufwüchsen?
Um zu verstehen, warum das offenbar der Fall ist, müssen wir einen Blick auf die Entwicklung des Gehirns werfen. Wenn wir zur Welt kommen, hat unser Gehirn eine gewisse Größe und es nimmt schnell an Gewicht und Vernetzung zu.
„Wie das Ich Kultur aufnimmt, lässt sich auf verblüffende Weise im Gehirn des wachsenden Babys verfolgen.“
„Im Alter von zwei Jahren“, so Storr, „hat ein Mensch über hundert Billionen Synapsen gebildet, doppelt so viele wie ein Erwachsener. So groß ist diese zusätzliche Hirnfunktionalität, dass Kinder sogar kognitive Fähigkeiten entwickeln, die uns anderen fehlen.“ Dies ist ein Grund, warum es in der Jugend so viel leichter ist, eine Fremdsprache zu lernen. „Es wird davon ausgegangen, dass dies eine der Arten ist, auf die sich das Gehirn seiner Umgebung anpasst“, berichtet Storr.
Doch wie die Psychologen Edalmarys Santos und Chad Noggle in der Encyclopedia of Child Behavior and Development darlegen, „haben diese [Kleinkinder] weit mehr Neuronen und Synapsen, als funktional erforderlich oder vorzuziehen sind. Synapseneliminierung ist der Prozess, durch den diese zusätzlichen Synapsen entfernt werden, sodass die Effizienz des neuronalen Netzes gesteigert wird. Der gesamte Prozess setzt sich bis zum Alter von etwa zehn Jahren fort; bis dahin sind fast 50 % der Synapsen, die bei Zweijährigen vorhanden sind, eliminiert worden.“
Was entfernt wird, dürfte dafür, wie unsere Kultur uns definiert, ebenso bedeutsam sein wie das, was bleibt. Storr schreibt: „Wenn wir geboren werden, […] ist unser Gehirn bereit für die Welt – oder zumindest eine Welt. Es eilt hinaus, um sie zu begrüßen, lernt sie kennen, und dann stutzt es sich zurück und spezialisiert sich für genau die Kultur, in der es sich befindet.“
Um uns einem Verständnis dafür zu nähern, wie das geschieht, können wir andere Kulturen studieren und die Unterschiede darin wahrnehmen, was die Menschen als schön empfinden – worauf sie Wert legen. Was z. B. ein typisches Titelbildmodel für ein westliches Fitnessmagazin ist, hat viel mit relativ neuen Veränderungen der populären westlichen Kultur zu tun, die seit den 1960er-Jahren diktiert, dass dünn „in“ ist. In der Geschichte assoziierten viele Kulturen größere Körperfülle mit hohem Status, Schönheit und Chancen auf dem Heiratsmarkt. In manchen Regionen der Erde ist dies noch immer so, doch in jeder Kultur können sich die Standards körperlicher Perfektion im Lauf der Zeit verändern.
Jeder, der Mühe mit seinem Gewicht oder seinem Aussehen hat, kann sich mit Storrs eigener Anfechtung identifizieren: „Wenn ich ein Gefühl des Abscheus empfinde, weil mein Bauch weit weg von der ,idealen‘ Form ist, ist das meine Kultur, die da spricht. Ich habe sie absorbiert. Sie ist in mir drin. In einem erheblichen Maß kontrolliert sie mich, wie ein Parasit, ermahnt mich, wenn ich zu weit von ihren Vorbildern abweiche.“
Unsere verinnerlichte Vorstellung von körperlicher Schönheit und Perfektion ist nur ein Beispiel dafür, wie unsere Kultur uns formt. Ein anderes Beispiel ist der Einfluss unserer Familie, deren Werte und Glaubenssysteme wir übernehmen oder ablehnen. Unsere Freunde, Bekannten und Kollegen geben ein einzigartiges Umfeld ab, in dem wir uns mit sozialen Erwartungen zurechtfinden. Vorstellungen über Klasse, Geschlecht und Rasse sind von außen erlernt, durch Interaktion mit anderen Menschen, aber auch Kulturprodukte wie Bücher, Filme, Musik, soziale Medien und so weiter. „Wir verinnerlichen diese Regeln“, so Storr, „dann beginnen wir, uns an sie zu halten, als wären sie Naturgesetze.“
In welchem Maß haben wir alle die Vorstellungen und Werte unserer jeweiligen Kultur übernommen und glauben, sie seien „normal“, ohne sie zu hinterfragen oder zu prüfen?
Zeit zum Umdenken
Lohnt es sich, auf körperlichen Perfektionismus und das perfekte Instagram-Leben Wert zu legen? Hilft es uns in irgendeiner Weise, ständig nachzusehen, was alle anderen tun, posten, denken oder in sozialen Medien kommentieren?
Unsere vorgegebene innere Stimme spricht ständig mit uns, aber sie ist ein unzuverlässiger Erzähler. Einerseits versucht sie, uns zu überzeugen, wir seien in Ordnung, generell gut und würden besser werden; andererseits schickt sie uns in den Graben, indem sie uns überzeugt, wir müssten uns auf ein falsches Ideal ausrichten, dem wir nie gerecht werden können (oder sollten). Auf welcher Seite der Selbsteinschätzung wir auch im Graben landen – ein gesundes Gefühl von Selbstachtung oder Selbstwert wird wahrscheinlich das Opfer sein.
Wenn unser Ichgefühl eine kulturell bedingte Geschichte ist, die wir uns selbst erzählen, und wenn diese Geschichte fast mit Sicherheit nicht wahr ist, dann müssen wir das Zuhören lange genug abstellen, um uns selbst zu sehen, wie wir wirklich sind: unvollkommene Menschen wie alle anderen.
Die Erkenntnis, dass wir nicht nur zur Selbsttäuschung neigen, sondern auch unvollkommen sind wie alle anderen Menschen, ist ein erster Schritt zu einem besseren Ich. Ein entscheidender nächster Schritt ist, den höchsten realistischen Standard zu finden, auf den wir hinarbeiten wollen.
Wie wir für andere aussehen (oder glauben, auszusehen), ist viel weniger wichtig, als zu wissen, dass wir daran arbeiten, nicht ein körperlich attraktiverer Mensch zu werden, sondern ein besserer Mensch. Das erfordert kontinuierliches Bemühen, doch mit der Zeit und mit Beharrlichkeit werden wir die Fähigkeit entwickeln, uns selbst weit realistischer und sinnvoller einzuschätzen